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Die Lust und die Wörter
ОглавлениеDen Garten, den Gott, der Herr, gepflanzt hatte für seine Geschöpfe, nannte er Eden. Und seine Geschöpfe nannte er Mensch. Und der Mensch, wie Gott ihn erschaffen hatte, fand, es war eine Lust, im Garten Eden zu spazieren.
„Wie schön das alles ist“, sagte die Frau.
„Wie herrlich“, sagte der Mann.
Sie meinten die Bäume, die Kräuter, die Blumen. In ihrer Fülle, in ihrer Farben- und Früchtepracht. Und sie meinten die Tiere auf der Erde und in der Luft. In so vielerlei Gestalt und Größe.
Und der Mann sagte. „Wahrhaftig, Eva, es ist eine Lust, das alles zu schauen.“
„Und davon zu essen“, sagte sie und biss in einen saftigen Pfirsich. „Aber weshalb... weshalb sagst du Eva zu mir?“
Er sah sie an, ein wenig verwundert.
„Weshalb? Weil ich dich so nenne. Gefällt dir der Name nicht?“
„Oh, doch“, sagte sie. „Der Name gefällt mir. Und ich...“ Sie überlegte, kaum einen Augenblick lang. „Ich nenne dich Adam.“
„Adam“, sagte er. „Wie hübsch.“
Und er lachte und fragte sich, woher ihnen wohl die Wörter kamen.
„Adam und Eva“, sagte Eva und warf den Pfirsichkern weg. „Wie das klingt.“
Und Adam sagte: „Eva und Adam. So herum klingt`s aber auch.“ Und sie fassten sich bei den Händen und spazierten weiter, nackt wie sie waren, durch den Garten.
„Ja“, sagte Adam nach einer Weile, „es ist wirklich eine Lust, so zu spazieren...“
„Weiß Gott“, seufzte Eva, „es ist eine Lust.“ Und da blieb sie auf einmal stehen und fragte Adam, ihren Mann: „Adam, was ist das eigentlich – Lust?“
Da blieb Adam ebenfalls stehen und sah sie an.
Und so standen sie mitten auf der weiten grünen Wiese nahe dem Ufer des Flusses und sahen sich zum ersten Mal in die Augen.
Seitab in den Bäumen sangen die Vögel. Über den Wipfeln neigte sich bereits die Sonne. Es war die erste Dämmerung, die sich über dem Garten Eden senkte. Und die Luft war schwer von Blütenduft.
Am Morgen wurden sie geweckt von den ersten Sonnenstrahlen. Sie lagen dicht nebeneinander im Gras und sahen sich blinzelnd an.
„Unsere erste Nacht“, sagte Eva.
„In unserem Garten“, sagte Adam, ebenfalls lächelnd.
„War es nicht schön?“
„Es war herrlich.“
Und Eva gab Adam einen Kuss.
„Ich gehe jetzt baden.“
„Mach das.“
Und Adam gab Eva rasch auch noch einen Kuss und sagte:
„Ich suche uns schon mal ein schönes Frühstück.“
„Mach das, Adam.“
Und Eva ging hinunter zum Fluss, und Adam sah ihr beglückt nach. Schließlich erhob auch er sich und ging über die Wiese. Dort stand, wie er sah, ein Tier, auf vier Beinen, mit grauem Fell und langen Ohren. Da blieb er kurz stehen und sagte: „Ich nenne dich Esel.“ Der Esel, so schien es, nickte mit dem Kopf und fraß weiter vom frischen Gras. Adam war es zufrieden und ging hin zum Wiesenrand, zu den Bäumen und Sträuchern, die voller Früchte waren.
So verging die Zeit, so vergingen die Tage. Mann und Frau lustwandelten in ihrem Garten, und bald hatten sie für alles einen Namen gefunden, für alle Tiere, alle Pflanzen, alle Bäume, alle Früchte, die man essen konnte.
Manchmal, wenn sie so Hand in Hand unterwegs waren, begegneten sie Gott, dem Herrn, aber sie sahen ihn nicht.
Eines Nachmittags merkten sie plötzlich, dass sie nass wurden auf der Haut. Überrascht blickten sie nach oben, zum Himmel, und sahen über ihren Köpfen eine dunkle, graue Wolke, aus der dicke, schwere Tropfen fielen. Sie stellten fest, dass es Wasser war, und sie nannten das Wolkenwasser Regen. Sie lachten und jauchzten, reckten die Arme in die Höhe, hielten ihre Gesichter in den Regen und begannen zu tanzen, so schön, so erfrischend, so belebend war das Wolkenwasser. Nach einiger Zeit jedoch, als schon die Dämmerung hereinbrach und der Regen noch immer auf sie herabströmte (sie hatten inzwischen aufgehört zu tanzen und standen mit triefenden Haaren unter einem Baum, den sie Palme nannten), sagte Adam: „Ich glaube, wir brauchen ein Dach über den Kopf.“
Eva, die sich an ihn geschmiegt hatte, sah ihn erstaunt an und sagte: „Ein Dach?“
„Na ja, irgend etwas aus großen Blättern...“
Adam wunderte sich selbst über das Wort Dach, das ihm einfach so eingefallen war.
„Aus großen Blättern?“ sagte Eva.
„Jedenfalls größer“, sagte Adam, „als die Palmenblätter über unseren Köpfen. Die halten nicht viel ab.“
„Ein Dach größer als die Blätter der Palme?“
„Und vor allem viel dichter, Eva, dichter als an allen Bäumen im Garten.“
Eva nickte nachdenklich. Und sah sich um.
„Ich glaube, ich verstehe, was du meinst, Adam. Wir brauchen eine Hütte.“
„Eine Hütte?“
Adam war mehr als verblüfft.
„Was ist eine Hütte?“
„Ich weiß es nicht. Weißt du, was ein Dach ist?“
Der Regen prasselte weiter hernieder. Und beide spürten sie, irgend etwas war passiert, in ihren Köpfen. Etwas, das vollkommen neu war. Bisher waren ihnen immer nur Wörter eingefallen für Dinge, die es vorher schon gegeben hatte, die Tiere, beispielsweise, die Pflanzen, die dunkle Wolke, den Regen. Und jetzt auf einmal waren ihnen zwei Wörter eingefallen für etwas, das es noch nicht gab, Wörter, aus denen sie erst etwas machen mussten. Damit sie wirklich wurden, damit man sie sehen konnte.
„So wie den Garten“, sagte Eva.
„So wie den Himmel“, sagte Adam.
„Und wie den Regen“, sagte Eva.
Sie nickten und verstanden einander, und Adam sagte: „Was für eine wunderbare Sache ist doch die Sprache.“
Von den Palmenblättern tropfte weiter der Regen.
Und Eva sagte: „Ja, ja, die Sprache. Und nun lass uns mal überlegen, wie wir sie machen wollen, unsere Hütte.“