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Mittwoch, 22. Juni 10 Uhr 35

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Jetzt wartete er schon seit sechs Minuten an der Stelle zwischen Dürnstein und Weißenkirchen, an der er am vergangenen Sonntag gemeinsam mit Kathi den Streifenwagen abgestellt hatte. Aber vom Landespolizeidirektor noch immer keine Spur. Hatte er ja schon des Öfteren gehört, dass es in St. Pölten mit der Genauigkeit nicht so weit her war. Wobei er selbst sich gar nicht so nobel ausdrücken würde. Einfach Schlendrian, wohin er auch schaute.

Die Verspätung seines obersten Chefs hatte allerdings auch sein Gutes. Er konnte sich endlich mit der Frage befassen, wieso sich Wolfgang Marbolt überhaupt für den Kremser Antiquitätenhändler interessierte. Hatte nicht die Witwe von einem Nachspiel gesprochen? War damit der Polizeidirektor gemeint?

Er war so in seine Gedanken vertieft, dass er den Audi, der hinter ihm bremste, gar nicht hörte. Erst ein kurzes Hupen ließ ihn herumfahren. Schnell setzte er seine Kappe, die er wegen der Hitze abgenommen hatte, wieder auf und nahm Haltung an.

Der Polizeidirektor stieg aus seinem Wagen. Mit seinem Handy am Ohr. Keine Begrüßung. Nicht einmal ein freundliches Nicken in seine Richtung. Nur Konzentration auf das Telefon. Endlich war das Gespräch vorbei.

»So mag ich es. Dass der Polizeidirektor von seinen Beamten bereits erwartet wird. Ein Gutpunkt für Sie, Herr Kollege!«

Kein wirklicher Sympathieträger, dachte Felix Frisch. Aber immerhin hatte er ihn mit ›Herr Kollege‹ angesprochen. In der Tonart konnte es ruhig weitergehen.

»Sie haben die Unterlagen da?«

»Selbstverständlich, Herr Dr. Marbolt.« Die kleine Vertraulichkeit konnte er sich wohl von Kollege zu Kollege leisten. Er reichte ihm die Unterlagen.

»In diesem Land werde ich mit ›Herr Landespolizeidirektor‹ angesprochen. Ist das klar?«

»Sehr wohl, Herr Landespolizeidirektor!«

Marbolt überflog die Unterlagen. Dauerte kaum zwei Minuten. Dann sah er den Gruppeninspektor an.

»Scheint ja ziemlich eindeutig zu sein. Unser guter Herr Haberl hat wahrscheinlich in einem der Wachauer Weinkeller zu viel gebechert. Kann man ja verstehen. Und ist dann unglücklich gestürzt. Eigentlich ein schöner Tod. Können wir uns beide auch wünschen, wenn unsere Zeit einmal gekommen ist.«

Was für ein unangenehmes Meckern, dachte sich Felix. Sollte wohl ein Lachen sein.

Der Polizeidirektor nahm den Bericht des Pathologen wieder in die Hand.

»Kommando retour. Der Mann hat ja kaum Alkohol im Blut gehabt. Sie sehen, Herr Kollege, auch einem Landespolizeidirektor fällt kein Stein aus der Krone, wenn er sich korrigiert. Gehört zu den zehn Geboten der Polizeiarbeit.«

»Jawohl, Herr Landespolizeidirektor.«

»Ihr Vorgesetzter hat mir am Telefon gesagt, dass Sie heute Vormittag bei der Witwe waren, um sie über das Ergebnis der Obduktion zu informieren. Die gute Dame dürfte sich da ja was zusammenspintisiert haben. Von wegen Fremdeinwirkung und so. Wissen Sie, Frauen haben ja manche Vorzüge. Aber die Fähigkeit, Tatsachen unvoreingenommen ins Auge zu blicken, gehört nicht dazu. Außerdem scheint sie auch schon in dem Alter zu sein, in dem die Hormone verrückt spielen. Sie verstehen?«

›Genau wie bei meiner Elfriede‹, wollte der Gruppeninspektor schon sagen, beschränkte sich aber dann auf ein »Sehr wohl, Herr Polizeidirektor!«

»Ist es von hier weit bis zur Unfallstelle?«

»Sechs bis acht Minuten. Je nachdem, wie schnell wir gehen.«

Er sah einen sehr taxierenden und gleichzeitig abschätzigen Blick in den Augen von Dr. Marbolt. »Na, das wird wohl eher acht Minuten dauern. Ist zu Ihnen eigentlich schon durchgedrungen, dass ich mir als oberster Chef lauter durchtrainierte Mitarbeiter wünsche? Ich hoffe, dass Ihr Grips wenigstens mit Ihren Kilos mithalten kann. Also dann los.« Der Polizeidirektor legte ein Tempo vor, mit dem Felix Frisch nur mit größter Mühe Schritt halten konnte. Marbolt traf auch keine Anstalten, sich bei seinen Fragen umzudrehen, sondern redete die vor ihm liegenden Weingärten an. »Haben Sie überhaupt herausbekommen, wieso die Frau glaubt, dass es beim Tod ihres Mannes nicht mit rechten Dingen zugeht?«

Felix Frisch fühlte seine große Stunde nahen. Die er bis zum Äußersten auskosten wollte. Nur zu blöd, dass der Polizeidirektor ihn dabei keuchen hören musste.

»Natürlich, Herr Landespolizeidirektor. Gehört ja zum kriminalistischen Einmaleins eines Gruppeninspektors. Vor vier Wochen ist im Haus der Haberls auf dem Kremser Wachtberg – tolle Villa, kann ich Ihnen sagen, von der ein Polizeibeamter nur träumen kann – eingebrochen worden. Dabei hat der Dieb nur eine kleine, sicher schon ganz wurmstichige Plastik entwendet.«

»Sonst nichts?« Jetzt blieb Wolfgang Marbolt stehen, drehte sich um und fixierte ihn mit forschendem Blick.

»Absolut nichts. Und ich bin gleich nach der Einbruchsmeldung am Tatort gewesen.

Da stehen die Kunstgegenstände haufenweise herum.«

»Und hat Doktor Haberl eine Angabe über den Wert der gestohlenen Plastik gemacht?«

Felix Frisch war dankbar für die kurze Rast. »Selbstverständlich habe ich ihn danach gefragt. Höchstens fünfzehntausend, hat er gemeint.«

»Wissen Sie was?« Der Landespolizeidirektor hob das Kinn. »Ich glaube, die Plastik war in Wahrheit viel teurer und der Einbrecher hat um ihren wahren Wert gewusst. Sie würden ja nicht glauben, Herr Kollege, was diese alten Sachen heute kosten. Je wurmstichiger, umso teurer. Da gibt es jetzt in einer Ausstellung in Florenz eine alte Zeichnung von Raffael – schon einmal von dem Namen gehört?«

Der Gruppeninspektor bemühte sich um einen Gesichtsausdruck, der ihn von der Peinlichkeit einer ehrlichen Antwort bewahren sollte. Vergebens.

»Na, macht nichts. Woher soll ein kleiner Streifenpolizist auch einen Raffael kennen. Jedenfalls hat mir der Chef der Ausstellung in Florenz – tolle Stadt, kann ich Ihnen sagen – erzählt, dass er diese Zeichnung auf mindestens zehn Millionen schätzt. Und das, obwohl sie einen großen Brandfleck hat. Brandflecken sind bei Papier das, was Wurmstiche bei Holz sind, müssen Sie wissen.«

Kleiner Streifenpolizist. Das wurde ja immer schöner. »Das ist ja hochinteressant, Herr Landespolizeidirektor.« Er sah sofort, dass diese Bemerkung dem hohen Herrn gut gefiel. Aus dem forschenden Blick wurde ein freundlicher. Allerdings ein bisschen sehr gönnerhaft, wie es dem Gruppeninspektor schien.

»Ja. Bei mir kann man immer etwas lernen.«

»Davon bin ich überzeugt, Herr Landespolizeidirektor. Zu Ihrer Theorie vom hohen Wert der Plastik …«

Der Polizeidirektor unterbrach. Mit erhobenem Zeigefinger. »Nicht Theorie, mein Lieber. Sondern knallharte Tatsache.«

Felix Frisch begann, sich unwohl zu fühlen. Er ertappte sich bei der Hoffnung, der Polizeidirektor würde sich wieder bergwärts drehen und den Aufstieg fortsetzen.

»Jedenfalls würde dazu passen, was Frau Haberl gesagt hat. Dass ihr Mann seit dem Einbruch ein anderer Mensch gewesen ist. Ganz deprimiert.«

Wolfgang Marbolt drehte sich abrupt um und sprintete los. »Was sage ich die ganze Zeit. Da habe ich wieder einmal den Nagel auf den Kopf getroffen. Ohne die Dame je gesehen zu haben. Die Sache ist so klar wie Quellwasser. Wenn Menschen deprimiert sind, machen sie leicht einen falschen Schritt. Wie weit ist es noch?«

»Wir sind gleich da. In maximal zwei Minuten.« Dem Gruppeninspektor war in der Zwischenzeit klar geworden, dass er sein Atout besonders vorsichtig ausspielen musste. Die letzten fünf Minuten hatten ihm genügt, um sich darüber klar zu werden, dass sein oberster Chef nicht jemand war, der sich gern von anderen die Show stehlen lassen würde. Er war froh, dass Dr. Marbolt schwieg, bis er die Stelle erreichte, die mit einem Band aus roter Folie umfriedet war.

Der Landespolizeidirektor begutachtete den Platz.

Jetzt schien Felix Frisch die Gelegenheit günstig zu sein. Aber er würde es sehr geschickt einfädeln müssen. Der Chef musste quasi selbst darauf kommen. »Der Pathologe hat angemerkt, dass ein Genickbruch bei solchen Stürzen doch ungewöhnlich ist«, begann er vorsichtig. »Weil der Herr Haberl mit dem Kopf voran … verstehen Sie?« Er machte mit der flachen Hand eine kippende Bewegung, als würde jemand einen Kopfsprung ins Wasser machen.

Der Landespolizeidirektor runzelte die Stirn und besah sich die drei Meter hohe Mauer, von der Herr Haberl heruntergestürzt war.

»Herr Haberl war laut seiner Frau nach dem Einbruch sehr deprimiert«, setzte Felix Frisch fort.

»Mit dem Kopf voran, sagen Sie?« Der Landespolizeidirektor ahmte mit seiner Hand die Kopfsprunggeste nach.

»Der Ausblick von da oben ist noch grandioser. Wirklich ein schöner Platz zum Sterben.« Er wusste, dass er die Selbstmordthese nicht aussprechen durfte. Aber nun hatte er keine Idee mehr, wie er dem eitlen Herrn noch weiter auf die Sprünge helfen konnte. Der brauchte doch jetzt wirklich nur mehr eins und eins zusammenzuzählen.

Da ging ein sichtbarer Ruck durch den Landespolizeidirektor. Offenbar ein Geistesblitz.

Felix Frisch drückte sich die Daumen, dass es derselbe Geistesblitz war, den er vorhin bei Frau Haberl gehabt hatte.

»Herr Kollege«, hob der Polizeidirektor an. »Ich bin der festen Überzeugung: Das Rätsel rund um diesen Todesfall ist gelöst. Herr Haberl hat sich offensichtlich das Leben genommen.«

Felix Frisch versuchte, erstaunt zu schauen.

»Eigentlich braucht man nur eins und eins zusammenzuzählen«, fuhr der Landespolizeidirektor fort. »Haberl ist zutiefst deprimiert wegen des Diebstahls der wertvollen Statue, steigt hier herauf an diesen wunderschönen Ort abseits aller Spazierwege und springt mit dem Kopf voran in den sicheren Tod.«

Felix Frisch schaute noch leicht zweifelnd, während er innerlich jubilierte. »Sie könnten tatsächlich recht haben«, formulierte er vorsichtig und dachte an Frau Haberl, die ihm wegen der Selbstmordthese ein Nachspiel angedroht hatte. Dieses Nachspiel entschied er gerade für sich. »Ja, wenn ich es recht überlege, ist das die einzig logische Schlussfolgerung.«

Der Landespolizeidirektor strahlte. »Es tut gut, dass meine Idee von einem Mann aus dem Fußvolk geteilt wird. Da fühlt man sich gleich besser. Aber natürlich auch nur, wenn man so wie ich Wert auf die Meinung der unteren Schichten legt.«

Felix Frisch bemühte sich, sich seinen Ärger nicht ansehen zu lassen. Dass der feine Herr einen Gruppeninspektor zum sogenannten Fußvolk zählte, war schon heftig. Aber ›untere Schichten‹ war eine echte Frechheit. Der hielt sich offensichtlich für etwas Besseres. Vielleicht hätte er ihm die Idee vom Selbstmord doch nicht eingeben sollen.

»Wissen Sie, ich komme vor lauter Gesprächen mit Landeshauptleuten und Ministern überhaupt nicht dazu, mit einfachen Inspektoren zu reden. Dabei wäre das so wichtig. Man soll gerade die sogenannten kleinen Leute nicht unterschätzen, sage ich immer zu meiner Frau. Gehört zu meinen persönlichen zehn Geboten.« Der Polizeidirektor streckte die Brust heraus, stemmte die Arme in die Hüften wie ein Feldherr und blickte auf das Donautal hinunter. »Wirklich schöne Gegend hier. Dürfte eine ideale Lage für Riesling sein.« Noch einen Moment genoss er in dieser Pose die Aussicht. Dann warf er einen Blick auf seine Uhr. »Ich glaube, ich habe genug gesehen. Sie sind ein guter Mann. Ich werde Sie in meinem Bericht an den Landeshauptmann lobend erwähnen. Wie war doch gleich Ihr Name?«

Dürnsteiner Himmelfahrt

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