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Sonntag, 19. Juni 16 Uhr 52

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Eigentlich wäre das sein letzter Einsatz für heute gewesen. Er hatte sich schon aufs Heimkommen und auf sein hoch verdientes Bier gefreut. Serviert von seiner Elfriede, der er nach dem ersten Schluck davon erzählen wollte, wie schnell er den Weinberg hinaufgesprintet war und wie er dabei sowohl seine junge Kollegin als auch den kaum älteren Notarzt hinter sich gelassen hatte.

Aber als Gruppeninspektor wusste er, was er seinem Rang schuldig war. Er hätte es sich nie verziehen, Kathi zur Witwe des Kunsthändlers zu schicken, um die Todesnachricht zu überbringen. Das würde er übernehmen müssen, hoch verdientes Bier hin oder her. Seinerzeit als noch junger Polizist hatte er sich um solche undankbaren Aufgaben immer gedrückt. Weil er zugeben musste, für solche Einsätze noch nicht das nötige Fingerspitzengefühl aufzubringen. Obwohl er sich schon damals auch in dieser Hinsicht seinen Kollegen turmhoch überlegen fühlte. Dazu kam noch, dass es natürlich nie angenehm war, Angehörige mit schlimmen Nachrichten konfrontieren zu müssen. Was er da schon alles erlebt hatte. Schon vor längerer Zeit hatte er sich vorgenommen, nach seiner Pensionierung einmal alle seine Erfahrungen zu Papier zu bringen. Er war sich selbst gegenüber ja der strengste Kritiker. Daher versagte er sich die Illusion, damit einen Bestseller zu schreiben. Aber als Trainingsunterlage für Polizei-Schulungen würden seine Memoiren sicher Gold wert sein.

Er setzte seine Kollegin an der Dienststelle ab und fuhr zum Haus auf dem Wachtberg, um die traurige Polizisten-Pflicht zu erfüllen. An die Villa mit dem prachtvollen Blick über Krems erinnerte er sich gut. Nicht, dass er sich aus Kirchen viel machte. Aber gleich auf vier oder fünf alte Kirchtürme hinabschauen zu können, hatte doch etwas Erhebendes. Als er vor vier Wochen zum ersten Mal vor dem Haus gestanden war, war er tatsächlich ein bisschen unglücklich darüber gewesen, kein Geschäftsmann, sondern Polizist zu sein. Damals, als er einen von dem Kunsthändler gemeldeten Einbruch aufnehmen musste. Es waren zwar eindeutige Spuren von einem gewaltsamen Eindringen zu sehen gewesen, aber keine Hinweise darauf, dass mit Ausnahme einer angeblich mehr als fünfhundert Jahre alten, kleinen Heiligenfigur etwas gestohlen worden war. Dabei wäre das Wohnzimmer ein Paradies für einen Dieb gewesen. Er würde zwar nie verstehen, was Leute an alten, wurmstichigen Holzstatuen und riesigen Ölschinken fanden. Aber er wusste, dass es für solche Sachen Sammler gab, die viel mehr für ein einziges Bild auszugeben bereit waren als er für hundert seltene Bierdeckel, denen seine ganze Sammelleidenschaft galt; wahrscheinlich sogar mehr, als er für seinen Škoda Octavia hatte hinblättern müssen. Verrückte Welt.

Jedenfalls hatte er damals festgestellt, dass keine Kinder mehr im Haus lebten. Was auch gar nicht verwunderlich war, weil er den Händler auf Anfang sechzig schätzte. Dessen Frau, die bei der Untersuchung des Tatorts auch dabei war, schätzte er auf vielleicht sechs oder sieben Jahre jünger. Dass keine Kinder da waren, würde seine Aufgabe ungemein erleichtern.

Auf dem fein ziselierten Namensschild unterhalb der Klingel, an das er sich ebenfalls gut erinnerte, las er den Namen, der ihm entfallen war: Haberl. Die Witwe mit ihrem Namen ansprechen zu können, war gerade in dieser heiklen Situation sehr wichtig. Er klingelte.

Es brauchte keine fünf Sekunden, bis sich mit einem geradezu zarten Summton, den er auch schon kannte, das gusseiserne Tor öffnete, das in einen kleinen und gepflegten Vorgarten führte.

Kurz darauf öffnete sich die Haustür, in der auch schon die Dame des Hauses stand. »Herr Inspektor! Das ist aber eine Überraschung. Dass Sie sogar an einem Sonntag kommen, kann nur bedeuten, dass Sie die Heiligenfigur wiedergefunden haben. Da wird sich mein Mann aber freuen. Leider ist er noch nicht zu Hause. Ich erwarte ihn aber jede Minute. Wenn Sie solange auf ihn warten wollen, biete ich Ihnen gern einen Kaffee an.«

Der Gruppeninspektor unterdrückte seinen Impuls, sich über die Anrede zu ärgern. Die gute Frau hätte sich doch erinnern müssen, dass sie es mit einem Gruppeninspektor zu tun hatte. Gleichzeitig war er durch ihre Eröffnung etwas aus dem Konzept gebracht. »Vielen Dank, Frau Haberl! Aber ich möchte gar nicht mit Ihrem Mann, sondern mit Ihnen sprechen. Aber ein Kaffee könnte auf keinen Fall schaden. Da redet es sich leichter.« So einen tollen Einstieg in ein derart heikles Gespräch würde ihm nicht so bald jemand nachmachen. Einerseits ganz locker und andererseits schon einen sehr ernsten Hintergrund für sein Kommen signalisierend.

»Sie machen mich ja richtig neugierig. Aber kommen Sie doch bitte herein. Wenn Sie bitte für einen Augenblick im Wohnzimmer, das Sie ja kennen, Platz nehmen wollen. Ich mache schnell Kaffee.«

Jetzt war guter Rat teuer. Frau Haberl zunächst nichtsahnend Kaffee machen zu lassen und ihr dann erst zu sagen, dass der Ehemann bei Weißenkirchen durch einen fatalen Sturz zu Tode gekommen war, schien ihm irgendwie unpassend. Aber was sollte er tun? Nach kurzem Zögern, aber noch bevor er Platz in einem der höchst bequem wirkenden Fauteuils nahm, entschied er sich, den Stier bei den Hörnern zu packen, ohne gleich mit der Tür ins Haus zu fallen. Nebenbei eine geradezu geniale Kombination von Sprichwörtern, wie er fand. »Ich glaube, es ist besser, mit dem Kaffee noch eine Minute zu warten. Ich muss Ihnen vorher noch etwas sagen, von dem ich hoffe, dass es Sie nicht zu schwer treffen wird.«

Jetzt sah er so etwas wie Überraschung in den Augen seiner Gesprächspartnerin. Gemischt mit einer Spur von Entsetzen, wie seinem geschulten Blick nicht verborgen blieb.

»Aber vielleicht setzen wir uns erst einmal«, fuhr er fort. Er wusste, dass er sich nicht einfach in den Sessel plumpsen lassen durfte, wie er es bei sich zu Hause gern tat. Aber setzen wollte er sich, um die Witwe dazu zu animieren, es ihm gleichzutun. So nahm er vorsichtig am Rand des Fauteuils Platz.

Auch Frau Haberl setzte sich; und zwar so beunruhigt, dass es sicher auch einer so unroutinierten Kollegin wie Kathi aufgefallen wäre.

Jetzt kam für ihn natürlich der schwerste Teil des Gesprächs. Aber da musste er durch. »Zunächst habe ich eine durchaus erfreuliche Nachricht für Sie. Ich weiß natürlich, dass alles relativ ist, aber immerhin.« Wie er schnell sehen konnte, erzielte seine Eröffnung nicht die gewünschte Wirkung.

Der Gesichtsausdruck von Frau Haberl wechselte von Beunruhigung zu Verärgerung. »Herr Frisch, würden Sie jetzt endlich die Güte haben, mir zu sagen, was los ist.«

Aha, jetzt war er nicht einmal mehr der Herr Inspektor, sondern nur ein ganz gewöhnlicher Herr Frisch. »Dazu komme ich ja gerade. Die positive Nachricht ist, dass Ihr Mann überhaupt nicht hat leiden müssen.«

Im Gesicht der Witwe machte sich blankes Entsetzen breit. »Wollen Sie mir sagen, dass mein Mann tot ist?«

Es war endlich ausgestanden. »Ja, leider. Ich wollte es Ihnen nur so schonend wie möglich beibringen.«

»Das ist Ihnen ja toll gelungen!« Frau Haberl schwieg für eine Weile, um dann ganz ungläubig den Kopf zu schütteln, ohne den Gruppeninspektor anzusehen. »Ich habe immer gewusst, dass ihn seine Raserei noch einmal ins Grab bringen wird. Ist es auf der Wachaustraße passiert?« Ohne eine Antwort abzuwarten, begann sie zu weinen.

Felix Frisch nahm ganz sacht ihre Hand. »Es war kein Autounfall. Ihr Mann ist in einem Weingarten zwischen Weißenkirchen und Dürnstein über eine Mauer gestürzt und hat sich dabei das Genick gebrochen. Der Arzt ist sicher, dass er sofort tot gewesen ist.«

Felix Frisch sah, dass sich im Gesicht der Frau trotz ihres Schmerzes ein ganz leichtes Lächeln zeigte. »Es platzen ja im Laufe eines Lebens viele Träume. Aber sicher wenige so tragisch. Mein Mann hat nämlich seit einiger Zeit vom Kauf eines Weingartens geträumt. Für die Pension.« Das Lächeln verschwand so schnell, wie es gekommen war, um einem Strom von Tränen Platz zu machen.

Er wusste, dass er jetzt nichts sagen durfte.

Nach einer Weile zog Frau Haberl aus einer Tasche ihrer Hose ein Taschentuch und wischte sich damit die Tränen ab. Dann gab sie sich einen Ruck und hob den Blick. »Halten Sie es für möglich, dass der Tod mit dem Einbruch vor vier Wochen zu tun hat?«

Der Gruppeninspektor war über die Frage verblüfft, fing sich aber schnell. »Völlig ausgeschlossen. Ist ein stinknormaler Unfall gewesen.« Ihm war sofort klar, dass er den Begriff »stinknormal« besser nicht verwendet hätte. Um seinen Fehler zu überspielen, fügte er gleich hinzu: »Der Arzt will zwar noch mit dem Staatsanwalt reden. Vielleicht möchte der, um auf der ganz sicheren Seite zu sein, eine Obduktion veranlassen. Aber den Aufwand können sich die Herren meiner Meinung nach sparen. Hinausgeschmissenes Geld des Steuerzahlers. Das ist ein reiner Unfall gewesen, so wahr ich Gruppeninspektor bin. Ein höchst bedauerlicher zwar«, – er gratulierte sich, dass er nicht ein zweites Mal von einem ›stinknormalen‹ Unfall gesprochen hatte – »aber eben ein Unfall. Da fährt die Eisenbahn drüber.«

Dürnsteiner Himmelfahrt

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