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Die erste Familie

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Da war nun im Haus die Freude groß. Ein Junge. Ein Mädchen. Der Unterschied war leicht feststellbar. Und Eva im weichen Stroh, je einen Wurm im Arm, war froh, dass sie es geschafft hatte. Einige Augenblicke lang hatte sie geglaubt, sie würde die Schmerzen nicht überleben. Und Adam, nachdem er sich seinerseits erholt hatte, strahlte vor Stolz. Sie hatten Gottes Gebot erfüllt. Seid fruchtbar und mehret euch.

Er konnte sich gar nicht satt sehen an dem Ergebnis. Sie hatten zwei Menschlein geschaffen! (Ein Weltereignis, in der Tat.) Sie waren Vater und Mutter geworden. Und das bedeutete: Sie besaßen von Stund an zwei neue Wörter! Und zwei weitere kamen hinzu. Sohn und Tochter. Und die vier Wörter zusammen ergaben ein fünftes: Familie.

Weiß Gott, dachte Adam, es ist wirklich aufregend, erhebend, wenn auch nicht immer ganz einfach, der erste Mensch zu sein. Die fünf Wörter jedenfalls beschrieben eine ganz neue Welt. Vermittelten ein ganz neues Lebensgefühl, zwischen Eva und ihm, und von sich selbst.

Als Gott, der Herr, sie erschuf, mochten sie an Geist und körperlicher Beschaffenheit etwa im Alter von zwanzig Jahren gewesen sein. Nun waren sie nahezu doppelt so alt und doppelt soviel an der Zahl in ihrer Hütte. Schon nach einigen Tagen wurde Adam klar, sie würden anbauen, die Hütte um einen Raum erweitern müssen.

Und also ging er alsbald ans Werk.

So vergingen die Tage. Und Adam erkannte abermals sein Weib, und Eva ward abermals schwanger. Und nach der gesetzten Zeit gebar sie einen Sohn und zwei Zwillingsschwestern. Den Zweitgeborenen nannten sie Abel und seine Schwestern Zippora und Bitja.

So steht es geschrieben.

Nun Vater von fünf Kindern, wurde Adam von Tag zu Tag häuslicher. Er half Eva, wo er nur konnte. Er nahm ihr die zwei Älteren ab, wenn sie von den drei Jüngeren voll in Anspruch genommen war. Er spielte mit Kain und seiner Schwester im Hauptraum, während sie Abel und seine Schwestern im Nebenraum, den sie schon bald Kinderstube nannten, fütterte.

Mehr noch als früher betrieben sie all ihre Wirtschaft gemeinsam. Im Hausgarten bauten sie, nach Eva erfolgreichen Experimenten, jetzt auch Gemüse an. Und jeden Morgen ging Adam auf die Weidewiese zu den Schafen oder den Ziegen, um Milch zu zapfen.

Am liebsten aber spielte er mit den Kleinen, im Haus, auf der Wiese, half ihnen beim Sprechenlernen auf die Sprünge, nahm sie beim Laufenlernen an die Hand, er zeigte ihnen die Schmetterlinge, die Vögel, die Käfer im Gras, lachte und alberte mit ihnen herum, ließ sich von ihnen kitzeln, boxen und an den Haaren ziehen. Und Eva, wenn sie in der Tür stand und ihnen zusah, zeigte mitunter eine leicht besorgte Miene.

Eines Abends, als sie einigermaßen erschöpft vor der Hütte saßen, nachdem in der Kinderstube endlich Ruhe eingekehrt war, sagte Eva:

„Ich glaube, wir müssen anfangen, die lieben Kleinen zu erziehen.“

Adam sah sie erstaunt an.

„Na, wir müssen ihnen klar machen, was sie tun dürfen und was sie zu lassen haben.“

Adam nickte. Er verstand, was Eva meinte. Aber irgendwie erinnerte ihn das an etwas. Ihm fiel nur nicht ein, an was.

„Findest du nicht?“ fragte Eva.

„Doch, doch“, antwortete Adam. „Mitunter treiben sie es wohl ein bisschen wild. Aber ist es wirklich so schlimm?“

„Sie müssen parieren lernen.“

„Parieren?“

„Aufs Wort hören.“

„Und wenn sie nicht hören wollen?“

„Dann musst du mit ihnen schimpfen.“

„Ich?“

„Ja, wer denn sonst? Soll ich mich denn um alles kümmern?“

Den Satz fand Adam nun doch ein wenig übertrieben.

„Du bist der Vater!“ sagte Eva.

„Ja, ja, das bin ich... Aber vielleicht kannst du besser schimpfen als ich.“

„Red keinen Unsinn, Adam. Gott hat dich zuerst erschaffen. Du bist der Herr im Haus. Also bist du es, dem es zukommt, hin und wieder ein Machtwort zu sprechen.“

Ein Machtwort.

Adam nickte abermals. Wunderte sich aber, was Eva auf einmal für neue Wörter gebrauchte.

„Aber was“, fragte er, „wenn auch mein Machtwort nicht fruchtet?“

„Dann musst du ihnen drohen.“

„Drohen?“

Bei dem Wort war Adam nun gar nicht wohl.

„Womit soll ich ihnen denn drohen?“

„Mit Gottes Zorn.“

Adam schwieg eine Weile. – Ihm war, als wolle Eva ihn in eine ganz neue Richtung, in eine völlig neue Rolle drängen.

„Ihnen drohen“, sagte er schließlich, „mit Gottes Zorn... Ich weiß nicht... Darüber muss ich erst nachdenken.“

„Tu das. Aber nicht zu lange. Eines Tages sind sie groß, dann ist es zu spät. Dann machen sie, was sie wollen. Laufen nicht nur hinunter an den Fluss. Dann laufen sie auch in den Wald. Du verstehst, was ich meine.“

Da erschrak Adam. In den Wald. Womöglich in die Mitte des Gartens! So weit wie Eva hatte er noch gar nicht gedacht. Weiß Gott, seit sie Mutter geworden war, entdeckte er immer neue Seiten an ihr.

„Aber wie soll ich Ihnen Gott erklären?“ sagte Adam.

„Das weiß ich nicht“, sagte Eva. „Vielleicht machst du mal wieder einen Spaziergang, so wie früher. Dann wird dir schon etwas einfallen.“

Der Gedanke gefiel ihm. Er war schon eine Ewigkeit nicht mehr spazieren gegangen.

Der erste Versuch jedoch missglückte.

„Wir wollen mit!“ schrien alle Fünf sofort, als Adam am nächsten Tag sagte, er wolle ein Stück am Fluss entlang gehen, um über etwas Wichtiges nachzudenken.

Und Kain, der Älteste, fragte: „Was ist das, etwas Wichtiges?“

Adam geriet in einige Verlegenheit und blickte zum Himmel. (Warum er das tat, wusste er auch nicht.)

Eva aber, die neben ihm stand, sagte: „Nun lasst mal den Vater gehen, er wird es euch später erklären.“

Adam jedoch schien es nicht recht, die Kinder zu vertrösten. Fast kam es ihm wie eine Lüge vor.

Und also setzte er sich ins Gras, scharte alle Fünf um sich und sagte: „Ich erzähle euch eine Geschichte.“

„Au ja, eine Geschichte!“ riefen die Kinder.

Eva indes seufzte leise und ging ins Haus.

Kleine Geschichten hatte Adam schon des öfteren erzählt, aber immer nur nebenbei, beim Spielen auf der Wiese, über die Käfer im Gras, über die fleißigen Ameisen, über die Vögel, die sich in den Bäumen Nester bauten. Nun waren die Tiere freilich nichts, worüber er spazierenderweise am Fluss hätte nachdenken müssen. Zippora und Bitja hätten sich vielleicht nicht groß gewundert. Aber Lebuda hätte sofort bemerkt, das da was nicht stimmte, Lebuda war ein aufgewecktes Kind und ein Jahr älter. Und die beiden Jungen, sofern sie denn überhaupt richtig zuhörten und sich nicht wie so oft kabbelten, würden gelangweilte Mienen machen: Schon wieder eine Tiergeschichte! Womit sie ja recht hätten. Und also begann Adam:

„Es waren einmal ein Vater und eine Mutter, die hatten sieben Kinder und lebten tief im Wald...“

Adam merkte, der Anfang war schon mal gar nicht so übel, alle Fünf hingen sofort gebannt an seinen Lippen. Und also erzählte er weiter:

„Und alle zusammen wohnten sie glücklich und zufrieden in einer Hütte, die der Vater und die Mutter einst gebaut hatten aus starken Ästen und Stroh. Die Hütte aber stand auf einer grünen Wiese, und rund um die Wiese wuchsen nicht nur die Bäume des dichten, finsteren Waldes, am Waldesrand wuchsen auch allerlei Sträucher. Und die Sträucher trugen gar mancherlei Früchte...“ Adam hielt einen Moment inne, über sich selbst erstaunt, was ihm da einfiel; er steuerte, wie ihm schien, geradenwegs auf eine Katastrophe zu. Auf Gottes strenges Wort.

„Und die Früchte“, fragte Lebuda, „die konnten sie essen?“

„Die Früchte...?“

Ach, dieses naseweise Kind, dachte Adam.

„Nun frag doch nicht so dumm“, schalt Kain seine Schwester. „Lass Vater erzählen. Dann wirst du schon erfahren, was mit den Früchten ist.“

Lebuda zog einen Flunsch. Und Adam dachte: Sieh an, der Kain, der wittert schon etwas.

„Ja, ja“, erzählte Adam nun weiter, „die Früchte... die Früchte waren lustig anzusehen und gut zu essen. Bis auf den einen Strauch mit den kleinen roten Beeren. Die sahen zwar hübsch aus, waren aber giftig. Und eindringlich warnend sagten die Eltern zu ihren sieben Kindern: An dem Tag, da ihr davon esst, müsst ihr des Todes sterben.“

Da war mit einem Schlag Stille um ihn herum. Alle Fünf sahen ihn an mit großen erschrockenen Augen. Hatte er das beabsichtigt? Er wusste es selbst nicht. Und so setzte er hinzu:

„Die Kinder aber, alle sieben, waren lieb und klug und gehorsam. Sie hörten auf das, was die Eltern ihnen sagten. Und so lebten sie weiter alle Tage, glücklich und zufrieden.“

Adam meinte, einen ganz passablen Schluss gefunden zu haben. Die Mienen um ihn herum entspannten sich. Bis auf Abels Miene.

„Des Todes?“ sagte Abel schließlich, etwas stockend. „Was ist das: des Todes sterben?“

„Mann, Abel!“ stöhnte Kain. „Du hast doch gehört. Das ist, wenn man nicht mehr lebt, weil man giftige Beeren gegessen hat.“

Abel schwieg. Weil Kain mal wieder so schlau tat.

Adam aber kamen Zweifel, ob ihm seine Geschichte wirklich

so recht gelungen war. Eigentlich war Abels Frage gar nicht so dumm. Und streng genommen wusste er, Adam, der Vater, auch nicht, was es hieß, des Todes zu sterben.

Was ist der Tod? Was geschieht da? Und was ist danach?

Die Mädchen aber schienen zufrieden mit dem Gehörten. Sie standen auf aus dem Gras. Und Bitja rief:

„Kommt, wir wollen verstecken spielen!“

Und Zippora rief: „Au ja!“

Auch die Jungen erhoben sich nun und folgten den Zwillingsschwestern. Nur Lebuda, Kains Schwester, blieb stehen, da wo sie gesessen hatte, und fragte Adam, ihren Vater:

„Und was ist nun das Wichtige, über das du nachdenken wolltest?“

„Das Wichtige...?“

Adam hatte das Gefühl, erwischt worden zu sein.

„Das Wichtige“, antwortete er, „ist immer das, was einem im Moment am meisten Sorge bereitet...“

„Und was bereitet dir im Moment am meisten Sorge?“

Dieses wissbegierige Kind.

„Dass euch nichts zustößt“, sagte Adam. „Dass es euch gut geht.“

Da hellte sich Lebudas Miene auf.

„Verstehe“, sagte sie. „So wie in der Geschichte. Dass wir nichts tun, was verboten ist.“

„Genau so“, sagte Adam.

Lebuda nickte.

„Dass wir nicht allein an den Fluss gehen. Weil das Wasser sehr tief ist. Und wegen der Krokodile.“

Adam war erleichtert. Seine Geschichte war anscheinend doch nicht so ganz verkehrt gewesen.

„Und nun lauf“, sagte er, „die anderen rufen schon nach dir.“

Lebuda aber beugte sich, da er immer noch im Gras saß, zu ihm hinunter und gab ihm einen Kuss.

„Mach dir keine Sorgen, Väterchen. Ich passe schon auf, dass keiner rote Beeren isst.“

Da sah Adam seine Tochter verblüfft an, gerührt, ja überwältigt. Noch nie hatte sie ihn Väterchen genannt. Und noch nie hatte sie so klug gelächelt.

Lebuda aber wandte sich um und lief zu den anderen. Und Adam sah ihr nach. Vielleicht, dachte er, vielleicht geht das Erziehen ja auch mit Geschichtenerzählen. Und ohne dass man gleich Gottes Zorn bemüht.

Erziehungsfragen!

Adam überlegte, ob er den günstigen Moment ausnutzen und doch noch seinen Spaziergang machen sollte, um noch einmal in Ruhe über alles nachzudenken. Er stand auf. Doch im selben Moment, als hätte er es geahnt, riefen sie auch schon nach ihm, er solle endlich kommen und mitspielen, beim Verstecken und Suchen.

Adam seufzte innerlich. Aber was half`s? Inzwischen kannte er seine Schwäche, dass er gegenüber den Kindern schwer Nein sagen konnte.

Und so scheiterte auch sein zweiter Fluchtversuch an den Fluss, in die Stille seiner Gedankenwelt.

Am Abend, als schon die Dämmerung hereingebrochen war und der Mond über dem Fluss stand, saßen Adam und Eva abermals vor der Hütte.

„Du hast den Kindern also eine Geschichte erzählt“, sagte Eva nach einer Weile.

„Ja“, sagte Adam. „Eine kleine Geschichte... Von sieben artigen Kindern.“

Eva sah ihn an, mit einem neugierigen Lächeln.

„Von sieben artigen Kindern? Erzähl, Adam. Die Geschichte möchte ich auch hören.“

Adam wollte sich erst zieren, sah aber ein, dass Eva die Geschichte kennen musste, falls eines der Kinder sie mal darauf ansprach. Und also wiederholte er, was er den Kindern erzählte hatte, ohne etwas wegzulassen, ohne etwas hinzuzufügen, gespannt, ob seine Geschichte Evas Zustimmung finden würde.

„Ein Gleichnis also“, sagte Eva, als er geendigt hatte.

Adam sah sie erstaunt an.

„Ein Gleichnis? Was meinst du damit?“

„Na ganz einfach, du hast von roten Beeren erzählt, nun können wir ihnen vom Baum der Erkenntnis erzählen.“

Adam war einen Moment lang sprachlos.

„Hauptsache, sie haben das Gleichnis auch verstanden“, fuhr Eva fort. „Und sie beherzigen die Lehre.“

Die Lehre? – Adam fielen sofort Lebudas kluge Trostworte ein. Aber die anderen, die Jüngeren?

„Manchmal denke ich, wir erwarten vielleicht etwas zu viel für ihr Alter“, sagte er.

„Ja, vielleicht...“ sagte Eva.

„Was wissen wir schon, was in ihren kleinen Köpfen vor sich geht, was sie schon begreifen können und was noch nicht.“

„Da hast du recht, Adam. Wir wissen zu wenig.“

Sie schwiegen eine Weile.

Dann sagte Eva: „Hast du schon mal daran gedacht, Adam, dass wir nie Kinder waren?“

Adam nickte.

„Ja, der Gedanke ist mir auch schon gekommen.“

„Gott hat uns erschaffen, und wir waren gleich erwachsen.“

„Ja“, sagte Adam, „uns fehlt etwas.“

Und wiederum schwiegen sie eine Weile. Und blickten über die im Mondschein verlassen daliegende Wiese, die tagsüber so voller Leben war.

„Manchmal“, sagte Eva, „machmal, Adam, beneide ich unsere Sprösslinge. Wenn ich sie spielen, wenn ich sie herumtollen sehe, so fröhlich, so unbekümmert...“

Obwohl sie es mitunter etwas wild treiben, dachte Adam.

„Ja“, sagte er, „wir beide, Eva, wir haben nie gespielt.“

„Wir sind eben Gottes Geschöpfe. Und er ist unser Vater.“

„Und das erste, was er uns gesagt hat, war ein Verbot.“

Wiederum schwiegen sie eine Weile.

„Was meinst du“, sagte Eva, „ob Gott eine Familie hat?“

Adam sah sie erstaunt an.

„Du willst sagen: Ob wir auch eine Mutter haben?“

„Zum Beispiel.“

„Gute Frage. Jedenfalls hat er uns nicht verraten, wie er uns gemacht hat.“

„Ja, das wissen wir nicht.“

„Wir wissen so vieles nicht, Eva. Eins aber weiß ich ziemlich genau: Gott hat gewiss nicht so eine fabelhafte Frau wie ich?“

Nun musste Eva doch lachen.

„Du alter Schmeichler“, sagte sie. „Und ich – ich weiß, wenn Gott eine Frau hat, dann hat sie bestimmt nicht so einen fabelhaften Mann wie ich, der so schöne Geschichten erfinden kann. Wie bist du eigentlich auf die Zahl sieben gekommen?“

„Auf die Zahl sieben?“

„Na, auf die sieben Kinder. Vielleicht, weil wir alle zusammen auch sieben sind? Und weil wir alle Gottes Kinder sind?“

Nun war Adam doch etwas verblüfft, und eigentlich gefiel ihm der Gedanke nicht so recht; er fand, nur er, Adam, war der Vater seiner zwei Söhne und seiner drei Töchter. Eva neigte manchmal zu gedanklichen Übertreibungen. Und wenn man schon Evas Gedanken folgen wollte, dann durfte man vielleicht auch fragen, warum Gott, der Vater, sich seit mehr als zwanzig Jahren bei seinen Kindern nicht blicken ließ. – Aber die Frage behielt Adam einstweilen für sich.

So verging die Zeit, und sie lebten weiter alle Sieben glücklich und zufrieden im Garten Eden. Sie litten keine Not, es geschah kein Unglück, die Kinder wuchsen heran, gesund, mit jedem Tag schöner und ein bisschen klüger. Wohl gab es hin und wieder kleinen Zank und Streit unter den Geschwistern. Aber wenn sie sich prügelten, versöhnten sie sich bald wieder. Und wenn sie besonders artig gewesen waren, erzählte ihnen Adam abends vorm Schlafen eine Geschichte.

Aber auch die Zeit schlaffördernder Geschichten ging bald zu Ende. Es gab nun immer öfter kleine Neckereien zwischen den Geschlechtern. Und Adam sprach zu Eva und beschloss, abermals anzubauen: Einen Raum für die Jungen, einen Raum für die Mädchen. Und die vormalige Kinderstube wurde nun zum Schlafraum für Eva und ihn.

Allein, die neuen Räumlichkeiten lösten auch nicht alle Probleme. Vor allem tagsüber.

Kain entwickelte sich zusehends zum Anführer. Er wollte bestimmen, was gemacht wurde. Wollte entscheiden, was richtig und was falsch war. Er hatte entdeckt, dass er der Älteste war. Und Adam bemerkte, dass Kain auf Abel neidisch wurde, weil Abel zwei Schwestern hatte und er nur eine.

Abel jedoch störte sich nicht an Kains neidischen Blicken, er war mit ganz anderen Dingen befasst, er sammelte Steine, fing Schmetterlinge, lag stundenlang im Gras und betrachtete die Wolken. Manchmal stellte er überraschende Fragen: „Warum wird es abends dunkel, und die Sterne fangen an zu leuchten?“ Oder: „Warum geht die Sonne morgens nicht da auf, wo sie abends untergegangen ist?“ Adam, der Vater, staunte. Noch ein Denker, dachte er. Der Junge schlägt nach mir. Eine Antwort aber wusste er auch nicht. Kain indes belächelte seinen Bruder. Lebuda jedoch gesellte sich gern zu ihm, interessierte sich für seine Steine, erfand Namen für seine Schmetterlinge, zusammen erzählten sie sich Wolkengeschichten.

Adam fand, die beiden passten zueinander. Lebuda war von sanftem Wesen, begabt mit Phantasie und Geduld, konnte zuhören, Anteil nehmen und wurde von Tag zu Tag schöner, war Eva immer mehr wie aus dem Gesicht geschnitten. Sogar ihr feines, helles Haar hatte sie von ihrer Mutter.

Zipporas Haare hingegen waren schwarz, so schwarz wie ihre Augen, und obwohl ein Jahr jünger als Lebuda entwickelte sie schon zusehends weibliche Reize, hübsche kleine Brüste, deren Wirkung sie sich durchaus bewusst war. Sie sang und tanzte gern und begann, Kain schöne Augen zu machen. Was dieser durchaus bemerkte. Es dauerte nicht lange, und die beiden saßen abends im Mondschein am Fluss, ein Stück entfernt von der elterlichen Hütte.

Eva sagte zu Adam: „Ich glaube, wir müssen aufpassen.“

Adam sagte: „Warum?“

„Na, warum wohl!“

Adam fand, Eva neigte mal wieder zur Übertreibung. Die beiden waren Kinder, gerade mal zwölf, dreizehn Jahre alt.

Bitja, die kleinste unter den Geschwistern, war noch ein wenig verträumt und verspielt. Am liebsten saß sie am Ufer und formte aus dem gelben Flussschlamm Tierfiguren, die sie in die Sonne stellte, damit sie fest und trocken wurden, die sie dann in die Hütte trug, um sich herum aufbaute und die dann zu laufen, zu springen und zu sprechen anfingen. Adam beobachtete sie heimlich und war verzückt. Zum Glück, dachte er, befand sich unter Bitjas Tieren keine sprechende Schlange.

Die Zeit verging. Keines der Kinder lief in den Wald. Es geschah kein Unheil. Eines Abends sagte Eva zu Adam:

„Ich finde, es ist an der Zeit, dass wir die Kinder mit einigen Aufgaben betrauen.“

„Aufgaben?“ sagte Adam.

„Na, sie müssen lernen, dass das Leben nicht nur aus Spiel und Spaß besteht.“

„Da hast du wohl recht“, sagte Adam, „sie sind jetzt groß genug.“

Und also geschah es.

Eva scharte fortan die Mädchen um sich, zeigte ihnen, wie man Stroh flechtet, wie man aus Lehm Töpfe und Schüsseln formt, wie man Tierhäute abzieht, trocknet und daraus Lendenschurze fertigt.

Adam nahm sich die Jungen, ging mit ihnen aufs Feld, auf die Weidewiese. Kain zeigte er, wie man den Boden bearbeitet, wie man die Kohlpflanzen bewässert und die Gräser mit den dicken Körnern erntet. Abel führte er zu den Schafen, gab ihm einen Hirtenstab in die Hand und erklärte ihm, wie er die Herde zusammen und unliebsame Tiere fernzuhalten hat.

Schon bald aber wurde Kain neidisch auf Abel, weil jener in der Sonnenglut nicht so sehr zu schwitzen brauchte wie er. Abel indes war bei seinen Schafen vollends zufrieden; sie bereiteten

ihm keine großen Sorgen, und er hatte, auf seinen Hütestock gestützt, jede Menge Zeit, die Natur zu betrachten und seine Gedanken schweifen zu lassen, in die Ferne, in die sich endlos in Richtung Morgensonne ausbreitende Wüste.

Eines Nachmittags kam Adam zu Abel, um wieder einmal nach dem Rechten zu sehen, nachdem er vorher Kain aufgesucht und ihn gelobt hatte für seine tüchtige Feldarbeit, und auch für Abel fand er nun anerkennende Worte, weil alle Schafe wohlbehalten beieinander waren und fleißig fraßen.

„Ich hoffe“, sagte Abel, „du bist mit mir zufrieden, Vater.“

„Aber ja“, sagte Adam, „ich bin zufrieden, zufrieden mit euch beiden.“

Und in der Tat, er war stolz auf seine Söhne. Es war alles so, wie es sein sollte.

„Und Gott, der Herr, sprach, machet euch die Erde untertan, herrschet über die Fische im Meer und über das Vieh auf dem Land“, sagte Adam, „so sprach Gott, als er eure Mutter und mich...“ Adam zögerte einen Moment, als fiele ihm nicht gleich das rechte Wort ein, und sagte schließlich. „Als er uns in die Welt setzte.“

Abel vernahm es und schwieg, sichtbar nachdenklich.

Und so standen sie, Vater und Sohn, und blickten in die flimmernde, schier endlose Wüste.

„Und was“, fragte Abel nach einer Weile, „was ist die Erde?“

Adam erkannte seinen wissbegierigen Sohn.

„Du wirst lachen, Abel, das weiß ich auch nicht. Vielleicht meinte Gott damit den Erdboden, den wir beackern sollen, aber ich bin mir nicht sicher.“

„Und das Meer“, fragte Abel, „was ist das Meer? Ich kenne nur die Fische in unserem Fluss.“

Adam nickte abermals beifällig.

„So geht`s mir auch, Abel. Auch ich habe noch nie ein Meer gesehen, hier in unserem schönen Garten Eden.“

Und wiederum schwiegen sie beide. Und Adam dachte an seinen seltsamen Traum, den er in letzter Zeit erneut geträumt hatte, in welchem er auf einem Esel in die Wüste hinausritt. Ohne allerdings je irgendwo anzukommen. Abels dritte Frage jedoch galt nicht, wie Adam im Stillen erwartet hatte, der Wüste, sondern einer noch weit schwierigeren Sache. Der schwierigsten überhaupt.

Abel fragte: „Und wer ist Gott?“

Da blickte Adam zum Himmel, sah seinen Sohn an, blickte erneut in die Wüste und kratzte sich sein struppiges blondes Kinn.

Im selben Moment erblickte er in der Ferne einen dunklen Fleck. Adam schloss unwillkürlich die Augen. Täuschte ihn eine Luftspiegelung? Abel aber streckte den Arm aus.

„Da kommt jemand.“

„Ja“, sagte Adam, „sieht ganz so aus.“

Adam und Eva

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