Читать книгу Handbuch des Strafrechts - Bernd Heinrich - Страница 25
I. Verfehlung des ärztlichen Standards
Оглавление10
Generell wird der Unrechtstatbestand des Fahrlässigkeitsdelikts nicht allein durch das Erfolgsunrecht der vom Täter bewirkten Beeinträchtigung des Tatobjektes bestimmt. Folglich steht auch bei der Betrachtung der ärztlichen Verantwortlichkeit für Behandlungsfehler als fahrlässige Tötung oder Körperverletzung das Handlungsunrecht der objektiven Sorgfaltspflichtverletzung als zentrales Element des objektiven Fahrlässigkeitstatbestandes[44] im Mittelpunkt. Das Vorliegen einer Sorgfaltspflichtverletzung des Täters ist im Falle der ärztlichen Behandlung schon deshalb unerlässlich, weil hierbei Misserfolge und Komplikationen auf „der Eigengesetzlichkeit und weitgehenden Undurchschaubarkeit des lebenden Organismus“[45] und nicht auf einem Fehlverhalten des behandelnden Arztes beruhen können.[46] Da auch im Bereich ärztlicher Tätigkeit nicht jede Herbeiführung eines unerwünschten Zustandes schlechthin verboten sein kann, knüpft die strafrechtliche Reaktion – entsprechend zu anderen Lebensbereichen – an Verhaltensweisen an, die dasjenige Maß an Sorgfalt außer Acht lassen,[47] das im Zusammenleben innerhalb der Rechtsgemeinschaft billigerweise erwartet werden kann und auf das der Patient vertrauen darf. Aus dem Gebot des „neminem laede“ wird unter dem Gesichtspunkt der Fahrlässigkeitsverantwortlichkeit das Verbot, für Rechtsgüter des Patienten ein nicht mehr erlaubtes Risiko[48] zu schaffen, durch welches diese Güter in ihrem Bestand und ihrer Sicherheit beeinträchtigt werden.[49] Da jede ärztliche Behandlung mit dem Risiko verbunden ist, den Patienten hierbei zu verletzen oder gar zu töten, darf der Arzt dieses Risiko nur mittels einer Behandlung eingehen, die ihr Ziel auf möglichst schonende Art und Weise und mit möglichst geringem Risiko zu erreichen sucht.[50]
11
Der durch das Patientenrechtegesetz 2013 bewirkten Kodifizierung des medizinischen Behandlungsvertrags in den §§ 630a ff. BGB kommt für die nachfolgenden Überlegungen schon deshalb keine weitere Bedeutung zu, da sich diese „Neu“-Regelung ganz überwiegend[51] darauf beschränkt hat, das von der Rechtsprechung (namentlich der zivilrechtlichen Judikatur) geprägte Arzthaftungsrecht in Gesetzesform zu gießen; der ärztliche Pflichtenkatalog im Arzt-Patienten-Verhältnis wurde von den wenigen Neuregelungen nicht berührt. Diese von Spickhoff[52] für den Bereich der bürgerlich-rechtlichen Arzthaftung getroffene Feststellung gilt auch für das – insoweit notwendigerweise jedenfalls vom Ansatz her – zivilrechtsakzessorische Medizinstrafrecht.[53] Insoweit ist bereits hier (näher dann Rn. 128 ff.) darauf hinzuweisen, dass es sich um eine asymmetrische Zivilrechtsakzessorietät handelt, wie sie namentlich vom Bereich der Untreue (§ 266 StGB) her bekannt ist:[54] Zwar kann das Strafrecht nicht ein zivilrechtlich beanstandungsfreies Verhalten sanktionieren; umgekehrt sollte aber angesichts des verfassungsrechtlich (Art. 20 Abs. 3 GG: Verhältnismäßigkeitsgrundsatz[55]) vorgegebenen ultima-ratio-Gebots für den Einsatz des strafrechtlichen Instrumentariums nicht jede zivilrechtlich zu schadensersatzrechtlichen Reaktionen führende Verhaltensweise automatisch auch ärztliche Strafbarkeit nachsichziehen.