Читать книгу Das Palmölsyndikat - Barbara Hainacher - Страница 5
3. Kapitel Uganda – 23. April 2014
ОглавлениеDer Urwald glitzerte im Sonnenlicht, das zerstreut durch die dichten Bäume des Kibale Forest schien. Die zwanzigjährige Anna Mikal und ihr achtzehnjähriger Bruder Swen fotografierten einen Baby Schimpansen, der etwa zehn Meter über ihnen in den riesigen Bäumen hing und hin und her schaukelte. Der kleine Affe hüpfte fortwährend von einem Ast zum anderen und kreischte dabei laut. Dann hielt er inne. Er lauschte einige Sekunden, dann purzelte er rücklinks über das Gehölz und reckte seinen Kopf nach unten. Geschickt umklammerten seine linke Hand und sein linker Fuß die Liane. Die andere Hand und den zweiten Fuß streckte er so weit wie möglich von sich. Sein Gesicht wirkte wie eine Maske. Er blickte neugierig auf die Menschen hinab. Es schien, als würde er sie genauso beobachten wie sie ihn. <Wundervoll!> staunte Anna und sah ihren Bruder und ihren Vater liebevoll an. Annas rote lange Haare hingen in dichten Wellen von ihrem Kopf bis zu ihrer Taille hinab. Sie hatte ein Teleobjektiv der Marke Canon bei sich und wusste damit umzugehen. Anna sah ihrem Bruder liebevoll zu. Swen Mikal sah einen Moment auf und strahlte seine Schwester an. Ihr Vater hingegen war so vertieft in seine Kamera, mit der er den Schimpansen fotografierte, dass er seine Tochter gar nicht hörte. Sein ganzer Körper war angespannt. Mit vollster Konzentration versuchte er, das Köpfchen des Babyaffen mit seiner Spiegelreflexkamera ganz nahe heranzuzoomen. Er war ein Perfektionist. Die Kamera hatte eine Brennweite von 800, sodass er jedes Detail des Affenauges präzise erkennen konnte. Als das Auge immer größer auf das Display traf, sah Peter Mikal die Iris des einjährigen Schimpansen, die dunkel funkelte. Dann hielt er die Kamera plötzlich noch weiter nach oben, denn hinter dem kleinen Äffchen stach ihm etwas ins Auge. Etwas, das seine ganze Aufmerksamkeit beanspruchte. Er zoomte noch näher. <Was zum Teufel …!> stieß er leise aus.
Hinter dem kleinen quirligen Geschöpf stach Peter Mikal ein Baum ins Auge, den er auch von tausenden Tropenbäumen heraus erkennen würde. Dieser Baum war wie ein Volltreffer im Lotto. Ein Mpingo Baum. Ein Baum, der so selten und kostbar war wie ein großer Diamant. Die Euphorie von Mikal war groß, die Wertschätzung für das Leben des Baumes klein. Vergessen waren die Schimpansen. Er musste diesen Baum unbedingt haben, egal was es kostete. Eine Idee manifestierte sich in seinem Kopf.
Große Schmetterlinge in leuchtenden Farben flogen ihnen immer wieder um die Nase, Anna und Swen fotografierten sie mit Freude. Doch der Vater nahm sie nicht mehr wahr. Er war in Gedanken versunken. Plötzlich kreischte es sehr laut in der Höhe. Alle drehten ihren Kopf in die Richtung, aus der das Geräusch kam. Die mit saftigen grünen Blättern berankten Äste der Urwaldbäume wirbelten herum. <Anna, Swen,> flüsterte Peter Mikal aufgeregt. <Seht nur, der dunkle Fleck in den Bäumen. Da ist ein riesiges Männchen!> Anna blickte angestrengt nach oben. Das Gesicht des großen Schimpansen war nur schwer in dem dunklen Grün des Blätterwaldes auszumachen.
Doch nur kurz traf den Vater ein Anflug von Begeisterung. Dann nahm er seinen Feldstecher und richtete das Fernglas auf den Tropenbaum. Mit dem Zoom suchte er nach weiteren Bäumen derselben Art, doch dieser Baum schien der Einzige in der ganzen Umgebung zu sein. <Now we have to go back.> sagte ihr schwarzer Führer in gutem Englisch. <Just one minute!> sagte Peter Mikal in strengem Ton und nahm seine Kamera wieder zur Hand. Der Guide blieb stehen und sah nach oben. Er wartete geduldig, bis der Mann seine Fotos geschossen hatte. Mikal knipste den Baum aus der Nähe und aus der Ferne. Dann nickte Mikal und die Gruppe machte sich auf den Weg.
Peter Mikal hatte von Schweden aus einen Guide, einen ortsansässigen Ugander angeheuert, der ihn und seine Tochter und seinen Sohn zu den Schimpansen und den Gorillas führen sollte. Die Mutter war in Schweden geblieben. Sie war früher oft nach Afrika mitgefahren. Aber mittlerweile ekelte sie sich einfach vor diesem schmutzigen Land.
Auf dem Weg nach Bwindi zu den Berggorillas fuhren sie an einigen Dörfern vorbei. Peter Mikal blickte konzentriert aus dem Fenster des Allradfahrzeuges. Am Straßenrand fielen ihm immer wieder sehr dunkle Schüsseln und andere Gefäße aus Holz auf, die auf bunten Decken auf dem Boden lose herumlagen. <Halt! Stopp!> schrie er laut. Der Guide legte eine Vollbremsung mitten auf der sandigen roten Straße ein. Der Jeep kam abrupt zum Stehen. Roter Sand wirbelte auf und hüllte das Dorf in roten Nebel. Einige Frauen wickelten sich schnell ihre bunten Stoffbahnen als Schutz gegen den Staub um Haare und Gesicht, sodass nur mehr die Augen herausschauten. Andere wiederum balancierten große, aus Bananenblatt geflochtene Körbe auf dem Kopf, von denen Ananas oder Mangos hervorquirrlten. Sie gingen ganz ruhig weiter. Manche der Kinder trugen dicke Reisigstöcke auf ihrem Haupt, die sie mit der Hand zusätzlich festhielten. Einige nur mit Lendenschurz bekleidete Männer standen in kleinen Gruppen zusammen und schauten zu dem Allradfahrzeug.
Als der Jeep hielt, versammelten sich alle Dorfbewohner in Windeseile um das gelbe Automobil, und als sich der rote Sand wieder gelegt hatte, sahen sich die Mikals von lauter dunkelhäutigen Menschen umringt, die sie neugierig musterten. Nackte Kinder kamen von allen Ecken des Dorfes angelaufen und schrien schrill „Hello, hau ju!“. Peter Mikal öffnete die Türe des Jeeps und stieg aus. Die Einheimischen wichen einige Schritte zurück. Mikal sagte zu dem Guide auf Englisch, dass er wissen möchte, woher die Menschen dieses Holz hätten, aus denen die Schüsseln und Trommeln gefertigt waren. Er war sich hundert prozentig sicher, dass dieses Holz von demselben Baum stammte, den er in Kibale Forest gesehen hatte. Der Guide übersetzte die Frage. Die Dorfbewohner sprachen wild durcheinander und deuteten Richtung Kibale. Der Guide übersetzte und berichtete der Familie von einem Wald, der in der Nähe von Kibale lag, von wo sie gerade gekommen waren. Dieser gehörte noch zum Nationalpark Kibale. Dort gab es diese einzigartigen Bäume. Doch den Namen konnte der Guide nicht übersetzten. Doch Peter Mikal wusste, um was für eine Art Baum es sich handelte. Er hatte sich sein ganzes Leben lang mit Tropenhölzern beschäftigt. Er hatte immer schon ein Faible für Außergewöhnliches und Schönes. Swen war ebenfalls ausgestiegen und betrachtete die Schüsseln.
Plötzlich lief ein Dorfbewohner von seinem Haus, das auf einer Anhöhe lag, schreiend auf Anna zu, die noch im Jeep saß und sich im letzten Moment umdrehte. Erschrocken und mit weit aufgerissenen Augen sah sie aus dem Fenster des Jeeps und wich vom Fenster zurück.
Der Schwarze hatte einen Stein in der Hand und schrie furchterregend. Anna Mikal war vor Schreck ganz bleich geworden. Peter und Swen Mikal waren wie erstarrt. Der Guide reagierte sofort und ging ruhig, aber mit schnellen Schritten um den Jeep herum. Er redete mit fester, ernster, geradezu fordernder Stimme auf den Mann ein. <Come on, what's wrong?> Dann diskutierten die beiden Männer in einer sehr fremd klingenden Sprache miteinander. Die Mikals verstanden kein einziges Wort. Der Fremde wirkte eingeschüchtert, doch im nächsten Moment holte der Schwarze aus und schlug dem Guide ins Gesicht. Der Guide taumelte nach hinten, dann hielt er sich das rechte Auge. Nach einem kurzen Augenblick hatte er sich wieder gefasst, holte aus und versetzte dem Angreifer einen Schlag in die Rippen, sodass dieser auf die rote Erde stürzte und liegenblieb. Nachdem sich der Angreifer wieder aufgerappelt hatte, hob er als Friedensangebot die Hände und verzog sich in sein strohgedecktes Haus, das neben einer Anzahl von weiteren Häusern auf einer Anhöhe einen Meter vom Straßenrand entfernt stand. Zwischen und hinter den Häusern wuchsen Bananen und Maispflanzen.
Peter Mikal nickte dem Guide zu. Anna Mikal hatte noch immer Herzklopfen. Ihr Magen rebellierte. Mit schnellem Griff öffnete sie die Türe und erbrach sich in die Latrine am grünen Straßenrand. Die Dorfbewohner wichen sofort zurück. Peter Mikal war im nächsten Moment bei seiner Tochter und reichte ihr ein Taschentuch. Auch der Guide und Swen boten ihre Hilfe an. Nach einigen Minuten ging es Anna wieder besser. Sie lächelte ihren Vater und Swen zaghaft an. Peter Mikal schüttelte dem Guide die Hand. Normalerweise mochte er die Schwarzen nicht sonderlich, aber er musste eingestehen, dass dieser Mann etwas Besonderes war. Ein Beschützer in einem fremden Land. Ein Verbündeter, ein Freund.
Auf der langen Fahrt nach Bwindi überlegte Peter Mikal angestrengt. „Hm, so könnte es funktionieren“. Anna Mikal beobachtete ihren Vater von der Seite. Sie kannte diesen Gesichtsausdruck. Diesen Ausdruck hatte er immer, wenn er Geschäfte machte, doch hier in ihrem Urlaub schien ihr der Ausdruck fehl am Platz. <Vater, Du siehst aus, als würdest Du über ein Geschäft nachdenken.> <Hm, Du hast Recht. Ich habe da so eine Idee.> <Ach Daddy, das ist der erste Urlaub seit zehn Monaten. Den solltest Du genießen!> sagte Anna Mikal und sah ihren Vater mitfühlend an. <Natürlich genieße ich meinen Urlaub! Anna, genieße einfach Deinen Urlaub! Ich bin da auf etwas gestoßen.> <Na gut, aber Du kannst mir Dein Geheimnis ruhig anvertrauen!> lächelte Anna sanft. <Na, wenn Du es unbedingt wissen willst. Ich habe vor, auch aus dieser Gegend Tropenholz nach Wien zu importieren. Ich kenne dieses Holz, aus dem die Schüsseln am Straßenrand geschnitzt wurden.
Das Holz heißt Mpingo, African Blackwood, ein blühender Tropenbaum aus der Familie Fabaceae. Ein edles, äußerst seltenes Holz, das nur hier und in Ruanda wächst. Es ist so selten, dass es kostbarer als ein großer Diamant ist. Es ist wasserabweisend, resistent gegen sämtliche Pilze und hat einen Härtegrad, den noch vielleicht zwei weitere Baumarten auf der Welt aufweisen.> <Vater, genügt es Dir denn nicht, dass Du schon von Indonesien und Indien Tropenholz importierst? Warum nimmst Du nicht einfach unsere heimischen Hölzer? Ich verstehe Dich nicht, dass Du nicht auf die Umwelt schaust!> rief Anna entsetzt, die Stirn in Falten gezogen. <Ganz einfach! Die Kunden wollen nun mal Tropenhölzer! Wir müssen ja im Geschäft bleiben. Es ist schließlich einmal Eure Firma. Ich habe nicht alles umsonst aufgebaut und Du musst umdenken, um zu überleben! Sieh Dir nur Swen an, der ist nicht so wie Du! Er ist ein Geschäftsmann wie ich! Wir werden diese Tropenhölzer importieren und wir brauchen Strohmänner, die für uns die Arbeit erledigen! Studiere Du ruhig Psychologie und lass Deinen Bruder das Geschäft übernehmen! Dann musst Du Dich nicht mehr aufregen!>, damit wendete er sich von seiner verärgerten Tochter ab und blickte augenzwinkernd zu seinem Sohn. Mit einem Grinsen im Gesicht deutete er mit dem Kopf zu dem Guide, der nichtsahnend den Jeep lenkte. Swen grinste zurück.