Читать книгу K(L)EINE T.RÄUME - Band 3 aus dem speziellen Genre der Medizinischen Belletristik - Ben A. Deyval - Страница 8

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Lovina Beach

Der Hammer schlug ins Leere und fiel Carsten aus der Hand. „Aua!“, brüllte er wütend. Nicht weil er sich verletzt hatte, sondern weil er nun von diesem verdammten Dach aus Schilf und Palmblätterschindeln herunterkraxeln musste und sein Werkzeug einsammeln. Harvey schaute mitfühlend zu ihm hoch. Der fluchende Mann auf dem Dach sah aus wie ein Außerirdischer, ein Imker, mit seinem komischen Tropenhelm einschließlich Gazevorhang gegen die Mücken. Er hatte das Ding auf dem Flohmarkt in Berlin gekauft und darauf bestanden, es mit auf die lange Reise zu nehmen. In den Bergen donnerte es, aber über dem heute nur leicht vermüllten Meer schien großenteils die Sonne. Typisches Bali-Wetter.

„Wat kuckste so…“, knurrte Carsten, „wirf mir lieber den Hammer hoch“, aber der Hund antwortete nicht. Harvey hechelte in der Hitze und schien zu antworten: „Sortier doch erstmal dein Leben und räum auf, bevor du hier rumtobst.“ Den Spruch kannte Carsten Schobranz, genannt Zieh-Es!, bereits zur Genüge. Aber der Hund mit den klugen Augen schüttelte sich nur kurz, drehte sich um und trottete davon. Er hasste es, wenn seine Leute schlechte Laune hatten. Er würde stattdessen seine Kumpels suchen, bestimmt waren sie im Dorf bei den Hühnern. Wo auch sonst sollten Hunde zu finden sein?

Verdammte Hitze! Die Luft war so schwül, dass man sie mit der Machete schneiden konnte, wie man Bananenstauden abhackt. Die Haut war hier auf den Gewürzinseln ständig klebrig. Sie sagten, dass man sich dran gewöhnt und nach vier Wochen aufhört zu schwitzen, aber das stimmte nicht. Die Klamotten wurden nie trocken, alles schimmelte in der Regenzeit still vor sich hin. Carsten grummelte genauso still vor sich hin, kletterte mit schmerzenden Gelenken und frisch gegrillter Haut auf der improvisierten Leiter vom Dach der Tauch- und Surfschule herunter und suchte im hauchfeinen, aber glutheißen Sand seinen Hammer, den er hatte fallen lassen. Er hätte besser eine Arbeitshose mit Taschen anziehen sollen, aber es war so verdammt heiß! Er hatte lediglich die Wahl, gebraten oder gedünstet zu werden – und er zog das Braten vor. Wieder donnerte es in den Bergen bei Tigawasa. Die Gipfel der grünen Vulkane waren verhangen. Vereinzeltes Rumpeln kam auch vom Meer, wo sich nördlich von Java allmählich ein paar Ambosswolken aufbauten, aber hier am Strand brannte die Äquatorsonne noch gnadenlos auf alle horizontalen Flächen nieder. Wieder ächzte der Lehrer, als er den Hammer mit verbrannten Fingern aus dem Sand fischte – bei klarem Himmel mittags war der Strand ein riesiger Schamottstein – und setzte sich in den Schatten der kleinen Bambushütte, deren Dach er vor dem nächsten Regenguss reparieren musste. „Vielleicht hätte ich in Berlin bleiben sollen“, redete er vor sich hin. Carsten Schobranz war vor einem halben Jahr noch ein braver Beamter in Berlin gewesen. Verheiratet, zwei Stieftöchter geerbt, unsicher auf der Suche nach Glück und Abenteuer… aber doch nicht so etwas! Irgendetwas war schiefgegangen, hatte ihn mitgerissen, herauskatapultiert aus seinem ruhigen Dasein als Mathe- und Sportlehrer, sodass er hier gelandet war, als Tauch- und Surflehrer auf dieser magischen tropischen Trauminsel, auf der man laut mit sich selbst sprechen musste, um nicht verrückt zu werden.

„Wie bin ich hierhergekommen?“, fragte er ins Leere hinein, an irgendein imaginäres Gegenüber. Harvey war abgehauen, nirgends zu sehen. „Wann kann ich wieder nach Hause?“

„Noch lange nicht“, antwortete stattdessen der Hammer in seinen Händen, „erinnerst du dich? Du hast versprochen, die Tauchschule in Schuss zu halten, bis die Besitzer wieder da sind.“ Ach ja, stimmt. Die klebrige Hitze hatte ihm das Hirn zu Brei gebraten, zu Teig geknetet.

„Und Vater werde ich jetzt auch noch. Als wenn es nicht schon genug Probleme gäbe.“

„Na ja“, antwortete es aus dem Nirgendwo, „Ursache und Wirkung, mein Lieber. Du weißt ja, wie das ist mit den Bienchen und den Blümchen, nicht wahr? Bist schließlich Lehrer.“ Redete er mit sich selbst? Nur nicht verrückt werden. Nur nicht verrückt werden in dieser maß- und sinnlosen feuchten Hitze. Er griff hinter sich auf das Stelzenpodest der Hütte und holte die viel zu warme Plastikflasche mit dem Trinkwasser hervor. Dieser Plastikmüll, der überall herumlag, überall schwamm wie ein bunter Teppich, machte ihn irre. Balinesen unterschieden nicht zwischen organischem und anorganischem Müll und kippten einfach alles in die Schluchten oder warfen es achtlos ins Meer. Früher war das in Ordnung, denn das meiste war aus Naturmaterialien gefertigt. Buchstäblich alles, von den Opferschälchen über die Kleidung bis hin zu den Häusern, war entweder aus Stein, Bambus, Blättern, Schilf oder Tierprodukten gemacht. Das feuchttropische Klima sorgte dafür, dass ständig alles erneuert wurde. Überall wuchsen und wucherten Moose, Schimmelpilze, riesige Farnwedel, fleischige Sukkulenten, üppige Orchideen und reichhaltiges Obst. An der Küste wehte wenigstens ein kühlender Wind, aber die Luftfeuchtigkeit sorgte für das permanente Gefühl einer finnischen Sauna mit Aufguss. „Modrigem Aufguss“, sagte Carsten und der Hammer antwortete: „Apa…? Wie meinen?“ Irgendwie gingen Gedanken und Gefühle ineinander über, alles verschmierte, wurde eingesogen und verdaut von der Magie dieser seltsamen Insel.

„Ach nix“, murmelte Carsten, „tidak apa apa“, und trank in großen Schlucken die warme Brühe, von der er hoffte, sie enthielte nicht zu viele Bazillen. Man wusste nie, ob sie einem wiederaufgefüllte Flaschen mit unabgekochtem Gebirgswasser andrehten, weil es in den kleinen warung, den Kiosken am Lovina Beach, nicht üblich war, auf versiegelte Flaschen zu bestehen. Die Durchfallphase hatte er jedenfalls schon hinter sich, wenigstens das war nach einem Monat vorbei. Schwitzen tat er immer noch wie verrückt.

„Zum Verrücktwerden“, sagte der einsame Mann am Strand zu seiner Wasserflasche, die stoisch zurückglotzte, „wo bleibt eigentlich Denise so lange? Und wohin zum Teufel ist Kenny verschwunden, er wollte seit letzter Woche wieder aus Ubud zurück sein.“ Auch die Zeit dehnte sich unberechenbar aus, zog sich spontan wieder zusammen. „Wie ein Herz“, befand Carsten, „vielleicht ein Sonnenstich? Meine Logik lässt mich im Stich in der Sonne. Im Sonnen-Stich.“ Carsten kicherte. Kenny sollte endlich das große Werbeschild neu bemalen, das sich am Ausgang von Lovina Beach befand und die Touristen zu ihrer abseits gelegenen Tauch- und Surfschule lockte. Im Augenblick verirrten sich nicht einmal die wettergegerbten Strandverkäuferinnen hierher, von denen man nie wusste, ob sie Sarongs, Obst, Massagen an die Frau oder Sex an den Mann bringen wollten.

An einem einsamen Strand im Norden Balis in glühender Sonne zur Regenzeit klemmte sich also dieser Lehrer Schobranz aus Berlin einige Bambusrohre und ein riesiges ledernes Bananenblatt unter den Arm, steckte murmelnd den Hammer in den Hosenbund, nahm einige rostige Nägel zwischen die Zähne und wagte von Neuem einen wackligen Aufstieg auf das Palmblätterdach der kleinen maroden Hütte, in deren Besitz er vor vier Monaten gelangt war und die er jetzt notdürftig zu reparieren versuchte.

„Wie soll ich hier wegkommen?“ fragte er die Bambusleiter. „Fehlermeldung. Alles eine einzige Fehlermeldung.“ Morgen würde er mit dem Mountainbike in die Berge fahren, das war sein einziger Trost. Hoffentlich goss es nicht wieder in Strömen.

Das Quecksilber fällt, die Zeichen steh´n auf Sturm“, rezitierte es in ihm. Was war es noch gleich? Ach ja, das Lied aus den Neunzigern. Reinhard Mey, der im ach so freien Westen die Politik besang. „Nur blödes Kichern und Keifen vom Kommandoturm, und ein dumpfes Mahlen grollt aus der Maschine.“ Sein Magen fing an zu knurren. Sollte er wieder runtersteigen und ein paar der leckeren Rambutan herunterschlingen? Carsten entschloss sich weiterzumachen, nahm einen der Nägel aus dem Mundwinkel und fixierte mit einigen geschickten Hammerschlägen das große Bananenblatt über den kaputten Schilfschindeln. „…die Bordkapelle spielt Rumbatätärää und ein irres Lachen dringt aus der Latrine.

Ein würgendes Geräusch erreichte seine Ohren. Wieder einer der Hippies im Hibiskus, dem die Sonne auf den Kopf brannte und der dafür sein Bier hergeben musste. `An den Kotzgeräuschen die Nationalität erkennen´, dachte Carsten, `bald kann ich mich bei Wetten-dass anmelden. „Die Ladung ist faul, die Papiere fingiert, die Lenzpumpen leck und die Schotten blockiert, die Luken weit offen und alle Alarmglocken läuten.

Das konvulsive Würgen und Erbrechen nahm kein Ende. Wohl doch keine simple Biervergiftung mit Sonnenstich, sondern etwas Ernsteres?

Die Seen schlagen mannshoch in den Laderaum und Elmslichter… oder hieß es nicht Elmsfeuer? Was reimt sich auf Laderaum? Nochmal… Die Elmsfeuer züngeln… am… vom… Ladebaum? Egal. Doch keiner an Bord vermag die Zeichen zu deuten.

Das Würgen ging in ein Husten über. Der Lehrer auf dem Dach hörte, wie ein Feuerzeug klickte, das Husten wich einem tiefen inhalierenden Atemzug. Wohl doch nicht so schlimm. Weiter mit der Arbeit. Carsten war heilfroh über seinen Hut, selbst bei bedecktem Himmel konnte einen die UV-Strahlung kaputtspielen. Im Rhythmus der inneren Gesangsstimme hämmerte er die restlichen Nägel in die Bambusstangen. Fertig. Bald. Hoffentlich.

Der Steuermann lügt, der Kapitän ist betrunken, der Maschinist in dumpfer Lethargie versunken, die Mannschaft lauter meineidige Halunken, der Funker zu feig, um SOS zu funken…

K(L)EINE T.RÄUME - Band 3 aus dem speziellen Genre der Medizinischen Belletristik

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