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5 Aufgabenfeld (III): Diesseits der Kulturen? 5.1 Zur Historisierung des Kulturkonzepts

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Besitzt das Mittelalter Kulturperspektiven? Eine solche Frage klingt entweder banal oder riskant. Banal, weil die Mediävistik ihre Gegenstände selbstverständlich als kulturelle Zeugnisse oder Artefakte beschreibt; riskant, weil in der Regel unausgesprochen bleibt, welcher spezifische Kulturbegriff jeweils in Anschlag gebracht wird und worauf dieser auf Objektebene genau gründet, wenn viele moderne Aspekte des Kulturbegriffs dem Mittelalter fremd sind.1 Dazu gehören nicht zuletzt Konzepte des kulturellen Pluralismus, die geradezu eine implizite Leitprämisse kulturwissenschaftlicher Forschung darstellen. »Die Beobachtung, dass die Lebensformen und Weltsichten der eigenen Gruppe nicht unbedingt auch diejenigen anderer Kollektive sind«, resümiert etwa Jürgen Osterhammel, »[…] steht am Beginn jeder möglichen Vorgeschichte der neuzeitlichen Kulturwissenschaften.«2 In einem wegbereitenden Essay hatte auch Uwe Steiner darauf hingewiesen, dass selbst begriffsgeschichtliche Lücken und Verschiebungen des Kulturkonzepts diesen pluralistischen Untersuchungsrahmen unberührt lassen:

Als Kultur noch nicht ›Kultur‹ genannt wurde, galt sie als das Ensemble der Formen, Techniken, Sitten, Gebräuche, Ideen, Werte, Konventionen usw., der natürlichen Entropie, den Annihilationskräften der natürlichen Zeit entgegenzuwirken und Stabilität zu erzeugen.3

So unscheinbar und geläufig die Metapher des Ensembles im Diskurs der jüngeren Kulturwissenschaften ist, so elegant übergeht sie die Frage, was Differenzwahrnehmungen von Ordnungen ›diesseits‹ von Kulturen organisierte. Frühe Ansätze vergleichender Kulturtheorie wie die Scienza nuova Giambattista Vicos beschäftigte hingegen ausdrücklich, wie die historisch unterschiedlichen Spielräume und Entwicklungen dieser Ensembles aufeinander zu beziehen seien. Noch Steiner hielt daher fest, dass Kultur ein Reflexionskonzept »historisch bedingter Kontingenz« benennt.4 Dieses Bewusstsein für historische Bedingungen und Formate von Kontingenz ist aus aktuellen Selbstbeschreibungen der Kulturwissenschaften nahezu verschwunden, die Kulturen »als immer schon pluralisiert«5 betrachten. Es ist schwer wiederzugewinnen, wenn man, getragen von politischen Motiven, kulturelle Sinnsysteme und Formen als immer schon vervielfältigt oder heterogen beschreibt.6 Dass es »›Kultur‹ nicht gibt, sondern nur ›Kulturen‹«, bildet so den Ausgangspunkt fast jeder kulturwissenschaftlichen Studie.7

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