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DIE „KAPUZINERGRÄUEL“ AM NEUEN MARKT

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Der Skandal um die Klosterkerker

Anno Domini 1782, das Kloster der Kapuziner am Neuen Markt: Es ist die Nacht vom 23. zum 24. Februar, als Pater Innocentius von einem Laienbruder geweckt wird. Er werde dringend benötigt, teilt ihm dieser mit, und solle ihm auf Befehl des Guardians1 umgehend folgen. Wohin, wird ihm nicht verraten. Der Laienbruder geht mit einer Laterne voran und führt den Ordenspriester in den Keller. Sie schreiten durch mehrere finstere Gänge und Kammern, es ist dem verwunderten Pater ein völlig unbekanntes Terrain. Ein Türschloss wird knarrend aufgesperrt, plötzlich stehen sie in einem düsteren Kerkerraum. Was Pater Innocentius dort erblickt, beschreibt er später er mit folgenden Worten:

Vor mir lag ein langgestreckter Greis, in abgenütztem Habit, unter wollener Decke, auf einem Strohsacke; die Capuze deckte sein graues Haupt; sein schneeweißer Bart reichte bis an den Gürtel. Neben der Bettstelle ein alter elender Strohstuhl, ein alter schmutziger Tisch, darauf eine Lampe. Ich sprach einige Worte zu dem Sterbenden, er hatte die Sprache bereits verloren.

Den Häftling, bei dem es sich um den aus Ungarn stammenden Frater Nikomedes handelt, habe am Vortag der Schlag getroffen, erfährt Pater Innocentius. Und da keiner außer dem Pater der ungarischen Sprache mächtig sei, solle er dem Greis den letzten Segen spenden. Der alte, verwahrloste Mann gibt seinem Besucher durch einen Händedruck zu verstehen, dass er seine Worte hören könne. Worte des Trostes und der Hoffnung auf ewige Seligkeit, wie es der Pater in seinen Memoiren ausdrückt: Nach viertelstündigem, schweren Todeskampfe war er dort; sein Leiden hienieden geendigt.

Bevor der Pater den Laienbruder wieder zu sich ruft, sieht er sich genauer im Gefängnis um und schwört bei der Hülle des Entseelten, […] diesen Greuel bei dem Kaiser anzuzeigen. Er erkundigt sich nach den näheren Umständen und wird dabei in Kenntnis gesetzt, dass Frater Nikomedes seit 52 Jahren hier unten vegetiere, weil er den Prior einen Dummkopf geheißen habe. Er selbst habe nur die Aufsicht und werde deshalb auch „Löwenwärter“ genannt, erzählt der redselige Laienbruder. Ein Klosterwitz, plaudert er launig weiter, der sich auf die „Löwen“, wie man die Gefangenen nennt, beziehe. Pater Innocentius, im bürgerlichen Namen Ignaz Aurelius Feßler, kann sich für diesen „Witz“ nicht erwärmen. Noch nie hat er etwas so Abscheuliches gesehen. Den Eindruck dieser Barbarei wird er zeit seines Lebens nicht mehr loswerden. Aber es bricht nun auch etwas in ihm durch, was sein Inneres schon lange beschäftigt.

An den Lehren der römisch-katholischen Kirche, mit denen er seit seiner Kindheit gespeist worden ist, hat er mit zunehmender Bildung und Erfahrung immer mehr gezweifelt. Nun sind diese Zweifel so groß geworden, dass er seinem Leben endgültig eine neue Richtung geben will. Zunächst aber muss er irgendwie auf die ungeheuren Zustände, die im Kapuzinerkloster herrschen, aufmerksam machen.

Dunkle Geschichten aus dem alten Wien

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