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4.3.3. Vom Haus zur Siedlung

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Dass Menschen bereits in der Zeit vor der Sesshaftwerdung Orte des Zusammentreffens und des Kultes hatten, ist trivial und am Beispiel der Höhle, deren Bemalung lange Zeit in Anspruch nahm und Aufenthalte vor Ort erforderte, bereits erwähnt worden. Man kann auch davon ausgehen, dass für solche Aufenthalte eine gewisse Infrastruktur und Logistik entwickelt werden musste. Dazu wurden Raumsetzungen erprobt, Markierungen in der Landschaft, die Menschen mit ihrem Zusammenleben verbanden und vermutlich in dem im vergangenen Kapitel beschriebenen Sinn mit Bedeutungen aufgeladen waren. Es ist gut möglich, dass die kultische Identitätsstiftung als Markierung eines Raums der profanen Gründung des Ortes des Wohnens stets voraus ging beziehungsweise dass dieser kultische Gestus dem Ort des Bleibens eine Legitimation gab. Jedenfalls begann im Neolithikum die Geschichte des Hauses und jene der Siedlung. Das ist eine direkte Folge der Sesshaftwerdung und wohl auch ein diese charakterisierender Ausdruck.

III.3.4.3.

Vitruv 1981, 79f

Vitruv hat an den Beginn seiner Decem Libri de Architectura zum Ursprung der Gebäude die schöne Geschichte erzählt, dass die Architektur mit dem Feuer begann. Menschen versammelten sich um das Feuer, Symbol der Getreidebearbeitung, wurden sesshaft und bauten Hütten: »Als also infolge der Entdeckung des Feuers zunächst bei den Menschen ein Zusammenlauf, ein Zusammenschluß und ein Zusammenleben entstanden war und mehr Menschen an eine Stelle zusammenkamen, die von der Natur aus dies vor den anderen Lebewesen als Auszeichnung hatten, daß sie nicht vornübergeneigt, sondern aufrecht gingen und die Herrlichkeit des Weltalls und der Gestirne anblickten, ferner mit ihren Händen und Gliedmaßen alles, was sie wollten, leicht bearbeiteten, begannen in dieser Gemeinschaft die einen, aus Laub Hütten zu bauen, andere, am Fuß von Bergen Höhlen zu graben […].«

III.2.3.3.2.

Vitruvs Urhüttenparadigma wird uns in der architekturtheoretischen Diskussion in vielfacher Variation in der Renaissance und der Neuzeit wieder begegnen. Es bietet dort einen Reibungspunkt für den Streit um die Regelästhetik. Interessanter beinahe noch ist Vitruvs Hinweis auf das Feuer, das in der Tat in Mythen- und Philosophie-Texten ein wesentliches Rezeptionsmotiv für die Identität des Ortes und darüber hinaus für eine statische Seinsauffassung wird.

Wenngleich die sexuelle Einordnung eine schwierige und unter genderspezifischen Gesichtspunkten auch heikle Angelegenheit ist, bleibt dennoch die alte These nicht unplausibel, dass die Frau in den ersten Siedlungen mit der Aufzucht der Nachkommen und der Pflege des Ackers, also im weitesten Sinne des Hauses und der Reproduktion von Leben, beschäftigt war. Diese starke Stellung der Frau fand, will man diesem Vorschlag folgen, in der im Mediterran verbreiteten weiblichen Konnotationen der Erde und der Reproduktion ihren konsequenten Niederschlag. Ebenso konsequent wäre die starke Betonung von Sexualität und Fruchtbarkeit, sozusagen der wichtigste logistische Aspekt einer festen Siedlung.

Preziosi/Hitchcock 1999, 42

Speichern und Sammeln

Mumford 1961, 17f/114f

Nach solchen Deutungen wäre die Domestikation eine machtvolle Metapher für die Dominanz des Matriarchalischen über das Wilde. Domus hätte eine Nähe zum Haushalt, damit zum Bereich der Frau: »[…] there might be a strong link between women, food, production and storage.« Domus tritt als Ort des Lebens, Bewahrens und Pflegens in Gegensatz zum Agrios und wird zugleich das Muster für die neue Behandlung des Ackers. Lewis Mumford sah in der Jungsteinzeit eine Zeit der Behältnisse, also von Geräten für das Speichern und Sammeln, etwas, was noch für die frühe Stadt galt. Dazu passt die (mit den erwähnten Vorläufern in China) im 7. Jt. im Iran anhebende Entwicklung der gebrannten Gefäßkeramik, die zu jenen nach der Neolithischen Revolution veränderten Speise- und Vorratsgewohnheiten gehörte. Im übertragenen Sinn könnte man die Siedlung als Speicherbehälter auffassen. Das Motiv des Speicherns, das hier zum ersten Mal auftrat, kam an verschiedenen Stellen der Kulturgeschichte neuerlich zum Tragen. Praktisch jedes neue Medium, von der Schrift über den Buchdruck bis zur Digitalisierung der Information, hat auch einen Aspekt des Speicherns. »Die Entwicklung solcher symbolhaften Methoden des Aufbewahrens vervielfältigen die Fähigkeiten der Stadt als Behältnis.« Besondere Bedeutung hatte die Praxis des Speicherns und der Hygiene in der Stadt des 19. Jh.s.

Ebd., 115

VIII.2.2.

Siedlung

Informationen über die ersten Schritte zur Siedlung sind spärlich und hängen von Funderfolgen ab, die sich kaum zu einer Systematik ausbauen lassen. Wie gesagt, gab es bereits in der Jägerzeit feste Wohnsitze – vermutlich eher Wohnhäuser als Höhlen. Welche Impulse zum Zusammenleben in einer Siedlung führten, ist unklar. Es geht bei dieser umstrittenen Frage darum, ob der Beginn des Dorfes eher soziologisch-pragmatisch zu verstehen ist oder einem bewussten religiösen Ritual entsprang. Da frühe Orte gerne an Quellen oder Flüssen (Khirokitia, Jericho, Ras Shamra) lagen, umfasste ein solches Ritual auch die Heiligung solcher Orte.


29/30 Neolithische Siedlung von Chirokitia (7000–3500) auf Zypern; Reste und Rekonstruktion

Der Kern jeder frühen Siedlung und der Ort des Wohnens ist das Haus. Noch erhaltene frühe Behausungen bestehen aus Steinfundamenten mit Lehm- oder Steinwänden mit Holz- und Schilfergänzungen (Wände, Dach). In den neolithischen Siedlungen fand man sowohl runde überkuppelte Häuser (heute geht man eher von einer Mehrzahl von Flachdächern aus) aus Lehmziegel (manchmal durch Holzkonstruktion gestützt) mit gebranntem Estrich als auch rechteckige Formen. In Tenta, Khirokitia und Klimonas auf Zypern in der Nähe von Limassol – diese neolithischen Siedlungen aus der ersten Hälfte des 9. Jt.s gehören zu den ältesten im Mittelmeerraum und zeigen unübersehbare mesopotamische Einflüsse – fand man Reste von Rundhäusern (ziemlich sicher mit Flachdächern). Im Inneren sticht an prominenter Stelle ein zentraler Herd ins Auge. Daneben scheinen die Häuser mit Getreidemörsern, sowie Silos zur Aufbewahrung des Getreides ausgestattet gewesen zu sein. Inwieweit Herd (Feuer) und Getreide eine religiöse Aufladung hatten, ist unklar. Auch hierzu gibt es freilich eindeutige und ausführliche spätere Mythentexte und dokumentierte Praktiken um den Kultherd des Hauses, des Palastes und der Stadt. Unter dem Fußboden ruhten die Verstorbenen.

Nunn 2012, 51

Im syrischen Mureybet und Jerf el-Ahmar wurden im 10. Jt. innere Unterteilungen eingeführt. »Die Hauseinteilung war der erste Schritt zur Rechteckigkeit, die bald danach zum Standard in der Architektur wurde.«

Müller-Karpe 1968, 200f

Die rechteckige Bauweise ermöglichte das Aneinanderfügen der Häuser. Manchmal folgten auf eine Zeit der Rundbauten Rechteckhäuser, was in diesem Fall offenbar eine Entwicklung widerspiegelt. Ein frühes Beispiel dafür ist die um 8000 entstandene Siedlung Beidha im südlichen Jordanien. Nach 300 Jahren verließen die Bewohner den Ort aus unbekannten Gründen und siedelten auf einem 1000 Meter hoch gelegenen und nur mühsam erreichbaren Plateau von Ba’ja, wo man wohl aus Platzmangel dreistöckig baute. In der Nähe entstand Basta, eine jungsteinzeitliche Metropole mit 2000 Einwohnern. Paläopathologische Untersuchungen zeigten gerade an diesem Ort exemplarisch die Nachteile des Wohnens in Siedlungen. Die frühen Orte waren eine Brutstätte von Krankheitserregern, die Lebenserwartung der Bewohner sank durch einseitige Belastung und durch die neue kohlenhydratreiche Nahrung.

4.3.4.

In Çatal Hüyük – nach den Kriterien Frank Kolbs eine Stadt und einer der Glanzpunkte neolithischer Siedlungen –, lag eine wabenförmige Siedlungsstruktur vor, wobei die Häuser teilweise über die Dächer begangen wurden. Die Wände waren verputzt und häufig reich bemalt.

Neben Anatolien ist es der Nahen Osten, wo erste jungpaläolithische Wohnplätze zu finden sind, die die neolithische Lebensweise begleiteten. Jericho steht beinahe symbolisch für eine ganze Palette von Ereignissen, welche die Neolithische Revolution ermöglicht haben. Um das Ende des 9. Jt.s, der Gründungszeit Jerichos, blühte – wie erwähnt – die Kultur im fruchtbaren Halbmond auf. Es begannen erste Handelsflüsse (Obsidian) nach Anatolien und es war die Zeit des anhebenden Ackerbaus und der Keramikproduktion. »Bereits in der Frühzeit des neolithischen Entwicklungsprozesses treten geplante Großsiedlungen auf, in denen die Anlage von Wohnquartieren, Werkstattbereichen und monumentalen Gemeinschafts- und Sakralbauten auf eine sozial differenzierte und hierarchisch gegliederte Gesellschaft schließen lassen.«


31 Der Turm von Jericho aus dem präkeram. Neolithikum (ca. 8000a)

Hauptmann Harald/Özdoğan Mehmet in Kat. 2007a, 29

Andererseits kannte Jericho zwar eine fortgeschrittene Bautechnik, war aber in den Ausstattungen, gemessen an anderen Siedlungen der Zeit wie Beidha oder Çatal Hüyük, eher rückständig.

Kunstphilosophie und Ästhetik

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