Читать книгу Adam und Eva - Bernd Schremmer - Страница 12

Eine Geschichte mit Folgen

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Für Adam begann eine schwierige Zeit.

Schon in der Nacht, als er allein am Feuer saß, hatte er eine Art Vorahnung. Er fragte sich, ob er wirklich allein war? Irgendwie fühlte er sich beobachtet. Vielleicht war der Wanderer aus der Wüste ja gar nicht verschwunden war, vielleicht befand er sich immer noch in Eden.

Adam wusste sich keinen Rat, wie er seine dunklen Empfindungen Eva nahe bringen und was er ihr überhaupt von seinem Walderlebnis erzählen sollte. Und letztendlich nicht nur ihr, sondern auch den Kindern, allen voran Abel, der den Fremdling ja mit eigenen Augen gesehen hatte.

Adam schlief nach der durchwachten Nacht – er war natürlich ein paar Mal eingenickt, aber jedesmal rechtzeitig wieder aufgewacht, weil ihm kalt geworden war – bis in die Mittagszeit hinein.

Welch ein Bild paradiesischen Friedens, dachte er, als er einigermaßen erholt aus der Hütte trat. Lebuda saß am Feuer. Zippora bereitete auf der Wiese den Mittagstisch vor. Eva brachte den Früchtesalat heraus. Bitja spülte am Wasser noch das Gemüse. Kain und Abel traten aus dem Wald, erfrischten und wuschen sich kurz am Flussufer. Eine einträchtige, fröhliche Familie. Und doch, dachte Adam, wie trügerisch war das Bild. Keiner sprach mit ihm ein Wort.

Und gleichzeitig befiel ihn wieder dieses seltsame Gefühl, dass er beobachtet wurde.

„Heute abend“, sagte er schließlich, als alle am Tisch saßen, „nach dem Abendessen. Drüben am Feuer.“

Alle sahen ihn an und verstanden sofort, was er meinte, sie nickten, der eine mehr, der andere weniger.

Danach wurde es etwas lebhafter am Tisch.

„Wir brauchen mehr Reisig“, sagte Lebuda.

„Ich hab schon welches gesammelt“, sagte Kain.

„Wie schön“, sagte Lebuda.

„Ich komme dann rüber zu dir“, sagte Abel, „und helfe dir beim Tragen.“

„Nicht nötig“, sagte Kain. „Das schaffe ich schon.“

Die beiden waren anscheinend immer noch nicht ganz fertig mit ihrem Zwist, dachte Adam.

Und Eva, die es wohl auch spürte, lenkte das Tischgespräch, das seit gestern irgendwie anders verlief als früher, auf die Regendachfrage, die sie mit den Söhnen offenbar schon besprochen hatte.

Abel sagte: „Ein Dach bauen, das geht nicht. Woraus sollte es bestehen? Aus Holz? Das wäre zu gefährlich...“

„Soweit waren wir heute morgen schon“, sagte Kain mürrisch.

„Nun lass ihn doch mal ausreden“, sagte Lebuda.

„Bitte sehr“, sagte Kain. „Vielleicht hat er ja wieder den Wüstenmann getroffen, und der hat ihm einen Tipp gegeben.“

„Kain!“ ermahnte ihn Eva.

„Ja doch. Ich halt ja schon den Mund.“

Eifersucht, dachte Adam. Das ist Kains innere Last. Ständig ist

er neidisch auf den Bruder. Dass Abel kluge Fragen stellte. Dass Abel eine Schwester mehr hatte als er. Dass Abel die leichtere Arbeit hatte. Und nun auch noch, dass Abel den Mann aus dem Land Nod kennengelernt hatte und er nicht.

„Ich denke, wir besprechen die Sache später“, sagte Adam, „wenn wir alle wieder etwas ruhiger geworden sind. Heute herrscht strahlender Sonnenschein. Da besteht keine Not. Ich bin mir sicher, gemeinsam wird uns schon etwas einfallen.“

Am Nachmittag ging Adam lange spazieren. Auf seinem gewohntenen Weg am Flussufer entlang. Er dachte jedoch nicht über das Feuerdach nach, er suchte eine Antwort auf die Frage: Was erzähle ich heute abend? Wie mache ich es richtig, wie mache ich es möglicherweise verkehrt?

Etliche Male blieb er stehen und hielt nach allen Seiten hin Ausschau. Vergebens. Er blickte zum Himmel. Ebenfalls vergebens. Fast war er versucht, eine Art Gespräch zu beginnen. Er dachte an die Worte des Fremdlings über Gottes unermessliche Fähigkeiten, über sein alles hörendes Ohr. Doch genau das war die Schwierigkeit: Sollte er glauben, was der Herr El-Iblis ihm über Gott offenbart hatte? Und damit war er wieder bei der Frage angelangt: Was erzähle ich heute abend?

Die Wahrheit? Die halbe Wahrheit? Irgendetwas Erfundenes? Eines schien ihm so heikel wie das andere. Wenn er vom Baum der Erkenntnis erzählte, würden sich die Kinder wundern, dass sie von ihren Eltern noch nie etwas von ihm gehört hatten. Und vom Geheimnis des Guten und Bösen. Die beiden Wörter würden sie mit Sicherheit neugierig machen. (Streng genommen erging es ihm ja nicht anders.) Ein Geheimnis hatte nun einmal etwas Verlockendes. Wer weiß, auf was für verwegene Gedanken sie kämen. Immerhin waren sie fast erwachsene Menschen. Wenn er aber den Baum der Erkenntnis in seiner Erzählung wegließe, bekäme das Ganze keinen Sinn mehr.

Am Abend, nachdem sie gegessen hatten, versammelten sich alle am Feuer, im lockeren Kreis um das wärmende, sacht flackernde Licht, das Lebuda sorgsam wie auch sparsam am Brennen hielt. Eva saß zwischen Bitja und Zippora, und Adam, ihr gegenüber, hatte links und rechts Kain und Abel neben sich. Ringsum zirpten die Zikaden. Über den Bäumen auf der anderen Seite des Flusses stand silbrig der halbrunde Mond. Schließlich räusperte sich Adam ein paar Mal, als hätte er eine Ewigkeit nichts gesagt.

„Also“, begann er, „die Geschichte von dem Mann aus der Wüste. Am besten, ich fange ganz von vorne an. Also, es war einst, vor langer, langer Zeit, am sechsten Tag, nachdem Gott die Welt erschaffen hatte...“ Adam bemerkte eine leichte Überraschtheit um sich herum, das gefiel ihm. „Und die Welt“, setzte er fort, „das waren nicht nur der Himmel, die Tiere, die Pflanzen, sondern auch die himmlischen Heerscharen, das sind die Engel, die Cherubim und Dämonen, zu denen auch Satan gehört, der Erzbube, Gotteslästerer, Weltzerstörer. Fragt mich nicht“, unterbrach Adam seinen, wie er selbst fand, ohnehin viel zu breit geratenen Erzählstrom, „wozu Gott alle die Himmelsgeschöpfe benötigt, ich weiß es nicht. Als er nun, wie gesagt, am sechsten Tag fast fertig war mit seiner Schöpfung, da pflanzte er noch den Garten Eden, genau hier also, wo wir uns befinden, und dort hinein setzte er einen Mann und Frau, und er nannte sie Mensch.“

Adam hielt kurz inne, in Erwartung etwaiger Zwischenbemerkungen oder Fragen betreffs des Mannes und der Frau oder der Heerscharen (wieso er von denen wusste), aber alle schwiegen, selbst Kain, der sonst rasch ungeduldig wurde, anscheinend war für junge Menschen nichts aufregender, als die eigene Familiengeschichte zu erfahren. Und so Adam fuhr fort.

„Ich will die Sache nicht unnötig in die Länge ziehen. Es geschah also, dass Gott den Mann und die Frau durch den Garten Eden führte, ihnen alle Tiere und alle Pflanzen zeigte, die er für sie gemacht hatte, und er sprach: Von allen Sträuchern und Bäumen im Garten dürft ihr essen, nur von einem Baum nicht...“, Adam sah, dass Eva entsetzt die Augen aufriss und die Luft anhielt, „das ist der Baum des Wissens. Denn dieser Baum, so sprach Gott, der Herr, gehört allein mir.“ Eva schloss, wie Adam mit innerem Schmunzeln sah, erleichtert die Augen.

Nun aber meldete sich Abel: „Es gibt also einen Baum des Wissens?“

„Hast du doch gehört“, wies Kain ihn zurecht.

Aber Abel überhörte es. „Und wo steht der Baum?“

„Wozu musst du das wissen? Willst wohl noch schlauer werden?“

Adam war froh, dass er zwischen seinen Söhnen saß. Und Eva, die wohl dasselbe dachte, kam ihm liebevoll zu Hilfe: „Nun lasst mal den Vater weitererzählen. Wir wollen doch alle hören, was es mit dem Mann aus der Wüste auf sich hat.“

Aber der Mann aus der Wüste, fand Adam, war noch nicht dran, denn er hielt es für geraten, die Kinder vorher wissen zu lassen, dass der Mann und die Frau alle Jahre Gottes Gebot immer geachtet hatten. Nicht so sehr aus Angst vor einer Strafe, sondern aus Achtung, ja aus Liebe zu Gott, dem Herrn, der sie erschaffen hatte.

Rings im Kreis herrschte auf einmal andächtige Stille.

Und Adam, nicht ganz unzufrieden mit sich, fuhr fort: „So lebten also der Mann und die Frau lange Jahre glücklich und zufrieden mit ihren Kindern, fünf an der Zahl, eines hübscher und gescheiter als das andere. Doch dann, eines Tages, kam zu ihnen ein Mann in einem langen dunklen Gewand, mit einem Stecken in der Hand, wie gesagt, aus der Wüste. Und der Fremdling führte den Mann, also den Vater der Kinder, in den Wald zu dem Baum des Wissens. Und er sprach: Warum esst ihr nicht von den Früchten, sie sind doch überreif? Da ging dem Vater ein Licht auf, nun wusste er, wen er vor sich hatte, und er antwortete: Weil ich nicht Gott bin, sondern Gottes Geschöpf, das er Mensch geheißen hat. Und so kam es, dass der Fremdling sich vor Wut umdrehte und spurlos im Wald verschwand. Und von dort kehrte er vermutlich zurück in die Wüste, in das Land Nod, aus dem er gekommen war. Oder er zog weiter, in ein anderes Land... Wer weiß.“

Da saßen nun alle da, blickten ins Feuer, und keiner sagte ein Wort.

Und Adam sagte schließlich. „Das ist die ganze Geschichte...“

Eva kam ihm abermals zu Hilfe: „Ich denke, jetzt können wir beruhigt schlafen gehen.“

Doch sofort, wie zu erwarten, allgemeines Gemurre, dass es doch noch viel zu früh am Abend sei.

Und Bitja, die die ganze Zeit ihren Menschenvogel in der Hand gehalten hatte, fragte:

„Und wo kam nun das Feuer her?“

Erneutes Schweigen. Und verblüffte Gesichter.

„Na, ist doch klar“, meinte Kain. „Das Feuer hat der Fremdling gelegt. Weil er wütend war. Dass Vater nicht auf ihn reingefallen ist.“

Adam, obwohl leicht erschrocken über das Wort „reingefallen“, schenkte dem Sohn ein zustimmendes, ja dankbares Lächeln.

Und Zippora sagte: „Wir können froh sein, so einen Vater zu haben.“

Adam musste sich zusammenreißen, dass ihm nicht die Brust schwoll.

Abel aber sagte kein Wort.

Eva nahm Bitja an die Hand: „Nun mal los. Ab ins Stroh!“

Kain jedoch legte seinen Arm um Zippora und erklärte, sie würden noch ein bisschen spazieren gehen.

„Na, meinetwegen“, sagte Eva.

Lebuda fragte: „Und wer hält heute Feuerwache?“

Kain drehte sich um und lachte. „Na, Abel und du. Ist doch schön, so am Feuer zu sitzen.“ Und zu Abel, mit erhobenem Zeigefinger: „Aber verführe nicht meine Schwester!“

Zippora kicherte.

Abel aber rief dem Bruder nach: „Deine Schwester? Lebuda ist auch meine Schwester!“

Und Kain, ohne sich umzudrehen: „Eben, Brüderchen! Eben, eben!“

Und Adam dachte: Ach, diese Jugend. Ist doch zu schade, dass Eva und ich nie so jung gewesen sind. Aber wer weiß, was wir für Eltern gehabt hätten, wenn wir nicht Gottes Geschöpfe wären.

Die Sache mit dem Fremdling, so schien es, war somit glücklich zu Ende gebracht. Doch noch kannte Adam nicht die Plagen eines Geschichten-erzählers.

Evas launige Bemerkung, als sie eng beeinander im Stroh lagen: „Das war aber eine hübsche Kindergeschichte, Adam“, konnte er noch überhören und sich einfach auf die Seite drehen, nachdem Eva ihm einen versöhnlich-zärtlichen Kuss gegeben hatte. Am anderen Morgen jedoch wurde es schwieriger.

Als erste kam Zippora zu ihm.

„Stimmt es, was Kain sagt, der Fremdling in deiner Geschichte war der Teufel?“

Adam war mehr als erstaunt.

„Teufel?“

„Ja, Kain hat Teufel gesagt. Er meint damit den Erzbuben, den Gotteslästerer, den Satan. Und er sagt, wir müssen auf der Hut sein, weil der Kerl vielleicht wiederkommt, um Eden doch noch zu vernichten.“

„Ja, ja“, sagte Adam, „das kann schon sein.“

Zippora schien es zufrieden und ging an ihre Arbeit.

Adam indes geriet ins Grübeln. Woher hatte der Junge das Wort Teufel?

Es dauerte jedoch nicht lange, und Lebuda kam zu ihm.

„Ach, Vater, was hast du bloß angerichtet. Abel ist ganz durch-einander. Er redet nur noch vom Baum des Wissens. Und er sagt, der Fremdling in deiner Geschichte wäre Gott. Er kann aber nicht verstehen, weshalb Gott so wütend war, wo doch der Vater – also der Vater in deiner Geschichte – die Prüfung bestanden habe.“

„Nun ja“, meinte Adam, „Gott hat vielleicht nur so getan, als wäre er wütend – oder der Vater hat Gottes Verschwinden missverstanden.“

„Ja“, sagte Lebuda, „das wäre natürlich eine Erklärung.“

Sie schien es zufrieden und ging zu ihrer Mutter in den Hausgarten.

Adam indes dachte, mit einiger Besorgnis, an Abel, dem der Baum des Wissens offenbar keine Ruhe ließ.

Am Mittagstisch, als alle zusammensaßen, sagte Bitja zu ihm:

„Ich habe noch mal über deine Geschichte nachgedacht. Ich glaube, dieser Fremdling kam gar nicht aus dem Land Nod, er war ein Menschenvogel.“

Keiner lachte. – Alle blickten auf die kleine Figur mit den zwei Flügeln, die Bitja auch jetzt wieder in Händen hielt, so als könnte sie sich überhaupt nicht mehr von ihr trennen.

Zippora sagte: „Ich glaube auch nicht, dass der Fremdling aus dem Land Nod gekommen ist.“

„Wahrscheinlich gibt es das Land gar nicht“, sagte Kain. „Wie soll man sich denn das vorstellen, ein Land, wo nichts als Wüste ist!“

„Aber ein Mensch mit Flügeln auf dem Rücken“, sagte Lebuda, „so etwas kann ich mir noch weniger vorstellen.“

„Vielleicht ist es ja gar kein Mensch““, sagte Zippora. „Vielleicht ist es... Ach, ich weiß auch nicht.“

„So ist es“, sagte Adam, froh, dass Zippora nicht auch noch das Wort Teufel ins Spiel brachte, „wir wissen es nicht.“

„Aber du musst es doch wissen“, wandte sich Bitja erneut an den Vater. „Du hast uns doch die Geschichte erzählt.“

Adam wurde einigermaßen verlegen. – Zum Glück kam ihm Eva wieder einmal zu Hilfe.

„In jeder Geschichte, Bitja, muss es auch ein Geheimnis geben. Sonst ist es keine richtige Geschichte.“

„Ja“, sagte Lebuda, „das denke ich auch. Es ist genau wie mit Gott. Um ihn ist auch ein Geheimnis. Wir wissen nicht, wie er aussieht, wo er sich aufhält, was er den ganzen Tag macht...“ Lebuda sah Abel an, als wartete sie, dass er ihr weiterhalf. Aber Abel schwieg.

Abel schwieg die ganze Zeit, während sie beim Essen zusammensaßen. Danach nahm er seinen Hirtenstab und ging wieder zu seinen Schafen.

Eva sah ihm besorgt nach, und zu Adam sagte sie: „Das war wohl keine Sternstunde gestern abend.“

Sternstunde? – Adam lauschte erstaunt Evas neuester Wortschöpfung nach.

„Warum, Adam“, fragte Eva, „hast du in deiner Geschichte drei Dinge weggelassen?“

„Drei Dinge?“

„Genau drei. Du hast verschwiegen, dass es beim Baum des Wissens um die Erkenntnis des Guten und Bösen geht. Du hast nichts von der Strafe gesagt, die demjenigen droht, der von den verbotenen Früchten isst. Und du hast nicht verraten, woher dein Fremdling von dem Geheimnis des Baumes wusste.“

Stimmt, dachte Adam.

„Ich wollte die Kinder nicht unnötig beunruhigen“, sagte er.

„Na, beruhigt hast du sie nicht gerade“, sagte Eva. „Du hast es ja gehört, sie reden von nichts anderem mehr als von Gott, von Satan, vom Land Nod...“

Langsam wurde Adam klar, dass das Geschichtenerzählen eine nicht ganz ungefährliche Sache war. Wie schnell konnte es dabei zu Verwechselungen kommen. Wie schnell verschwand die Begebenheit hinter der Darbietung der Begebenheit. Gestern abend, während des Erzählens, war ihm das nicht bewusst geworden. Der Strom der Erzählung hatte ihn einfach mit sich fortgetragen. Fast erschien es ihm jetzt, als besäße die Erzählung einen eigenen Willen. Und vielleicht war die Geschichte ja tatsächlich klüger als ihr Erzähler. Vielleicht waren die Fehler, die Eva bemängelte, gerade die Vorzüge der Erzählung. Eva selber, gelobt sei ihre Klugheit, hatte gesagt, jede richtige Geschichte habe ein Geheimnis. Warum also nicht auch das Erzählen selbst? – Für die Folgen, mochten sie noch so vielfältig sein, konnte der Erzähler, wie Adam fand, kaum verantwortlich gemacht werden. Oder doch?

Allein, wie er es auch drehte und wendete, er machte sich Sorgen um seinen Sohn Abel. Warum schwieg er? Was ging in seinem Kopf vor? Worüber grübelte er? Nur über den Baum des Wissens?

Adam dachte an die Gefahr, die von Gottes geheimnisvollem Baum ausging. Streng genommen aber hatte die Gefahr freilich schon vorher bestanden, bevor er, Adam, seine Geschichte erzählt hatte – und die Gefahr bestand nicht nur für Abel.

Aber vielleicht, dachte Adam, mache ich mir unnötig Sorgen. Denn wenn er es recht bedachte, so hatte Gott sein Gebot nur zu ihm und Eva gesprochen. – Oder galt das Verbot auch für ihre Kinder, für jeden, der in Eden lebte, für alle Zeiten?

Wir wissen zu wenig, dachte Adam, wieder einmal.

Die Zeit aber verging. Und mit jedem Tag, an dem morgens über der Wüste groß und herrlich die Sonne aufging und sich ein jeder wie gewohnt an seine Arbeit begab, sank, so schien es, die seltsame Begebenheit wie auch Adams Geschichte mehr und mehr in Vergessenheit.

Lebuda hütete das Feuer. Bitja und Zippora sammelten Reisig. Eva besorgte die Hütte und den Hausgarten. Adam ging Fische fangen. Abel hütete die Schafe. Kain versah die Feldarbeit. Gemeinsam berieten die Söhne, wie das Feuer bei dem nun täglich zu erwartenden Regen geschützt werden könne. Kain schließlich entsann sich des felsigen Hügels in der Nähe seines Kornackers, in dem Hügel gab es eine Höhle. „Wunderbare Idee“, lobte Abel den Bruder. Und Kain sagte: „Gott hat eben an alles gedacht.“ Die kleine Grotte aber befand sich gar zu weit entfernt von der Hütte. Und die Brüder dachten erneut nach. „Wir müssen uns auf unserer Wiese eben eine eigene kleine Höhle bauen“, sagte Abel. „In die Erde hinein“, sagte Kain. Und so geschah es. Rechtzeitig. Bevor der große Regen einsetzte.

Adam war stolz auf seine Söhne. Und Eva nicht weniger. Und Lebuda am Feuer war froh, im Trockenen zu sitzen (auch wenn das Regenwasser ein paarmal drohte in die Feuerhöhle zu laufen).

Als der Regen endlich vorüber war und das Feuer noch immer brannte, feierten sie alle zusammen den Tag der wiedergekehrten Sonne mit einem kleinen Fest. Kain wartete zur Feier des Tages mit einer neuen Idee auf. „Vielleicht kann man die Fische über dem Feuer ein bisschen brutzeln, dann schmeckte sie vielleicht noch besser.“ Das Ergebnis war ganz leidlich. Und Kain, einigermaßen stolz, dass er und nicht sein Bruder auf die Idee gekommen war, sagte: „Das Feuer ist eine wahre Gottesgabe.“ Das schien nur leicht und allenfalls dankbar dahingesagt, aber alle dachten sofort wieder an den ersten Feuerabend, als es so ausgesehen hatte, als würde der Wald brennen. Und Abel sagte, eigentlich mehr im Scherz: „Neulich hast du noch gesagt, das Feuer hätte der Satan gelegt, um ganz Eden zu vernichten.“ Kains Gesicht lief sofort rot an, doch dann riss er sich im letzten Moment zusammen. „Erfahrung“, sagte er, scheinbar gelassen, „macht eben klug. Und nicht nur der Baum des Wissens.“ Adam fürchtete neuerlichen Zwist zwischen den Brüdern, womöglich gar über den vergessen geglaubten Baum der Erkenntnis. „Ich denke“, sagte er, „Feuer und Wasser, auch wenn sie, wie unsere Erfahrung zeigt, zwei recht entgegengesetzte Seiten haben, gehören beide zu Gottes großer, wunderbarer Schöpfung.“ Für einen Moment schienen alle einer Meinung zu sein. Aber dann meldete sich Bitja, die Künstlerin, zu Wort: „Vielleicht hat ja der Menschenvogel das Feuer gebracht, in Gestalt des Fremdlings aus dem Land Nod. Irgendetwas muss er ja in seinem Beutel gehabt haben.“ Der Beutel! Über den hatte Adam auch schon gelegentlich nach gedacht, aber wie sollte das Feuer darin gewesen sein? „Ach, Bitja“, spottete Zippora, „du und deine Phantasie!“ „Warum denn nicht?“ sagte Lebuda und sah Abel an. Aber der schwieg wieder einmal. Und Kain, mit einem belustigten Blick auf den Bruder, meinte: „Wer weiß, vielleicht leben ja im Land Nod lauter Menschenvögel, die keinen Baum des Wissens brauchen.“ Er lachte. „Nun hört aber auf!“ schimpfte Eva. „Wir haben ein so schönes Fest heute. Und wir wissen, wem wir es zu danken haben.“ Und dabei sah sie nach oben, zur Sonne, zum Himmel. Alle nickten, mehr oder weniger. Und Adam dachte: Ach, meine kluge Frau. Wenn sie wüsste, dass der Herr uns sieht, dass der Herr uns hört... Aber vielleicht auch der Andere, ebenfalls gern Unsichtbare?

Und abermals verging die Zeit.

Adam fischte und jagte. Die Töchter kümmerten sich um das Feuer. Eva besorgte den Hausgarten. Die Söhne waren bei den Schafen und auf dem Acker. Wieder einmal herrschte lange Trockenheit, über der Wüste flimmerte die glühende Luft. Und der Fluss Prat wässerte den Garten Eden.

Eines Abends aber, als Kain, anders als sonst, allein von der Feldarbeit heimkehrte, fragte Eva:

„Kain, wo ist dein Bruder Abel?“

Da zuckte Kain mit den Schultern. „Ich weiß es nicht“, sagte er. „Soll ich meines Bruders Hüter sein?“

Adam und Eva

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