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(4) Indizielle Funktion von Richt- oder Leitlinien
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An der nur indiziellen Funktion[111] von Richt- oder Leitlinien ändert auch die Einhaltung spezifischer Qualitätskriterien, die zur Beurteilung der jeweiligen Wertigkeit dieser Vorgaben entwickelt worden sind (namentlich die Klassifikation der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften in sog. S1 bis S3-Richtlinien[112]) nichts.[113] Ungeachtet der durch das SGB V sowie das AMG erfolgenden Transformation der Ergebnisse evidenzbasierter Medizin in das Medizinrecht, entfalten ihre Ergebnisse auch dann, wenn sie Teil von sog. S3-Richtlinien geworden sind, keine Bindungswirkung i.S.e. Vorgabe eines Behandlungsfehlers.[114] Auch evidenzbasierte Leitlinien (S3-Status), die den fachlichen Standard auf einem breiteren Fundament als ein Sachverständiger im Prozess bestimmen,[115] lassen die Variationsbreite der möglichen ärztlichen Entscheidungen aufscheinen, so dass sie eher Koordinaten angeben, innerhalb derer sich die ärztliche Entscheidung bewegen sollte.[116] Schließlich ist darauf zu bestehen, dass auch die sozialrechtlich relevanten Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses der Ärzte, Krankenhäuser und Krankenkassen (§ 91 SGB V) – ungeachtet der demokratischen Legitimation dieses Selbstverwaltungsträgers[117] – den ärztlichen Standard für das Zivil- und Strafrecht nicht verbindlich festzulegen vermögen.[118] Diese Richtlinien, denen durchaus Normqualität im rechtlichen Sinne zuzusprechen ist,[119] stehen im unmittelbaren Zusammenhang mit der Qualitätssicherungsaufgabe im GKV-Recht, das eine Art Zulassungsverfahren für ärztliche Behandlungen bereithält. Dieses wird durch die Richtlinien des Bundesausschusses (§§ 92 ff. SGB V), also etwa über die Richtlinien zu Verfahren und Maßnahmen der Qualitätssicherung sowohl im ambulanten (§§ 135 ff. SGB V) wie im stationären Bereich (§§ 137 ff. SGB V) bestimmt. Diese Richtlinien sind sozialrechtlich verbindlich und sanktionsbewehrt (Honorarkürzung oder -verlust). Sie haben formal nichts mit den innerprofessionellen medizinischen Leitlinien zu tun, können sich aber inhaltlich mit jenen decken. Weil diese Richtlinien speziell dem spezifisch sozialrechtlichen Wirtschaftlichkeitsgebot zu dienen haben, können sie außerhalb dieses Rechtsgebietes keine Verbindlichkeit beanspruchen,[120] wenn dort – wie derzeit bei der Fahrlässigkeitsstrafbarkeit – das Wirtschaftlichkeitsziel nicht ausdrücklich normiert ist.[121] Demgegenüber integrieren diese sozialrechtlich verbindlichen Richtlinien von vornherein das Ziel wirtschaftlicher Heilbehandlung und sind deshalb für die zivil- und strafrechtliche Fahrlässigkeitshaftung (Sorgfaltswidrigkeit), die sich am Schutz des Patienten orientiert, nicht vorgreiflich. Ohnehin kommt auch außerhalb des medizinischen Bereichs selbst Sondernormen mit Rechtssatzqualität (bspw. der StVO auf dem Gebiet des Straßenverkehrs) lediglich eine eingeschränkte, nur indizielle Bedeutung zu. Auch bei einem Verstoß gegen deren Vorgaben liegt eine Sorgfaltspflichtverletzung eben nur dann vor, wenn im Einzelfall gerade die vom Normgeber ins Auge gefasste Gefahrenlage vorlag. Umgekehrt vermag ihre Einhaltung sorgfaltswidriges Verhalten nur dann auszuschließen, sofern diese Sondernormen mit Rechtssatzqualität das erlaubte Risiko abschließend festlegen, sie also mehr als nur eine Mindestmaßangabe einzuhaltender Sorgfalt enthalten; auch darf im Einzelfall keine atypische Gefahrenlage, die abweichendes Verhalten gebietet, vorliegen.[122] Es gilt also stets das Richtige und nicht das „Vorschriftsmäßige“ zu tun.[123]
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Kann im Einzelfall ein etwa bestehendes Nebeneinander sich widersprechender Leitlinien nicht im Sinne der Vorzugswürdigkeit einer Vorgabe ausgeräumt werden, so besteht eine arzthaftungsrechtliche Verpflichtung zur ärztlichen Aufklärung über Behandlungsalternativen: Immer dann, wenn die Medizin sich nicht auf eine Empfehlung verständigen kann, wird sich der Jurist dieser Situation beugen und auf die Steigerung der Aufklärungsanforderung auszuweichen haben.[124]