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Die Reformation breitet sich aus

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Voraussetzung dafür, dass die Institutionalisierung erforderlich wurde, war die Unwiderstehlichkeit der weiteren Ausbreitung von Luthers Lehren nach dem Reichstag zu Worms. Ein Mittelpunkt blieb das Kurfürstentum Sachsen, wohin viele Luther-Sympathisanten flohen, die anderswo verfolgt wurden. Im September 1522 erschien Luthers auf der Wartburg erstellte Übersetzung des Neuen Testaments im Druck, in zeitgenössischer Sprache gehalten und desto wirkungsvoller. Ab 1523 begann eine umfassende, nicht nur von Luther selbst bestrittene Produktion von Kirchenliedern für die neu zu schaffenden Gemeinden, die der Reformator als Grundzellen der „äußerlichen“ Kirche ansah.

Die Augustiner-Brüder in Thüringen und in Sachsen verließen ihre Klöster, die Nonnen taten es ihnen nach, es wurde viel geheiratet, weil man den Zölibat ablehnte. Franziskaner, Dominikaner, Benediktiner, Karmeliter und andere Orden verzeichneten ebenfalls einen starken Schwund. Die Bettelmönche kamen in Misskredit, denn denen Almosen zu geben, das sah zu sehr nach den „guten Werken“ aus, die in Luthers Lehre als unerheblich für die Rechtfertigung vor Gott galten. Die – nennen wir sie so – „Neugläubigen“ zogen die Klostergüter ein, die, sofern ihre Verwendung auf ehrliche Weise erfolgte, für den Bau und Unterhalt von Kirchen sowie für die Besoldung der Pfarrer verwendet wurden, auch für die Armen, die wirklich bedürftig waren und nicht nur als träge Bettler galten.

1518 hatte Luther die Universität Wittenberg in seinem Sinne reformiert. Im selben Jahr gewann dort Philipp Schwarzerdt aus Bretten, gräzisiert „Melanchthon“, den neu eingerichteten Lehrstuhl für Griechisch. Er wurde einer der engsten Mitarbeiter Luthers, war vorsichtiger und diplomatischer als dieser, glänzte in Philologie sowie mit der Kenntnis der antiken und mittelalterlichen Philosophie und war ein weitsichtiger Bildungspolitiker. Das trug ihm den Ehrentitel des „Praeceptor Germaniae“ ein. Man kann sagen: Melanchthon machte den Idealismus Luthers, der eine geläuterte christliche Gesellschaft anstrebte, praktikabler.

Luther hatte 1524 ein Sendschreiben „an die Bürgermeister und Ratsherren aller Städte deutschen Landes, dass sie christliche Schulen aufrichten sollen“ verfasst. Dabei dachte er nicht nur an die Ausbildung von Geistlichen seiner Richtung, sondern durchaus auch an weltliche Gelehrsamkeit. Denn vor allem zum Regieren bedürfe man der Gelehrten und in der Geschichte Erfahrenen. Bibliotheken sollten gegründet werden, neben der theologischen Literatur auch für die freien Künste, für Recht und Medizin, Chroniken und Historien, „denn sie seien nütze, Gottes Wunder und Werke zu sehen“. Melanchthon ging davon aus, dass Frömmigkeit von einem gediegenen klassischen Kanon begleitet sein müsse und war damit keinesfalls nur eine einzelne Figur in der großen reformatorischen Bewegung zur Hebung des Bildungsstandes in der Bevölkerung insgesamt.

Die Reichsstadt Nürnberg, mit Ulm, Augsburg und Straßburg die bedeutendste in deutschen Landen, war nach einer Diskussion zwischen Alt- und Neugläubigen im Rathaussaal am 3. März 1525 endgültig zum Luthertum abgeschwenkt und lud Melanchthon ein, eine höhere Schule nach seinen Vorstellungen zu errichten. So entstand 1526 das, offiziell aber erst seit 1933 so genannte, „Melanchthon-Gymnasium“ als erstes – später so bezeichnetes – „Humanistisches Gymnasium“ in Deutschland. Auch anderswo wurden Lateinschulen und höhere Lehranstalten gegründet, so 1539 das „Gymnasium illustre“ in Straßburg. Der Pommer Johannes Bugenhagen machte sich um Einführung und erste Reglementierung der Reformation fast in ganz Norddeutschland verdient; auf ihn gingen die Gymnasien in Hamburg (1529), Lübeck (1531) und Schleswig (1542) zurück.

Der Nürnberger Rat hatte sich der Reformation nicht nur aus Sympathie angeschlossen, sondern auch, weil er sie als eine Bewegung in der Bürgerschaft wahrnahm, die an ihn ganz neuartige Forderungen stellte. Die Gefahr der ernsthaften Beeinträchtigung von öffentlicher Sicherheit und Ordnung, auf denen die Leistungsfähigkeit des städtischen Wirtschaftssubjektes aufbaute, war mit dem Vordringen der neuen Lehre verbunden, wenn es tumultuarische Züge annahm. Also schien es dem Rat besser, sich an die Spitze der Bewegung zu stellen. Da war die „Reformation von oben“ die Reaktion auf und der Abschluss der „Reformation von unten“.

Überhaupt waren die Städte besondere Pflanzstätten der Reformation, denn dort konnten mehr Leute Luthers Flugschriften lesen, und Gruppen, etwa die Handwerker, nahmen die neue Lehre zum Ausgangspunkt, um ihre Mitwirkung an politischen Entscheidungen durchzusetzen, von denen sie bis dahin ausgeschlossen gewesen waren. Die propagierten höheren Lehranstalten im neuen Geiste hatten in den Städten ein zahlreicheres Publikum als auf dem Lande. Die Autorität des Stadtregiments wuchs insgesamt. Denn nun waren die Geistlichen kein eigener Stand mehr, sondern Bürger wie die Laien; mit der Auflösung der Klöster verschwand deren bis dahin abgeschotteter Rechtsraum, und bischöfliche Eingriffe in städtische Verwaltung und Gerichtsbarkeit, ein Streitthema schon seit langer Zeit, wurden unterbunden.

Nur 14 der 78 Reichsstädte (Stand im 16. Jahrhundert) blieben dem alten Glauben treu, wobei religiöse und pragmatische Gründe kaum zu trennen waren. So gingen die Stadtväter von Überlingen rigoros gegen Anhänger Luthers vor, sobald sich diese zu regen begannen, und blieben katholisch, weil sie ihren Handel mit den und durch die sie umgebenden habsburgischen Gebiete nicht gefährden wollten. Die Kölner Reichsstädter brauchten den Austausch mit den Niederlanden, deshalb hielten auch sie sich zurück. Im Sommer 1529 wurden die Reformierten aus der Reichsstadt Rottweil vertrieben, weil der Kaiser gedroht hatte, sein Landgericht dort abzuziehen, das als Relikt aus den Zeiten übrig geblieben war, als die Kaiser noch Herzöge von Schwaben waren und dort dem Reiche Güter gehörten.

Was Luther angerichtet hat

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