Читать книгу Was Luther angerichtet hat - Bernd Rill - Страница 11
Der leidige Bauernkrieg
ОглавлениеEs war bedrohlich für die reformatorische Bewegung, dass sich politische und soziale Strömungen auf sie beriefen und damit Luthers Wort von der inneren Freiheit eines Christenmenschen auf die öffentliche Sphäre übertrugen, damit reine Lehre und politische Ordnung zur Übereinstimmung gelangten. Viel elementarer als bei Sickingen machte sich diese Tendenz im großen deutschen Bauernkrieg (1524/25) geltend, der den „gemeinen Mann“, worunter überwiegend die zu den Waffen greifenden Bauern zu verstehen waren, besonders in Schwaben, im Elsass, in Franken und in Thüringen zur Bildung von großen Heerhaufen hinriss.
Im März 1525 kamen in der kleinen Reichsstadt Memmingen, derer sich die Bauern bemächtigt hatten, die „Zwölf Artikel“ heraus, die die bäuerlichen Forderungen übersichtlich bündelten. Der antiklerikale Effekt trat auch hier hervor, da die Bauern neben ihren weltlichen fast noch mehr ihre geistlichen Herren aufforderten, ihnen ihre „alten Rechte“ zurückzugeben, die durch feudale Bedrückung beschnitten worden waren (was schon unter Kaiser Maximilian I. zu regional begrenzten Unruhen geführt hatte). Da hieß es zum Beispiel, dass es „unbrüderlich“ sei „und dem Wort Gottes nicht gemäß, dass der arme Mann nicht Gewalt hat, Wildbret, Geflügel und Fische zu fangen“. Auch: Rückgabe der Wälder an die ursprünglichen Besitzer, die Gemeinden, zur Versorgung mit Bau- und Brennholz, die Frondienste reduzieren „allein nach dem Laut des Wortes Gottes“, die Pachtgebühren verringern, und was an Beschwerden im bäuerlichen Alltag noch sein mochten.
Neu war, dass man sich zur Schaffung neuer Gerechtigkeit ausdrücklich auf das Wort Gottes berief, als auf das ewige Gesetz, das auch in den irdischen Angelegenheiten gelten sollte. Die Anrufung dieser Autorität wäre wohl ohne das Bestehen Luthers auf der Heiligen Schrift als oberster Verbindlichkeit nicht möglich gewesen. So wurde die Abschaffung der Leibeigenschaft gefordert, die „zu Erbarmen“ sei, „angesehen dass uns Christus alle mit seinem kostbarlichen Blutvergießen erlöst und erkauft hat, den Hirten gleich wie den Höchsten, keinen ausgenommen. Darum erfindet sich mit der Schrift, dass wir frei sind und sein wollen.“ Die Gemeinden sollen das Recht haben, ihren Pfarrer frei zu wählen. „Der Pfarrer soll das Evangelium lauter und klar ohne allen menschlichen Zusatz predigen, da in der Schrift steht, dass wir allein durch den wahren Glauben zu Gott kommen können.“
Die oben auszugsweise wiedergegebenen Forderungen waren revolutionär nicht ihres Inhaltes wegen, sondern wegen ihrer Legitimierung durch die Heilige Schrift, wie die Bauern sie eben verstanden. Den Rekurs auf das göttliche Recht hatten schon Wiclif und die Hussiten vertreten. Das verletzte „alte Recht“ war nicht etwa wiederherzustellen, sondern eine neue, die „göttliche“ Gerechtigkeit sollte etabliert werden. Brüderliche Liebe und der „gemeine christliche Nutzen“ waren der Leitstern einer besseren Gesellschaftsordnung, die die Vordenker der bäuerlichen Bewegung anstrebten und die man in ihren Einzelheiten nicht mehr recht aus dem Evangelium herleiten konnte.
Mit der Forderung nach gewählten, redlichen Predigern ging die nach Abschaffung der Klöster und Stifte einher, der Adel sollte seine Privilegien verlieren, wenn auch Grundeigentümer bleiben. In Tirol und Salzburg, wo ebenfalls Unruhen ausgebrochen waren, sollten die Herrschaftsrechte des Adels auf den Erzbischof übergehen, doch war gleichzeitig den Gemeinden und auch den Städten eine kräftige kommunale Autonomie zu gewähren. Es machten auch Vorstellungen die Runde, dass in größeren Territorien ein landständisches Regiment an die Seite des Fürsten treten oder diesen sogar einsetzen sollte, wie im Bistum Bamberg und im Herzogtum Württemberg – eine verfassungsmäßige Aufwertung und Absicherung des „gemeinen Mannes“ also.
Die „Christliche Vereinigung“ in Oberschwaben gab sich eine Bundesordnung, eine Eidesformel und eine Predigt- und Landesverordnung – Staatsaufbau von unten anstatt, wie herkömmlich, von oben, und die geistlichen Fürsten hätten in diesem keinen Platz mehr haben dürfen. Sonstige Obrigkeiten wurden durchaus respektiert. Denn die Obrigkeit war nach dem Römerbrief des Paulus (13,1) durchaus hinzunehmen, sofern sie sich – dies die aktuelle Auffassung anno 1525 – zur göttlichen Gerechtigkeit gemäß der Heiligen Schrift bekannte. Tat sie das nicht, konnte eine Pflicht zum Widerstand gegen sie entstehen, gemäß dem üblichen biblischen Gegenzitat zu dem Römerbrief, das aus Apostelgeschichte 5,29 zu entnehmen war: „Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen.“ Damit wurden die Pforten zu einer veritablen Revolution sichtbar. Der Kaiser sollte der Oberherr bleiben, aber im dergestalt fortbestehenden Heiligen Römischen Reich waren dem „gemeinen Mann“ feste konstitutionelle Rechte einzuräumen. Solche Überlegungen, die ebenso wenig wie die Memminger Zwölf Artikel zum allgemein verbindlichen Gut der gesamten Bewegung wurden, waren nicht schlechthin utopisch. Aber sie gingen unter im kurzen Krieg der miserabel ausgerüsteten Bauernhaufen gegen die professionellen Landsknechtstruppen der Status-quo-Mächte, der Fürsten, Bischöfe und der Reichsstädte. Zu Aberzehntausenden wurden die Bauern abgeschlachtet, im September 1525 war Schluss. In den Bistümern Würzburg und Bamberg nutzten die Sieger die Gelegenheit, um auch Anhänger Luthers hinzurichten, die mit dem Bauernaufstand nachweisbar nichts zu tun gehabt hatten. In Schwaben und Franken wurden vierzig evangelische Prediger aufgehängt.
Luther hatte die Zwölf Artikel abgelehnt, weil da soziale Forderungen, wie legitim auch immer an sich, als Glaubensartikel daherkamen. Das Gericht über frevelhafte Obrigkeiten sei Sache Gottes, nicht der Menschen. Darin war sich Luther mit der Mehrheit der evangelischen Theologen einig. Von altgläubiger und Status-quo-Seite wurde der Vorwurf erhoben, Luther und die Seinen hätten die Bauern aufgehetzt. Der große Humanist Erasmus von Rotterdam war subtiler, aber ebenso verdammend: Der Bauernkrieg sei die logische Folge von Luthers Bewegung. Erzherzog Ferdinand, des Kaisers Bruder und späterer Nachfolger, der dessen Geschäfte in Deutschland besorgte, sprach vom Bauernkrieg schlicht als von der „lutherischen Sache“.
Das veranlasste Luther zur Selbstverteidigung in der Form des Angriffs, zu seiner scharfen Schrift vom Mai 1525: „Auch Widder die reubrischen und mördischen rotten der andern bawren.“ Er ließ seinem starken polemischen Temperament die Zügel schießen: „Steche, schlage, würge hier, wer kann!“ Hinter solcher Ausfälligkeit stand jedoch seine Absicht der geistigen Erneuerung der Religion, die durch politische Radikalisierung nur verlieren konnte.
Sein klassischer Gegenspieler in dieser Auffassung war der Prediger Thomas Müntzer aus Stolberg im Harz, weshalb beide sich in gegenseitigen Schmähreden nichts schuldig blieben. Müntzer ging vom nahenden Ende der Welt aus. Das tat auch Luther, nach Paulus, 1. Thessalonicherbrief 5,2 – 3: „Denn ihr selbst wisset gewiss, dass der Tag des Herrn wird kommen wie ein Dieb in der Nacht.“ Aber er reagierte auf diese Ungewissheit mit Ergebung: „Wenn ich wüsste, dass morgen der Jüngste Tag wäre, würde ich heute noch ein Apfelbäumchen pflanzen“, soll er gesagt haben. Er hat ja auch im Juni 1525 geheiratet, als die Massakrierung der Bauern, deren Krieg man nach damaliger Mentalität als Vorboten des Jüngsten Gerichts auffassen konnte, immer noch andauerte, und damit ein Zeichen gesetzt, auch in apokalyptisch sozusagen verdächtiger Zeit menschliche Demut angesichts des Unerforschlichen zu üben.
Thomas Müntzer lebte jedoch in dem Glauben, die Menschheit auf das kurz bevorstehende Jüngste Gericht besonders vorbereiten zu müssen. Der Antichrist herrschte, die im Pfuhl der Sünde versunkene Obrigkeit, so Müntzer. Die Herrschaft des Antichristen war nach mittelalterlichen Vorstellungen, die Müntzer teilte, der Vorbote des Jüngsten Tages. Also mussten die Auserwählten Gottes sich vereinigen, um dem Weltenrichter geordnet gegenüberzutreten. Der nur äußerliche Kult der Altgläubigen war dazu ebenso untauglich wie die lutherische Bewegung, denn die klammerte sich an die Worthülsen von Bibel und Predigt.
Wenn die Obrigkeit, was sie Müntzer gegenüber in der Gestalt des Herzogs Georg von Sachsen ablehnte, am Ziele der Sammlung der Auserwählten, der die Ausrottung der Gottlosen parallel zu laufen hatte, nicht mitwirken wollte, war sie ihrerseits auszurotten. Für Müntzer waren die Thüringer Bauernhaufen die berufenen Werkzeuge Gottes, um die uneinsichtige Obrigkeit rechtzeitig vor dem Weltenende über die Klinge springen zu lassen. Eine schärfere weltliche Instrumentalisierung von Religion zur Gewinnung des apokalyptisch verstandenen Heils lässt sich nicht denken. Müntzer hetzte die militärisch unbedarften Bauern geradezu in den Tod gegen das Heer der Fürsten (Schlacht von Frankenhausen, 15. Mai 1525), weil er in seinem spiritualistisch hochgepeitschten Predigen die Beziehung zur Realität verloren hatte. Das war ein schlimmeres Vergehen als Luthers Invektive gegen die aufrührerischen Bauern.