Читать книгу Der Tag, der nie war... 2. Auflage - Aynara Garcia - Страница 5

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Die Suche nach Liebe

Nichts geschieht zufällig. Und aus heutiger Sicht betrachtet bilden alle meine Erlebnisse, gleich einem Puzzle aus vielen Einzelteilen, einen großen Zusammenhang. Und so möchte ich mit jener Geschichte beginnen, die gleichzeitig einen für mich wichtigen Meilenstein bedeutete.

Wir lernen als Kind aus unserem direkten Umfeld, dann aus Büchern, Filmen verschiedene Vorstellungen von Liebe kennen. Viele Formen davon sind einfach ein Handel - wir haben Bedürfnisse, die wir erfüllt bekommen möchten - und wir verwechseln es mit Liebe. Der wohl deutlichste Hinweis darauf ist die Androhung von Liebesentzug. Das Kind, das sich von seinem Vater kontrolliert fühlt und danach trachtet, eigene Wege auszuprobieren, bekommt gesagt: „Wenn du mich ignorierst und deine eigenen Wege gehst, dann werde ich dich eines Tages auch ignorieren.“ Für das Kind kann es keine schlimmere Drohung geben. Sein Überleben hängt davon ab und so lernt es, wenn ich tue, was meinen Eltern nicht gefällt, dann verstoßen sie mich aus der Gemeinschaft. In den allermeisten Fällen geschieht das nicht bewusst, es geschieht oft unbewusst. Man entwickelt als Kind eine sehr feine Antenne dafür, was unsere Eltern von uns sehen wollen und was nicht. Welche Eigenschaft ungeliebt und welche gewünscht ist.

Und dieses Bild geben wir an unsere Kinder weiter. Und wenn du selbst als Kind in das Erwachsenen-Alter kommst, dann tastest du dich vor und machst deine Erfahrungen anhand irgendeines Bildes von Liebe, das dir vermittelt wurde. Das kleine Kind immer noch in dir tragend, das den Verlust der Gemeinschaft fürchtet, bist du nicht souverän.

Es kam oft vor, dass ich völlig arglos etwas tat und anschließend erschrocken feststellte, dass meine Eltern darüber wütend auf mich waren, was ich nicht immer verstehen konnte. Es erzeugte ein beständiges Gefühl von Unsicherheit. Ich konnte nie sicher sein, dass, was ich tat oder wie ich war, dass es ok war. Und so wollte ich Verhaltensweisen verstehen, in der Hoffnung, es das nächste Mal vielleicht richtig zu machen. Irgendwann glaubte ich, wenn ich nur genug nachdenke, vorher genug analysiere, dann schaffe ich es, irgendwann akzeptiert zu werden. Das Gefühl zu haben, ich bin so richtig wie ich bin. Es ist ein aussichtsloses Unterfangen gewesen. Denn ich versuchte an der falschen Stelle etwas zu reparieren, das nicht kaputt war.

Es war einfach nicht die Frage von richtig und falsch, sondern dass ich so handelte, weil ich es eben nicht besser wusste. Wenn dir jemand sagt, dass das, was du fühlst nicht richtig ist und nicht zu dem passt, wie er dich gerne hätte, dann erzeugt das eine tiefe Verunsicherung, ob du deinen eigenen Gefühlen trauen kannst. Wenn ich als Kind meinte, dass ein Spielzeug mir gehörte oder eine Landkarte, ein Buch, dann war das ein Sakrileg. Es gehörte alles allen, so war die Losung. Und es erzeugt ein Gefühl davon, keinen Platz zu haben, der wirklich dir gehört. Es erzeugt ein beständiges Gefühl von „Du musst dir deinen Platz verdienen.“

Es ist wie eine Karotte, der du immer hinterherrennst. Aber du wirst sie nicht bekommen.

Das Leben ist eben ein Feld von Überraschungen und die sind dazu da, etwas über dich selbst zu lernen. Vielleicht hatte ich nicht auf mein Gefühl gehört, vielleicht aber habe ich völlig im Einklang mit mir gehandelt und es wurde nicht für gut befunden und dann gibst du klein bei, besonders als Kind, denn du musst dir deinen Platz verdienen, du möchtest dazu gehören. Wir sind manchmal nicht ehrlich zu uns selbst, weil wir etwas nicht sehen wollen und das ist von größerer Tragweite für unser gesamtes Seelenleben, als uns oft bewusst ist.

Was wir sagen und was wir tun, stimmt nicht immer überein. Wir reagieren wütend auf etwas, das uns lediglich an eine vergangene Geschichte erinnert, und dieses unverarbeitete Gefühl widerspiegelt, weil wir nicht wissen, wie wir uns unseren Gefühlen stellen sollen.

Aber das konnte ich nicht wissen. Wo ist das Handbuch, das dir zeigt, was deine Gefühle bedeuten?

Ich fühlte mich häufig zwischen den Stühlen und manches Mal auch so, als könnte ich niemandem gerecht werden.

Ich sah mich häufig damit konfrontiert, dass es geheime Spielregeln zu geben schien, deren Inhalt mir unbekannt waren. Eltern stellen manchmal Anforderungen, die für dich als Kind nicht immer einen Sinn ergeben oder sogar die Angst auslösen, dass du deine Eltern als Unterstützung verlieren könntest, wenn sie dir mit Konsequenzen drohen.

Das ließ mich ratlos, aber auch in Angst und einem unablässigen Druck, der auf mir lastete, leben, während ich mir manchmal einfach nur wünschte, es möge ein unkompliziertes, fröhliches Verhältnis zwischen uns geben.

Jeder von uns handelt in dem Rahmen, der ihm geläufig ist. Eltern, die selbst einen inneren Druck haben, geben diesen unbeabsichtigt genau so weiter, wie ihre eigene Vorstellung von Liebe. Für Erziehung gibt es keine allgemeingültige Gebrauchsanleitung. Alles, was wir haben sind unsere inneren Werte, die über Generationen weitergegeben werden und die Erfahrungen, die wir mitgebracht haben. Dazu gehört auch, was wir über die Welt glauben und was uns antreibt, das zu tun, was wir leben.

Und für mich standen Ängste im Vordergrund:

• „Wenn du nicht machst was ich mir vorstelle, wende ich mich von dir ab“

• „Du erfüllst meine Erwartungen nicht.“

• „Erfüllst du meine Erwartungen nicht, liebst du mich nicht und ich liebe dich nicht mehr.“

Wenn es auch nur den Anschein eines potentiellen Liebesentzuges gibt, reagiert man als Kind, aber oft auch als Erwachsener, mit Überlebensstrategien. Man passt sich an und sucht verletzte Urbedürfnisse nach Einheit, so richtig zu sein, wie man ist und Wertschätzung mit allerlei Überlebensstrategien zu kompensieren.

Und das nimmt man dann mit in seine Beziehungen. Man sucht dann Erfüllungsgehilfen für seine Bedürfnisse. Bewundere mich, kümmere dich um mich, zeige mir, dass du immer an meinen Lippen klebst, wenn du mir nicht bei meinen Aufgaben hilfst dann…

Das hat alles nichts mit Liebe zu tun. Es ist der innere Mangel einer Wunde, die wir versuchen, mit einer Beziehung zu füllen.

Für mich wurde aus der Kombination dieser übernommenen Anforderungen ein Korsett. Solche Vorgaben sind versteckt hinter den Emotionen, deren Tiefe man sich oft nicht im Klaren ist. Es bedeutet, das Leben ist schon vorgesteckt im Rahmen, den die Eltern für dich vorsehen. Wenn du in deinen Eigenschaften nicht da hineinpasst und die Wahrscheinlichkeit ist groß, dann wird es bald ziemlich eng.

Es ist uns nicht immer klar, auf welche Basis wir unsere emotionalen Forderungen stellen. Wenn ein Elternteil immer das Gefühl hat, nicht geliebt zu sein, dann kann das Kind diesen Mangel niemals beheben. Es wird das Gefühl bekommen, niemals genug zu sein. Es wird dadurch alles tun, um Liebe zu bekommen und immer das Gefühl haben, dass Bedingungen an die Liebe geknüpft sind.

Als Kind lernte ich dies als Liebe kennen. Liebe bestand für mich aus konstruierten Vorstellungen, wie sich jemand verhält, der dich liebt. Man sagt, es gibt verschiedene Sprachen der Liebe und nicht alle sind mit Worten oder Taten zu messen. Wer sich nicht selbst liebt, kann die Liebe, die ihm entgegengebracht wird, gar nicht wirklich selbst spüren.

Dich selbst in dem anderen erkennen, ist eine hohe Form der Liebe. Das Festmachen an Ritualen und äußerlichen Verhalten ist bestenfalls ein Leben nach (Vor-)Bildern. In einem solchen Leben bricht das wirkliche Fühlen nur in Situationen hervor, in denen der Verstand ausgehebelt ist. Ein scheinbar gefühlskalter Mensch ist jemand, der so verletzt wurde, dass er Gefühle von sich abgetrennt hat. Er kann diese Liebe also gar nicht wirklich annehmen und manchmal auch gar nicht erkennen, weil sein Herz zu ist.

Der tiefe Wunsch, den Ansprüchen der Eltern gerecht zu werden und dass sie mich so anerkennen würden, wie ich sei. Oh, das ist der Wunsch eines jeden Kindes und oftmals bleibt nur zu akzeptieren, dass die Eltern dies manchmal nicht erfüllen können, sondern, dass es manchmal etwas ist, das nur wir selbst uns geben können. Du bist dann gefordert, dich diesem Mangel in dir zu stellen.

Ich hatte Schwierigkeiten, die Rückmeldungen, die ich von den Erwachsenen bekam, als wahr oder falsch zu erkennen. Es verwirrte mich unendlich, und ich war mir nie meiner Wahrnehmungen sicher. Denn nicht immer sagen Erwachsene wirklich, was sie fühlen oder sind sich überhaupt bewusst, wieso sie wirklich sagen und tun, was sie tun.

Sie sagen, was sie für die Wahrheit halten. Und manchmal bedeutet es, dass sie sich selbst belügen. Das, was ich fühlte, wurde oft in Abrede gestellt. Oft bekam ich als Rückmeldung, dass dieses, was ich fühlte, so nicht richtig sei oder ja auch gar nicht stimmt. Für alle, die dies für möglich halten, hier ganz deutlich:

Gefühle lügen nicht! Du fühlst, was du fühlst und das ist erstmal so gültig!

Als Folge versuchte ich, diese Herausforderung - dieses „nicht richtig sein“ - mit dem Verstand zu kompensieren. Ich dachte, wenn ich nur genug erkennen und analysieren würde, dann würde ich es schaffen, einmal alles richtig zu machen. Der Verstand wird zur Überlebensstrategie. Die Balance zwischen fühlen und denken gerät in Ungleichgewicht.

Es war, als würde man versuchen, einen löchrigen Eimer mit Wasser zu füllen, der aber nie genug hatte. Ein Eimer mit einem Loch eben, da fließt alles ab, was du oben reinfüllst. Heute fühlst du dich geliebt und im nächsten Moment ist das Gefühl schon verflogen. Das innere „Gefüllt Sein“, das innere „Erfüllt Sein“ braucht all das nicht.

Als Kind sind solche Widersprüche sehr verwirrend. Man spürt deutlich, dass da etwas falsch ist, aber diese Stimme, die dir sagt, dass du besser auf dein Gefühl hören solltest, wird von dem überlagert, was dein Umfeld dir vorgegeben hat. Du trägst die Stimme deiner Eltern immer bei dir. Egal, wo du bist. Und so passt man sich an. In dieser Konstellation standen die unausgesprochenen Regeln meiner Eltern die ersten Jahrzehnte meines Lebens über allem, was ich lebte. Ich hatte mein eigenes wahres Sein so weit unterdrückt, dass ich es gar nicht bemerkte. Denn es geschieht im Prozess des Erwachsenwerdens. Man empfindet es als „normal“. Wenn du so weit von dir weg bist, dann ist diese falsche Selbstwahrnehmung so sehr integriert, dass es nicht einmal mehr auffällt, dass es dir nicht guttut. Der Kontakt zu dir selbst ist getrübt. Du spürst nur, dass du mit der Zeit unglücklich wirst. Eigentlich, weil du gar nicht dich selbst lebst, aber vielleicht spürst du nur eine namenlose Traurigkeit im Hintergrund lauern. Du wirst älter und mit dem Alter steigen die Ansprüche an dich, von dir selbst und anderen. Das Leben stellt alle vor die Herausforderung, zu unterscheiden zwischen dem, was dir als Person guttut und der Balance, den Ansprüchen anderer gerecht zu werden.

Als Teenager verschärfte sich der Identitäts-Konflikt. Es artete in Kontrolle aus. Dabei ging es nicht um „Wo gehst du hin, wann kommst du wieder“. Immer dann, wenn ich glaubte, zu verstehen, was ich tun musste, damit ich die Welt erkunden konnte, mit anderen in meinem Alter auszugehen, schienen sich die Spielregeln zu ändern. Es wurde ein unablässiges Gefühl aufgebaut, den Ansprüchen nicht zu genügen.

Es war ein einziges zerren zwischen Autorität, Pflichten und Freizeit. Vor allem hatte ich Schwierigkeiten eine rote Linie zu finden. Entweder die Begründung für eine Forderung war für mich nicht vorhanden, Aussagen wurden später revidiert und dann doch andere Regeln aufgestellt oder eine Begründung war gleich gar nicht vorhanden. Ich befand mich auf einem metaphorischen Tretminenfeld.

Rückblickend ging es bei unseren Konflikten oft um Verantwortung, Kontrolle und Loslassen und auch um Respekt und Wertschätzung auf beiden Seiten.

Als Kind hat man nicht immer eine Wahl, und je tiefer die familiären Abhängigkeiten sind, desto schwieriger wird es zu erkennen, dass Liebe nicht am Status Quo festhalten bedeutet oder sich bis zur Selbstaufgabe an die Wünsche der anderen anzupassen, sondern eigentlich sich seinen Ängsten zu stellen. Respekt, Wertschätzung dem anderen und sich selbst gegenüber entgegenzubringen. Es ist schwer, wenn wir uns mit Vorwürfen konfrontiert sehen, dann gehen wir oft auch auf uns selbst los und hassen uns selbst dafür. Es ist so wichtig, in diesem Moment auf dich selbst zuzugehen und eben nicht auch noch auf dich draufzuhauen, sondern das Verletzte in dir wohlwollend zu fühlen. Wertschätzung bedeutet auch Loszulassen, und das immer wieder, je mehr die Person uns etwas bedeutet, zu akzeptieren, was sie für sich entschieden hat und nicht in ein Entweder-Oder Spiel zu verfallen nach dem Motto: Entweder du bist für mich oder gegen mich. In der Verteidigung unserer verletzten Gefühle fallen wir schnell in Bewertungen. Es kann auch ein Mit geben. Ich lebe für mich und bin doch mit dir verbunden. Den anderen gehenzulassen, wenn man in Ehrlichkeit fühlt, dass es nicht immer sinnvoll ist, an etwas festzuhalten, auch wenn es Veränderung bedeutet. Das kannst du dann, wenn du es dir bewusst machst.

Ich war ziemlich unbewusst mir selbst gegenüber. Viele Vorbilder und Vorstellungen, wie etwas zu sein hatte, begleiteten mein Leben, die rein gar nichts mit meinen wahren Gefühlen gemein hatten. Ich war so in diesem Rad der auferlegten Kontrolle, die in Unselbständigkeit mündete, gefangen.

Wie viele Jugendliche, sammelte ich meine Erfahrungen mit dem ein oder anderen Freund. Ich hatte diese Vorstellungen aus Fernsehen und natürlich von meinen Eltern, von dieser einen wirklich wichtigen Beziehung, die man irgendwann mal hat. Und ich hatte keine Vorstellung davon, wie sich Liebe denn nun wirklich anfühlte. Als ich nach der zehnten Klasse in die weiterführende Schule wechselte, lernte ich Kj kennen. Das erste Mal entzündete sich etwas.

Für mich haben Menschen einen einzigartigen individuellen Ton, wie eine Signatur. Ich konzentriere mich auf mein Herz. Wenn ich innerlich ganz still werde und mich spüre, dann kann ich mich auf einen einzelnen Menschen konzentrieren. In der achtsamen Beobachtung meiner Gefühle kann ich den Kontakt spüren. Es genügt einfach ein Gedanke an die Person, um einen Kontakt herzustellen. Eigentlich ist es mehr, als nur ein Ton. Es ist ein ganzes Orchester an Informationen, gemischt mit Gefühlen, aus dem einzelne Informationen langsam in meinen Verstand plätschern. Und so war der Kontakt mit ihm wie eine Berührung seiner Seele mit meiner. Für mich gab es ein sofortiges Erkennen, als hätte ich ihn schon immer gekannt.

Ich war ihm vom ersten Moment an verfallen. Er war wie ein Schmetterling, der alle Frauen liebte, zumindest sagte er das, auch wenn ich - mit einem innerlichen Lächeln - sehr wohl weiß, was das war.

Wir führten fast 3 Jahre eine für mich sehr erfüllte leidenschaftliche Beziehung. Doch es kam der Tag, an dem es einfach plötzlich zu Ende war. Es fühlte sich an, als hätte mir jemand ein Messer ins Herz gerammt und jetzt, wo ich das schreibe, kann ich immer noch die Wellen der Erschütterung fühlen.

Trotz allem waren wir weiterhin zusammen in derselben Klasse und so blieben wir auch nicht lange voneinander getrennt.

Wie sollte ich mich der Tatsache stellen, dass ich all das, was wir geteilt hatten, nun nicht mehr mit ihm teilen sollte?

Ich konnte nicht loslassen und wusste auch gar nicht wie. Man kann sich keine Liebe aus dem Herz schneiden. Aber wenn man so unerfahren ist, dann versucht man es. Und das macht alles schlimmer und die Schmerzen unendlich.

Es gibt viele Gründe, was diese Trennung so unmöglich für mich machte. Ein Gefühl von Bodenlosigkeit, Unverständnis, wie Liebe verlorengehen kann und schließlich das Gefühl, doch eigentlich zusammenzugehören und nicht verstehen zu können, dass der andere das nicht so fühlt. Es ist so schwer, die Realität eines anderen anzunehmen, wenn man in sich so klar zu haben scheint, dass es doch richtig wäre. Und genau dann ist es so besonders wichtig. Denn was hat das mit Liebe zu tun, wenn ich den anderen so nicht sein lassen kann und akzeptieren kann wie er ist?

Für mich ist jeder Mensch einzigartig, sodass man in meinen Augen nicht einfach einen gegen einen anderen austauschen kann.

Wir konnten nie wirklich voneinander lassen.

Wir versuchten Distanz aufzubauen, aber nicht mit genug Ernsthaftigkeit. Wie der Alkoholiker, der sich nach dem letzten Glas Wein schwört, morgen sei es genug.

Ich begleitete ihn mit seiner neuen Freundin zu Partys und wir besuchten uns weiterhin gegenseitig. Wenn ich mich nicht meldete, tat er es. Er vertrat die Ansicht, man könne mehrere Menschen auf diese Weise lieben und Monogamie sei ein künstliches Konstrukt des Egoismus. Und vermutlich hatte er damit auch Recht. Man kann sexuelle Anziehung auch mit Zuneigung verwechseln. Wenn wir bis ins Tiefste dem Partner zugestehen können, so zu sein, wie er es braucht und dennoch in unserer Mitte zu bleiben, angebunden an unsere Seele, uns weiterhin wertvoll und verbunden zu fühlen, dann ist das der Liebe näher, als alles andere. Das Sosein des anderen hat keine Grenzen, und das macht wahre Liebe grenzenlos und eigentlich jedem gegenüber möglich.

Während ich ihm zwar mehr als einen Partner zugestehen konnte, sah ich mich nicht in der Lage, ähnliches Verlangen zu haben. Es verletzte mein Gefühl von Wertschätzung, aber das Bedürfnis bei ihm zu sein, überlagerte alles. Ein Partner genügte mir völlig. Ich liebte ihn so, wie er war, aber unter all dem litt mein Herz so tief. Ich sagte ihm, dass er nicht wisse, wie sich das anfühlt. Deswegen könnte er das gar nicht so sagen. Dennoch versuchte ich, seine Position nachzuempfinden.

Ich sah mich außerstande, ihn deshalb zu verurteilen. Es hätte mir wohl geholfen, mich leichter von ihm zu lösen.

Aber das wäre für mich nur ein Versuch gewesen, die Erniedrigung „nicht genug zu sein“, zu kompensieren, indem ich den anderen schlecht mache. Dabei ist es einfach eine Inkompatibilität. Es hat nichts damit zu tun, dass jemand schlechter oder besser wäre. Das wäre genauso, als würde ich dem Milchbauern einen Vorwurf machen, weil seine Kuh keine Orangenmarmelade produziert.

Wie kann ich das, was jemand anders als seine Realität empfindet, verurteilen? Wo endet es und muss ich es beurteilen? All diese Fragen überforderten meinen Verstand. Ich verstrickte mich in ein unauflösliches Knäuel von Widersprüchen.

Ich fühlte trotzdem seine Zuneigung, auch wenn er später sagte, er würde mich nicht mehr lieben. Und so rätselte ich über diese beliebige Art der Liebe. Ich verstand nicht den Unterschied. Ich verstand nicht, dass unser Gefühl der Getrenntheit oft das eigentliche Problem darstellt. Wenn ich erkenne, dass wir tatsächlich nicht wirklich voneinander getrennt sind, sondern wir einander als Teil von dem anderen sehen, dann können wir akzeptieren lernen, dass jeder auch etwas anderes braucht, um glücklich zu leben. Er brachte in mir das Gefühl hervor, zerrissen zu sein zwischen „ich liebe dich - aber ich kann dich nicht haben und ich kann mich nicht trennen“. Ich machte mir vor, ich könnte mit diesem zerrissenen Gefühl leben und heilen, weil man ja sagt, die Zeit heilt die Wunden. Nein, das tut sie nicht!

Das ist völlig daneben. Man vergisst vielleicht Details und glaubt irrtümlich, der Schmerz, sei fort. Dabei ist es verkapselt in einer Erinnerung und eitert vor sich hin.

In mir erzeugte die Trennung ein Gefühl von absoluter innerlicher Zerstörung und glich damit eher einer Selbstvergewaltigung. Ich hätte Kontakt zu meinem Selbstwert gebraucht. Aber der war in diesem Lebensabschnitt nicht existent, und ich hatte auch, wie viele von uns, nicht gelernt, wie man mit Abweisung zurechtkommt, ohne in den Gefühlen der Unzulänglichkeit und des Getrenntseins in einer ewigen Spirale zu ertrinken. Und so versuchte ich einfach zu vergessen und dachte, so eine Liebe kommt nie wieder.

Wir belügen uns selbst und glauben, das hat keine Folgen…

Er starb im Alter von 24 Jahren bei einem Motorradunfall.

Der Tag, der nie war... 2. Auflage

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