Читать книгу K(L)EINE T.RÄUME - Band 3 aus dem speziellen Genre der Medizinischen Belletristik - Ben A. Deyval - Страница 13
ОглавлениеKuta Beach
Ähnlich wie Denise auf ihren neuen Strandstuhl aus Ubud warf sich Nero am Strand der Touristenhochburg Kuta auf eine freie Plastikliege und stöhnte so laut wie wohlig. Gestern waren sie und ihr Mann Henry vom Flughafen Denpasar aus direkt in eine kleine private Lodge, auch losmen oder Home-Stay genannt, eingezogen, hatten die Badesachen aus den Koffern gezogen und waren ins türkisfarbene Meer gesprungen. Mit Zwischenlandung in Singapur war das Paar jetzt mehr als dreißig Stunden unterwegs gewesen, sodass sie nach dem Bad zunächst einen ganzen Tag lang geschlafen hatten. Jetzt erst waren die beiden so weit, dass sie sich umsehen konnten, wohin sie überhaupt geraten waren, nachdem sie ohne lange Überlegung einen `Bali-Trip´ gebucht hatten.
Die Liege machte bedenkliche Geräusche unter dem Gewicht der kräftigen alten Chirurgin, aber sie hielt.
„Willst du nicht Denise anrufen?“, fragte Henry und breitete akribisch ein sauberes Handtuch auf der Liege aus, bevor er sich neben Nero unter den Sonnenschirm platzierte.
„Ach, lass mich doch erst einmal ankommen“, antwortete Nero. „Denise weiß, dass ich da bin und alles andere findet sich. Die Präventionslehre besagt zwar, dass man sich etwas vornehmen soll, wenn man in Rente geht, um keinen seelischen Einbruch zu bekommen, aber mir hat niemand geflüstert, dass mein beruflicher Cooldown und Neustart `ne halbe Welt weit weg von Berlin stattfinden wird! Nigeria ist erheblich näher dran am alten Leben, das ist schon ein verblüffendes Gefühl.“
Henry Seiler, ihr Ehemann, war ein gutmütiger Friese, seines Zeichens Dachdecker und vor allem ein technisch begabter Tüftler, der stets auf der Suche nach neuen Herausforderungen war. „Dem Indschenöhr ist nix zu schwöhr“, dieser Spruch hätte glatt von ihm stammen können. Stattdessen sagte er knapp: „Geiht nich gifft nich.“ `Geht nicht´, das gibt es nicht.
Der blasse Friese mit der bärtigen und bärigen Gestalt an der Seite seiner dunkelhäutigen Frau mit wilder Mähne hatte schon ein Objekt entdeckt, dass er von seiner Liege aus entspannt beobachten und technisch analysieren konnte: ein Wasserflugzeug, das in der Bucht vor Kuta, direkt neben der Startbahn des Flughafens von Denpasar gelandet war.
„Eine Twin Otter!“, staunte er. „und zwar ein Modell aus den Achtzigern! Dass die Dinger immer noch fliegen!“
Nero gähnte, rückte ihre Sonnenbrille zurecht und blickte zur Landebahn hinüber, die quer zur Landzunge aufreizend ins Meer ragte. Das Wasserflugzeug daneben, hinter der Paddelzone für die Wellenreiter, sah winzig aus.
„Ich wundere mich eher, dass du das auf die Entfernung so sehen kannst…“, meinte sie.
„Schau mal“, fing Henry an zu dozieren, während Nero bereits wieder die Augen schloss und döste, „zwei Propeller an typischer Stelle, Schulterdecker, klassische Form. Wie im Busch, nur mit Kufen statt Fahrwerk. Und an der Seite steht DHC-6. De Havilland Canada. Früher gab es die auch auf der Nordsee für die Inselhopper. Unverwüstlich, sag ich dir.“
„Ich weiß, ich weiß, das hast du schon oft gesagt. Du hast also genau auf diesem alten Buschflieger den Pilotenschein gemacht?“, fragte seine Frau und gähnte wieder, diesmal hinter vorgehaltener Hand. „Kannst du damit denn auch diese Wasserdinger fliegen?“ Nero grinste breit, denn sie wusste, was kam.
„Jaaaaa…“, meinte Henry, „in Deutschland musst du natürlich extra auf einem der Seen lernen. Und extra bezahlen. Ein Fahrgestell unterm Hintern fliegt sich doch etwas anders als die Schwimmer. Wusstest du, dass es die Twin Otter sogar mit Kufen für den Schnee gibt? Es käme auf einen Versuch an. Vielleicht…“
„…finde ich ja jemanden, der mich fliegen lässt“, ergänzte seine Frau.
„Geiht nich gifft nich“, nickte Henry zufrieden und hatte schon einen Plan im Kopf.
Die schlanke Strandverkäuferin, die viele Lagen an bunten Sarongs über der Schulter trug, einige aber auch auf ihrem Kopf balancierte, stellte den nackten Fuß gegen ein Bein von Neros Liege und trat kräftig dagegen. Es ruckelte. Unwillig knurrte die Chirurgin, die inzwischen eingedöst war, und drehte sich auf die andere Seite. Die junge Balinesin ließ nicht locker und sagte beschwörend auf Englisch zu Henry: „Kaufen. Schöne Sarongs kaufen. Gut Preis und gut Qualität.“
„Danke, wir haben schon“, sagte Henry und wies auf seine Frau neben sich, die in einen hübschen, handgewebten Kaftan mit nigerianischem Mosaikmuster gehüllt war.
„Afrika nicht gut Qualität. Echt Bali-Sarong gut Qualität“, radebrechte die Einheimische und würdigte Nero keines Blickes. Sie hypnotisierte Henry mit großen dunklen Augen, während sie provozierend mit dem Fuß an Neros Liege schaukelte. Sie hatte wunderschöne lange Haare, eine dichte schwarze Matte, die ihr gepflegt über den Rücken fiel. Henry schaute fasziniert auf ihren vollen, rotbemalten Mund und den ebenso roten Punkt auf der Stirn. Die Balinesin schien zu lispeln und jetzt sah er auch warum: Ihr fehlten die unteren Schneidezähne, sodass beim Sprechen immer etwas Luft entwich. Die Bewegungen waren anmutig, das Balancieren von Lasten auf dem Kopf gab den bronzehäutigen Schönheiten in der Stadt etwas schlangenhaft Elegantes, jedoch ließ die Zahnhygiene sichtlich zu wünschen übrig, nicht nur bei der Verkäuferin hier.
„Sarong mit schön Muster hier“, insistierte die Frau, ließ von Neros Liege ab und hielt Henry ein Tuch hin, „auch für Männer in Tempel, für Tempelfest. Musst haben, wenn du zu Fest willst.“ Henry sah fasziniert, wie sich Lippen und Zunge um die große Zahnlücke herumwanden. Er hörte nicht richtig zu, sondern lächelte die Balinesin lediglich freundlich an. Damit verhielt er sich, ohne es zu beabsichtigen, asiatischer als seine Ehefrau, die inzwischen aufgestanden war und sich in voller Größe neben der kleinen, zarten Einheimischen aufgebaut hatte. Nero war in ihrem bunten Kaftan höher, breiter und imposanter als die Balinesin mitsamt ihren vielen Tüchern auf dem Kopf und über den Schultern. Trotzdem schaffte es die Verkäuferin, Henrys Frau zu ignorieren und sprach nur mit dem Mann, der da unten auf seiner Liege lag: „Nur fünf Dollar. Tolong. Ich muss Sarong verkaufen, sagt mein Chef. Wenn nicht Geld mitbringe, dann meine Familie kriegt Ärger. Fünf Dollar, gut Preis.“
„Ich mach Ihnen gleich Ärger, wenn Sie nicht sofort verschwinden“, zischte Nero, „also dalli, lassen Sie meinen Mann in Ruhe und verziehen Sie sich! Aber pronto, capito?“
Die Verkäuferin vollführte eine ausnehmend elegante Drehung im heißen Sand, zog den Sarong weg, den Henry mit einer Hand lose ergriffen hatte und trippelte mit mädchenhaften Schrittchen weiter zur nächsten Liege mit dem nächsten Pärchen. Same procedure…
„Aber Schatz“, tadelte Henry lächelnd, „wir haben doch im Reiseführer gelesen, dass man sich auf Bali am besten gegen Händler wehrt, indem man nickt und freundlich lächelt.
„Ja. Du hast recht, die Gäule sind mal wieder mit mir durchgegangen. Anfängerfehler, werd´ mich bessern, versprochen. Mein verdammtes Temperament! Aber ich kann es nicht leiden, wenn eine dunkelhäutige Frau mich wegen meiner dunklen Hautfarbe verachtet. Weißt du eigentlich, dass es in den Supermärkten Hautbleicher zu kaufen gibt? Du hast übrigens vorhin den Kopf geschüttelt, als sie fragte, ob du den Sarong haben willst. Im Reiseführer steht, dass das `Ja´ bedeutet.“
„Oh, wirklich?“, fragte der Friese verblüfft. „War mir nicht aufgefallen.“ Er lachte auf: „Raffinierte kleine Wesen, die Balinesen. Hej, das reimt sich sogar. Sie sind so zart, ich mag ihre Art. Wir werden noch viel Spaß haben.“ Henry fand sichtlich Gefallen am Urlaub und das war gut so, denn die Chirurgin war sich nicht sicher, ob ihr Mann mit dem tropischen Klima zurechtkam. Aber er war wirklich unverwüstlich, das zeigte sich wieder einmal.
Nero ließ sich erleichtert auf die Liege plumpsen und nestelte an ihrer Kaftan-Tasche bis sie das Smartphone gefunden hatte. „Ich ruf mal unsere Süße an und frag´, wann wir uns sehen“, sagte sie. „Denise und Carsten sind schließlich schon länger hier und können uns dummen Flachlandchinesen vielleicht ein wenig kulturelle Übersetzungshilfe geben.“