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Eva und El Haschem

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In Eden brannte das Feuer. Nach und nach lichtete sich der Wald. Kain erfand eine Steinaxt, um Holz zu schlagen.

Er erfand einen Grabstock, um die Ackererde aufzulockern. Bitja hütete Abels Schafe. Ihr Menschenvogel zerbrach eines Tages in tausend Stücke, die warf sie in den Fluss und flocht sich eine neue Figur aus Stroh, die nannte sie Engel, und den Engel trug sie fortan immer bei sich.

Zippora sammelte Früchte, bewässerte den Hausgarten, half der Mutter beim Fellgerben. Eva machte Töpfe, kochte Hirsebrei, briet Fleisch von Hühnern und Felltieren, die Kain von der Jagd heimbrachte. Lebuda hütete das Feuer und umsorgte ihren Sohn, den sie geboren und den sie Abe genannt hatte. Kain aber gefiel der Name nicht, er sah das Kind scheel an. Und alsbald baute er für Lebuda eine zweite Hütte, auf der anderen Seite der Wiese, er wollte nicht länger, wenn er morgens aufwachte, als erstes Abels Sohn sehen und den Namen hören, den Lebuda und Großmutter Eva so liebevoll aussprachen, wenn sie den Kleinen wuschen, ihn fütterten, mit ihm spielten.

Die Zeit aber verging, und Zippora wurde ebenfalls schwanger, und sie gebar, nachdem neunmal der Mond gewechselt hatte, einen Jungen, da war bei Kain die Freude groß. Gemeinsam nannten sie ihren Sohn Henoch. Und Kain baute eine dritte Hütte, für sich, für Zippora und seinen Sohn.

Kain war der einzige Mann in Eden, Eva aber war die Mutter der Mütter. Ihre Hütte war nun das Haupthaus. Sie teilte die Arbeit ein, sie kochte für die Familie, sie säte und pflanzte im Hausgarten, und sie gestaltete die Festtage.

Im Frühjahr feierten sie das Wiedererwachen der Natur. Nach dem großen Regen feierten sie die Wiederkehr der Sonne. Eva und Zippora stimmten Lob- und Danklieder an zu Ehren des himmlischen Vaters, der das Wetter machte. Bitja erzählte, jeweils mit kleinen Ergänzungen, die Geschichte vom Engel, der von der Sonne das Feuer gebracht hatte.

Niemand sprach mehr von Adam, aber ein jeder dachte an ihn. Wo er wohl sei? Wie es ihm wohl gehe? Ob er sich in der Wüste vielleicht verirrt habe? Und auch an Abel dachten sie, zumal Lebuda, die ihrem Sohn, wenn sie mit ihm allein war, von seinem Vater erzählte: dass er bald zurückkehren und sich über ihn freuen werde. Im Stillen dachte sie oft: Ach, wenn Abel doch wüsste, dass er einen Sohn hat, er wäre sicher schon längst wieder heimgekehrt.

Hin und wieder ging Eva zu Bitja auf die Weide am Wüstenrand, und sie ging auch zu Kain auf seinen Acker, so wie es früher Adam getan hatte, um nach dem Rechten zu sehen.

Eines Tages sagte Kain: „Ich verstehe dich nicht, Mutter. Mehr als zehn Jahre sind jetzt vergangen, und du blickst noch immer in die Wüste. Glaubst du wirklich, er kommt noch einmal wieder? Glaubst du an Wunder?“

„Was weißt du von Wundern, Kain?“

„Nichts. Denn es gibt keine Wunder.“

„Woher willst du das wissen? – Aber vielleicht hast du ja recht. Und deshalb glaube ich an Gott. Gott hat deinen Vater erschaffen. Gott wird ihn beschützen. Und eines Tages, du wirst sehen, kehrt er heim, zusammen mit Abel. Ich weiß es.“

„Du weißt es?“

„Ja, Kain – weil ich es fühle.“

Da wagte Kain nicht zu widersprechen.

Ein andermal sagte er: „Und wenn nun Vater doch etwas zugestoßen ist? Was wissen wir von der Wüste? Wir hätten ihn nicht ziehen lassen dürfen.“

„Wenn ich mich recht erinnere“, sagte Eva, „dann hast du damals nichts gesagt, um ihn zurückzuhalten. Ja, du warst sogar stolz darauf, dass nun du der Mann warst, dem die Sorge für Leib und Leben der Familie anvertraut war.“

„Das ist nicht wahr. Ich war nicht stolz.“

„Ach, Kain, vielleicht erinnerst du dich nur nicht genau genug. Weil du im Stillen froh warst, dass dein Bruder Abel nicht mehr da war.“

„Das ist nicht wahr! Ich habe Abel geliebt.“

„Und ich liebe ihn immer noch.“

Da schwieg Kain und blickte verlegen beiseite.

„Manchmal denke ich, es ist damals etwas passiert zwischen euch. Du hattest vielleicht Streit mit deinem Bruder, und daraufhin ist er weggegangen von uns.“

Kain wurde rot im Gesicht, aber nicht vor Wut.

„Manchmal denke ich sogar, es könnte noch etwas Schlimmeres geschehen sein.“

Kain wurde aschfahl im Gesicht.

„Was soll denn geschehen sein?“

„Ich weiß es nicht. Vielleicht habt ihr euch geprügelt.“

„Du glaubst, ich hätte Abel erschlagen?“

„Erschlagen? Aber nein, Kain. Du bist mein Sohn. So etwas würdest du niemals tun.“

Eva war über das Wort „erschlagen“ mehr erschrocken, als sie sich anmerken ließ. Sie hatte das Wort vorher gar nicht gedacht. Warum, so fragte sie sich, hatte Kain es ausgesprochen? Weil er wusste, dass sein Vater vergebens aufgebrochen war, um Abel zu suchen?

Sie wollte den Gedanken vergessen, aber es war wie schon früher, manche Gedanken, manche Worte kehrten immer wieder, gaben im Kopf keine Ruhe.

So kam es, dass Eva begann, häufiger spazieren zu gehen.

Und den Töchtern, zumal Lebuda, fiel es auf.

„Was ist mit dir?“ fragte Lebuda eines Nachmittags die Mutter. „Du bist in letzter Zeit so unruhig. Du gehst so oft umher, am Fluss entlang, durch den Wald, über die Wiesen, so als suchtest du etwas.“

„Aber nein, Kind. Was sollte ich suchen?“

Eva fand, es war nicht recht, dass sie Lebuda etwas verschwieg, aber wohin würde es führen, wenn sie ihr von ihrem Gespräch mit Kain erzählte?

Aber auch Bitja fiel auf, dass die Mutter öfter als früher unterwegs war.

„Du wartest auf den Engel, habe ich recht?“ sagte sie. „Dass er dir Nachricht bringt von Vater und von Abel.“

„Aber, Kind“, sagte Eva. „Was für ein Engel denn? Und was für eine Nachricht?“

„Das weiß ich nicht. Das weiß man nie vorher, bevor einem ein Engel erscheint.“

Darauf wusste Eva nichts zu erwidern. Die Tochter, die nun schon bald dreißig Jahre alt war, wurde in ihrer Phantasienwelt immer wunderlicher. Und doch manchmal auch hellsichtiger als die anderen.

Eva beschloss, ihre Suche aufzugeben. Nirgendwo, weder im Wald noch auf einer der Wiesen noch in der Felsengrotte, hatte sie Spuren oder Anzeichen gefunden, die auf etwas Vergrabenes hindeuteten. Für irgendwelche Spuren war es inzwischen wohl längst zu spät. Außerdem erschien ihr der Gedanke, je öfter sie ihn dachte, gar zu ungeheuerlich. Kain war ihr Sohn!

Und so kehrte sie wieder zu ihrer alten Hoffnung zurück, zu ihrem Gefühl, dass Adam ganz sicher irgendwann mit Abel heimkehren werde. Was wusste sie schon von den Hindernissen und Beschwernissen, denen ein Reisender im Lande Nod begegnete.

Aber auch Kain war nicht entgangen, dass die Mutter anders als früher lange Zeit wieder und wieder durch Eden gestreift war. Und Eva ihrerseits war nicht entgangen, dass Kain sie dabei wieder und wieder beobachtet hatte, mit unruhigen Blicken, wie ihr schien, ohne sie zu fragen, was sie denn umtreibe. Wenn sie bei den Mahlzeiten alle beisammensaßen, kam es immer öfter vor, dass Eva, wie ohne jeden erkennbaren Anlass, plötzlich vom Vater, vom Großvater, vom Oheim erzählte. Kain schwieg meistens dazu. Eva vermerkte es wohl, sagte aber nichts. Und ihre Enkel, Henoch und Abe, hörten zwar zu, stellten aber kaum je eine Frage zu den beiden Abwesenden, die sie freilich nicht kannten. Das schmerzte Eva im Stillen, aber ihre Liebe zu den Enkeln war viel zu groß, als dass sie es ihnen verargt hätte. Abe und Henoch, nun schon kräftige, wohlgestaltete Jungen, packten inzwischen fleißig mit zu bei den anfallenden Arbeiten, lösten Bitja auf der Weide und Kain auf dem Acker ab und wetteiferten wohl auch um die Gunst und das Lob der Großmutter, was Eva durchaus gefiel; ihr Wort besaß, wie sie wusste, besonderes Gewicht, war sie doch die einzige in der Familie, die von Gott, dem Herrn, erschaffen worden war.

Und so verging die Zeit. Nichts geschah. Evas Gedanken aber waren jeden Tag bei Adam und Abel.

Da ereignete es sich eines Nachmittags – Eva breitete mit Zippora und Bitja auf der Wiese gerade die gegerbten Felle aus, und Lebuda reinigte die Feuerstelle von der Asche, die Männer waren auf dem Acker und auf der Weide – , dass sich mitten auf dem Fluss, nahezu geräuschlos, durch das leicht im Wind hin und her schwankende Schilf aber deutlich sichtbar, etwas bewegte.

Das war noch nicht vorgekommen. Außer Enten, springenden Fischen, fischefangenden Vögeln oder vorüberschwimmenden Krokodilen hatte sich auf dem Wasser noch nie etwas bewegt. Bitja sah das merkwürdige Etwas als erste. Augenblicklich stand sie da wie versteinert. Eva und Zippora bemerkten es, richteten sich auf, folgten Bitjas Blick und sahen es nun auch. Und Lebuda, verwundert, dass das Geplapper bei den Schwestern und der Mutter plötzlich verstummt war, hob den Blick von der Feuerstelle und sah die drei dastehen und aufs Wasser starren. Und dann sah sie es ebenfalls.

Es bewegte sich, offenkundig getrieben von der Kraft der Strömung, langsam auf die freie Uferstelle zu.

Es war ein kastenförmiges Gebilde aus Holz mit einem von vier Pfählen getragenen Dach, das aus einer Art hellem, aber schattenspendendem Stoff bestand.

Unter dem Dach saß ein Mann in einem weißen Gewand und mit einem dunkelbraunen Tuch um den Kopf. Am Ende des flachen Kastens stand ein jüngerer Mann, der das schwimmende Gefährt offenbar lenkte; er war, im Unterschied zu dem Mann unter dem Sonnendach, von nahezu schwarzer Hautfarbe.

Die Frauen, ungläubig, erschrocken, standen noch immer wie erstarrt, mit einer Hand vorm Mund, mit der anderen Hand sich den Leib haltend, als müssten sie sich vor etwas schützen.

Der Kasten setzte auf dem sandigen Ufer auf. Der Mann in Weiß erhob sich. Der Jüngere, der nahezu nackt war (die Töchter, wie Eva wohl bemerkte, verschlangen ihn geradezu mit ängstlichbewundernden Blicken), sprang ans Ufer und machte den Kasten mit einem Seil fest. Der Herr in Weiß raffte sein Gewand, tat einen schwungvollen Schritt über den Kastenrand, und dann stand er, groß und würdevoll, vor ihnen und sagte mit klangvoller Stimme:

„Seid gegrüßt, ihr Frauen! Bin ich angekommen im Land Eden?“

Und Eva, ein wenig zitternd zwar, aber gefasst, trat einen halben Schritt vor und machte (später fragte sie sich, wie sie darauf gekommen sei) einen Knicks.

„Gelobt sei der Herr. Ja, Ihr seid angekommen im Garten Eden.“

Der Fremdling nickte wohlgefällig. Und sah die jungen Frauen an.

„Im Garten der hübschen und fleißigen Mädchen...“

Zippora, Bitja und Lebuda lächelten verlegen.

Und Eva, der volltönenden Stimme des Ankömmlings nachlauschend, als hätte sie die schon einmal gehört, fragte: „Und Ihr? Wer seid Ihr? Woher kommt Ihr?“

Der Herr in Weiß drehte sich kurz um, zum Fluss. Oder sah er hinüber zum anderen Ufer? Eva dachte unwillkürlich, dass noch keiner aus der Familie je dort drüben gewesen war, in dem bewaldeten Landstreifen, über dem abends die Sonne unterging.

„Wir kommen von weit her“, sagte der Herr in Weiß. „Aus dem Land Ur. Und dort wollen wir hin.“

Spaßig gesagt, dachte Eva.

„Mein Name ist El Haschem. Ich bin Kaufmann. Und das ist Uki, mein Gehilfe.“ Er zeigte auf seinen jungen, schwarzen Begleiter, der hinter ihm stand. „Und du – ich rate mal – du bist Eva.“

Eva glaubte, ihr Herz würde stehenbleiben. Ich rate mal. Der Herr besaß Humor. Das hätte sie nicht gedacht.

„Ja“, sagte sie schließlich, „ich bin Eva, Adams Frau...“

„Und von Adam“, sagte der Herr, ehe sie die nächste Frage stellen konnte, „soll ich dich herzlich grüßen.“

„Ihr habt ihn gesehen?“

Der Herr überhörte die Frage. „Und euch soll ich natürlich auch grüßen“, sagte er zu den jungen Frauen. „Lebuda, Zippora und Bitja, wenn ich das recht behalten habe. Und nicht zu vergessen: Kain. Wo steckt er denn, der junge Mann?“

Eva holte tief Luft. Was für Scherze! Als ob er das nicht wüsste. (Erst später wurde ihr bewusst, dass sich der Mann weder nach Abe noch nach Henoch erkundigt hatte.)

Inzwischen hatten die Mädchen die Sprache wiedergefunden und überfielen den offenkundig weitgereisten Kaufmann aus dem Land Ur mit einem Schwall aufgeregter Fragen nach dem Vater, nach dem Bruder, wo er die beiden getroffen habe, wie es ihnen gehe, warum sie noch nicht heimgekehrt seien...

Der Herr in Weiß lächelte verständnisvoll, hob aber besänftigend die Arme.

„Ich denke“, schaltete sich Eva wieder ein, „wir lassen unseren Gast und seinen Gehilfen erst einmal nähertreten. Sie werden von der Reise hungrig und durstig sein. Und ihr, Bitja und Zippora, lauft und sagt Kain und euren Kindern Bescheid.“

Später dann, nachdem die Gäste die kleine Siedlung (so ihre Worte) besichtigt, Kain mit Abe und Henoch das Kastenschiff (so ebenfalls die Gäste) bestaunt hatten und alle am Tisch versammelt saßen, ließ sich der Herr in Weiß nicht lange bitten und begann – die Familie war mehr als gespannt – zu erzählen, wie und weshalb er nach Eden gekommen sei.

Zunächst erteilte er zum besseren Verständnis seiner Reisewege ein wenig Fluss und Länderkunde. „Euer Strom“, begann er, „den ihr Prat nennt und der euren schönen Garten Eden bewässert, teilt sich ein Stück stromaufwärts in vier Hauptarme. Der erste heißt Pischon und fließt um das ganze Land Hewila, dort findet man Gold, und das Gold des Landes ist kostbar. Und also begehrt! Der zweite Strom heißt Gihon, der fließt um das ganze Land Kusch. Dort ist nicht besonders viel los. Der dritte Strom heißt Tigris und fließt östlich von Assyrien. Ein zur Zeit nicht ganz unbedeutendes Reich! Und der vierte Strom heißt Euphrat, dort liegt, nahe dem Meer, die Stadt Ur, wo wir herstammen und wohin wir zurückwollen. Getroffen aber haben wir Adam, euren Mann, Vater und Großvater, in Memphis, das liegt ganz woanders, nämlich westlich von hier, am Nilstrom im Land der Ägypter. Wie schon gesagt, wir kommen viel umher, und eines Abends, wie es der Zufall will, saßen Uki und ich in einer kleinen Schenke am Nilufer, um uns nach des Tages Mühen ein wenig am Wein zu laben, da trafen wir einen ebenfalls fröhlichen Zecher, und wir kamen, wie das auf Reisen zu gehen pflegt, bald ins Gespräch. Wie erstaunt aber war ich, zu hören, dass unser Tischgenosse Adam heiße und aus dem Land Eden käme. Nun hatte ich, wie alle gebildeten Handelsreisenden, von Eden schon einiges gehört, aber noch nie jemanden von dort getroffen. Offen gesagt, es gibt nicht wenig Leute in den von mir bereisten Ländern, die bezweifeln, dass es Eden noch gibt, dass es ein Paradies je gegeben hat...“

Eva musste für einen Moment die Augen schließen. Ihr war ganz schwindelig von der Flut noch nie gehörter Wörter: Gold, Assyrien, Nil, Schenke, Wein, Zecher, Paradies... Worüber sie sich ein wenig wunderte, war, dass der weitgereiste Kaufmann (was immer das sein mochte) bisher nicht ein einziges Mal das Land Nod erwähnt hatte.

„Ihr habt also mit Adam gesprochen? Und“, fragte sie, „wie geht es ihm?“

„Ausgezeichnet.“

„Wird er bald heimkehren?“

„Ich weiß es nicht.“

„Hat er nichts darüber gesagt?“

„Nein.“

„Ist es schon lange her, dass Ihr ihn getroffen habt?“

„Etwa ein halbes Jahr.“

„Vom Nilstrom bis hierher ist es wohl weit?“

„Sehr weit.“

„Und Adam, mein Vater, war allein, als Ihr ihn getroffen habt?“ fragte nun Lebuda, die – Eva sah es ihr an – mehr als an den Vater an ihren Mann dachte.

„Ja, er war allein.“

Eva fiel auf, dass der Herr El Haschem nach seiner langen, äußerst gewandten Rede auf einmal recht einsilbig geworden war. Ihr kamen leise Zweifel, nicht nur an dem Gehörten, auch an der Person des Mannes aus dem Land Ur, den sie – sie gestand es sich durchaus ein – anfangs für Gott den Herrn gehalten hatte.

„Also ist er noch immer auf der Suche nach unserem Bruder Abel“, sagte Bitja. „Hat er gar nichts davon erzählt?“

„Oh doch. Von Abel hat er gesprochen. Dass er nicht eher heimkehren werde, bis er ihn gefunden habe.“

Mit genau den Worten, erinnerte sich Eva, hatte Adam sich einst von ihr verabschiedet.

Als aber der Herr in Weiß jetzt die Worte sprach, sah er nicht sie an, sondern Kain. Und Kain senkte sofort den Blick. Eva schoss jäh eine Hitzewelle durch den Leib.

Der Gast schien beides zu bemerken. Und auf sein Gesicht – er sah wieder Kain an – trat ein seltsam strenges Lächeln. Doch dann, völlig überraschend, gab er seinem Gehilfen Uki einen Wink, und der sprang sogleich auf und lief zum Kastenschiff.

Eva erschrak erneut. Was sollte jetzt kommen? Irgendwie hatte sie das Gefühl, als liefe alles nach einem genau vorgefassten Plan ab.

Der Herr in Weiß, der neben ihr saß, beugte sich ein wenig zu ihr herüber.

„Wir sind natürlich nicht ganz mit leeren Händen gekommen.“

Alle am Tisch hörten es, und alle blickten wie gebannt zum Kastenschiff. Von wo Uki, der hübsche schwarze Junge mit dem lustig gekräuselten schwarzen Haar, eilenden Schrittes auch schon wieder zurückkehrte – mit einem in ein Tuch gehüllten flachen Gegenstand, den er seinem Herrn übergab.

Der Herr erfreute sich an den rundum neugierigen Blicken.

Er enthüllte den Gegenstand und überreichte ihn Eva.

„Weißt du, was du jetzt in Händen hältst?“

Eva schüttelte den Kopf. – Eine Tontafel. Mit merkwürdigen Einritzungen.

„Das ist...“ Der Herr blickte bedeutungsvoll in die Runde. „... eine Nachricht von Adam!“

Lange Pause.

Und Eva sah ebenso ungläubig wie ratlos auf das flache Ding in ihren Händen.

Der Herr und Uki tauschten vergnügte Blicke: Wir sind halt in Eden.

„Ich weiß“, sagte er, „so etwas habt ihr noch nicht gesehen.“ Er zeigte auf die zierlichen Einkerbungen. „Das sind Schriftzeichen“, erklärte er. „Erfunden von den Ägyptern. Hübsch anzusehen. Aber nicht jedem verständlich. Ich war eurem Mann beim Einritzen natürlich behilflich.“

Abe, ihm gegenüber sitzend, beugte sich über den Tisch.

„Schriftzeichen sind das?“

„So ist es. Jede Einkerbung steht für ein Wort.“

„Interessant“, sagte Abe.

Henoch jedoch wurde nun ungeduldig: „Nun macht es nicht so spannend. Lest vor, was uns der Großvater schreibt!“

Eva dachte: Mein Gott, der Junge, rede nicht so! Wenn es nun doch der Herr ist!

Und Mutter Zippora, ebenfalls erschrocken, setzte ein entschuldigendes Lächeln auf.

Kain aber saß schweigend da, mit ausdrucksloser Miene.

Der Herr El Haschem bat sich von Eva noch einmal kurz die Tafel aus.

„Viel ist es nicht, was er geschrieben hat“, sagte er. „Ihr seht ja, das Täfelchen ist nicht besonders groß. Im Ägypterland gibt es... Aber das führte jetzt wohl zu weit.“ Er blickte auf die Tafel. „Ihr seht, es sind nur vier Zeilen. Die erste Zeile lautet: Es geht mir gut. Die zweite Zeile: Gott ist mit mir. Die dritte Zeile: Gelobt sei der Herr. Und die vierte Zeile: Adam.

Er gab Eva die Tontafel zurück.

Abermals langes Schweigen.

„Soll ich es noch einmal wiederholen?“ fragte der Gast.

„Nein, nein“, sagte Eva. „Es geht mir gut. Gott ist mit mir. Gelobt sei der Herr. Adam.“

Sie drückte die Tafel an ihre Brust, als wollte sie jedes der Schriftzeichen in ihr Herz verschließen..

Henoch, etwas spöttisch, sagte: „Welch frohe Botschaft.“

Abe aber sagte: „Es steht geschrieben!“

Und Bitja, die wie so oft ihren kleinen Engel in Händen hielt, sagte dankbar-erleichtert: „Jetzt wissen wir es.“

Danach setzten sie alle das unterbrochene Mahl fort. – Und anschließend saßen sie noch lange am Feuer bis in den Abend hinein. Der Reisende aus der Stadt Ur wusste viel zu berichten von Ländern und Leuten, von Gebirgen, Flüssen und Städten im morgenländischen Erdkreis.

Am anderen Morgen, gleich nach dem Frühstück, brachen der Kaufmann und sein Gehilfe auf, weiter stromabwärts gleitend, und waren bald nicht mehr zu sehen.

El Haschem, dachte Eva, als sie zur Hütte zurückkehrte, was der Name wohl bedeuten mochte? Und ihr fiel ein, dass sie ganz vergessen hatte zu fragen, was denn ein Kaufmann sei.

Noch etliche Tage war wieder und wieder die Rede von den beiden Besuchern. Bitja war ein wenig verstimmt, weil Herr El Haschem ihrem Engel keinerlei Beachtung geschenkt hatte. Abe malte selbstersonnene Schriftzeichen in den Sand. Zippora schwärmte vom hübschen Uki. Henoch gingen die Nilschenke und der Wein nicht aus dem Kopf. Lebuda fand es merkwürdig, dass auf dem Fluss nicht schon früher mal ein Kastenschiff gekommen war.

Eva aber nahm jeden Morgen, jeden Abend die kleine Tontafel in die Hand und sprach für sich leise die Worte, die ihr Adam gesandt hatte. Welch ein Trost!

Kain als einziger ging schweigend seinen gewohnten Tätigkeiten nach.

Eines Abends aber sagte er: „Ich denke, es ist jetzt genug mit dem Gerede. Wir sollten den ganzen Unsinn vergessen. Vater Adam ein fröhlicher Zecher am Nilufer! Wer`s glaubt, wird selig.“

Selig? – Alle sahen ihn fragend an.

„Na, hat Uki doch gesagt: Glauben macht selig.“

Ja, Eva erinnerte sich, so etwas Ähnliches hatte der schwarze Gehilfe gesagt, als von der Kraft und Herrlichkeit der Sprache die Rede gewesen war.

Eva aber verbot Kain dieses Wort, aus seinem Mund hatte es ihr allzu abfällig geklungen.

Am anderen Tag holte sie aus dem Stroh, auf dem sie schlief, die Tontafel hervor und stellte sie auf ein kleines Holzgestell, auf dem sie bisher getrocknete Früchte gelagert hatte. Und das Gestell mit der Tontafel stellte sie in eine Ecke des Hauptraums, und das Ganze schmückte sie mit Feldblumen aus. Und fortan erneuerte sie die Blumen jeden Morgen und sprach dabei leise die zweite und dritte Zeile der Tontafel. Das beruhigte sie und stärkte ihre Gewissheit, dass Adam lebte, dass er zurückkehren würde, und mochten auch noch Jahre vergehen.

Kain aber beobachtete sie manchmal und hörte wohl, was sie vor sich hin sprach.

Eva tat so, als bemerkte sie es nicht. Und doch wurde sie das Gefühl nicht los, dass der Besuch der beiden Männer Kain in Unruhe versetzt hatte. – Allein, sie ließ sich nicht beirren; er war ihr Sohn, und nie und nimmer mochte sie glauben, dass Kain seinem Bruder Abel etwas angetan haben könnte.

So verging die Zeit, so vergingen die Jahre. Von den zwei Flussreisenden war längst nicht mehr die Rede. In der Ecke des Haupthauses aber stand, immer geschmückt mit frischen Blumen, die Tontafel.

Eines Abends jedoch, als alle im goldenen Schimmer der sinkenden Sonne bei Tisch saßen, geschah es, dass plötzlich ein hochbeiniges, graubraunes Tier aus dem Wald trat, und auf ihm, zwischen zwei zotteligen Buckeln, saß, prächtig gewandet, Adam.




Adam und Eva

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