Читать книгу K(L)EINE T.RÄUME - Band 3 aus dem speziellen Genre der Medizinischen Belletristik - Ben A. Deyval - Страница 11

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Lovina Beach

Vereinfacht gesagt gab es zwei Gebäudetypen auf Bali: die festen, abschließbaren aus Beton und die aus Naturmaterialien wie Bambus, Schilf, Bananenblättern und Holz. Letztere waren luftige, lässige, fragile und wunderschöne Hütten, in denen man den tropischen Traum leben konnte – wenn man sich an all das Ungeziefer gewöhnte, das zu diesem üppigen Klima dazugehörte. Klimaanlagen funktionierten nur in geschlossenen Räumen, waren also in den Naturhütten der Balinesen sinnlos. Wenn überhaupt, so existierte ein Deckenventilator, und in Zeiten systematischer kollektiver Stromabschaltung, welche in tropischen Ländern aus verschiedenen Gründen vorkommt, bestand der allergrößte Luxus eines eigenen Heims darin, einen Kühlschrank und einen benzinbetriebenen Notstromgenerator zu besitzen.

Denises und Carstens Sumatrahütte im Reisfeld bei Pemaron – das heißt, es handelte sich ja eigentlich um die Wohnung von Tom und Helen – hatte zwar einen Kühlschrank, die Stromversorgung war jedoch wacklig. Denn die einzige Stromleitung wurde von einem abenteuerlichen Geflecht wirrer Kabel an der nächsten Straßenkreuzung abgezweigt und landete mit viel Glück irgendwie bei ihnen im Haus. Carsten hatte stets Angst, dass es einen Kurzschluss gab und durch Feuchtigkeit und elektrotechnische Improvisation die Hütte einfach über ihnen abbrannte. Gegen die Insekten gab es Geckos, die natürlichen Haustiere der Tropen. An die Geräusche, die sie machten – „Geck-ooo“, gelegentlich ein Quietschen und abruptes Rascheln im Schilfdach – gewöhnte man sich schnell. Allerdings sammelten sich deren Exkremente nachts gern auf dem feinmaschigen Moskitonetz, weswegen Denise sich doppelt in ihr Laken einwickelte und den Kopf unter das Kissen legte. Eingestehen wollte sie es sich nicht, aber sie ekelte sich gewaltig. Die Vorstellung, Geckoscheiße einzuatmen, ohne es zu merken, brachte sie mehr um den Schlaf als die Moskitos, die von außen gierig durch die Maschen des Netzes nach den nackten Menschenleibern rüsselten. Aber das mit dem Kühlschrank war der Hauptgewinn. Ein Gefrierfach in den Tropen förderte die Achtsamkeit, denn jeder Griff zum Inhalt musste wohlüberlegt sein, wenn mal wieder der Strom ausfiel, weil in den Bergen landunter war. Vor allem zur Regenzeit funktionierte oft gar nichts und die gelassene Art der Balinesen, mit Naturkatastrophen aller Art umzugehen, war beachtlich.

Die Tauchschule hingegen besaß gar nichts. Keinen Stromanschluss, keinen Kühlschrank. Künstliches Licht nach Sonnenuntergang war nur mit einer rußenden Petroleumlampe möglich, weswegen man rechtzeitig den Tag beenden und nach Hause zurückkehren musste. Die Pressluftflaschen wurden mit einem abgehalfterten Kompressor befüllt, für dessen Stromversorgung es ein sehr langes Kabel gab, mit dessen anderem Ende man sich zum nächstgelegenen restoran begab und gegen eine kleine Gebühr um Anschluss bat. Frischwasser für das kleine Tauchbecken zum Reinigen der Lungenautomaten wurde in Kanistern aus dem Park bei Lovina geholt, wo Einheimische Quellwasser aus Pumpen mit Handhebel zapften.

Eine weitere hart erkämpfte Errungenschaft war das Dixi-Klohäuschen, welches weiter oben an der Promenade stand und mit einem Vorhängeschloss versehen war, damit nicht jeder vorbeidiffundierende Tourist seinen Dreck dort hinterlassen konnte. Was wiederum dazu führte, dass bierselige und mit Drogen vollgepumpte australische Hippies das Ding im Furor ihres Frusts gelegentlich umwarfen.

Wegen dieser Unwägbarkeiten – kein Strom, kein fließendes Wasser und jeden Morgen als erstes zu kontrollieren, ob das Dixiklo noch aufrecht stand – wollte es nicht so recht Freude machen, erwartungsvolle Surf- und Tauchschüler zu bespaßen, die ihren wohlverdienten Urlaub mit Wassersport in türkisblauem Meer zu krönen gedachten. An moderne Unterrichtsmethoden mit Whiteboard und Tablet war nicht zu denken, die Schule erwies sich selbst für indonesische Verhältnisse als nahezu surreal archaisch. Kein Wunder, dass Tom und Helen Urlaub brauchten… Womit das Berliner Beamtenpärchen ebenfalls nicht gerechnet hatte, war die unverrückbare Tatsache, dass das Meer aus der Sicht aller Balinesen gründlich von Dämonen verseucht war. Meer war kelod, südwärts, schlecht und dreckig, verflucht und gefährlich. Allein das heilige Quellwasser, tirta, aus den Bergen im Inselinneren kommend, war rein genug, um den Fluch des Meeres aufzuheben. Jenes Wasser aus den Bergen, vor allem vom Gunung Agung, dem Sitz der Götter, galt als so rein, dass die Balinesen es unabgekocht tranken. Jeder Kontakt mit dem schmutzigen Meerwasser musste unbedingt vorher mit heiligem Wasser neutralisiert werden. Balinesen waren schon immer die Meister eines klugen Ausgleiches zwischen guten und bösen Kräften. Dummerweise bestand die Missachtung des Meeres auch darin, dass man ungeklärte Fäkalien achtlos ins Meer leitete, Schlechtes wurde einfach zu Schlechtem hinzugetan und weg war das Problem. Den Dämonen tat es nicht weh. Aus den Augen, aus dem Sinn.

Denise fand, die Dämonen von Lovina Beach bestünden vor allem in dem vielen Plastikmüll, der sich am Strand und in den Buchten sammelte und der zur optischen Aufbereitung eines optimalen Urlaubserlebnisses für die Touristen erst mühsam entsorgt werden musste, aber auf Bali war das Thema mit den Dämonen tatsächlich eine Frage von Leben und Tod. Carsten stellte sehr schnell fest, dass es ihn teuer zu stehen kam, die Tauchschule jeden Tag von einem ortsansässigen Magier, dem balian, oder einem Hilfspriester, pemangku, segnen zu lassen. Je mehr Tauchschüler, je schlechter das Wetter und je schlechter der Umtauschkurs des Dollar gegen indonesische Rupiah, desto teurer wurde der Preis. Die weißgekleidete Berufsgruppe der diversen mangku, pemangku und balian waren eindrucksvoll zugange mit ihren Zeremonien zu allen erdenklichen Anlässen. Sie sprühten heiliges Wasser mit wedelnden Handbewegungen von einem Ritualgefäß auf alles, was sich als schützenswert anbot: auf die Türbalken, die Fahrzeuge der Tauchlehrer, auf die Tauchausrüstung, die Surfbretter, Segel, die Riggs, auf anwesende Tauchund Surfschüler, die mit großen Augen ihre persönliche Segnung in Form von Reiskörnern empfingen, welche im Vorbeigehen auf ihre Stirn geklebt wurden. Es gab eine in Folie laminierte Preisliste, mit der sich der kleine, flinke pemangku so adrett lächelnd wie elegant Luft zufächelte, jedoch erwies er sich als äußerst kreativ im Auslegen der Regeln nach einem undurchsichtigen Modularprinzip. Jeden Tag war der Preis ein anderer. Carsten hatte den Eindruck, dass es von `unsichtbaren Geistern´ und ihrer Stimmung abhing, wie viel für die Beschwörung und Schutzrituale verlangt wurde. Für europäische Verhältnisse war es keine bedeutende Summe, etwa zwei bis vier Euro pro Durchgang, vierzigtausend Rupiah, aber der Mathelehrer sah schon alle Felle davonschwimmen, die Investition ein Jahr durchzuhalten ohne Möglichkeit, den Aufpreis auf seine hartnäckig feilschenden Touristenschüler abwälzen zu können. Nur wenn sich die Surfschüler bei ihm beschwerten, dass der Priester für ein Selfie mit ihm einen amerikanischen Dollar verlangte, riss ihm der Geduldsfaden. Carsten neigte dazu, alles hinzuwerfen, sich auf sein Mountainbike zu schwingen und einfach davonzufahren. In die Berge. Sollten die Leute doch sehen, wo sie blieben mit ihrem Zirkus. Das kam aber nicht allzu oft vor, meistens hatte er sich in der Gewalt und lächelte nur freundlich wie ein professioneller Balinese.

Denise ächzte, als sie am frühen Nachmittag die schmalen Sinker in den Bunker brachte. Das Bäuchlein war schon ziemlich im Wege, stellte sie fest. Vorbeugen ging nur noch mit Mühe und die Kleine im Inneren wehrte sich kräftig dagegen, in der ohnehin schon engen Gebärmutter eingeklemmt zu sein. Gymnastik auf dem Surfbrett – Wasserstart, Wende, Halse und viel erklären – fand das Baby hingegen anregend, seinen… ihren Bewegungen nach zu urteilen. Denise war froh, dass ihr die Zeit der Schwangerschaftsübelkeit erspart geblieben war. Sie hatte Appetit, fühlte sich kerngesund und in zwei Wochen würde Nero aus Berlin nach Bali kommen. Darum machte sich die Rettungsassistentin wenig Sorgen um die fehlenden Vorsorgeuntersuchungen. Es gab Wichtigeres zu tun, jeden Tag aufs Neue. Neben der Tauchschule auf niedrigen Stelzen war ein alter Betonbunker halb im Sand vergraben. Er hatte eine vergitterte Stahltür, die ähnlich wie das Dixiklo mit einem Vorhängeschloss abgesperrt werden konnte, um den natürlichen Schwund des Equipments der Schule zu verhindern. Das hatte zur Folge, dass jeden Morgen und jeden Abend, außer zu nyepi, alle Tauchflaschen, Jackets, Lungenautomaten, Bleigurte, alle Surfbretter und Riggs und Trapezhöschen, ja sogar alle Lehrbücher in wasserdichten Transporttonnen aus dem Bunker herausgeholt und wieder zurückgebracht werden mussten. In Zeiten, da kein sportbegeisterter Tourist um die Ecke kam, weil es regnete oder gerade kein Lehrkurs lief oder es schlicht keine Leute – auf Indonesisch orang-orang – von der Küstenstraße in ihren etwas abgelegenen Strandabschnitt verschlug, fühlte sich die ganze Arbeit buchstäblich `umsonst´ an. Die Tagespauschale zur Opferung und Segnung durch den Priester mussten sie natürlich trotzdem entrichten, verstand sich. Indonesier waren schon immer recht geschäftstüchtige Menschen; der Handel verband stets die unterschiedlichsten Kulturen.

Carsten schleppte die schweren Sachen, Denise die leichten. In jenen Momenten einträchtiger Gemeinsamkeit mochte er seine Freundin. Und doch haderte er bei jedem Handschlag mit ihrer Entscheidung, auf diese tropische Insel zu gehen.

„Denen war der Segen des Priesters scheißegal“, schimpfte er einen wackligen alten Bambustisch an, während er die Tonne mit den Lehr- und Leihbüchern für die Tauch- und die Surfkurse schulterte und vor dem nächsten Regenguss in Sicherheit brachte. Wer sollte sowas schon klauen!

„Wie meinen?“, fragte Denise, die bewundernswert geschmeidig an ihm vorbeiturnte, um sich zwei Jackets zu schnappen, „saya tidak mengerti.“

„Was gibt es daran nicht zu verstehen?“, antwortete Carsten dem vorwurfsvoll dreinblickenden Tisch, als hätte nicht Denise ihn geneckt, sondern ein kaputtes Möbelstück. „Beim Bau dieses Etablissements haben Tom und Helen aus Geldmangel keinen Exorzisten hinzuziehen wollen und jetzt rächt es sich für uns. Wir sind verflucht.“

„Komm, komm“, Denise war stehengeblieben und sah ihn erschrocken an, „du wirst mir doch nicht durchdrehen? Tropenkoller, mein Liebster… brauchst bisschen Bungabunga, Liebe machen oder so? Wir fahren gleich nach Hause und dann koch ich uns was Feines, ja?“ Denise war perfekt geworden im Beschwichtigen, Ablenken und Deeskalieren. Sie wusste genau, was ihrem Freund fehlte. Vor allem wollte sie nicht, dass er einfach abhaute, nach Hause flog und sie hier alleine zurückließ. Zuzutrauen wäre es ihm. Also ließ sie ihrem Partner keine Zeit für trübsinnige Gedanken und plapperte munter drauflos: „Weißt du, was mir Wayan erzählt hat? Wenn man ein Haus baut, muss es nach einem spirituellen Grundriss ausgerichtet werden, der den Makro- mit dem Mikrokosmos verbindet. Unsere Hütte im Reisfeld ist so gebaut worden.“

„Was du nicht sagst“, maulte Carsten, rollte die verschlossene Büchertonne auf der Plattform nach vorn und ließ sie in den Sand fallen. „Plopps“, äffte er den Klang nach, der beim Auftreffen aus dreißig Zentimetern Höhe – so hoch war die Plattform – auf den Strand entstand. „Nicht Klöng-Klöng, nicht orangorang, nicht pelan-pelan, sondern einfach nur plopps.“ Er sah und sprach die Tonne an: „Hörst du das auch, oder bist du taub?“

„Du redest mit der Tonne?“, fragte Denise amüsiert, setzte sich darauf, beugte sich vor und forderte einen Kuss ein. Sie wusste, dass sie ihm Gelegenheit gab, tief in ihren Ausschnitt zu gucken. Ihre Brüste waren durch die Schwangerschaft noch stattlicher geworden und sie wusste ihre Reize klug einzusetzen. „Rede lieber mit uns beiden, mit deiner Tochter und mir.“

Es wirkte mal wieder. Carstens schlechte Laune verflog so schnell wie sie gekommen war. Er lachte sie an und meinte: „Erzähl weiter. Was ist beim Bau der Tauchschule mit dem Feng Shui alles schiefgelaufen? Vielleicht können wir es reparieren?“

„Feng Shui ist ein chinesischer Begriff. Bie Balinesen sind Hindus, sie orientieren sich an Begriffen wie `heilig´ und `unheilig´. Sieh dich mal um. Die Tauchschule ist eine Art Reisscheune und steht auf neun Quadraten, die einer Lotosblume ähneln. Sanga mandala nennen sie es. Fällt dir was auf?“

„Hm. Die Lotosblume ist verwelkt?“

„Dusselchen, nein! Das Basisquadrat ist falsch ausgerichtet, das ist es.“

Der Mathelehrer in ihm war plötzlich hellwach. Carsten stapfte durch den Sand rund um das quadratische Gebäude aus Bambus, Stroh und Schilf herum, blickte zu den Bergen hoch, dann zum Meer und sagte triumphierend: „Kaja und kelod! Die Achse stimmt nicht!“

Denise ließ ihm die Freude, ein trigonometrisches Problem zu analysieren, brachte das Equipment zum Bunker und sah voller Vergnügen, wie ihr Liebster Berechnungen anstellte.

„Richtig, b´tul, so ist es! Ein undagi hätte verlangt, dass es um… dreißig Grad hätte gedreht sein müssen, damit die heiligen Energien vom Agung hindurchfließen können! Tom hat es einfach zum Penggilingan hin ausgerichtet, ohne den Berater zu fragen.“ Er sah Denise ernst an: „Meinst du, daran liegt es, dass wir so viele Moskitos in der Schule haben? Die Geckos meiden uns und das Ungeziefer vermehrt sich ungehemmt, sodass die Touristen wegbleiben. Ist es das? Ist das der Fluch, der auf uns lastet? Vielleicht hat auch das Klohäuschen damit zu tun…“

„Nun übertreib nicht gleich, Zieh-Es, Liebster, lass doch dem Zufall auch noch ein bisschen Raum. Dann muss man nicht alles in einen höheren Zusammenhang stellen und wird weniger anfällig für magische Manipulationen.“

„Unterschätze nie die magischen Praktiken von Naturvölkern“, sagte Carsten und kam sich weise und alt vor. Er scheuchte Denise herunter und hob die Büchertonne mit einer kraftvollen Bewegung hoch, als es begann, in riesigen Tropfen zu regnen. Das Wasser von oben war beides zugleich, nervig und willkommene kühle Abwechslung. Das Meer kochte, der Strand dampfte.

„Bali ist ein Kulturvolk“, belehrte Denise ihn lautstark über den Lärm der klatschenden Tropfen hinweg, „vergiss nicht: Sie haben eine uralte, kriegerische und sehr wechselhafte Geschichte und eine ausgefeilte eigene Religion.“

„Was du nicht sagst“, brummte Carsten und wischte sich das Wasser aus dem Gesicht, „saya mau pulang. Ich will nach Haus´, beeilen wir uns.“

„Huhuuuu, haaaallooooo!“, rief es mit heller Stimme zwischen den Kokospalmen von der Straße her. „Jemand hiehieeer? Kuuuckuuuck!“ Der Regenguss hatte aufgehört, die Sonne warf bereits wieder ein paar fahle Schatten und wärmte den Dunst auf.

Carsten und Denise sahen sich an. Ein breites, ja sehr breites Grinsen überfiel spontan ihre Gesichter. Kenny war wieder da, endlich. Ihnen wurde klar, wie sehr sie ihn vermisst hatten, seine verrückte, immer hyperaktive, stets präsente Energie, die unerschöpflich schien. Er hatte Harvey bei sich, der sein Kommen gerochen haben musste und sich mindestens genauso über sein Herrchen freute wie die beiden heimatlosen Berliner Beamten.

Der rothaarige, schlaksige Ire mit den immer etwas zu ausgefallenen Ideen bog kurzatmig um die Ecke der kleinen Tauchschule. Er schleppte etwas Schweres mit sich. „Hej, Süße, ich hab dir was mitgebracht“, rief er Denise zu, die sogleich neugierig angestapft kam. „Stets zu Diensten, Mylady, hier Ihre Lieferung! Frisch geschnitzt aus Ubud. Teakholz aus ökologischem Anbau, ist verdammt schwer.“ Er ächzte und hustete, als er die hölzerne Strandliege in den Sand stellte und mit sichtlichem Stolz „extra für unsere Schwangere“ aufklappte. Die Surfbretter waren noch nicht alle im Bunker verladen, aber Denise ließ sich mit einem Freudenschrei auf die bequeme Liege plumpsen.

„Super!“, lobte sie. „Hast du mir auch eine passende Auflage mitgebracht?“

„Aber klar doch, meine Hübsche“, schnurrte Kenny the Bear, „und noch viel mehr hab ich mitgebracht! Ich präsentiere…“ Er bückte sich nach vorn und trommelte mit den Fingern auf die geschnitzten Ornamente der Rückenlehne, drehte sich dann ruckartig mit einer ausladenden Armbewegung um hundertachtzig Grad und wies auf einen zweiten Mann, der vollbeladen um die Ecke kam: „…meinen Freund Satô Zuko.“ Voller Stolz fügte er hinzu: „Japaner, japp! Ein echter Samurai.“

„Yakuza bitte schön. Nicht Samurai“, klang es dumpf unter dem Haufen Polster, Decken und bunten Tüchern hervor.

„Hallo Satô“, sagte Carsten zu dem wandelnden Stoffberg, „kann ich dir helfen?“

„Zuko“, antwortete es aus dem Stoff.

Apa? Wie bitte?“, fragte Carsten irritiert.

Kenny intervenierte: „Satô ist der Nachname. Wird wie bei den Chinesen immer vorangestellt. Sein Vorname ist Zuko. Krieger des Lichts.“

Der Krieger unter dem Stoffhaufen drückte Carsten das quietschbunte Polster mit Obstmuster in die Hände, das als Auflage für die Strandliege gedacht war und sagte in geschmeidigem Oxfordenglisch: „Feind der Dunkelheit bedeutet der Name. Kenny findet `Krieger des Lichts´ aber erotischer. Ihr wisst ja wie er ist…“

Carsten und Denise lachten und nickten synchron.

„Im übrigen finden es Japaner nicht lustig, mit Chinesen verglichen zu werden. Wir haben unseren Stolz.“

Harvey, der hübsche Hund mit fliegenden Klappohren, den sie auf die Insel mitgebracht hatten, lief zwischen den Menschen hin und her und sprang immer wieder hoch vor Freude. Endlich was los hier!

Kenny rückte näher an Carsten ran und raunte: „Pssst, du bist doch Lehrer. Was ist ein Jukaza? Ich hab den Begriff bei Google nicht gefunden.“

„Yakuza meinst du? Ich glaub, das ist so eine Art japanische Mafia. Denen fehlt öfter mal ein Finger. Hat Zuko sie noch alle?“

„Zeig mal, darling“, sagte Kenny zu seinem Freund und ging auf ihn zu. „Haste sie noch alle?“

„Klar“, grinste der. „Schau mal, alle Finger dran. Und einen elften hab ich auch, wie du weißt. Und einen zwölften.“

„Einen zwölften? Finger?“, zeigte sich Kenny demonstrativ begeistert. „Zeig mal her.“ Bedeutungsvoll nickte er Denise zu.

Der durchtrainierte Japaner, der neben dem dürren Iren merkwürdig klein und breit aussah, warf Carsten den Stapel Tücher und Decken über, mit denen sie die Tauchschule schmücken wollten, griff in seine Hosentasche und holte… eine Pistole hervor.

„Ach du Scheiße“, zuckte Carsten zusammen, „was ist das denn? Ist das erlaubt?“

„Natürlich nicht“, flötete Kenny, „aber das braucht man schon mal. Rein optisch, natürlich. Zur Abschreckung. Ist nicht geladen. Oder, darling?

Who knows, wer weiß das schon“, antwortete Zuko, blickte auf den Schlitten seiner halbautomatischen Waffe und streichelte mit dem Daumen zärtlich über das Griffstück. „Eine Glock siebzehn, schön leicht.“

Denise blickte erst auf die Pistole und schließlich auf die martialischen Tätowierungen, die unter dem Muscleshirt des Japaners zu sehen waren. „Schick“, meinte sie kurz und nickte anerkennend.

„Stammeszeichen“, sagte Kenny stolz, „Familie Satô ist ein altes Adelsgeschlecht. Stimmts, sweetheart?

„Beinahe, Kenny, beinahe.“

Denise seufzte in gespielter Verzweiflung und räkelte sich auf der neuen Strandliege, sodass sich ihr Bauch dekorativ nach vorn wölbte. „Schade, jetzt bin ich nicht mehr dein sweetheart, Kenny, nein?“

Der Ire grinste. „Hab ich halt zwei, ist doch fein! Eine fürs Herz und einen fürs Bett.“ Bei Kenny konnte man nie sicher sein, ob er die Wahrheit sagte oder flunkerte. Er passte prima auf die Insel der Götter und hatte nun endlich einen aufregenden Partner an seiner Seite. Alles würde gut werden.

Als das Equipment und alles, was gestohlen oder `mitgenommen´ werden konnte, zum späten Nachmittag in bester Stimmung im Bunker verladen war, setzten sich die vier Menschen auf das Stelzenpodest der Schilfhütte und plauderten entspannt. Draußen schüttete es wie aus Eimern, überall tropfte es herab, aber nach der Reparatur war wenigstens das Dach dicht, wie Carsten zufrieden feststellte. Ein ereignisloser Abend lag vor ihnen, niemand hatte Pläne gemacht. Kenny rannte im Regen zu Zukos Jeep, mit dem sie die Möbel von Ubud herangekarrt hatten, und holte aus einer batteriebetriebenen Kühlbox zwei riesige Flaschen Bintang heraus, die sie in der Hütte kreisen ließen wie einen Joint.

Denise durfte nicht mittrinken. Sie befühlte mit der linken Hand den Stapel bunter Stoffstücke aus Ubud und tätschelte Harvey, der auf der anderen Seite neben ihr lag, mit der rechten Hand den Kopf.

Pockpockpock“, machte der Hundeschwanz auf den Holzplanken des Fußbodens. Harvey hechelte und schnappte nach einer Mücke.

„Schön“, lobte Denise die Tücher. „Damit kann man was anfangen. Wayan kann mir bestimmt sagen, wie man das drapiert. Notfalls muss ich noch nähen lernen. Braucht jemand einen Sarong für das nächste Tempelfest?“ Grinsend sah sie in die Runde. Sie wusste, dass die Männer es hassten, bei den Feierlichkeiten `Weiberklamotten´ tragen zu müssen. In den gewickelten Röcken, die mit einem Hüftschal zusammengehalten wurden, fühlten sie sich eingeengt, regelrecht gehbehindert.

Denise frotzelte: „Tja, Jungs, da wisst ihr wenigstens, wie es uns Frauen mit Röckchen und Hackenschuhen geht. Dann leb´ ich doch lieber am Strand oder im Reisfeld, hier sind Pumps kein Thema.“ Sie grinste breit und griff nach einem nachgemachten Billig-ikat. „Das Muster ist aber nicht balinesisch. Leute, habt ihr bei einem Australochinesen gekauft oder seid ihr einem Schwindel aufgesessen?“

„Chinesen, Chinesen, die gehen mir auf den Sack“, beschwerte sich der angetrunkene Zuko und goss sich mit ausgestrecktem Arm von oben in perfekt abgepasstem Strahl das Bier in den weit offenen Mund. Er musste nicht schlucken, weil er seinen Kehlkopf so beherrschte, dass die Flüssigkeit direkt in die Speiseröhre lief. Bei dieser Technik musste man nur eine Zeitlang die Luft anhalten können, dann war der Trick leicht zu lernen. Es sah beeindruckend aus, sobald man vergaß, dass Asiaten durch einen Enzymmangel in der Leber nur geringe Mengen Alkohol vertrugen.

„Chinesen sind fleißig und sorgen für Fortschritt auf der Insel“, sagte Carsten.

„Sie kaufen jede Bruchbude auf und machen einen Laden mit Massenware draus“, grummelte der Japaner, rülpste vernehmlich und gab die Flasche an Kenny weiter. „Verkaufen ihren Billigkram aus der Heimat als `traditionelle Handwerkskunst´. Bah!“, machte Zuko. „Alles geklaut. Sie stellen sogar Etiketten von den echten Waren her und kleben sie auf ihren Ramsch. China ist eine Kolonialmacht.“

Denise dachte an die Pistole und fragte sich, ob sie geladen war. Ein wenig neidete sie den Männern, dass die das leckere Balibier tranken, während sie nur das abgestandene Wasser aus der Plastikflasche zu sich nahm. Allerdings bekam man während einer Schwangerschaft einen Cocktail an Glückshormonen gratis, was auch nicht das Schlechteste war, fand sie. Im Überschwang der Gefühle mitten im prasselnden Regen fragte Denise Zuko leichthin: „Ist es nicht umgekehrt? Ich hab mal gelesen, dass die Japaner alles, was an chinesischem Lebensstil brauchbar war, übernommen haben. Von den Schriftzeichen bis zu Akupunkturnadeln. Sogar der Buddhismus war in China authentischer.“

Ups, das war wohl nix. Die Stimmung wurde merklich frostig. Zuko, der aufreizend breitbeinig dasaß, was auf Bali als Beleidigung galt, hielt mitten in seiner Bewegung inne und sah Denise kalt, fest und lange schweigend in die Augen, als würde er ihr telepathisch eine Antwort geben.

„Chinesen schmatzen. Japaner hassen das“, sagte er nur.

„Ja, schon gut“, gab sie schließlich nach, „hab´s verstanden. Falsches Thema.“ Sie konnte es jedoch nicht lassen, noch ein ganz klein wenig nachzulegen: „Meine balinesischen Freunde sind jedenfalls gar nicht gut zu sprechen auf Japaner. Und das sicher nicht nur, weil sie im Preis niemals verhandeln wollen und kein Trinkgeld geben.“

„Nun lass ihn doch in Ruhe“, griff Carsten beschwichtigend ein, „er ist doch gerade erst angekommen. Und hat uns die ganzen Möbel hergeschleppt!“ Der Mathelehrer versuchte Streit zu vermeiden und hielt Zuko die Bierflasche zum Ansto-ßen hin. Der Japaner wiederum löste sich aus seiner Starre, ging darauf ein, es machte „Klönk“ wie beim gamelan und plötzlich schien alles wieder gut. Entspannt, als wäre nichts passiert.

Betul, terima kasih“, sagte der Yakuza lässig in perfektem Indonesisch. „Stimmt, danke.“

Sama-sama“, antwortete Carsten mehr an Denise gerichtet als zum Japaner. „Gern geschehen.“ War nochmal gutgegangen. Der Mann, den Kenny angeschleppt hatte, konnte anscheinend gefährlich werden. Die Stimmung der Ausländer auf Bali wechselte so schnell wie das Wetter, alles wirkte instabil, flüchtig, vergänglich. Carsten hasste es.

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