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Es ist jetzt entschieden, er wird ihre Mutter besuchen, sagt er zu ihr. Sie versteht nicht recht weshalb. So will es die Höflichkeit, man muss den Eltern der Kinder, mit denen man Umgang hat, vorgestellt werden.

— Ach ja? Hast du mit vielen Umgang?

Er gibt zu, dass sie das einzige Kind ist, mit dem er befreundet ist.

— Ich frage mich, ob du nicht genau dem Wort entsprichst, das mein Vater mir letztes Mal zu erklären versucht hat: Formalist. Würdest du sagen, du bist ein Formalist?

Er lacht schallend.

Wenn es was gibt, das sie mag, stößt sie in einem einzigen Wortschwall hervor – abgesehen davon, dass er sie Äffchen nennt, also das mag sie wirklich furchtbar gern –, dann ist es sein beglücktes Lachen, wenn sie ihn mit den Wörtern ihres Vaters überrascht. Sie ist ehrlich, erklärt sie ihm, weil sie ihm verraten hat, dass sie diese Wörter nicht allein findet, sie versucht nicht, schlauer zu wirken, als sie ist. Auf Eines ist sie stolz, ja, das kann sie ihm erzählen, weil es ihr eingefallen ist, als sie vorhin auf den Hörsitzen gearbeitet haben: auf die Sprache der Geräusche, die sie erfunden hat, als sie klein war. Anfangs benutzte sie diese Sprache nur, wenn sie im Bett lag, beim Aufwachen und abends, vor dem Einschlafen. Sie identifizierte im Haus die Stimme ihrer Mutter, das Radio, die Insekten und andere Krabbeltiere, ärgerte sich aber, andere Geräusche, die sie entlang der Rohre und auf dem Dach, hinter den Scheiben, in der Abend- oder Morgenluft wiedererkannte, nicht benennen zu können, tausend Klänge, die ihr inzwischen vertraut waren, obwohl sie ihnen weder einen Ursprung noch einen Namen geben konnte. Wozu war es gut, so viel zu hören, wenn sie keine Wörter hatte, um das zu benennen – es für sich zu benennen? Deswegen hatte sie diese Sprache erfunden, die sich im Lauf der Zeit um Geräusche des hellen Tages erweiterte. Oft vergaß sie den Namen eines kurzen Geräuschs, das sie nie wieder gehört hatte, oder sie hatte noch den Namen, aber nicht mehr die Erinnerung an den Klang. Kruitsch, Zblunn, Zzzirett und das Traiern zählten zu den Klassikern: sehr häufig. Aber das Ruihs hatte sie nur ein einziges Mal gehört, und sie erinnerte sich nicht mehr, wie es geklungen hatte. Das ist ihr vorhin wieder eingefallen, und sie hat zwar eifrig gearbeitet, damit er den Mut nicht verliert, aber gleichzeitig hat sie sich amüsiert, mit geschlossenen Augen Namen für die Geräusche des Waldes zu erfinden, die sie wiedererkannte.

— Jetzt muss ich dir was gestehen: Als du mir gesagt hast Gut, ich weiß nicht, was du genau meinst, aber bist du wirklich sicher, die drei Geräusche zu identifizieren? und ich dich beruhigt habe – also, da war ich in Wirklichkeit überhaupt nicht sicher. Als du gesagt hast: Volltreffer! Ich glaube, ich höre dieses rzhu und dieses tscheh wie du, war ich zufrieden, und doch … es ist so schwer, sich über das Hören auszutauschen. Was man sieht, kann man zeigen, aber was man hört?

— Du hast recht: Es fehlt uns an Wörtern, um es zu erklären, und dadurch weiß man nicht, was der andere gehört hat.

— Aber warum? Das ist doch seltsam, oder?

— Vielleicht, weil man lange Zeit nicht in der Lage war, Geräusche festzuhalten? Einen Gegenstand konnte man immer schon nach Belieben betrachten und beschreiben oder sogar malen – während ein Geräusch flüchtig ist, man kann es nicht lange genug wahrnehmen, um die Worte dafür zu finden. Aber gerade unter diesen Bedingungen zu versuchen, sich über das Hören auszutauschen, ist doch ziemlich schön, oder?

— Sehr schön. Und das unglaubliche Geschenk, das du mir versprochen hast, die Große Stille? Du hast gesagt, du würdest mich die Leere hören lassen, überhaupt keine Töne mehr, totale Stille. Ich kann das einfach nicht glauben.

Dass alle äußeren Geräusche ausgesperrt sind – diesen Zustand kennt sie nicht. Den Kopf unter dem Kissen, die Finger in den Ohren, das ja. Aber der Lärm geht durch alles hindurch, er schleicht sich heran, dringt ein, verformt sich – und hält inne. Die Große Stille – wirklich?

— Du wirst sehen.

Als sie in den Weiler kommen, von wo aus sie jeden Abend zu Fuß nach Hause geht, bittet er sie, ihrer Mutter Bescheid zu geben, dass er sie am nächsten Tag besuchen werde. Weiß die Dame überhaupt von seiner Existenz? Nein. Warum?

— Hab ich dir doch gesagt: zu aufdringlich.

Erstaunt verzieht er das Gesicht.

— Du siehst mich an wie jemand, der keine aufdringliche Mutter hatte, das ist alles.

Er besteht darauf, dass sie morgen dieses Treffen organisiert mit … – wie heißt sie eigentlich?

— Jaumette. Ja, schon gut, schon gut, ich weiß, wir haben alle Vornamen mit J. Tja, siehst du, genau das gehört eben zu ihrer Art, aufdringlich zu sein – dass sie mir einen Vornamen verpasst hat, der ihrem ähnelt. Und das Schlimmste weißt du noch nicht mal, aber das darf ich dir nicht sagen.

— Und du hast mir nicht gesagt, was sie von Beruf ist.

— Musikerin.

— Musikerin! Was für eine Ohrenfamilie! Welches Instrument?

— Geige. Sie spielt im Orchester der Region. Gut. Ich sage ihr nachher, dass du morgen vorbeikommst.

Sie zögert, aus dem Auto zu steigen, sie hat noch etwas zu sagen. Neugierig wartet er ab. Dann traut sie sich. Macht es Jodel Spaß, zu schwindeln oder etwas zu verheimlichen? Niemals. Aber vielleicht braucht er sich ja nie zu schützen? Denn in vielerlei Hinsicht ist die Situation eines Erwachsenen einfacher, hat sie häufig gedacht. – Genau. – Aber weniger aufregend. – Ohne jeden Zweifel. Also sie belüge regelmäßig ihre Mutter, ohne Schuldgefühle (zu aufdringlich) und sogar mit großer Freude. Sie erzähle ihr die unmöglichsten Sachen, wirklich zum Totlachen. Vor allem natürlich solche, die mit dem Hören zu tun hätten. Und Jaumette, die sehr wohl ein besonderes Ohr bei ihrer Tochter bemerkt habe, ohne aber zu ermessen, wie besonders, lasse sich auf den Arm nehmen. Im Übrigen sei es Jodel gewesen, durch den sie sich überhaupt erst ihres seltsamen Hörvermögens bewusst geworden sei. Bevor sie ihn getroffen habe, habe sie nur gewusst, dass sie nicht wie die anderen hört, ohne aber irgendetwas Genaues zu diesem Thema zu denken. Jetzt wisse sie es: Hyperakusie.

— Jetzt, wo ich dir von meiner Freude am Schwindeln erzählt habe, darfst du mich bei meiner Mutter natürlich nicht verraten.

— Kein Wort.

— Hm! Die Erwachsenen sind manchmal so blöd solidarisch. Ich weiß noch nicht, wie weit ich mich auf dich verlassen kann.

Er lacht, als sie aussteigt.

— Ach, sagt sie erstaunt, der Himmel ist heute Abend endlich wolkenlos.

Vom Rauschen und Rumoren der Welt

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