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Vom Kapuzinerpater zum Freimaurer

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Welch schillernde Persönlichkeit Feßler war, zeigt sein weiterer Lebenslauf. Um mögliche böse Folgen seines mutigen Handelns abzuwenden, berief ihn der Kaiser als Lektor für orientalische Sprachen und Altes Testament an die Universität Lemberg. Vor seiner Abreise, die für den 23. Februar 1784 geplant war, kam es zu gröberen „Komplikationen“, die Feßler beinahe das Leben gekostet hätten.

Dem Pater fehlte das Geld für die Reise. Bis auf seine Bücher besaß er nichts. Völlig unerwartet erhielt er zwei Reisegeschenke. Der Hofsekretär Grossinger überreichte ihm einen Dolch, der sich noch als lebenswichtig herausstellen sollte, und Joseph II. veranlasste, dass er von Rom aus einen kostenlosen Platz in einer „Diligence“5 sowie 150 Silbergulden Reisegeld erhalten sollte. Am 20. Februar begab sich Feßler etwas später als gewöhnlich zu Bett. In der Erwartung, dass er um Mitternacht bereits schlafen würde, stürzte sein fanatischer Klosterbruder Pater Sergius in seine Zelle. Ein großes Fleischermesser schwingend, warf er sich mit dem Rufe „Morere haeretice!“ auf den verhassten Repräsentanten aufgeklärter Bildung, um ihm das Messer in die Brust zu stoßen, so Barton. Geistesgegenwärtig fasste Pater Innocentius nach Grossingers Dolch und konnte den Angriff gerade noch abwehren. Der verwundete Sergius lief zurück in seine Zelle, wo er sich, bewaffnet mit zwei weiteren Fleischermessern, verbarrikadierte. Feßler weckte den Guardian, der sofort sechs Laienbrüder zum rabiaten Pater schickte. Die Zellentüre wurde aufgebrochen, Sergius mit langen Stangen entwaffnet und in die Korrektionszelle gesperrt.

Um Kloster und Orden Unannehmlichkeiten zu ersparen, informierten Feßler und der Guardian Pater Nicephorus den Präsidenten der geistlichen Hofkommission, Franz Karl Kressel, darüber, dass Pater Sergius in der Nacht vom Wahnsinn befallen worden sei, und erwähnten mit keinem Wort den Überfall. Ihre Bitte, Sergius der Obhut der Barmherzigen Brüder zu übergeben, erfüllte Kressel ohne zu zögern. Nach drei Jahren ging es mit der Karriere des „Messerhelden“ jedoch wieder bergauf. Im Ofener Kapuzinerkloster erhielt Pater Sergius das ehrenvolle Amt des Sonntagspredigers.

Am 22. Februar gaben Freunde und Mitbrüder für Feßler eine Abschiedsfeier. Wien zu verlassen, fiel ihm nicht leicht. Was sein Mut und seine Entschlossenheit in dieser Stadt durchgesetzt hatten, berichtete der Dichter Zacharias Werner im Jahre 1807: Man erinnert sich seiner hier in und außer seinem gewesenen Kloster noch mit viel Achtung und Theilnahme.

In Lemberg unterrichtete Feßler nicht nur, sondern begann auch seine schriftstellerische Karriere und verfasste etliche historische Romane. Dabei ging es ihm primär darum, seine philosophischen Ansichten und seine Weltanschauung mitzuteilen. 1784 wurde er Mitglied in der Lemberger Freimaurerloge „Phoenix zur runden Tafel“. Sechs Jahre später konvertierte Ignaz Feßler zur lutherischen Konfession.

In Berlin, wo er sich 1796 niederließ, lernte er den Philosophen Johann Gottlieb Fichte kennen. Mit ihm gemeinsam reformierte er die Regeln der Freimaurerloge „Royal York zur Freundschaft“. Feßler soll von durchaus streitbarem Charakter gewesen sein, er überwarf sich einige Jahre später mit seinen Logenbrüdern und trat aus dem Freimaurerbund wieder aus.

Zar Alexander I. engagierte ihn an die Alexander-Newskij-Akademie in St. Petersburg, wo er orientalische Sprachen und Philosophie unterrichtete. 1833 wurde er Generalsuperintendent und betrachtete es als seine Aufgabe, den lutherischen Glauben in Russland zu festigen. Auch setzte er sich für die Genehmigung der Freimaurerei in Russland ein.

Kinder hatte Ignaz Aurelius Feßler keine, wohl aber war er verheiratet. Und das gleich dreimal. Von seiner ersten Frau ließ er sich sogar scheiden, was damals sicherlich eine Seltenheit war.

Am 15. Dezember 1839 starb dieser freigeistige, geniale und durchaus sonderbare Kirchenmann in St. Petersburg.

So sehr Kaiser Joseph II. auch für großen Unmut bei der Bevölkerung gesorgt haben mag, indem er seine Untertanen mit unzähligen und teilweise absurden Gesetzen überhäufte, für seine engagierten Reformen im kirchlichen Bereich waren ihm dennoch viele dankbar. Der evangelische Theologe, Erbauungsschriftsteller und Erzähler Christian Friedrich Sintenis widmete ihm 1782 folgendes Gedicht:

Nonnenlied auf Kayser Joseph den Zweyten

Daß Joseph nichts als Segen schuf,

Daß er für Millionen Tröster

Geworden sey, drang in die Klöster

Sogar der feyerliche Ruf.

Er steuerte von seinem Thron

Dem Glaubenshaß, dem Volksverwüster;

Da lernten Duldung seine Priester,

Und Tugend ward Religion.

Er sah im Land viel Sclavenpein;

Da bebt’ er, gab der Menschheit Rechte

An Israel und Böhmens Knechte,

Und führte goldne Freyheit ein.

Unlängst warf er den Vaterblick

Auch auf viel tausend Mädchenseelen.

Er sah sie Gott zu Ehren quälen,

Und gab sie an die Welt zurück.

(…)

1

Vorsteher eines Franziskaner-, Minoriten- oder Kapuzinerkonvents

2

Heute Zurndorf im Burgenland

3

Verstaatlichung von Kirchenbesitz

4

Die Verwaltungsbehörde des Bistums

5

Postkutsche in Stil der französischen Monarchen


Grausige Legende aus dem mittelalterlichen Wien: die eingemauerte Nonne. Zeichnung von Vinzenz Katzler.

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