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Der Brief an den Kaiser

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Am 25. Februar, zwei Tage nach dem Besuch Feßlers in der Unterwelt des Kapuzinerklosters, wartete ein Student namens Pokorny im Kontrollorgang in der Hofburg auf das Erscheinen Josephs II. Pokorny war ein Vertrauter Feßlers, den der Geistliche schon mehrmals um Botengänge ersucht hatte, bei denen Verschwiegenheit oberstes Gebot war. Diesmal sollte er dem Kaiser einen Brief übergeben. Der Kontrollorgang befand sich im Mezzanin des Leopoldinischen Traktes, in dem der um Volksnähe bemühte Herrscher seine Audienzen abhielt. Jeder Bürger seines Reiches konnte hier ohne bürokratische oder zeremonielle Hürden sein Anliegen vorbringen.

Als der Kaiser aus der Tür seines Kabinetts trat, überreichte ihm Pokorny den Bericht seines Auftraggebers:

Gnädigster Kaiser und Herr!

Die Menschheit ruft zu Ew. Majestät Thron, um Rettung, Schutz und strenge Gerechtigkeit gegen ihre Unterdrücker, besonders wenn diese die ganze Welt durch den Schein der Frömmigkeit und Religiosität betrügen und in ihren geheiligten Mauern Grausamkeiten verüben, welche Ew. Majestät an Weltlichen gewiß mit aller Strenge der Gesetze züchtigen würden.

Vier Kapuziner schmachten heute noch in einem unterirdischen Klostergefängniß auf dem neuen Markt […] Der Weg zu dieser Mörderhöhle des Mönchsdespotismus führt auf dem Neumärkter Kloster durch die Küche rechter Hand hinein in das Waschhaus, dann gerade fort in die Speisekammer, von hieraus eine kleine Thür, durch die man etliche Stufen hinuntersteigt, sodann links in einen engen finstern Gang kommt, wo linkerhand die wohlverwahrten Behältnisse der Gefangenen, welche die Kapuziner „Löwen“ nennen, sind.

Ich habe Ew. Majestät hiermit als fühlender Mensch und als treuer Bürger und Unterthan, in Wahrheit die schaudervolle Hölle […] angezeigt. Ich hielt mich dazu verpflichtet; kommt es aber jemals heraus, daß ich es war, der der Menschheit diesen Dienst geleistet hat, so bin ich selbst für immer geopfert und verloren. Der Mönchsgeist hat tausend Mittel und Wege, seine Opfer zu erhaschen, wo sie weder das Auge des Regenten, noch das Schwert der Gesetze erreichen kann. Ich bitte daher um Ew. Majestät Allerhöchsten Schutz und um Verschwiegenheit meines Namens.

Ew. Kaiserl. Königl. Majestät

Allergetreuester Unterhan, P. Innocentius, Kapuziner in dem Kloster auf dem Neuen Markt

Dunkle Geschichten aus dem alten Wien

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