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(2) Haftungsrecht und medizinischer Standard

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Da auch das zivil- und strafrechtliche Haftungsrecht auf den medizinischen Standardbegriff rekurriert,[88] ist letztlich jede rechtliche Entscheidung zunächst von der – durch die ärztliche Profession selbst definierten[89] – medizinisch-normativen Aussage abhängig, dass eine Behandlung dem Standard entspreche. Folglich stellt letztlich auch die rechtliche Bewertung der Ordnungsgemäßheit einer Behandlung eine Mischung von medizinischer Qualitätskontrolle und deren Rezeption in den rechtlichen Rahmen des zivil- und strafrechtlichen Haftungsrechts dar.[90] Angesichts des Rekurrierens des Haftungsrechts auf den medizinischen Standard steht letztlich jede rechtliche Entscheidung in Abhängigkeit zu einer normativ geprägten medizinischen Aussage,[91] die Behandlung entspreche dem Standard.[92] Dies ändert aber nichts daran, dass der in diesen medizinischerseits gesetzten „Sondernormen“ enthaltene Pflichtenkanon mit dem strafrechtlich gebotenen Pflichtenstandard zwar korrelieren kann; er vermag ihn aber nicht allein zu determinieren.[93] Bei diesem interdisziplinären Entscheidungsprozess über die Bildung strafbelegter Handlungsvorgaben hat das Recht die Letztentscheidungsbefugnis![94]

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Hiermit soll nicht die Rationalisierungsfunktion[95] von Leitlinien im Haftungsprozess bestritten werden: In ihnen kommt nicht nur eine individuell-ärztliche, sondern eine institutionell-ärztliche Bewertung zum Ausdruck.[96] Dies ändert aber nichts daran, dass für die (straf)rechtliche Bewertung die Verfehlung des in casu gebotenen Standards maßgeblich ist: Der Schritt vom allgemeinen Standard zum individuellen Fall, also die Standardanwendung im Einzelfall, bedarf einer individuell-sachverständig unterstützten Bewertung,[97] weil namentlich Leitlinien ihrerseits begründete Abweichungen erlauben oder sogar gebieten. Diese Entscheidung hat der regelmäßig sachverständig beratene Rechtsanwender zu treffen, dem es ermöglicht wird, anhand von Richt- und Leitlinien eine gewisse Plausibilitätskontrolle der Aussagen des Sachverständigen vorzunehmen. Die Abweichung von einer den Standard korrekt abbildenden Richt- oder Leitlinie stellt aber nie automatisch einen Behandlungsfehler dar,[98] da die medizinische Plausibilität der Gründe für die Abweichung im Einzelfall über die Korrektheit oder Fehlerhaftigkeit der Behandlung entscheidet. Der Standard trifft eine Aussage „über die Behandlung von Kollektiven, nicht von Individuen“.[99] Liegt konkret eine unbegründete Abweichung von einer Richt- oder Leitlinie vor, so vermag dies dann nur im Zivilrecht eine Vermutung zugunsten des Patienten hinsichtlich der Kausalität des Behandlungsfehlers für die Rechtsverletzung auszulösen, sofern es sich um einen groben Behandlungsfehler[100] handelt.[101] Im Strafrecht gilt für die zur Tatbestandsverwirklichung erforderliche Kausalität und Zurechnung zwischen dem Behandlungsfehler, der die Sorgfaltswidrigkeit begründet, und der Patientenbeeinträchtigung hingegen der in-dubio-Grundsatz.[102] Ohnehin ist der Einwand durchaus ernstzunehmen, dass eine (zunehmende) Vielzahl derartiger, vom Arzt in sein Kalkül einzubeziehender Vorgaben seine Eigenverantwortung schwächt und damit letztlich dem Wohl des Patienten zuwiderzulaufen droht.[103]

Handbuch des Strafrechts

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