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Der Mann aus der Wüste

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Das war nun doch eine Überraschung. Ein Mensch, der aus der Wüste kam. Wie war das möglich? fragte sich Adam.

Und mit jedem Schritt, den die Gestalt näherkam, wurde es deutlicher, es war ein Mann. In offenbar rüstigem Alter. Etwas merkwürdig gekleidet, wie Adam fand. Er trug ein langes, dunkelbraunes Gewand, an den Füßen Sandalen, um den Kopf ein weißes Tuch. Über die Schulter hatte er eine Art Beutel gehängt, und in der rechten Hand führte er einen knorrigen Stecken. Sein Gesicht, braungebrannt, mit einer spitzen Nase, einem gekräuselten schwarzen Bart, schien Adam nicht unfreundlich. – Was ihn jedoch in einige Verwirrung stürzte, war, dass der Mann älter zu sein schien als er selbst. Und das bedeutete, dass er, Adam, nicht der erste Mensch war, den Gott erschaffen hatte?

Abel fragte: „Kennst du den Mann, Vater?“

Und Adam antwortete: „Wie sollte ich ihn kennen, Abel? Wir hatten noch niemals Besuch in Eden.“

Unwillkürlich legte er seinen Arm um Abels Schultern.

Und als nun der Mann aus der Wüste bei ihnen angelangt war, wusste Adam nicht recht, was er sagen sollte, noch nie hatte er zu irgend jemandem Begrüßungsworte gesprochen.

Schließlich gab er sich einen Ruck und sagte: „Willkommen, Fremdling, im Garten Eden.“

Er fand, es klang vielleicht etwas geschwollen. Und die Bezeichnung Fremdling schien ihm, möglicherweise, ein wenig gewagt.

Der Ankömmling jedoch lächelte milde.

„Gott zum Gruß, ihr beiden! Habe ich also die Oase gefunden, die ich zu finden hoffte.“

Adam war leicht verdutzt. Gott zum Gruß? Oase? Die er zu finden hoffte?

Er hielt es für das Beste, sich dem Fremden erst einmal vorzustellen. Und also sagte er:

„Ich bin Adam. Und das ist mein Sohn Abel.“

Der Mann nickte wohlgefällig und sprach:

„Und ich nenne mich El-Iblis.“

Adam nickte seinerseits, wusste aber mit dem Namen nichts anzufangen.

„Und woher kommt Ihr?“

„Aus dem Land im Osten.“ Er wandte sich kurz um in die Richtung, aus der er gekommen war. „Aus dem Land der Morgensonne.“

Nun war es Abel, der fragte:

„Es gibt also ein Land hinter der Wüste?“

„Aber ja, Abel.“

„Und wie heißt das Land?“

„Es heißt Nod.“

„Und im Land Nod leben auch Menschen, so wie wir hier im Garten Eden?“

„So wie ihr hier?“

Der Mann aus dem Land Nod schmunzelte.

„Du stellst knifflige Fragen, Abel. Ich bin ja gerade erst bei euch angekommen.“

Was war an der Frage knifflig? dachte Adam. Dem Mann aus dem Land Nod schien es zu gefallen, ein bisschen geheimnisvoll zu tun.

„Ich denke, Ihr hattet einen langen Weg“, sagte Adam. „Ihr werdet durstig und hungrig sein. Ich schlage vor, wir gehen erst mal zu unserer Hütte. Ihr werdet staunen, was für ein schönes Haus wir haben. Dort werdet Ihr auch meine Töchter kennenlernen, Lebuda, Zippora und Bitja. Außerdem habe ich noch einen zweiten Sohn, Kain, meinen Erstge-borenen. Er ist im Moment bei den Feldfrüchten.“ Er gab Abel einen leichten Klaps auf die Schulter. „Lauf, Abel, und sag Kain, wir haben Besuch.“

Abel lief los, wenn auch ein wenig widerwillig, wie es Adam schien; er hätte dem Besucher aus dem Land Nod wohl gern noch einige Fragen gestellt.

Adam sah seinem Sohn nach und lächelte stolz.

„Ein lieber, kluger Junge“, sagte er. „Er hütet die Schafe. Aber ich bin auch auf Kain stolz. Der sich die Erde untertan macht.“

Adam beobachtete aufmerksam seinen Gast. Aber über das Wort „untertan“ schien er sich in keiner Weise zu wundern.

Er sagte: „So ist es recht, Adam, dass Ihr auf Eure beiden Söhne stolz seid. Und eine Frau habt Ihr sicherlich auch?“

Da musste Adam lächeln. Was für eine Frage für einen so weit gereisten Mann!

„Aber ja“, sagte er. „Wie sollte ich keine Frau haben, da ich doch Kinder habe. Meine Frau – sie heißt Eva – ist ein braves, treusorgendes Weib.“ Adam hatte noch mehr lobende Worte für Eva auf der Zunge, wollte aber nicht allzu sehr vorgreifen; sollte der Fremdling aus der Wüste sich doch selbst überzeugen; deshalb war er ja wohl gekommen.

„Ich denke, wir gehen dann mal“, sagte Adam.

Er wollte seinen Gast über die Weidewiese führen, um ihm die Schafe zu zeigen, die Kokospalmen, die Feigen- und Orangenbäume, die so prächtig gediehen, doch sein Gast, ohne groß zu fragen, schlug den schmalen Waldweg ein, weil er, wie er sagte, nach der langen Wanderung durch die glutheiße Wüste im kühlen Schatten gehen wollte.

Das leuchtete Adam ein. Und doch verstärkte sich in ihm der Verdacht, dass sich der Herr auskannte in Eden.

Und so tauchten sie denn ein in den schattigen Wald, schritten über Moose und Flechten, begegneten allerlei Tieren, die überrascht zu ihnen auf beziehungsweise herabzublicken schienen und dann aufgeregt davonsprangen und -flogen, um im Wald, so konnte man meinen, die frohe Nachricht eines lang ersehnten Besuchs zu verbreiten. – Mit jedem Schritt, den sie auf dem Waldweg vorankamen, wurde Adam unbehaglicher zumute. Warum nur konnte er sich nicht erinnern, wie Gott, der Herr, ausgesehen hatte an dem Tag, als er ihn und Eva erschaffen hatte? Es war wohl schon zu lange her.

So gingen sie also durch den Wald, und es geschah, wie es geschehen musste. Sie gelangten alsbald zu der kleinen Lichtung in der Mitte des Gartens.

Und der Fremdling aus der Wüste blieb stehen, betrachtete den Baum des Lebens, betrachtete den Baum der Erkenntnis – und Adam hielt unwillkürlich den Atem an, er musste an die Schlange denken, vor der Eva vor Jahren davongerannt war, nachdem jene zu ihr gesprochen hatte.

An dem Baum des Lebens zeigte der Fremdling, was Adam nicht überraschte, kein sonderliches Interesse, umso mehr an dem Baum mit den rotbäckigen Äpfeln.

„Was für herrliche Früchte!“ sagte er. „Mir scheint, sie sind überreif. Warum erntet ihr sie nicht?“

Ja, warum wohl? dachte Adam. Sollte der Herr das nicht wissen?

„Weil sie ungenießbar sind“, antwortete Adam.

„Ungenießbar?“

Der Fremdling lächelte, scheinbar ungläubig. Und dann trat er, auf seinen Stecken gestützt, wahrhaftig unter den Baum, streckte den linken Arm aus und pflückte einen der Äpfel.

Und Adam dachte: Jetzt wird es ernst.

„Die Äpfel“, sagte er, „sind nicht nur ungenießbar, sie sind giftig!“

Der Fremdling sah ihn an. „Habt ihr davon gekostet?“

„Natürlich nicht!“ beteuerte Adam. Und er dachte: Sonst stünde ich ja jetzt nicht vor Euch.

Sein Gast schien erstaunt. „Woher wißt ihr dann, dass die Äpfel giftig sind?“

Adam war nahe am Lachen. Der Herr wollte ihn offenbar auf die Probe stellen.

„Weil Gott, der Herr, es so gesagt und bestimmt hat.“

„Gott, der Herr...?“

„Na, ich glaube, Ihr habt schon von ihm gehört. Ich denke da an Eure Begrüßungsworte...“

Der Mann aus der Wüste aber betrachtete, anscheinend immer noch ungläubig, den rotbäckigen Apfel in seiner Hand. – Und Adam dachte: Was, wenn er jetzt hineinbeißt und nicht tot umfällt? Dann hat der Herr sich zu erkennen gegeben!

So standen sie einander gegenüber, und Adam konnte nicht ahnen, dass ihn im nächsten Moment eine noch viel größere Überraschung erwartete.

„Nun ja“, sagte sein Gast schließlich, „auch wir im Land Nod haben freilich von Gott, dem Herrn, schon gehört. Und wir wissen: Gott ist allmächtig.“ Er machte eine kurze Pause. „Gott sieht alles, Gott hört alles, Gott weiß alles. Gott vermag alles. Er allein weiß, was gut und böse ist. Gott, der Herr, hat die Welt erschaffen.“

Da verschlug es Adam nun doch die Sprache. Und er musste seine ganze Geisteskraft aufbieten, um zu begreifen, was er vernommen hatte. Es war so geheuerlich. So ungeheuerlich groß! Es kam ihm vor wie eine Offenbarung. – Wenn es stimmte, was der Herr aus dem Land Nod sagte, dann wusste er, Adam, jetzt, wer Gott war.

Sein Gegenüber lächelte scheinbar belustigt.

„Ich sehe, ich habe Euch ein wenig verwirrt. Das tut mir leid. Ich vermute, ihr habe auch noch nichts von den himmlischen Heerscharen gehört?“

Adam, abermals überrascht, blickte – wie er es seit geraumer Zeit zu tun pflegte, wenn er in Verlegenheit geriet – hinauf zum Himmel, wo aber, wie schon den ganzen Tag über, kein einziges Wölkchen zu sehen war.

„Himmlische Heerscharen?“ sagte er.

Und sein Gast, seltsam vergnügt, lachte:

„Das sind die Engel, die Cherubim, die Dämonen, der Satan. Gewöhnlich kann man sie mit bloßem Auge nicht sehen. Aber sie sind ständig unterwegs. Besonders hier unten auf der Erde. Allen voran der Erzbube, Widerredner, Weltzerstörer, Gotteslästerer. Aber fürchtet Euch nicht, Adam, ich bin ja bei Euch.“

Der Mann aus der Fremde betrachtete wieder den Apfel in seiner Hand. Und dann plötzlich streckte er den Arm aus und hielt ihm, Adam, den Apfel hin und sprach:

„Und wenn ich euch nun sage, ihr werdet, wenn ihr davon esset, keineswegs des Todes sterben, sondern euch werden die Augen aufgetan, und ihr werdet sein wie Gott und wissen, was gut und böse ist?“

Adam erstarrte.

Ihn schwindelte. War das jetzt wieder in der Mehrzahl gesprochen? Jedenfalls hatte der Herr aus der Wüste, der Mann aus dem Land Nod, der Fremdling, der sich El-Iblis nannte, genau die Worte benutzt, mit denen die Schlange zu Eva gesprochen hatte (und die er selbst einmal meinte aus den Zweigen des Baums vernommen zu haben).

Adam wich unwillkürlich ein paar Schritte zurück.

„Ich denke, wir sollten jetzt weitergehen“, sagte er.

Der Wüstenmann ließ den Apfel zu Boden fallen.

Irgendwie schien er enttäuscht.

Adam kehrte sich ab und ging entschlossen zurück auf den Waldweg, der nun direkt zum Fluss, zur Uferwiese, zu ihrer Hütte führte.

In Adams Kopf indes wirbelten wie wild die Gedanken. Wer war der Mann, der hinter ihm ging, wirklich? Weshalb war er gekommen? Um ihn auf die Probe zu stellen? Um ihn zu verführen? Um ihn wissen zu lassen, wer Gott ist? Wer dieser Satan ist?

Adam dachte unwillkürlich an Eva, an seine Töchter, an seine Söhne. Wie werden sie sich verhalten, was werden sie denken von dem fremden Mann in dem sonderbaren langen Gewand, wenn er anfängt zu erzählen von seinem Land Nod, wo man offenbar nicht mehr im Ledenschurz herumläuft.

Und mitten im Wirbel seiner bangen Gedanken wurde Adam plötzlich gewahr, dass er hinter sich nicht mehr die Schritte hörte.

Er fuhr herum – und fand sich allein auf dem dunklen Waldweg.

Adam und Eva

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