Читать книгу Was Luther angerichtet hat - Bernd Rill - Страница 17
Die Reichstage von Speyer 1526 und 1529
ОглавлениеSo kam es zu Karls Konzession in Speyer, dass der Reichstagsabschied (Karl selbst weilte in Spanien) jedem Stand bezüglich des Wormser Edikts bis zu der weiterhin erhofften, allgemeinen oder nationalen Kirchenversammlung erlaubte, „so zu leben, zu regieren und es zu halten, wie er es gegen Gott und Kaiserliche Majestät zu verantworten sich getraue“.
Damit hatten die der neuen Lehre zuneigenden Landesherren einen Freibrief erhalten, bei sich neugläubige Landeskirchen einzurichten. Wie provisorisch die bleiben würden, hing von der Realisierungsmöglichkeit der angesprochenen Kirchenversammlung ab, die man sich ohne Teilnahme der Neugläubigen noch nicht vorstellen wollte.
Karls Nachgiebigkeit zahlte sich aus, da die Fürsten militärische Hilfe für Ungarn versprachen. Doch zwei Tage darauf, am 29. August 1526, verlor der ungarische König bei Mohacs gegen Süleyman Schlacht und Leben. Damit waren die bestehenden habsburgischen Erbansprüche auf Ungarn bedroht, auch Österreich selbst geriet in Gefahr.
Im Oktober 1526 hielt Landgraf Philipp zu Homberg eine Versammlung ab, die die Kirche des Landes neu ordnen sollte. Man verkündete die Einteilung in Pfarrbezirke, von denen ihr Pastor frei gewählt und auch bezahlt werden sollte, und die jährliche Abhaltung einer Synode, wo diese Pastoren mit Nicht-Pastoren aus jedem Pfarrbezirk zur Beschlussfassung zusammenkamen. Philipp mischte sich nicht ein und hieß das gut, denn damit war ein Kirchenaufbau von unten festgelegt, mit der Gemeinde als Keimzelle, wie man es für Luthers Auffassung hielt. 1527 wurde zu Marburg als Ergebnis des in Homberg verabschiedeten Bildungsprogramms eine Universität gegründet.
Luther zögerte mit seiner Zustimmung zum Aufbau der hessischen Landeskirche von unten her, einmal, weil er auch noch zögerte, eine eigene Kirchenorganisation ins Leben zu rufen, zum anderen, weil er, wenn schon dazu geschritten werden sollte, die Autorität der Fürsten dabei für unverzichtbar hielt. Die Pastoren waren von der hessischen Versammlung als „Bischöfe“ bezeichnet worden. Die vorhandenen Strukturen der überkommenen Bistümer, was die geistliche Organisation betraf, mussten ersetzt werden, was bei dem Mangel an qualifiziertem Pastoren-Personal ein ernsthaftes Problem war.
Seinen Kurfürsten bestimmte Luther, mit „Visitationen“ zu arbeiten, um die häufig dürftige Qualität der Geistlichen zu prüfen und zu verbessern, deren Verbindung mit der Seelsorge vor Ort zu festigen, den Kirchenbesitz zu inventarisieren und im Interesse des Landesherrn zu pflegen, denn seit die altgläubige Verwaltung aufgehört hatte, war da mancher Verfall zu beklagen. Die erste kursächsische Visitation dauerte von 1528 bis 1531, die Hessen folgten ihrem Beispiel, die erste Ordination von auf eine einheitliche Lehre hin ausgerichteten Pastoren fand 1535 statt. Luther hatte vom Priestertum aller Gläubigen gesprochen. Aber die Organisation von Seelsorge musste doch professionalisiert werden, damit Luthers Botschaft sich in dem erwünschten Ausmaße und zur Hebung des christlichen Bewusstseins im Volke verfestigte. Nur dass die Professionalisierung, wie sie dann in den Kirchenordnungen vorgeschrieben wurde, zu ihrer Krönung nicht mehr des Sakramentes der Priesterweihe bedurfte.
Die mit dem Bild einer evangelischen Kirchenordnung zu verbindenden Einrichtungen eines Konsistoriums als einer vom Landesherrn eingerichteten, kirchlichen Verwaltungs- und Justizbehörde oder eines Superintendenten für einen bestimmten Kirchenbezirk kamen erst nach dem Augsburger Religionsfrieden (1555) auf. In anderen evangelisch gewordenen Fürstentümern wie Lüneburg, Anhalt, der Markgrafschaft Ansbach, der Grafschaft Ostfriesland, den Herzogtümern Schleswig und Holstein sowie in Mecklenburg wurden ebenfalls Visitationen durchgeführt, auf deren Grundlage man Kirchenordnungen erließ.
Die Monate März und April 1529 sahen einen Reichstag, wiederum in Speyer. Karl V. hatte inzwischen in dem ihm durch die Liga von Cognac (siehe oben) aufgezwungenen Krieg große Erfolge errungen, wenn auch sein abschließender Sieg bei Landriano (Juni 1529, zwischen Pavia und Mailand) sowie der Friede von Cambrai (August 1529) noch ausstanden. Des Kaisers bekanntester Erfolg war der Einmarsch seiner Landsknechte in Rom gewesen (Mai 1527), mit darauf folgender grauenhafter Plünderung, die derart wirkte, dass auch schon behauptet wurde, das spätere, im Unterschied zum frivolen Renaissance-Treiben viel strengere, wenn nicht gar düstere Rom der Gegenreformation hätte aus dieser Verwüstung seinen Ursprung genommen.
Das Vergnügen der protestantischen Landsknechte an derlei Vandalismus war die eine Sache; die wichtigere andere Sache war, dass der Kaiser den Papst nun politisch entmachtet hatte und deshalb versuchen konnte, die Glaubens-Abtrünnigen in Deutschland aus eigener Initiative zum altgläubigen Gehorsam zurückzuzwingen, also die kirchlichen Zustände, die Frage von Reform und eventuellem Konzil, seinem eigenen Willen zu unterwerfen und damit seinen Vorgänger Sigmund und dessen Konzil von Konstanz zu übertrumpfen.
Auf dem Reichstag hatten die altgläubigen Fürsten eine Mehrheit, und natürlich wurden sie unterstützt von den geistlichen Fürsten. Die Konzession von Speyer 1526 sollte widerrufen werden, die Sympathisanten Zwinglis unter den Reichsständen (den Reichsstädten) waren sowieso ausgeschlossen. Dagegen protestierten, und von da leitet sich seitdem das Etikett „Protestanten“ her, Hessen, Kursachsen, Lüneburg, Anhalt und Ansbach. Zu ihnen standen viele Reichsstädte, auch altgläubig gebliebene, weil Speyer 1526 die konfessionelle Ruhe in Deutschland garantiert habe: Straßburg, Nürnberg, Ulm, Konstanz, Lindau, Memmingen, Kempten, Nördlingen, Heilbronn, Isny, Reutlingen, St. Gallen, Weißenburg, Windsheim. Darunter waren auch zwinglianisch geneigte.
Die Protestierenden appellierten an den Kaiser, der vor lauter großer Politik immer noch nicht anwesend war, und an die „nächste gemeine freie Versammlung der heiligen Christenheit“. Eine Minderheit verwarf in Sachen der Religion die Verbindlichkeit des Mehrheitsbeschlusses auf Ablehnung von Toleranz im Sinne von Speyer 1526 und auf Reaktivierung der Wormser Reichsacht. Damit erlitt auch die Autorität des Reichstages als einer Institution einen ernsthaften ersten Schlag, wie es bis zu der Konfrontation des Dreißigjährigen Krieges noch mehrere geben sollte, bis hin zur endgültigen Funktionsunfähigkeit des Reichstages in Regensburg 1613. Die Hoffnung auf die Wiederherstellung religiöser Einheit war deshalb immer noch nicht untergegangen, aber die Entwicklung brachte eine weitere Verfestigung des Dissenses. Das zeigte sich erneut auf dem Reichstag zu Augsburg 1530.