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2. Der GeR und die Orientierung am sprachlichen Output der Lernenden

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Barbara Hinger

Kann-Beschreibungen

Ich kann

 den Entstehungskontext des GeR erläutern.

 die Niveaubeschreibungen des GeR und die Kritik an ihnen erklären.

 die Bedeutung des GeR für das Testen und Überprüfen von fremdsprachlichen Leistungen beschreiben und kritisch betrachten.

Der Gemeinsame europäische Referenzrahmen für Sprachen (GeR) wurde vom Europarat im Jahr 2001 herausgegeben und blickt auf Vorarbeiten von mehr als 30 Jahren zurück. Er hat sich im Großen und Ganzen als Erfolgsgeschichte erwiesen. Dies zeigt sich u.a. an der stattlichen Anzahl von Übersetzungen in 40 Sprachen, darunter viele nichteuropäische Sprachen aber auch Minderheitensprachen wie etwa das Romani. Rezipiert wird der GeR in Ländern wie Japan, Korea, Ägypten, Kolumbien oder Kanada, um nur einige zu nennen, und damit weit über den europäischen Kontext hinaus. Dieser Erfolgsgeschichte als Referenzwerk für das Erlernen, das Vermitteln und das Überprüfen von Sprachen stehen auch kritische Einschätzungen gegenüber, die unten wie in weiteren Kapiteln angesprochen werden. Zunächst wird jedoch auf den Entstehungskontext und auf sprachwissenschaftliche Bezugsmodelle des GeR sowie auf eines seiner Begleitinstrumente, das Europäische Sprachenportfolio (ESP), eingegangen. Daran anschließend wird seine Bedeutung für das Prüfen und Bewerten von fremdsprachlichen Leistungen erläutert.

Mit dem EuroparatDer Europarat ist Herausgeber des GeR., der aktuell aus 47 Mitgliedsstaaten besteht, ist eine Institution Herausgeber des GeR, die sich seit ihrer Gründung im Jahr 1949 der Zusammenarbeit zwischen europäischen Ländern in den Bereichen Menschenrechte, Demokratie, Kultur und Bildung verpflichtet und damit explizit keine wirtschaftlichen Ziele verfolgt, wie dies etwa bei der Europäischen Union der Fall ist. Sich das zu vergegenwärtigen, erscheint wesentlich, um den GeR nicht als (sprachen-)politisches Instrument der Europäischen Union misszuverstehen (vgl. u.a. Hulstijn 2014, 3; Krumm 2016, 634). Zur Umsetzung der sprachenpolitischen Ziele des Europarats bekennt sich der GeR hingegen explizit (Europarat 2001, 14ff.).

Der Europarat greift insbesondere seit der Gründung seiner sprachenpolitischen Abteilung Mitte der 1950er Jahre Fragen der Fremdsprachenvermittlung für erwachsene LernerInnen auf und veröffentlichte ab Mitte der 1970er Jahre erste Sprachkompetenzbeschreibungen, die als Vorläufer des GeRVorläufer des GeR: u.a. Threshold Level 1975 gelten (Threshold Level 1975, Un Niveau Seuil 1976, Nivel Umbral 1979, Kontaktschwelle Deutsch als Fremdsprache 1981, Porogovyj uroven’ 1996, vgl. u.a. Krumm 2016). Der Fokus dieser Beschreibungen lag auf dem Gebrauch von Sprache für kommunikative Zwecke außerhalb des Klassenzimmers. Begründungen dafür boten Sprachnotionen (semantische Kategorien wie Größen- und Quantitätsbezeichnungen, deiktische Bezeichnungen etc.) und sprachliche Funktionen (Sprechakte, wie Austin und Searle sie im Rahmen der pragmatischen Wende der Linguistik postulieren) (vgl. u.a. López Rama & Luque Agulló 2012, 186). Erstmals gebündelt wurden diese im sog. notional-functional syllabusErstellung eines notional-functional syllabus durch Wilkins (1976), der von Wilkins (1976) für den Europarat erstellt wurde. Nach der erfolgreichen Definition des Threshold Level wurden dessen Autoren Van Ek & Trim vom Europarat gebeten, zwei weitere Sprachniveaus zu beschreiben, nämlich je ein darunter- (WaystageDefinition des Threshold Level sowie des darunterliegenden Waystage und des darüberliegenden Vantage) und ein darüberliegendes (Vantage) Niveau. Theoretische Bedenken der Autoren gegenüber der Definition weiterer Niveaus wichen praktisch-pragmatischen Überlegungen wie z. B. der realen Unterteilung von staatlichen Schulsystemen in primäre, sekundäre und tertiäre Ausbildungsbereiche, für die Übertrittsberechtigungen von einem in den nächsten Bereich auch durch fremdsprachliche Leistungen messbar sein sollten (Trim 2012, 28, zitiert in Hulstijn 2014, 8f.). Niveaustufen schienen das besser zu vermögen als das Nachzeichnen eines kontinuierlichen und individuell verschieden verlaufenden Sprachlernprozesses, von dem Van Ek & Trim eigentlich ausgingen (ebd.). Der GeR beruht auf eben dieser Vorgangsweise, indem er die bereits existierenden drei Stufen in je zwei unterteilt und so sechs Niveaustufen von A1 bis C2 beschreibt1, welche wohl die stärkste Wirkung des gesamten Dokuments entfaltet haben.Erweiterung und Beschreibung der 6 Niveaustufen von A1 bis C2

Anerkennenswert ist insbesondere, dass es North (2000) durch seine beachtliche empirische Arbeit gelungen ist, funktionale Sprachbeschreibungen Skalen zuzuordnen, die dem GeR, wie Weir (2005b, 294) betont, als Basis für an Sprachhandlungen orientierte Kompetenzen von Sprachlernenden dienen. Auch North (2014, 229) selbst verweist immer wieder auf die HandlungsorientierungHandlungsorientierungHandlungsorientierung und Outputorientierung als wesentliche Prinzipien des GeR als zentrale Basis des GeR und sieht eine/einen Sprachlernende/n als „language user with specific needs, who needs to ACT [Hervorhebung im Original] in the language in real-world domains“. Darüber hinaus wird das Ziel des Europarates, das Lernen von Sprachen zu demokratisieren und transparent auszurichten, in den Fokus gerückt: Lernende sollen dabei unterstützt werden, ihren Lernfortschritt selbst kontrollieren und nachzeichnen zu können (Trim 1978, 1, zitiert in Little 2011, 382). Dies erscheint mit den GeR-Niveaubeschreibungen möglich. Sie sind als sog. Kann-BeschreibungenKann-Beschreibung positiv formuliert und verschriftlichen, wie Lernende in bestimmten Kontexten sprachlich handeln (können): Damit illustrieren sie den erwarteten Output von Sprachlernenden und überwinden so die lang tradierte Inputorientierung im Fremdsprachenunterricht.

In diesem Sinne ist auch die Konzipierung und Erstellung des Europäischen SprachenportfoliosEuropäisches Sprachenportfolio (ESP)Das Europäische Sprachenportfolio (ESP) fördert Lernerautonomie, u.a. durch Selbstbewertung des Lernfortschritts. zu verstehen, das dem GeR als Begleitinstrument vom Europarat zur Seite gestellt wird. Es spiegelt insofern die Demokratisierung des Sprachenlernens wider, als es die Eigenverantwortung für das Sprachenlernen durch das Instrument der Selbstbewertung (self assessmentself assessment tool) stärkt. Mittlerweile liegen mehr als 100 Versionen des ESP, sowohl in Papierform als auch als Online-Tool, vor (https://tinyurl.com/y92qvswf [21.09.2017]). Jedes ESP überträgt die GeR-Skalenbeschreibungen auf konkrete Sprachen und ist damit sprachspezifisch ausgerichtet. Es ermöglicht Sprachlernenden, Lernziele zu konkretisieren und ihr Sprachenlernen einzuschätzen (vgl. u.a. Little 2005, 2011; North 2014). Das ESP berücksichtigt durch seine drei Teile sowohl punktuelle als auch formative Aspekte: So demonstrieren die Einträge von Lernenden im Sprachenpass ihren Sprachstand zu einem bestimmten Zeitpunkt (punktuell); die Sprachlernbiographie gibt anhand der Selbstbewertungsraster, die für jede Fertigkeit und jede Niveaustufe als Kann-BeschreibungenKann-Beschreibung vorliegen, Auskunft über den Verlauf des Lernprozesses (formativ); die im Dossierteil gesammelten Dokumente belegen diesen (vgl. Little 2005, 235f.). Darüber hinaus können die Selbstbewertungsrasterself assessment der Sprachlernbiographie, z. B. in Posterform an Klassenzimmerwänden, auch für Rückmeldungen zum Unterricht selbst herangezogen werden (s. dazu Weiskopf-Prantner 2007, 61ff.). Insgesamt erweist sich das ESP als Instrument zur Stärkung der Lernerautonomie (Little 2005, 2011), der sich der Europarat spätestens seit den 1970er Jahren verpflichtet fühlt (Holec 1979, zitiert in Little 2005, 325) und unterstützt Lernende dabei, die Verantwortung für das Erlernen einer Sprache selbst in die Hand zu nehmen.

Was die Konstruktion der GeR-Skalen betrifft, wird diesen gegenüber vor allem der Vorwurf erhoben, dass sie nicht auf der Analyse von realen Sprachhandlungen von Lernenden beruhen und sich auf keine empirische Basis von Lernerperformanzen berufen können (vgl. u.a. Harsch 2005, 184f.). Vielmehr wurden verschiedene Modelle kommunikativer Sprachkompetenz (insbesondere Bachman 1990; Canale & Swain 1980; Canale 1983; Hymes 1971 u.a.) grundgelegt und ca. 40 bereits vorliegende Skalen zur Sprachkompetenzbeschreibung2 herangezogen, wie z. B. die ACTFL Guidelines (American Council on the Teaching of Foreign Languages). So entstanden DeskriptorenentwürfeSkalenentwicklung durch Bewertung bestehender Deskriptoren und Basierung auf verschiedene Modelle kommunikativer Sprachkompetenz, die in Folge in mehreren Verfahren mit dem Erfahrungswissen von Lehrpersonen abgeglichen3 und auf ihre Tauglichkeit überprüft wurden. In einem nächsten Schritt wurden die so bearbeiteten DeskriptorenDeskriptor weiteren ca. 300 Lehrpersonen in einer Fragebogenerhebung vorgelegt, damit diese die sprachlichen Leistungen ihrer über 2000 Lernenden anhand dieser Deskriptoren einschätzen konnten. Die so erhaltenen Einschätzungen der Deskriptoren wurden mithilfe des Rasch-Modells statistisch analysiert und skaliert (vgl. Harsch 2005, 179)4. Alle an diesem Prozess beteiligten Lehrpersonen stammten aus der Schweiz. Die herangezogenen Lernerleistungen bezogen sich auf die Fremdsprachen Englisch, Deutsch und Französisch. Der innovative Schritt, den North (2000) in der Erarbeitung der Skalen setzt, liegt vor allem darin, dass bestehende Skalenbeschreibungen unter Zuhilfenahme von Einschätzungen durch Lehrpersonen mit Sprachmodellen kombiniert werden, die kommunikativen Kompetenzen Rechnung tragen. Damit gelingt North ein Transfer des Postulats der HandlungsorientierungHandlungsorientierung in konkrete Sprachniveaubeschreibungen5.

Der Konstruktion der GeR-Skalen liegen also sowohl Kategorien aus der angewandten Sprachwissenschaft als auch Kategorien aus der Berufserfahrung von Lehrpersonen zugrundeDie GeR-Skalen basieren nicht auf Analysen empirisch erhobener Lerneräußerungen, sondern auf der Einschätzung von Lehrpersonen. (North 2014, 231). Die so entstandenen DeskriptorenDeskriptor/GeR-Skalenbeschreibungen werden einerseits in den übergeordneten Rahmen der Sprachverwendung, andererseits in die Kompetenzen der Sprachverwendenden eingebettet. Während erstere im Kapitel 4 des GeR dargelegt und beschrieben werden, umfassen zweitere das Kapitel 5.

Die Sprachverwendung untergliedert sich in folgende sechs Bereiche:

 Kontext der Sprachverwendung

 Themen der Kommunikation

 Kommunikative Aufgaben und Ziele

 Kommunikative Aktivitäten und Strategien

 Kommunikative Sprachprozesse

 Texte.

Deskriptorenskalen finden sich nur für den Bereich Kommunikative Aktivitäten und Strategien und die darin enthaltenen Teilbereiche Produktive Aktivitäten und Strategien, Rezeptive Aktivitäten und Strategien sowie Interaktive Aktivitäten und Strategien (s. Abb. 1).


Abb. 1: Teildarstellung des GeR, Kapitel 4: Sprachverwendung, Sprachverwender und Sprachlernende

Für die Kompetenzen der Sprachverwendenden beschreibt der GeR sowohl allgemeine als auch kommunikative Sprachkompetenzenkommunikative Sprachkompetenzen. Während die allgemeinen Sprachkompetenzen sich auf verschiedene Wissensbereiche beziehen und insbesondere interkulturelle Aspekte aufnehmen, finden sich bei den kommunikativen Sprachkompetenzen drei Unterbereiche: linguistische, soziolinguistische und pragmatische Kompetenz (s. Abb. 2). Deskriptorenskalen liegen nur für die kommunikativen, nicht jedoch für die allgemeinen Kompetenzen vor.


Abb. 2: Teildarstellung des GeR, Kapitel 5: Die Kompetenzen des/der Sprachverwendenden/-lernenden

Insgesamt stellt der GeR an die 40 Skalen für kommunikative Aktivitäten und Strategien (Kapitel 4 des GeR) sowie 13 Skalen für kommunikative Sprachkompetenzen (Kapitel 5 des GeR) bereit. Darüber hinaus finden sich eine übergreifende Globalskala, ein Selbstbeurteilungsraster und ein Beurteilungsraster zur mündlichen Kommunikation (Kapitel 3 des GeR).

Nicht alle Niveaubeschreibungen haben den oben erwähnten Entstehungsprozess durchlaufen. Dies trifft insbesondere auf die DeskriptorenDeskriptor, die sich auf die Fertigkeit Schreiben beziehen (vgl. Europarat 2001, 212), sowie auf ca. die Hälfte der C2-Deskriptoren zu (North 2014, 230). Im GeR ist dies jeweils unter der betreffenden Skala ausgewiesen.

Dass die GeR-Sprachniveaubeschreibungen nicht auf Ergebnissen von Analysen empirisch erhobener Lerneräußerungen beruhen, bleibt eine ebenso ernstzunehmende wie gerechtfertigte Kritik, die zunächst jedoch durch den zeitlichen Entstehungskontext des GeR und die zur damaligen Zeit unzulängliche Forschungslage im Fremdsprachenerwerb erklärt werden kann (vgl. North 2007, zitiert in Papageorgiou 2016, 337). Dass jedoch auch in der gegenwärtig durchgeführten Überarbeitung bestimmter GeR-Skalen darauf verzichtet wird, mittlerweile vorliegende Ergebnisse aus der Spracherwerbsforschung zu berücksichtigen, ist wenig nachvollziehbar (s. auch Kapitel 3). Liegen doch zumindest mit den Forschungen von Pienemann und seinem Team zu Englisch (Keßler 2006; Keßler, Lenzing & Liebner 2016; Pienemann 1998), von Diehl et al. (2000) zu Deutsch als Fremdsprache in der französischsprachigen Schweiz oder zu Französisch als Fremdsprache im schwedischen Kontext (Bartning & Schlyter 2004; Schlyter 2003) Spracherwerbsresultate für die Entwicklung morphosyntaktischer Bereiche der Lernersprache vor, die berücksichtigenswert erschienen.

Das umfassendste Projekt in dieser Hinsicht ist English ProfileEnglish Profile – The CEFR for English, mit dessen Erarbeitung 2006 begonnen wurde (Barker 2016, 33) und das nun erste Analyseergebnisse online zugänglich macht (https://tinyurl.com/yavl7gtt [21.09.2017]). In diesem Projekt werden reale Lerneräußerungen für Englisch als Fremdsprache gezielt mit GeR-Skalenbeschreibungen abgeglichen (vgl. u.a. Harrison & Barker 2015; Hulstijn 2014, 14f.; North 2016, 230). Es beeindruckt durch ein umfassendes, weltweit erhobenes Korpus an Sprachperformanzen von EnglischlernerInnen. Konkrete Performanzanbindungen liegen in den Bereichen Wortschatz und Grammatik für alle sechs GeR-Niveaus vor (English Vocabulary Profile, English Grammar Profile). Ob und wie diese Ergebnisse die Skalenbeschreibungen modifizieren werden, bleibt abzuwarten.

Kurz umrissen seien hier die kürzlich finalisierten Überarbeitungen des GeR (Council of Europe 2017). Diese beziehen sich sowohl auf Neu- als auch auf WeiterentwicklungenNeue GeR-Skalen werden entwickelt, bestehende weiterentwickelt. von bestehenden GeR-Skalen. Neu erstellt wurden Niveaubeschreibungen für die Bereiche Sprachmittlung respektive Mediation, für mehrsprachigkeitsbasierte Sprachlernaspekte, für Literatur- und Kunstanalysen sowie -kritik und für Online-Kommunikationsaktivitäten. Weiter entwickelt wurden DeskriptorenDeskriptor für die Niveaustufen A1, C1 und C2 (vgl. North & Panthier 2016). Die Vorgangsweise entspricht dabei jener, die bereits bei der ursprünglichen Erarbeitung eingesetzt wurde (vgl. auch North & Docherty 2016). Interessant erscheint, dass sich an die 1000 Personen weltweit beteiligt haben und 45 Länder repräsentiert waren (ebd.). Das in der ursprünglichen Form auf die Schweiz begrenzte Projekt hat sich also deutlich vergrößert und verweist damit auch auf die hohe Wirkkraft, die der GeR international entfalten konnte.

Was die Bedeutung des GeR für das Lehren betrifft, so ist in erster Linie auf die Curriculumentwicklung zu verweisen, die der GeR selbst als einen seiner möglichen Zwecke definiert (Europarat 2001, 18)6. In diesem Zusammenhang sind die Neukonzipierung der Fremdsprachenlehrpläne für die Sekundarstufe I und II im allgemeinen Schulwesen in Österreich zu nennen, die ebenso sprachenübergreifend ausgerichtet sind wie der GeR selbst (BMBWK 2004 und 2006). Die in den jeweiligen Lernjahren zu erreichenden Lernziele werden an den GeR-Skalenbeschreibungen für die sprachlichen Fertigkeiten ausgerichtet, womit die KompetenzorientierungKompetenzorientierung erstmals im Lehrplan grundgelegt und konkretisiert ist. Auch die Rahmenlehrpläne in deutschen Bundesländern wurden nach und nach mit dem GeR abgestimmt. Der von ihnen zunächst verfolgte sprachspezifische Ansatz wird aktuell durch sprachenübergreifende Konzipierungen abgelöst7. Ähnliches trifft auf die Schweiz zu. Auf die Problematik bei der Implementierung neuer Lehrpläne soll hier nicht eingegangen werden. Im Wesentlichen leiten die kompetenzorientierten, GeR-basierten Lehrpläne in den jeweiligen Schulsystemen einen Paradigmenwechsel ein, der sich in den Definitionen der zu erreichenden sprachlichen Leistungen und damit der Outputbeschreibung von LernerInnen zeigt und die lange vorherrschende Inputorientierung respektive Orientierung an Lehrinhalten ablöst.

Der Bereich, in dem der GeR vermutlich am heftigsten diskutiert, vielleicht auch am stärksten kritisiert und wohl am öftesten rezipiert wird, ist jener des Sprachentestens8.Wesentliche Bedeutung des GeR für die Entwicklung des Sprachentestens Der GeR hat, wie auch immer er eingeschätzt wird, die Diskussion über das Sprachentesten deutlich vorangetrieben und in hohem Maße darauf Einfluss genommen, wie die Vermittlung von Fremdsprachen und deren Überprüfung aufeinander bezogen und wie diese auf einen externen Bezugsrahmen abgestimmt werden können (Purpura 2016, 202). Ebenso deutlich hat der GeR dazu beigetragen, die Erfordernisse für eine Sprachtestexpertise deutlicher ins Bewusstsein zu heben als dies zuvor der Fall war, und zwar, wie Purpura (ebd.) meint, nicht nur auf Europa beschränkt, sondern weltweit. North (2014, 229) konkretisiert dies wie folgt:

Before the CEFR there was a practical ‘Tower of Babel’ problem in making sense of course certificates and test scores. A teacher, school or examination body would carry out a test and report a result in their own way as ‘19’, ‘4.5’, ‘516’, ‘B’, ‘Good’, etc. It is no exaggeration to say that twenty years ago a teacher of Spanish in a secondary school in southern France, a teacher of French to Polish adults and a teacher of English to German businessmen would have taken ten to twenty minutes to establish any common ground for a discussion. The CEFR labels help.

Der GeR selbst widmet dem Bewerten und Prüfen von Sprachen ein eigenes Kapitel, nämlich sein abschließendes Kapitel 9. In diesem werden grundlegende Begriffe des Sprachentestens erklärt, der GeR wird als Hilfsmittel für das Überprüfen und Bewerten sprachlicher Leistungen vorgestellt und es wird auf Test- und Bewertungsverfahren eingegangen. Damit bietet Kapitel 9 gute Einsichten auch für Personen, die sich dem Thema erstmals nähern möchten.

ExpertInnen im Sprachentesten bemängeln jedoch, dass die GeR-DeskriptorenDeskriptor zwar sprachliches Verhalten von Lernenden beschreiben, sich aber nicht auf Sprachtestaufgaben beziehen (Alderson in Little 2011, 382; Fulcher 2016, 33f.). Demgegenüber wird die Auffassung vertreten: „any ‚can do‘ descriptor may be used to specify a learning target, select and/or develop learning activities and materials, and shape the design of assessment tasks“ (Little 2011, 382, Hervorhebung durch die Autorin). Die Operationalisierung einer konkreten Kann-BeschreibungKann-Beschreibung für eine bestimmte Sprachtestaufgabe bedarf allerdings eines fundierten Verfahrens (vgl. North 2014, 230) und hängt immer vom Zweck eines Tests oder einer Prüfung ab. Der Europarat stellt mittlerweile zahlreiche Dokumente dafür zur Verfügung. Das wichtigste darunter ist das sog. Handbuch respektive Manual (Council of Europe 2009). Es beschreibt die erforderlichen Prozesse der Verbindung von Sprachentests mit dem GeR im Detail und wurde 2003 zunächst als Pilotversion, 2009 in der endgültigen Version publiziert (Council of Europe 2009). Mittlerweile liegt auch ein deutschsprachiges Handbuch (telc 2012) vor, das jedoch keine Übersetzung ist, sondern sich als Zusatz und Ergänzung zum Manual versteht. Das Manual selbst erläutert die Anbindung von Sprachentests an den GeR, die folgende Arbeitsprozesse umfassen sollte: Das generelle Vertrautwerden mit dem GeR, die Definition der Testinhalte und Aufgabenformate, die Verbindung mit den zu überprüfenden Sprachkompetenzstufen (Standard-SettingStandard-Setting und BenchmarkingBenchmarking) und die Interpretation der im Test erhobenen Leistungen.

Sowohl das Manual als auch die telc-Publikation richten sich explizit an Lehrpersonen und an SprachtestexpertInnen, unterscheiden in weiterer Folge jedoch nicht zwischen diesen beiden Zielgruppen9. Lehrpersonen können aber dennoch Nutzen aus den angebotenen Inhalten ziehen: Die detaillierte Beschreibung von Trainingsworkshops kann als Unterstützung für die Arbeit in Fachgruppen dienen, die sich mit den Inhalten der GeR-Deskriptoren gezielt vertraut machen wollen, um entsprechende Klassen-/Schularbeiten zu erstellen; die im Anhang gebotenen, ausführlichen Kriterientabellen für jede sprachliche Fertigkeit können die Anbindung von Testaufgaben an bestimmte GeR-Deskriptoren kohärent und Schritt für Schritt anleiten und ebenfalls als Checklisten für die Erstellung von Klassen-/Schularbeiten genutzt werden. Demgegenüber eignen sich ausführliche Hinweise zu statistischen Verfahren, die z. B. für die Erstellung von Zertifikatsprüfungen unerlässlich sind, weniger für schulische Zwecke. Darüber hinaus ist der Europarat bemüht, für Lehrpersonen Stützmaterialien bereit zu stellen, wie beispielsweise im „CEFTRAIN“-Projekt (https://tinyurl.com/y8mn55c4) oder im „ECEP“-Projekt (Encouraging the Culture of Evaluation among Professionals https://tinyurl.com/ybh8ob9v [21.09.2017]).

Der GeR bleibt ein ambivalentes Dokument und ist doch auch einmalig: Bestimmte DeskriptorenDeskriptor (vor allem für die linguistischen Kompetenzen Wortschatz und Grammatik) wären durch Forschungsergebnisse, die empirisch gesicherte Analysen von Lernerperformanzen bieten, zumindest zu modifizieren; für andere Bereiche (interkulturell, fremdsprachliche Literaturen, Mediation, mehrsprachigkeitsbasierte Aspekte) wurden Deskriptoren kürzlich vorgestellt (Council of Europe 2017). Zudem müsste die Anbindung der Deskriptoren für kommunikative Sprachhandlungen und Strategien an ihnen zugrunde liegende theoretische Konstrukte kommunikativer Sprachmodelle expliziter gemacht und empirisch durch reale Lernerperformanzanalysen abgesichert werden.

Aktuell und wohl auch in absehbarer Zeit gibt es dennoch keinen Weg, der am GeR vorbeiführt. In den weiteren Kapiteln dieses Buches wird daher immer wieder auf den GeR verwiesen, wenn auch aus entsprechend kritischer Perspektive. Für den schulischen Bereich zeigen die Entwicklungen der Bildungsstandards in Deutschland wie in Österreich die Bedeutung des GeR auf eindringliche Art und Weise10. Auch die seit 2016 im allgemeinen und berufsbildenden Schulwesen der Sekundarstufe II in Österreich gesetzlich implementierte teilzentrale SRDP bindet die schulischen Sprachabschlussprüfungen an den GeR. Dafür werden Verfahren genutzt, wie sie im Manual (s. oben) vorgeschlagen werden, und es wird die Expertise von international anerkannten SprachtestexpertInnen gezielt zur Professionalisierung von Lehrpersonen im Sekundarschulwesen eingesetzt, die – nach dem Durchlaufen einer Ausbildung als sog. item-writeritem-writer – u.a. als MultiplikatorInnen an ihren jeweiligen lokalen und regionalen Schulstandorten fungieren (vgl. Spöttl et al. 2016). Österreich hat sich damit seit ca. zehn Jahren auf einen Weg gemacht, dem andernorts entgegengehalten wird, dass er aus Gründen der Testsicherheit nicht gangbar sei11. Für Deutschland ist zu konstatieren, dass durch die Mitarbeit von Lehrpersonen an der Entwicklung von Sprachaufgaben zur Überprüfung der Bildungsstandards etwa für den Mittleren Schulabschluss ebenfalls eine beträchtliche Professionalisierung erreicht werden konnte (vgl. Kecker 2016, 23 und 33; insbesondere jedoch Porsch, Tesch & Köller 2010).

Wie immer wieder betont, wird die Forcierung der Outputorientierung im Fremdsprachenunterricht der letzten 10 bis 15 Jahre im deutschsprachigen Kontext wesentlich vom GeR bestimmt und auch entsprechend kritisiert (vgl. u.a. Bausch et al. 2003). Die damit einhergehende Kompetenzorientierung im Unterricht wird jedoch interessanterweise nicht von allen als neu oder kritisierenswert eingeschätzt: Hilbert Meyer (2012) verweist vielmehr auf die über 100 Jahre alten Ansätze der Reformpädagogik und gesteht der aktuellen Kompetenzorientierung lediglich ein Alleinstellungsmerkmal bei der Definition und Beschreibung von Kompetenzstufen zu. Für den Fremdsprachenunterricht ist diese Leistung dem GeR und seinen Niveaubeschreibungen geschuldet.

Arbeitsaufträge und Diskussionsfragen

1 Wie schätzen Sie die Bedeutung des GeR für Ihre eigene Ausbildung und Ihr berufliches Umfeld ein?

2 Welcher Paradigmenwechsel im fremdsprachlichen Testen und Bewerten wird durch den GeR unterstützt? Führen Sie dafür mehrere Gründe an.

3 Welche Kritikpunkte werden gegenüber dem GeR angeführt? Wägen Sie diese ab, finden Sie Pro- und Kontra-Argumente und diskutieren Sie diese mit FachkollegInnen.

Weiterführende Literatur

Hulstijn, J.H. (2014): „The Common European Framework of Reference for Languages. A Challenge for Applied Linguistics“. In: International Journal of Applied Linguistics 165 (1), 3–18. Dieser Aufsatz verweist auf den Entstehungskontext des GeR und bezieht Originalaussagen jener Autoren mit ein, die den Weg für den GeR bereitet haben. Der Beitrag bietet auch für den schulischen Rahmen eine gute Kontextualisierung des GeR.

Kecker, G. (2016): „Der GeR als Referenzsystem für kompetenzorientiertes Testen. Was bedeutet der Bezug zum GeR für eine Sprachprüfung?“ In: Zeitschrift für Fremdsprachenforschung 27 (1), 5–37. Der Beitrag berücksichtigt gezielt den deutschsprachigen Kontext und bietet differenzierte Einsichten in die Nutzung des GeR für das Testen und Überprüfen von Sprachen.

Testen und Bewerten fremdsprachlicher Kompetenzen

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