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4 Aufgabenfeld (II): Vielfalt ohne ›diversity‹?
ОглавлениеDie Frage nach historischen Formen von Kulturalität führt zweitens zur Frage nach der Komplexitätsstruktur von Differenzmodellen des Wettkampfs. Auch hier eröffnet es neue Chancen, wenn man sich für verschiedene Formate von Vielfalt sensibilisiert. Versteht man Vielfalt als allgemeines Maß für irreduzible Differenz, so hält man sich zunächst offen, welche Ansprüche an formaler Kontextuierung damit verbunden sind – oder anders gesagt: ob solche Differenzen z.B. in mehr oder weniger engen Bezügen zusammengestellt, relationiert und ›verwoben‹ sind (im etymologischen Wortsinne von com-plexio und com-plicatio) oder eben aus solchen Bezügen entbunden sind. Versteht man den Begriff der Vielfalt also als Verhältnisse von Differenz und Kontext, lassen sich eine Vielzahl möglicher Spielarten profilieren. Als Diversität kann man so beispielsweise jene Fälle akzentuieren, in denen Differenzen nicht (oder zumindest weniger) unter den Zwang gestellt sind, in einem Zusammenhang miteinander verwoben, relationiert und dadurch von einer Form umfasst zu sein. Diversität ist damit ein Leitkonzept, das Vielfalt als »bloß[e] Verschiedenheit« auffasst: »ohne semantisch-axiologische […] Trennschärfe« und von normativen Zwängen eines Vergleichskontextes entlastet, aber dafür aus gemeinsamen Zusammenhängen gelöst.1 Mehr noch: Wo Vielfalt den Status von Differenz offen lässt, darf man im Namen von Diversität sogar davon absehen, ihren Kontext bestimmen zu müssen.2
Auf den ersten Blick sind dies feine Nuancen. Obgleich sich moderne Kulturbegriffe ausdrücklich auf Perspektiven der Diversität berufen, wird jedoch selten zwischen allgemeinen und besonderen Formansprüchen, zwischen verschiedenen Typen von Vielfalt und Diversität abgestuft. Wie selbstverständlich bevorzugt man Kulturvergleiche im Zeichen von Diversität, wenn man nach den Differenzen einer »heterarchisch geordneten Welt« jenseits von Einheitserwartungen fragt.3 Und nicht selten richtet sich das moderne Interesse an kultureller Diversität auch an Autoren des Mittelalters.4 Untersucht wurden Adaptationsprozesse romanischer und deutscher Hofkulturen,5 Konflikte von heroischen und höfischen Kulturmustern oder Hybridisierungen von religiöser und ritterlicher Kultur in Heiligenlegenden. Wo man nach Differenzlinien zwischen ›Geistlichem‹ und ›Weltlichem‹, ›religiöser‹ und ›säkularer‹ Kommunikation suchte, zeigen sich Differenzen konstitutiv verschränkt; an spätmittelalterlicher Literaturproduktion lässt sich die »Diversifikation städtischen Lebens« studieren.6 Ansätze dieser Art haben den Blick für Heterogenitäten und Eigenentwicklungen literarischer Diskurse des Mittelalters in hohem Maße geschärft. Doch verdeckt die Vielstimmigkeit theoretischer Konzepte kulturwissenschaftlicher Mediävistik mitunter Formate von Differenz, die auf Vervielfältigung, nicht aber auf Diversität zielen. Ausgeblendet werden dadurch beispielsweise Phänomene interner Vervielfältigung, die aus Formen der Selbst-Entgegensetzung hervorgehen.
Die mediävistische Forschung hat sie zumeist als Sonderfälle herausragender Gattungen oder Texte thematisiert, die in besonderer Weise Selbstreflexion forcieren, soziale Spielregeln dekonstruieren oder in Parodien zur Diskussion stellen. Gemeinsam ist solchen Fällen, dass sie die Vervielfältigung sozialer Kontexte und Kommunikationsformen nicht mittels negativer Ausgrenzungslogiken,7 sondern als internen Widerstreit organisieren. Die nachfolgenden Studien untersuchen solche Formen interner Komplexitätsbildung, mit der sich mittelalterliche Literatur ›in‹ ihren Welten »aus der Welt eines einsinnigen Sinns befreit«.8 Zu solchen Formen gehören nicht zuletzt auch Wettkämpfe, die diesseits von Diversitäts- oder Kontingenzperspektiven gleichwohl nach Darstellungsmöglichkeiten für Vielfalt suchen. Solche Möglichkeiten eröffnen nicht bloß Texte, die als besonders reflexiv, dekonstruktiv oder parodistisch gelten. Schwer sind jedoch die allgemeineren Formen solcher Vervielfältigung zu beschreiben, die gleichsam ›unterhalb‹ des Radars von expliziten Pluralismuskonzepten laufen, solange man modernen Diversitätserwartungen verpflichtet bleibt.