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FREIZEITDROGENKONSUM

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Nicht jeder, der Drogen konsumiert, wird auch davon abhängig, ganz im Gegenteil. Die meisten Menschen, die illegalisierte Substanzen zu sich nehmen, fallen unter die Gruppe der sogenannten Freizeit- oder Partydrogenkonsument*innen beziehungsweise der Probierkonsument*innen. Der Begriff ist im Deutschen etwas irreführend, nicht nur, weil er eine gewisse Harmlosigkeit suggeriert, sondern auch, weil er einen direkten Zusammenhang mit dem Konsumsetting und -anlass herstellt. Gemeint ist aber etwas, das im Englischen als recreational drug use bekannt ist: die Verwendung einer psychoaktiven Substanz, um eine Veränderung des Bewusstseinszustands zum Vergnügen herbeizuführen [106]. Es geht darum abzuschalten, zu entspannen, um Bewusstseinserweiterung, in der Partyszene auch um die Förderung der sozialen Interaktion, Enthemmung und Steigerung des sexuellen Erlebens.

Das ist nichts Neues. Betrachtet man allein das letzte Jahrhundert, sieht man, dass in den vergangenen Jahrzehnten unterschiedlichste Substanzen im Freizeitbereich eine Rolle gespielt haben. Ganz abgesehen vom Alkohol, der in unserem Kulturkreis schon lange mit Vergnügen und Festen assoziiert wird, wurden und werden stets illegalisierte Drogen in unterschiedlichen Kreisen konsumiert. In den 1930er-Jahren nahmen Jazzmusiker der Untergrundszene Kokain und Marihuana, in den 1960er-Jahren Rock-’n’-Roller Amphetamine. In den 1970er-Jahren waren die Hippies mit Cannabis und Halluzinogenen auf der Suche nach neuen Erfahrungen, Grenzüberschreitungen und sexueller Freiheit. Ecstasy war die Droge der Rave- und Technoszene der 1990er-Jahre, nach der Jahrtausendwende kamen noch eine Reihe von neuen psychoaktiven Substanzen hinzu, die bei Freizeitdrogenkonsumierenden ihren Platz fanden. Heute versteht man eine Vielzahl von Substanzen unter dem Begriff Party- oder Freizeitdrogen, von Alkohol und Cannabis über Ecstasy, LSD, Speed und Kokain bis hin zu neueren Substanzen wie Ketamin oder GHB.

Freizeitdrogenkonsument*innen bleiben – anders als schwer Abhängige – weitgehend unbemerkt, sie besorgen sich die Drogen unauffällig, sind nicht in der Straßendrogenszene unterwegs. Es handelt sich um eine sehr heterogene Gruppe, die sich nicht als Drogenkonsument*innen im herkömmlichen Sinn wahrnimmt und vielfach keine Abhängigkeit entwickelt. Die Konsument*innen sind häufig sozial und beruflich gut integriert und konsumieren in Situationen, in denen diese Integration nicht beeinträchtigt wird. Diese Unauffälligkeit ist mit ein Grund, weshalb diese Gruppe für die Forschung, aber auch für die Zurverfügungstellung von Präventions- und Beratungsangeboten eher nur schwer zu erreichen ist [106].

Untersuchungen zu Konsumhäufigkeiten in der Allgemeinbevölkerung sowie große Online-Befragungen geben jedoch einen Einblick in die ungefähre Größe dieser Gruppe und die Häufigkeit der konsumierten Substanzen. In einer Online-Befragung mit über 100.000 Teilnehmer*innen in über fünfzig Staaten der Welt zeigte sich, dass 63 Prozent der Befragten im vergangenen Jahr Cannabis konsumiert hatten, dreißig Prozent MDMA, zwanzig Prozent Kokain und 13 Prozent LSD. Die höchste Prävalenz hat Alkohol mit 93 Prozent der Befragten [136]. Obwohl diese Zahlen durch die Zugangsweise als Online-Befragung mit Sicherheit eine Überschätzung darstellen, geben sie einen Hinweis auf die Konsumhäufigkeit psychoaktiver Substanzen in der Allgemeinbevölkerung. Diese relativ hohe Verbreitung im Vergleich zur Anzahl jener Menschen, die sich in Behandlung befindet, zeigt, dass es einen erheblichen Anteil an Personen gibt, die nicht aufgrund ihres Substanzkonsums behandlungsbedürftige Probleme entwickeln. Betrachtet man die unterschiedlichen Prävalenzen in unterschiedlichen Gruppen, wird auch deutlich, dass bestimmte Substanzen in manchen Gruppen häufiger verwendet werden. Während beispielsweise 22 bis 85 Prozent der Befragten in der Partyszene angeben, bereits einmal Ecstasy konsumiert zu haben, sind dies in einer hinsichtlich Alter und Geschlecht vergleichbaren Personengruppe der Allgemeinbevölkerung lediglich ein bis zwölf Prozent, wie eine europäische Befragung zeigt [84].

Freizeitdrogenkonsum wird in unterschiedlichen Settings betrieben, von Clubbings über Musikfestivals, illegalen Raves bis hin zu Urlaubsorten, die für den massiven Konsum von psychoaktiven Substanzen bekannt sind. Von Ibiza über Mallorca bis Amsterdam oder das indische Goa. Nicht wenige Reisende suchen sich ihren Urlaubsort danach aus, wie ausgeprägt das Nachtleben dort ist, wie gut Drogen verfügbar sind oder wie billig der Alkohol ist. Für viele, vor allem für jüngere Menschen, gehören Drogen oder Alkohol und Partymachen fest zusammen, eine Befragung in der Berliner Partyszene bestätigte das. Neun von zehn der befragten Partygänger*innen hatten im letzten Monat Alkohol getrunken, sechs von zehn Cannabis geraucht, die Hälfte Amphetamin und Ecstasy konsumiert, ein Drittel Kokain und Ketamin [5]. Bei den meisten Befragten handelte es sich um Freizeitdrogenkonsument*innen, sie sind durchschnittlich dreißig Jahre alt, über vierzig Prozent weiblich, jede*r Vierte verfügte über einen Hochschulabschluss. Soziodemografisch gesehen ist das, verglichen mit den schwer Opioidabhängigen, eine andere, aber keineswegs zu vernachlässigende Gruppe, die mit einer gewissen Regelmäßigkeit Drogen konsumiert.

Dieser exzessivere Konsum auf Partys oder bei vergleichbaren Gelegenheiten ist zumeist auf bestimmte Lebensphasen begrenzt und endet in der Regel mit dem Eintritt ins Berufsleben oder der Übernahme von Familienverantwortung. Die Gefahr der schleichenden Entwicklung einer Abhängigkeit besteht aber doch, auch diese Art des Konsums birgt Risiken. Wenn das Partymachen ohne Substanzen nicht mehr möglich ist, ist auch das eine Form von Abhängigkeit. Auch andere Auswirkungen auf den Alltag, wie Müdigkeit und Niedergeschlagenheit nach einem exzessiven Partywochenende, sind nicht unüblich. Eines der größten Risiken liegt jedoch in den Substanzen und deren unbekannter Qualität sowie im oft betriebenen Mischkonsum. Vor allem in jüngster Zeit wurden teilweise extrem hohe Dosierungen bei MDMA gefunden, was zu tödlichen Überdosierungen bei Partygänger*innen geführt hat. Nicht zuletzt deswegen sind Präventionsangebote wie etwa „Drug-Checking“, also die Möglichkeit, Substanzen auf Partys auf ihre Reinheit zu überprüfen, wichtig, 15 Prozent der Befragten der oben zitierten Berliner Untersuchung wünschen sich ein derartiges Angebot. Auch Beratung sowie Informationen zum Safer Use sind auch in dieser Konsument*innengruppe von Bedeutung.

Eine spezielle Ausprägung des Freizeitdrogenkonsums, die vor allem unter einer bestimmten Gruppe von homo- oder bisexuellen Männern verbreitet ist, wird als Chemsex bezeichnet. In der Öffentlichkeit ist das eher weniger bekannt, weil es die beiden Tabuthemen Drogenkonsum und Sexualität gleichzeitig betrifft. Bei Chemsex handelt es sich um ein vergleichsweise neues Phänomen, das sich Mitte der 2010er-Jahre von London aus in Europa ausbreitete. Selbstverständlich sind nicht alle schwulen Männer gleichzeitig Drogenkonsumenten, die meisten konsumieren nicht mehr oder weniger Drogen als andere Menschen auch. Es gibt jedoch eine spezielle Gruppe von „Men who have sex with men“ (MSM), in der der Konsum von Freizeitdrogen höher ist als in der Allgemeinbevölkerung [13]. Zu den Gründen für diese höhere Verbreitung gibt es unterschiedliche Hypothesen. Manche Männer setzen Drogen beim Sex ein, um länger feiern zu können und intensivere Gefühle beim Sex zu haben [86]. Andere versuchen ihr (sexuelles) Selbstwertgefühl zu steigern, um den Anforderungen einer bestimmten schwulen Szene, die sehr auf ein makelloses Äußeres und Attraktivität fokussiert ist, gerecht zu werden [13]. Manchen hilft der Drogenkonsum, negative Emotionen wie mangelndes Selbstwertgefühl, die Stigmatisierung aufgrund des HIV-Status oder eine internalisierte Ablehnung durch die heteronormative Gesellschaft zu überwinden [72].

Beim Chemsex werden psychoaktive Substanzen unmittelbar vor oder während des Sex eingenommen, um diesen länger und intensiver zu erleben [38]. Mit „Chems“ sind Drogen gemeint, die den Sex intensiver oder entspannter werden lassen. Dabei spielen unterschiedliche Substanzen eine Rolle, wobei neben Alkohol, Cannabis und Poppers, Mephedron, GHB/GBL und Crystal Meth zum Einsatz kommen. Auch Kokain und Ketamin sowie Amphetamine sind gängige Substanzen in diesem Zusammenhang. In der Regel werden Drogen konsumiert, die stimulierend, euphorisierend und leistungssteigernd wirken. Die psychische Enthemmung begünstigt das sexuelle Erleben, die muskelentspannende Wirkung mancher Drogen ist für einen lang andauernden Verkehr förderlich. Substanzen wie Crystal Meth, GHB/GHL und Mephedron können außerdem die sexuelle Erregung steigern. Häufig werden mehrere Substanzen gleichzeitig oder abwechselnd konsumiert, nicht selten auch zusammen mit Alkohol. Am Ende eines Wochenendes mit Sex und Drogen werden manchmal beruhigende und schlaffördernde Substanzen eingenommen, um für den folgenden Arbeitstag wieder fit zu sein.

Substanzen

GHB/GBL

GHB (Gammahydroxybuttersäure) und GBL (Butyro-1,4-lacton) sind in der Szene auch unter dem Namen „Liquid Ecstasy“ bekannt, obwohl weder Wirkung noch chemische Zusammensetzung jener von Ecstasy ähnlich sind. In niedrigen bis mittleren Dosierungen ist es leicht euphorisierend, angstlösend, enthemmend, erleichtert den sozialen Kontakt und wirkt sexuell stimulierend, ähnlich wie Alkohol. In hohen Dosen kann es zu einem plötzlichen komaähnlichen Schlaf kommen, aus dem die Betroffenen kaum zu wecken sind, der Unterschied in der Dosiermenge ist gering. GHB ist auch als „Date Rape Drug“ bekannt, da es Berichte darüber gibt, dass die farblose Flüssigkeit Frauen in Diskotheken unbemerkt ins Getränk geschüttet wurde, um sie anschließend im bewusstlosen Zustand zu missbrauchen. Durch die substanzbedingten Gedächtnislücken sowie die geringe Nachweisdauer ist dies in vielen Fällen nur schwer zu belegen.

Ketamin

Bei Ketamin handelt es sich um ein Narkosemittel, das überwiegend in der Tiermedizin angewendet wird. In niedrigen Dosierungen kommt es zu einer verzerrten Wahrnehmung von Raum und Zeit und einer leicht euphorischen Wirkung, bei höheren Dosierungen zu einer Verschmelzung mit der Umwelt, auch Halluzinationen sind möglich. Bei Überdosis kann es zu Bewusstlosigkeit, Koma und Atemdepression kommen. Ketamin ist als weißes, meist kristallines Pulver am Schwarzmarkt erhältlich und wird vorwiegend gesnieft.

Mephedron/MMC

Mephedron gehört zur Gruppe der synthetischen Cathinone und wirkt antriebssteigernd und euphorisierend, es ist als Pulver oder in Tablettenform erhältlich. Da es zu den „Neuen psychoaktiven Substanzen“ gehört, ist über Wirkungsweise, Risiken und Langzeitfolgen noch wenig bekannt (siehe Kapitel „Kleine Substanzkunde“).

Poppers

Poppers ist ein Sammelbegriff für in kleine Glasfläschchen abgefüllte Nitritverbindungen, deren Dampf nach dem Öffnen der Ampullen inhaliert wird. Dies führt zu einem kurzfristigen High-Gefühl, aber auch zu einer Entspannung der glatten, vaskulären Muskulatur, weswegen sie auch beim Analverkehr verwendet werden.

Chemsex ist in der schwulen Partyszene vieler europäischer Länder zu finden, am häufigsten in englischen Städten wie London oder Manchester, gefolgt von Amsterdam und Barcelona, aber auch Berlin oder Wien haben eine Chemsex-Szene [92]. Die manchmal Tage dauernden privaten oder (halb-)öffentlichen Chemsex-Partys sind häufig über den Freundeskreis oder spezielle Online-Plattformen organisiert, in denen sich User als „chemfriendly“ ausweisen. Spezielle mobile Dating-Apps spielen hierbei eine wesentliche Rolle. Bei den Konsumenten handelt es sich nicht um „klassische“ Drogenkonsumenten, sie betrachten sich zumeist auch nicht als solche. Es handelt sich häufig um eher gut gebildete, sozial integrierte Personen der Mittel- bis Oberschicht, die im Berufsleben stehen und am Wochenende dem Alltag mit berauschenden Chemsex-Partys entfliehen.

Was so organisiert und harmlos klingt, ist es aber nicht. Zu den weiter oben bereits beschriebenen Risiken des Freizeitdrogenkonsums kommt beim Chemsex ein weiteres Risiko dazu, die Ansteckung mit sexuell übertragbaren Krankheiten wie HIV, Hepatitis C, Gonnorhö (Tripper) oder anderen Geschlechtskrankheiten. Der Zusammenhang zwischen Drogenkonsum und Risikobereitschaft ist komplex, das höchste Risiko besteht jedoch darin, dass es im Zuge der Enthemmung zu ungeschütztem Sexualverkehr kommt. Der Sex unter Drogeneinfluss dauert oft auch länger, manche Drogen trocknen darüber hinaus die Schleimhäute aus, was das Risiko von Verletzungen beim Verkehr zusätzlich erhöht. Dazu kommt, dass auf Chemsex-Partys häufig zu Verkehr mit wechselnden Partnern kommt, alles zusammen erhöht das Risiko der Ansteckung mit sexuell übertragbaren Krankheiten [97]. Nicht zuletzt dieses Risiko macht spezifische Präventions- und schadensminimierende Angebote notwendig. Kam oder kommt es beim Chemsex zu einem Kontrollverlust mit ungeschütztem Verkehr, können PrEP2 (Prä-Expositions-Prophylaxe) und PEP3 (Postexpositionsprophylaxe) zumindest vor einer Infektion mit HIV schützen, das Risiko für die Übertragung anderer Krankheiten ist jedoch nach wie vor gegeben.

Auch wenn das Phänomen Chemsex vorwiegend bei Männern, die Sex mit Männern haben, beschrieben wird, darf nicht vergessen werden, dass auch heterosexuelle Kontakte oft mit Berauschung einhergehen. Das Mittel der Wahl ist hier zumeist der Alkohol, der zur Enthemmung und Steigerung der Kontaktfreudigkeit eingesetzt wird. Darüber hinaus gibt es vermehrt Berichte, dass auch bei Heterosexuellen zunehmend andere Substanzen zur Förderung des sexuellen Erlebens eingesetzt werden, von Crystal Meth bis Mephedron, Substanzen, die in der homosexuellen Chemsex-Szene auch in Gebrauch sind.

Ganz unabhängig davon, wozu psychoaktive Substanzen im Freizeitbereich eingesetzt werden, hören die meisten Menschen, die Freizeit- oder Partydrogenkonsum betreiben, irgendwann auch wieder damit auf, ohne eine Abhängigkeit zu entwickeln. Die Lebensumstände ändern sich, andere Dinge werden wichtiger, der Konsum selbst ist nicht mehr so interessant, wie er einmal war. Dennoch bleibt das Risiko, eine Abhängigkeit schleichend zu entwickeln; die Grenzen zwischen genussvollem Gebrauch, Missbrauch und Abhängigkeit sind fließend.

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