Читать книгу Testen und Bewerten fremdsprachlicher Kompetenzen - Barbara Hinger - Страница 8
3.2 Fehler in Testsituationen
ОглавлениеWas bedeutet das eben Skizzierte für das Testen und Überprüfen einer Fremdsprache? Die Forderung nach einem sog. interlanguage sensitive testinginterlanguage sensitive testing wird u.a. von Larsen-Freeman (2009), Purpura (2004), Shohamy (1998) oder Van Moere (2012) formuliert und von einigen auch in Zusammenhang mit aufgabenorientiertem Lernen und Überprüfen gesehen (vgl. Mackey 1995; Pienemann, Johnson & Brindley 1988; Robinson & Ross 1996). Der Mangel an einer ausreichend hohen Anzahl empirischer Studien zur Lernersprachenentwicklung steht der Umsetzung dieser Forderungen jedoch noch entgegen. Selbst wenn dieser behoben wäre, bliebe die Frage, für welche Bereiche des Überprüfens und Bewertens ein lernersprachensensibler TestansatzLernersprachensensibles Testen als Möglichkeit der Bewertung produktiver Fertigkeiten mit offenen Aufgabenformaten im Fremdsprachenunterricht gelten könnte. Möglich wäre dies für die Bewertung schriftlicher und mündlicher Performanzen anhand offener Aufgabenformate, da diese den Bereich der Grammatik bzw. die dafür vorgesehenen Bewertungskriterien am Prinzip der Fehlertoleranz im Sinne des Primats der Erreichung kommunikativer Absichten orientieren. Für die Überprüfung der rezeptiven Fertigkeiten wie für die explizite Überprüfung von Grammatik und Wortschatz (ob isoliert oder integriertintegriertes Aufgabenformat) anhand geschlossenergeschlossenes Aufgabenformat Aufgabenformate (s. Kapitel 6 und 8) folgt demgegenüber die Bewertung aber dem Prinzip ‚Richtig/Falsch‘. Bei dieser dichotomen Bewertungdichotome Bewertung müssen Fehler bei der Punktevergabe zwangsläufig geahndet werden. Eine Toleranz Fehlern gegenüber scheint hier ausgeschlossen zu sein.
Über dieses Dilemma hinaus stellt sich die Frage, was Testitems, die sich an der lernersprachlichen Entwicklung orientieren, denn eigentlich überprüfen sollen: Wenn KompetenzfehlerKompetenzfehler Teil der lernersprachlichen Entwicklung sind, sollten sie im Laufe der Zeit quasi ‚automatisch und wie von selbst‘ nicht mehr auftreten; trifft dies zu, müssten Kompetenzfehler konsequenterweise auch nicht überprüft werden. Es könnte vielmehr darauf vertraut werden, dass diese nicht mehr systematisch auftreten respektive sich im lernersprachlichen Entwicklungssystem von zunächst systematischen in nichtsystematische Fehler umwandeln, die ja (s. oben) von Lernenden meist selbst erkannt und entsprechend verbessert werden können. Der Ansatz des lernersprachensensiblen Testens würde sich damit erübrigen. Sinnvoll erschiene er lediglich dann, wenn Unterschiede im lernersprachlichen Entwicklungsstand einer Klasse oder einer Lerngruppe erhoben und aufgezeigt werden sollen, um die am weitest fortgeschrittenen LernerInnen festzustellen oder um allen Lernenden individuelles FeedbackFeedback zukommen zu lassen. Dies entspräche einerseits der diagnostischen Funktion von Leistungsfeststellungen, andererseits ihrer Berechtigungs- oder Auslesefunktion (Chinesisches Prinzip in Kapitel 1, s. auch Kapitel 10).
Einen möglichen Ausweg aus dem skizzierten Dilemma könnte eine geschickt umgesetzte Kombination des interlanguage sensitive testing-AnsatzesVerbindung von interlanguage sensitive testing mit dynamischem Testen zur Berücksichtigung individueller lernersprachlicher Entwicklungen mit dem dynamischen Testen und Bewerten, einer neueren Entwicklung im Sprachtestbereich, bieten. Diese bezieht im Überprüfen und Testen immer auch den Lernweg mit ein und offeriert je nach Prüfaufgabe unterschiedliche Hilfestellungen bei der Lösung einer Aufgabe (s. Kapitel 10; vgl. auch Studer 2016, 40ff.), um Lernschritte zur Erreichung einer weiteren zone of proximal developmentzone of proximal development nach Vygotskij gut zu unterstützen (vgl. u.a. auch Grotjahn & Kleppin 2015; Poehner 2008).
Ohne hier in weitere Details zu gehen, sei abschließend angemerkt, dass sowohl in Lern- als auch in Prüfsituationen unterschiedliche Korrekturverfahren von Lehrpersonen Einfluss auf die Lernfortschritte von SchülerInnen nehmen können. Allerdings gilt es zu bedenken, dass die umfangreiche Forschung dazu bislang keine generalisierbaren Ergebnisse bieten kann (vgl. u.a. Bausch & Kleppin 2016; Kleppin 2006, 2016) und Lehrpersonen u.a. auf ihr reichhaltiges Erfahrungswissen verwiesen werden (Ortega 2012). Sie sollten darauf auch vertrauen und gleichzeitig eine entspannte Haltung Fehlern gegenüber entwickeln. Unterstützt werden sie dabei u.a. von der Forschung zur Sprachangst von Lernenden, die zeigt, dass die Angst sich adäquat in der Fremdsprache auszudrücken und auch die Angst in Prüfungssituationen als Hemmnisse im Fremdsprachenunterricht zu sehen sind (vgl. u.a. Dewaele & MacIntyre 2014).
Arbeitsaufträge und Diskussionsfragen
1 Erinnern Sie sich an das Erlernen einer bestimmten Sprache: Wie hat Ihre Umwelt auf Fehler reagiert, die Sie gemacht haben? Wie sind Sie selbst mit Ihren Fehlern umgegangen?
2 Überlegen Sie, wie Sie auf mündliche Fehler von SchülerInnen im Unterricht reagieren? Welche Reaktionen können durch Ihr Verhalten gegenüber Fehlern bei den Lernenden ausgelöst werden?
3 Wie korrigieren Sie schriftliche Fehler im Unterricht, wie in Prüfungssituationen?
4 Über welches Repertoire an Korrekturverhalten verfügen Sie? Welche Korrekturtechniken kennen Sie?
5 Haben Sie schon beobachtet, dass sich in einer Lerngruppe bestimmte Fehler gehäuft über einen gewissen Zeitraum zeigen? Wenn Sie dies feststellen, worauf führen Sie diese Häufung bestimmter Fehler zurück? Diskutieren Sie mit KollegInnen, ob diese Ähnliches beobachten und welche Schlüsse daraus gezogen werden können.
Weiterführende Literatur
Bausch, K.-R., Kleppin, K. (2016): „Prozesse schriftlicher Fehlerkorrektur“. In: Burwitz-Melzer, E., Mehlhorn, G., Riemer, C., Bausch, K.-R. & Krumm, H.-J. (Hrsg.): Handbuch Fremdsprachenunterricht. 6. völlig überarbeitete und erweiterte Auflage. Tübingen: A. Francke Verlag, 407–411. Der Beitrag bietet einen guten Überblick über die Thematik, erläutert die aktuellen Zugänge insbesondere hinsichtlich der Positivkorrektur schriftlicher Arbeiten und verweist auf praxisrelevante Umsetzungsmöglichkeiten.
Kleppin, K. (2016): „Prozesse mündlicher Fehlerkorrektur“. In: Burwitz-Melzer, E., Mehlhorn, G., Riemer, C., Bausch, K.-R. & Krumm, H.-J. (Hrsg.): Handbuch Fremdsprachenunterricht. 6. völlig überarbeitete und erweiterte Auflage. Tübingen: A. Francke Verlag, 412–416. Der Beitrag bietet einen guten Überblick über die Thematik, stellt in knapper Form Forschungsergebnisse insbesondere hinsichtlich der Lernersprachenhypothese dar und bezieht die Praxisrelevanz adäquat mit ein.