Читать книгу Der Amok-Insasse: Die Psychothriller Parodie - Bastian Litsek - Страница 18
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„Aua! Muss das wirklich sein?“, jammerte Mariam Karkuffian.
Man hatte sie auf den Operationstisch gespannt und vorbereitet. Dr. Bieder war der Meinung, wenn er schon heute Abend nicht nach Hause kommen würde, konnte er genauso gut hier weitertrinken. Und dabei ein bisschen arbeiten. Beziehungsweise am offenen Gehirn operieren.
Er hatte sich Mariam Karkuffian bringen lassen. In deren Kopf befand sich ein Gedankensteuerungsgerät, bei dem er die Batterien tauschen wollte. Dr. Bieder wusste zwar noch nicht, wo und wann und wie er die Apparatur einsetzen würde, vielleicht auch nur, um damit im richtigen Moment Druck auszuüben. Aber was man hatte, das hatte man bekanntlich auch nur so lange, wie die Batterien geladen waren. Und die galt es jetzt, auszutauschen.
Gerade wurde die Patientin örtlich betäubt. Die Operation dauerte zwar nicht lange, war aber doch recht unbequem.
Dr. Bieder und die Anästhesistin Nancy Leich, eine ehemalige Nonne, beendeten selten eine Unterhaltung im Einvernehmen. Gerade zog die ihre Nadel aus dem Kopf der verurteilten Mörderin, die man ihm überreicht hatte wie ein madiger Apfel auf dem Wochenmarkt. „Nimm und mach damit, was du willst.“
Nancy zog erneut Betäubungsmittel auf die Spritze und steckte Mariam die Nadel in drei weitere Stellen am Kopf.
„Sind Sie sicher“, fragte Dr. Bieder, „dass Sie so oft betäuben müssen?“
„Herr Doktor, Sie ham mir doch jesagt, ich soll nicht sparen.“
„Stimmt, na dann machen Sie mal.“
Mit jedem Einstich quietschte Mariam ein Aua, das jedes Mal leiser wurde. Sie war an einen Tisch gefesselt. Über ihr das helle OP-Licht und um sie herum jede Menge Maschinen. Die wichtigste und teuerste war natürlich auch dabei. Sie erfüllte keinen großen Zweck abgesehen davon, dass sie mehr Strom schluckte als das Flutlicht eines Fußballstadions. Dr. Bieder hatte die Gerätschaft angeschafft, weil es groß und wichtig wirkte und sich der Name, Brunski5200, gut in der Broschüre der Anstalt machte.
Dr. Bieder war gleichzeitig Chefarzt, Aufsichtsrat und Verwaltungsrat. Gerade stellte er den Herzfrequenzmonitor laut, der immerzu „Ka-Doing“ machte. Der Vorteil daran, wenn kein Ka-Doing mehr zu hören war, gab es einen frühen Feierabend und Gustavo rückte mit einem Plastiksack an. Doch wie so oft bei Dingen, die einen frühen Feierabend herbeiführten, traten sie nur selten ein.
Dr. Bieder war damit beschäftigt, sich seine Whiskey-Gin-Infusion zu legen, als Gustavo den Kopf hereinsteckte. Der Hausmeister trug eine türkisfarbene Mütze mit einem „G“, das sich in einem weißen Kreis befand.
„Das Pferd ist versorgt, Meister.“
„Zieh dich zurück, Gustavo, ich werde dich rufen, wenn wir dich brauchen.“
„Sehr wohl, Meister“, sagte er mit halber Verbeugung und schlich davon.
Mit der Infusion in seinem Arm, dem Alkohollevel in seinem Blut stabilisiert, Mariam betäubt und Nancy an seiner Seite konnte es losgehen.
„Welchen Eingriff nehmen wir vor?“, fragte Nancy.
„Ist das wirklich so wichtig?“, fragte er.
„En Arzt sollte schon wissen, was er tut.“
„Ich weiß auch, was ich tue, Frau Leich. Danke“, sagte Dr. Bieder und drehte den Tropf der Infusion weiter auf. Jetzt war es an der Zeit, sich zu konzentrieren.
„Eine Laune hat der Herr Doktor heute wieder“, flüsterte Nancy. „Hauptsache, wir sind bald fertig. Die Kinder warten zu Hause.“
Dr. Bieder nahm sich ein Skalpell. Er brauchte es nicht wirklich, aber es sah im OP einfach besser aus, wenn man etwas in der Hand hatte. „Was hat die Kirche damals gesagt, als Sie ausgetreten sind, weil sie eine Familie gründen wollten?“
Was vielen Menschen oft ein Leben lang verborgen bleibt, ist, dass Operationssäle schlimmer waren als Friseursalons oder Kfz-Werkstätten. Hier wurde getratscht und geklönt, geschnackt und gelästert, man zerriss sich das Maul und dichtete Kollegen Dinge an, die sie den Rest des Arbeitsjahrs versuchten, wieder loszuwerden.
„Gesagt, hom die nischt. Begeistert waren se ned. Ham jesagt, icke wäre mit dem Herrgott verheiratet und der kriegt zurzeit kene Kinder mehr. Da hab ick gesagt, sehnse, da hammse det Problem. Ick will Familie und en Mann. Nun bin ick im Bunde mit enem, der vor zweitausend Jahren det letzte Mal jezeugt hat und so janz zu de Sache jestanden hat der Kerl damals ja och nich. Was bringt der mich? Tschüssle Kaikowski, ick bin dann mal wech, hab ick gesagt.“
„Aha. Dann haben Sie die Kluft abgegeben und sind ausgetreten.“
„Nüscht dergleichen. Ick bin einfach zur Tür raus. Die ham wohl erst beim Beten jemerkt, dass eine fehlt. Bin dann zum C&A, hab misch neu einjekleidet und hab mir sofort en Mann gesucht. Man wird ja och nich jünger, wa?“
Dr. Bieder versuchte, das Alter der Frau zu schätzen. Sie hatte lange braune Haare, redete aber wie jemand, der an die vierzig kratzte. Na hier und da waren auch schon graue Strähnen sichtbar und ihre Haut war faltig und leicht rötlich. Könnte aber auch von ihrer Raucherei kommen. Gedankenverloren suchte er das Scharnier im Kopf von Frau Karkuffian, immerhin musste neben der Unterhaltung auch noch operiert werden.
„Nu hab ick drei Kinder und sie sind mir det Liebste und Teuerste uff de janze Welt. Icke wüsste nüscht, was ich anfangen würde, wenn ens davon mal auf ein Scheusal wie dieses trifft“, sagte Nancy und schlug der potenziellen Kindermörderin mit der Zeitung auf den Kopf.
„Ey“, protestierte Dr. Bieder. „Wir operieren.“
„Aha. Na wär ja en echtet Dilemma, wenn die de Zehen in die Luft reckt, wa?“, fragte Nancy und schielte in Richtung Maschine mit dem Herzfrequenzmonitor.
„Diese Frau sichert unser aller Einkommen. Ich habe Ihnen schon mal gesagt. Wenn wir jeden umbringen, dann ist die Hütte bald so leer wie unsere Bankkonten. Verbrechen zahlt sich aus, Mord nicht.“
„Ick men ja nur“, sagte Nancy und streckte die Hände von sich. „En kleene Fehler und det Fräulein hier tritt vor den guten Petrus, bevor der se zum Jefallenen runterspüln wird.“
„Was genau war das für ein komischer christlicher Verein, bei dem Sie da Nonne waren?“
„Keine Blasphemie in meine Jejenwart, ja? Wenn hier ener schlecht von menem Exmann redet, denn bin ich det. Biste überhaupt jetauft?“
„Nein, hab mich immer von Leuten ferngehalten, die mir an den Arsch und ans Geld wollen.“
„Da hamma die ollen Sprüche schon wieder. Zügle deine Zunge, Sünder. Außerdem wer nich mal jetauft is, hat kenne Ahnung vom Herrgott und seene Schäfchen. En Sünder sind Sie und Sie ham en Alkoholproblem, wissen Se det?“
„Hab ich nicht. Erst heute Morgen war der Laster da und hat die Nachtfülltanks im Keller befüllt. Es sollte wieder für einen Monat reichen. Was genau finden Sie so besonders an Ihren Kindern?“ Er wollte das Thema wechseln.
„Det is die Weitergabe von de Gene. De Erhalt von der Familie.“
„Und?“
„Wat und?“
„Na, Sie sind, wenn man mal Ihre kosmische Wichtigkeit betrachtet, eher … eine Energiesparlampe. Ihre Kinder sind auch Energiesparlampen. Wozu, glauben Sie, soll das gut sein, da irgendwelche Menschen in die Welt zu setzen?“
„Erstens, wertes Doktorchen, is nich jeder dazu jemacht, de Leute am Kopp herumzuoperieren, hamm Se mich? Zweitens braucht die Welt och Jebäudereiniger und Hempel wie mich, die Leuten wie Ihne zur Hand jehen.“
„Recht haben Sie. Aber trotzdem. Dieses ewige Palaver“, sagte Dr. Bieder in überspitzter Stimme, „oh die Kinder, die lieben Kinder.“
„Des versteh Sie net. Sie ham keene. Des kann nur einer verstehen, der welche hat. Wenigstens ham mir Eltern die Gewissheit, det Leut wie Sie langsam aussterben.“
„Oh, es wird uns immer geben“, sagte Dr. Bieder bitter. Er hatte das Scharnier gefunden, klappte das haarige Fach an Mariams Kopf auf und schnippte mit dem Skalpell die alte kaputte Knopfzelle aus ihrer Halterung. Er nahm die neue Batterie von Mariams Bauch, wo er sie abgelegt hatte, und setzte sie ein.
„Dürfte ich einen Vorschlag machen?“, fragte Mariam, die der Unterhaltung bis hierhin stumm beigewohnt hatte.
„Nein, dürfen Sie nicht“, sagte Dr. Bieder, schloss das Scharnier und drückte dagegen, dass es einrastete. „Sie sind nicht qualifiziert. Schwester.“
„Ick bin keine Schwester. Sie ham mich hier eingestellt und mir det Betäuben selbst erklärt. Es is mir ja klar, det es en jenerellen Fachkräftemangel jibt, aber das nu ne einfache Fro wie icke det hier macht, also ob dat so richtig is …“
„Richtig ist, was sich richtig anfühlt, Frau Leich. Und jetzt walten Sie bitte Ihres Amtes, bevor uns die …“, er suchte nach der Inventarnummer der Patientin und klappte Mariams linkes Ohr zur Seite, wo sich die Nummer befand. „Bevor uns die Nummer 23589468522 hier mit ihrer eigenen Meinung langweilt.“
Nancy drückte mit der Betäubungsspritze einmal in die Zunge der Patientin, die quietschte wieder, dann in die Ober- und Unterlippe. Sprechen war damit unmöglich.
„Icke hätte da ne Fraje, und zwar zum Thema Langzeitschäden. Und zwar …“, sagte sie und hob den Finger.
„Leben Sie im Hier und Jetzt, Frau Leich. Im Hier und Jetzt. Denke Sie, ich mache mir jeden Tag Gedanken darum, welchen meiner kleinen Ersatzteilspender“, sagte er und tätschelte Mariam an der Schulter, „ich als Nächstes ausschlachte? Nein. Ich lass es auf mich zukommen.“
„Also für mich sin Sie ja wenijer Halbjott in Weiß und mehr en Uffschneider. Und zwar uff mehreren Syntaxebenen, wenn Se verstehn, was icke meine.“
„So“, sagte Dr. Bieder. „Wir sind hier fast fertig. Seien Sie so lieb, bringen Sie die Patientin auf ihr Zimmer und lassen Sie mich dann in Frieden. Sie können sich um Ihre Kinder kümmern und nach Hause abhauen.“
„Det lässt Ihne keine Ruhe wa?“, sagte Nancy und stemmte die Hände in die Hüfte. „Ene Kinderseele is wat Unberührtes. En Mensch, der noch keene Fehler jemacht hat, keene Laster hat und der det Übel dieser Welt noch nicht kennejelernt hat. Und wenn man det als Eltern richtig macht, kommt det och nie vor.“
„Ah, es ist also das Ziel, einen Mensch zu erschaffen, der nicht nur fehler- und lasterfrei ist, sondern zudem auch noch in einer Kaugummiblase aus Glückseligkeit lebt. Das ist doch niemals irgendjemandem gelungen.“
„Man will doch nur det Beste für de Kleenen.“
„Na, das Beste von Ihnen haben sie ja schon. Ihre Zeit geraubt, Ihr Bankkonto geplündert und Ihren Verstand samt Prioritäten umgeeicht.“
„Sein Se mal vorsichtig, sonst verführ icke sie und denn, wenn es so weit is, drück ich Ihne det Balg in de Arme und mach den Auf-und-davon-Johannes. Dann werden Se mal kennenlernen, was Leid und Anstrengung überhaupt sind.“
„Da haben wir Sie endlich“, sagte Dr. Bieder und zeigte mit einer ausgestreckten Hand auf Frau Leich. „Die Realität des Elterndaseins. Entbehren, entbehren, entbehren.“
„Und im Alter dreht sich de Spieß denn um. Da werd dann icke versorgt.“
„Sicher. Sie wären natürlich auch die Erste, die man ins Heim steckt, weil es anders nicht geht. Warum glauben so viele, dass ihr Arsch im Alter reift wie Wein. Leute werden mit fünfzig Jahren auf dem Arbeitsmarkt gehandelt wie Bruchware, warum so viele erwarten, von den eigenen Kindern besser behandelt zu werden, ist mir auf ewig hinter einem wabbeligen weißen Schleier verborgen.“
„Ou, Ou, Herr Doktor“, sagte Nancy und löste den OP-Tisch, damit sie die Patientin in ihr Zimmer rollen konnte. „De Liebe, Herr Doktor, de Liebe. Det spielt en janz jroße Rolle bei so was. Wer Liebe jibt, kriegt och welche zurück.“
„Sicher doch. Denn beim eigenen Kind kann man sich sicher sein, dass man auf jeden Fall kein egoistisches Arschloch in die Welt gesetzt hat, das einen behandelt wie einen Rettungsring.“
„Ick will nur moa jesagt haben, det ick für Sie nie arbeiten würd, wenn ick det Geld net bräucht.“
„Einen schönen Feierabend, Frau Leich. Grüßen Sie die Kinder.“
Sie seufzte lang und gequält. „Joa … de Kender“, sagte sie und ihr stand ins Gesicht geschrieben, dass sie auf den Rest des Abends hätte verzichten können. Die Anästhesistin steuerte die Liege aus den OP-Saal und verschwand um die Ecke.
Ka-Doing machte es neben Dr. Bieder.
„Oh halt die Klappe“, fuhr er die Maschine an.