Читать книгу Der Amok-Insasse: Die Psychothriller Parodie - Bastian Litsek - Страница 17

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9.


Armes Hottehü


Während sich irgendwo zu Halloween ein Psychopath mit Benzin übergoss, in einen Elternabend platzte und sich mit den Worten „Schaut mal, was ich kann!“ anzündete, ritt Phill Jerkoff gemächlich auf die psychische Heilanstalt von Dr. Bieder zu.

Der Gaul, den er sich besorgt hatte, sollte eigentlich morgen früh geschlachtet werden und trug den Namen Till der Träge. Sie kamen zwar nicht sonderlich schnell voran, doch voran kam er.

Sein Schwager hatte ihm geraten, er sollte dort auftauchen und schön den Bekloppten markieren. „Kassengelder hat noch keine vernünftige Anstalt abgelehnt“, so Horsts Worte, „selbst wenn sie dich in die Besenkammer sperren, nur um dich abrechnen zu können.“

Aufgrund dessen hatte Phill das einzig Richtige getan. Er war in vollem Jamie-Lee-Curtis-Outfit losgegangen, hatte sich noch einen Cowboyhut besorgt sowie Till den Trägen und ritt durch Berlin bis zu der Irrenfarm draußen in ländlicher Gegend (sehr präzise, nicht wahr). Dabei hatte er den Fehler gemacht, davon auszugehen, ein Pferd wäre ein Langstrecken-Tier. Weit gefehlt. Der halb blinde Ackergaul, den man ihm als Reitpferd erster Klasse verkauft hatte, war schon nach der Hälfte der Strecke vom Galopp in den Trab und jetzt zum Schritt übergegangen. Die ungeschlachtete Salami schlappte dahin in der Hoffnung, dass es bald vorbei war.

Und das war es auch!

Phill konnte die helle Schrift am Eingang der Anstalt bereits lesen. Eine Beleuchtung so prunkvoll wie die eines alten Theaters verkündete den Namen der Einrichtung „Dr. Bieders Hilarious House of Madness.“

Die Gruselbahn, in der jeder mitspielen durfte, der versichert war.

Sein Schwager, immerhin jemand, der viel Polizeifunk hörte und auch Polizist sein könnte, war oder gewesen war, hatte ihm gesteckt, dass Mariam im Hochsicherheitstrakt eingesperrt war. Also war alles, was er tun musste, da drin einen Feueralarm auszulösen oder mit einem Terroranschlag zu drohen, und schon würden sie das Gebäude räumen.

Letztere Idee hinkte zwar etwas, da er sich dafür theoretisch nicht als Verrückter inhaftieren lassen musste, doch wie oft bekam man im Leben schon die Chance, einfach mal zu machen, ohne die Konsequenzen zu spüren.

Till der Träge zuckelte dahin.

Phill hatte schon immer ein Pferd haben wollen. Der Wunsch reihte sich gleich hinter dem ein, eine Korvette zu besitzen, welcher daraus erwachsen war, dass Phill in seinem Leben bisher doppelt so viele Runden Schiffe versenken gespielt hatte als jeder normale Mensch.

Vor dem rechteckigen riesigen Gebäude, über das es kaum mehr zu sagen gab, denn es hatte wie jedes andere Haus auf dem Planeten Türen, Toiletten und Fenster, erstreckte sich ein großer Rasen mit einem Springbrunnen. Gerade war Phill dabei, sich zu überlegen, wo er am besten seinen vierbeinigen Freund parken sollte, als sich ein Garagentor öffnete und ein Porsche herausgeschossen kam.

Der Fahrer kam mit hoher Geschwindigkeit auf ihn zu.

„HEY“, schrie Phill, „BIST DU BESOFFEN ODER WAAAAAAA…“

Der Porsche rammte den Gaul.

Phill wurde durch die Luft geschleudert.

Dr. Bieders Kopf knallte gegen das Lenkrad und die Airbags sprangen an (den Drink in seiner Hand verschüttete er nicht).

Das Pferd jedoch fungierte wie eine massive Wand aus Fleisch, das dem enorm schnellen Objekt, das es getroffen hatte, keinen wirklichen Widerstand bot. Seine Beine brachen wie morsche Zweige und die Schnauze rammte es durch die Frontscheibe ins Innere des Wagens.

So kam es, dass Dr. Bieder einem höchst irritierten Ackergaul in die Augen sah, der ihm den letzten Atemzug seines Pferdelebens ins Gesicht blies und dabei dachte: Karotte.

Phill rappelte sich auf und versuchte erfolglos, sich die Schürfwunden vom Körper zu klopfen. Die Perücke saß noch immer, nur den Hut hatte er eingebüßt. Er ging zurück zu seinem Pferd. Beim Anblick des toten Tiers drehte sich ihm der Magen um. Der Bauch war aufgeplatzt und Gedärme quollen dampfend auf den kalten Asphalt der Herbstnacht.

„Verfluchte Spesenadel“, rief Phill und hielt sich den Arm gegen den Gestank vor die Nase. Ohne weiter zu zögern, griff er nach der Winchester hinten am Pferd und lud sie durch.

Eine volle Patrone flog aus dem Lauf auf den Boden, aber es war einfach cooler, wenn die Waffe dieses Ritsch-Ratsch-Geräusch machte.

„Um Siegfrieds willen, Mann“, sagte der Arzt besorgt. Er trug einen Nadelstreifen-Anzug und sein Gesicht war ausgezehrt, wie es nur harter Alkohol und ein unendlicher Geldvorrat schafften, der einem über viele Jahre über jede Dummheit hinweg geholfen hatte. „Ist Ihnen etwas passiert?“, fragte er. „Haben Sie Durst?“, legte er nach und zeigte auf seinen Whiskey mit Eis, den er noch immer in der anderen Hand hielt.

„Wer sind Sie?“, forderte Phill ein.

„Dr. Bieder“, sagte er und zeigte auf die Leuchtreklame, „das hier ist mein kleines Scheusal.“

„Oh“, sagte Phill und senkte die Waffe.

Schnell, tu was Verrücktes, flüsterte ihm sein Unterbewusstsein zu. Er dachte daran, sich Haare auszureißen, damit ihm das Blut aus den Wunden schoss und über das Gesicht lief. Das kam ihm dann aber doch zu bescheuert vor. Außerdem tat so was weh, und Schmerzen waren nicht sein Ding.

Er richtete die Winchester auf den Pferdekopf und drückte zweimal ab.

BANG!

Ritsch-Ratsch

BANG!

Dann warf er die Waffe auf den Rasen, hielt beide Hände in die Höhe und rief „Ich ergebe mich und möchte gestehen“, sagte er und stand da.

Dr. Bieder beobachtete alles stillschweigend und nippte an seinem Drink.

„Sagen Sie werter Herr“, fragte er, ging um den Porsche herum, holte etwas Scotch aus dem Handschuhfach und füllte sein Glas nach, „Sie sind nicht zufällig Privatpatient?“

„Wie es der Zufall will, ja.“

„Ich glaube, dass ich Ihnen helfen kann“, sagte Dr. Bieder mit einem Tonfall, wie ihn nur Magnaten bekommen, wenn sie einen baldigen hohen Zahlungseingang für eines ihrer Konten witterten.

Phill wollte antworten, da wurde die Unterhaltung jäh unterbrochen. Ein Blitzlicht erhellte die Nacht. Gleich noch eines. Irgendwer schoss Fotos von den beiden und ihrem Unfallszenario.

Dr. Bieder machte einen Schritt nach vorne, trat gegen die Winchester, sodass sie in die Luft flog, fing sie am Repetierhebel auf, lud eine Patrone in den Lauf und schoss, ohne auch nur zu blinzeln, zwei Kugeln in Richtung Blitzlicht.

„Aua!“, schrie eine Stimme.

Ein Fotograf sprang aus dem Gebüsch und gab Fersengeld.

Dr. Bieder legte auf ihn an, doch der Mann war zu schnell. Er rannte, als wäre Robert Murdoch persönlich hinter ihm her.

„So ein Mist“, sagte Dr. Bieder und senkte das Gewehr. „Das steht schon morgen in der Super Illu.“

Er drehte den Kopf zu Phill. „Die sind einfach zu vertreiben, aber bald schon werden die Pressevertreter in Scharen hierher zurückkehren.“ Dr. Bieder schulterte die Winchester. „Kommen Sie mit mir. Wir besorgen Ihnen ein Zimmer. Wer sind Sie eigentlich?“

„Phill Jerkoff“, sagte der und ließ sich auf die Beine helfen.

Dr. Bieder erstarrte. „Der Vater des toten Kindes, mit dem ich gerade eben telefoniert habe?“

„Das ist bereits mehrere Stunden her“, korrigierte ihn Phill.

„So was“, sagte Dr. Bieder erstaunt und nahm einen Schluck Whiskey-Scotch-Mischung. „Muss vor dem Losfahren eingeschlafen sein. Merkwürdig“, sagte er und trank das Glas leer. Schwungvoll feuerte er es ins Gebüsch und wischte sich mit dem Handrücken den Mund ab.

„Lassen Sie uns reingehen“, sagte er. Gemächlich liefen sie auf die Anstalt zu. „Wer hat Sie geschickt? Die Polizei?“

„Ach, es ist eine Mischung aus Versicherungsangelegenheiten, Neugier und am Ende geht es um Geld.“

„Ach, das gute alte Geld. Es ist wie mit den Frauen. Oder waren es Kinder? Man kann nicht mit ihnen leben, aber ohne sie schon.“

„Stimmt es, dass Sie viele berühmte Insassen behandeln?“

„Oh ja. Wir sind aber keine von diesen Star-Kliniken. Manch einer tut so, als hätte er Karl Gustav dem Großen persönlich die Ohren geputzt“, seine Stimme nahm comichafte Züge an, „diese Anstalt beherbergt einige der brutalsten Geisteskranken aller Zeiten. Pfffft“, machte er und machte eine abweisende Geste. „Das Potenzial eines Irren liegt nicht in der Ausprägung seines Wahnsinns, sondern was er damit anfängt. Man kann auch nur ein klein wenig wahnsinnig sein, und daraus viel machen.“1

Er zog einen Flachmann aus seinem Jackett und nahm einen Schluck. Wortlos reichte er ihn an Phill weiter, der

zugriff. „Wissen Sie, die meisten Leute, die in einem Hotel zur weichen Birne untergebracht sind, sind alles handelsübliche Irre.“ Er begann, an den Finger abzuzählen: „Alleinerziehende Väter, Politiker, die bei der Wahl gescheitert sind und fleißig an ihrem eigenen Wikipedia-Artikel arbeiten, weil keiner ihre Memoiren will, und natürlich irgendwelche schwachsinnigen Autoren oder Schauspieler, die nur kurz Nachforschungen anstellen wollten, dann aber doch auf Dauer bleiben, weil sie sich bei uns wohler fühlen als in Freilandhaltung.“

„Gibt es denn gar niemand Berühmten?“, fragte Phill, nahm einen Schluck Schnaps. Es brannte in seinem Mund und er wollte meinen einen Hauch Duschgel rauszuschmecken. Er schluckte das Gesöff schweren Notes gerade so runter und reichte den Flachmann zurück.

„Gut, oder?“, fragte Dr. Bieder. „Hab ich in der Therapiebadewanne gebraut. Und ja, wir haben da schon ein paar Sonderkandidaten. Da wäre der Buchprüfer. Er fesselt seine Opfer nackt an Händen und Füßen. Lässt sie dabei frei im Raum stehen. Dann rechnet er deren letzte Steuererklärung auf ihrem Körper nach, dabei ritzt er die Zahlen mit einem Skalpell ein. Bei einer Abweichung, die zu hoch ist, schlitzt er ihnen nach und nach die Arterien auf. Wer überlebt, ist für immer grotesk tätowiert. Dann wäre da noch der Zahnarzt.“

„Was hat der verbrochen?“

„Er ist nur ein normaler Zahnarzt. Recht unbeliebt auch unter den Patienten. Weigert sich, eine Betäubungsspritze zu verwenden. Hat mir einmal eine Krone gesetzt. Bezahlt werden wollte er in Reichsmark. Musste auf einen Flohmarkt, um die Währung zu beschaffen. Solange war er im Hungerstreik. Spinnt echt der Kerl. Gehört eingewiesen.“

Phill wollte etwas sagen, belehrte sich aber selbst eines Besseren. Der Kerl war professioneller Alkoholiker. Gerade zauberte er wieder einen neuen Flachmann aus seinem Jackett. Dieser hier war rot. Er zog ihn in einem Schluck leer, nahm sich den linken Schuh ab und klappte vorne die Spitze beiseite, um daraus zu trinken.

„Sie würden sich wundern, wo an meinem Körper ich überall Alkohol versteckt habe.“

„So so“, sagte Phill.

„Und Sie wollen den potenziellen Mörder Ihres Sohnes umbringen?“

„Nein nein“, versicherte Phill und gestikulierte widersprechend mit den Händen.

„Da bin ich aber froh“, sagte Dr. Bieder. „Der Papierkram wäre die reinste Hölle. Wenn Sie jemals irgendwen umbringen wollen, haben Sie bitte genug Anstand und warten Sie, bis wir Sie aus der Ballaballaburg wieder entlassen haben, ja?“

„Ich verspreche es.“

„Können Sie gerne. Sie werden es mir auch noch unterschreiben müssen. Ein Haftungsausschluss.“

„Haben Sie Kinder, Dr. Bieder?“

„Ich? Himmel nein. Habe mir mit dem Doktorat die Leitungen kappen lassen. Menschen haben auf mich schon immer sonderbar gewirkt, müssen Sie wissen. Ich sehe in ihnen keine Personen mit Werten und individuellen Wünschen.“

„Sondern?“

„Potenzial, Herr Jerkoff, Potenzial“, sagte er und klopfte Phill auf den Rücken.

Sie hatten die Treppe zur Haupttür der Anstalt erreicht. Dr. Bieder sprang im Zickzack die Treppe empor, öffnete die gigantischen Flügeltüren und wies Phill an, einzutreten. Als der Arzt die Türen wieder hinter Phill zuzog, konnte er beobachten, wie irgendwer den toten Gaul mit der Kettensäge zerteilte, um ihn wegzuschaffen. Wahrscheinlich der Hausmeister.

Ja, Pferde waren nun mal große Tiere und da kein Bagger zur Hand war, der es hätte anheben können, musste Gustavo zur guten alten Stihl greifen und das Fleisch des toten Tieres von Hand in die hauseigene Schlachterei schleppen. Daraus machte man für Tage und Wochen Eintopf, Steak und Buletten. Dem Fleischwolf war egal, welches Tier er zermalmte.

Nach dieser langen Erklärung war Gustavo mit dem Zerteilen fertig und wuchtete sich einen Schenkel von Till dem Trägen über seine Schulter.

„Ja“, sagte Dr. Bieder, „so ist das Leben. Wir alle haben einen Zweck zu erfüllen. Und ich weiß auch schon, welcher der Ihre sein wird, Herr Jerkoff.“

Er drehte sich um.

Doch Phill war längst verschwunden.

1 Welch wahre Worte …

Der Amok-Insasse: Die Psychothriller Parodie

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