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Samstag, 18. Juni 19 Uhr 10

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Der Polizeidirektor hatte sich den Empfang des Landeshauptmanns viel exklusiver vorgestellt. Und exquisiter. Ein kurzer Rundblick zeigte ihm, dass sich auf dem Schiff mindestens fünfhundert Personen befinden mussten. Der Missmut im Gesicht seiner Britta war ihm schon beim Boarding in Krems aufgefallen. Weil sie sich wie die anderen Gäste auch der Prozedur der Abgleichung ihrer Namen mit der elendslangen Liste der Eingeladenen durch zwei überfordert wirkende Securitys unterziehen mussten. Ihr Unmut steigerte sich noch deutlich, als ihr die Gattin des Landeshauptmanns, die nebst Ehemann an der Reling stand, zur Begrüßung nur höchst beiläufig und ohne Blickkontakt die Hand gab, weil ihre Aufmerksamkeit bereits dem dahinter anrauschenden Paar galt. Offensichtlich wichtigere Leute als die Marbolts. Wenigstens war er froh, dass Britta noch keinen Tropfen Alkohol getrunken hatte. So konnte er sicher sein, dass sie keine Szene machen würde.

Das Schiff legte ab und steuerte stromaufwärts. Es war ein wunderbar lauer Abend an einem der längsten Tage des Jahres. Noch stand die Sonne über den Weinbergen der Wachau. Untergehen würde sie erst in rund zwei Stunden.

Den Nachmittag hatte er gemeinsam mit Britta dazu verwendet, sich über die Abendgarderobe klar zu werden. Ursprünglich wollte er seine Uniform anziehen. Nicht, weil er sich darin besonders gut gefiel, sondern weil er wusste, dass der Innenminister, der als Niederösterreicher sicher auch an der Sonnwendfeier seines Parteifreunds teilnahm, ein Faible für Uniformen hatte. Außerdem würde der Minister zumindest mittelfristig für die Karriere des Landespolizeidirektors wichtiger sein als der Landeshauptmann. Letztendlich hatte er sich aber doch für den Niederösterreich-Anzug samt Krawatte in den Landesfarben entschieden. Weil seine Frau darauf bestand, sich an Bord in ihrem neuen Dirndl zu zeigen, das sie sich zu ihrem morgigen Geburtstag gekauft hatte. Und das würde nach ihrer Meinung, deren Deutlichkeit er wohlweislich nicht zu überhören wagte, nicht zu einer Uniform passen. Obwohl sie schon öfter ohne das geringste Problem ein Dirndl zu seiner Uniform getragen hatte. Einen Krieg mit der Ehefrau – noch dazu am Vorabend ihres Geburtstags – war die Sache jedenfalls nicht wert. Ihm war gleich klar gewesen, dass ihr ›Nein‹ zur Uniform keine modisch-ästhetischen Gründe hatte. Sondern den, dem Minister auch durch die Wahl der Kleidung den Unmut darüber zu zeigen, dass er ihn bei der Besetzung des Postens des Generalsekretärs des Innenministeriums übergangen hatte.

Nachdem sich seine Frau und er je ein Glas Weißwein von einem Tablett, das ihnen ein freundlicher junger Kellner entgegenhielt, genommen hatten, versuchte er sich mit ihr im Schlepptau, einen Weg durch die Massen zu bahnen, um den ihm zugewiesenen Tisch zu finden. Höchstwahrscheinlich nicht der Ehrentisch, wie er argwöhnte. Da spürte er den Griff einer kräftigen Hand auf seiner Schulter. Gleich darauf vernahm er eine laute, etwas raue Stimme, die er auf Anhieb erkannte.

»Was für ein schöner Anblick für meine an Schönheit gar nicht mehr gewohnten Augen! Mein Lieblings-Polizeidirektor und seine wie immer strahlende Britta, die, wenn es nach mir geht, zur Königin des Abends gekrönt werden müsste.«

Noch bevor sich Wolfgang Marbolt umdrehte, antwortete er. »So charmant kann nur mein Lieblingsminister sein!« Sodann machte er auf dem Absatz kehrt, während sich seine Frau, die die Stimme des Ministers bestimmt auch erkannt hatte, sichtlich mehr Zeit mit dem Umdrehen ließ.

Was der jedoch nicht zu registrieren schien. Jedenfalls umarmte er sie und küsste sie auf beide Wangen, bevor er ihm mit einem strahlenden Lächeln beide Hände drückte. »Der Abend ist ja noch lang und von Bord könnt ihr nicht so schnell, außer ihr schwimmt an Land. Wenn der erste Trubel vorbei ist, finden wir sicher Gelegenheit, auf gemeinsame alte Zeiten anzustoßen.

Und hoffentlich auch auf gemeinsame neue.« Der Minister gab ihm einen Klaps auf den Oberarm. »Aber jetzt müsst ihr mich entschuldigen. Ich muss ja noch Hunderte von Händen schütteln. Politiker-Schicksal. Dass ihr mir aber ja nicht in die Donau springt!« Sein ehemaliger Chef drohte noch spielerisch mit seinem Zeigefinger und weg war er.

»So ein Arschloch!«, grummelte Britta und leerte ihr Glas in einem Zug. Wenigstens hatte sie so viel Taktgefühl, mit ihrem Kommentar so lange zu warten, bis der Minister außer Hörweite war. »Hast du bemerkt, wie kalt sein Lächeln gewesen ist?«

»Jetzt siehst du aber Gespenster, meine Liebe!« Er sagte es nur halblaut, damit ihn die Leute nicht hörten, die ihnen – offensichtlich wesentlich besser gelaunt als seine Frau – auf dem engen Gang entgegenkamen. »Außerdem bleibt uns nicht viel anderes übrig, als auf sein Pferd zu setzen. Nur durch ihn kommen wir aus dieser scheußlichen Provinz weg und wieder nach Wien zurück. Also möchte ich dich bitten, wenigstens gute Miene zum bösen Spiel zu machen, wenn wir uns mit ihm nachher auf ein Glas Wein treffen.«

»Ja, wenn.« Seine Frau stellte ihr leeres Glas auf den Buffettisch, an dem sie gerade vorbeikamen, und schnappte sich ein volles von dem Tablett, das ein Ober zwei Meter von ihr entfernt kunstvoll durch das Gedränge schaukelte. Dass sie dafür eine ältere Dame ziemlich unsanft zur Seite schieben musste, schien sie gar nicht zu merken.

Er wollte sie schon ganz dezent bitten, ihren Trink-Rhythmus wenigstens etwas zu verlangsamen, als sein Blick auf jemanden fiel, der ihn große Lust verspüren ließ, auch gleich mindestens zwei Gläser auf einmal hinunterzuspülen. Doris Lenhart. Was für ein Affront des feinen Herrn Landeshauptmanns ihm gegenüber, eine Subaltern-Charge aus den Kreisen der Polizei ebenfalls zu diesem Fest einzuladen. Die Aufklärungsquote der Leiterin der niederösterreichischen Mordkommission in allen Ehren. Aber bei einer Veranstaltung, zu der angeblich die Crème de la Crème des Landes geladen war, hatte sie wirklich nichts zu suchen. Er blickte seine Frau an, deren Empfindlichkeit, wenn es ums Prestige ging, er nur allzu gut kannte. Gott sei Dank blickte sie nicht in Richtung Chefinspektorin und schien sie deshalb noch nicht bemerkt zu haben. Wenigstens etwas. Er musste dringend dafür sorgen, dass das auch den ganzen Abend so blieb. Deshalb umschlang er sie mit seiner Rechten und riss sie herum; unglücklicherweise derart unvermittelt, dass ein guter Schluck des Weins aus ihrem Glas auf ihren Dirndlrock schwappte.

Sie erstarrte. Offenbar kurz vor dem Explodieren.

Da erklang – für ihn buchstäblich wie eine Rettung – die Stimme des Landeshauptmanns über Bord-Lautsprecher. Wie immer in der ölig-pathetischen Tonlage, die er so hasste, die aber die meisten Leute offensichtlich mochten. »Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ich darf Sie hier an Bord der MS Austria auf das Herzlichste begrüßen. Ich werde mich etwas später noch ausführlicher an Sie wenden, möchte aber schon jetzt Ihre Aufmerksamkeit für eine Minute in Anspruch nehmen. Auf spezielles Ersuchen meines guten Freundes, des Herrn Innenministers, der schon in Dürnstein wegen einer dringenden dienstlichen Verpflichtung wieder von Bord gehen muss. Wir haben nämlich ein Geburtstagskind unter uns, dem sowohl der Herr Minister als auch ich als Landeshauptmann zu großem Dank verpflichtet sind.«

Wolfgang Marbolt sah seine Frau an, die schlagartig errötete, hektisch die kaum sichtbaren Spuren des Weißweins auf ihrem Dirndlrock prüfte und sich rasch ihre Haare mit beiden Händen zurechtmachte.

»Ich will es noch ein bisschen spannend machen und zunächst einmal nur sagen, dass das Geburtstagskind eine Frau ist. Und zwar eine besonders attraktive Frau. Herr Kapellmeister, ich bitte um einen Tusch!«

Als die Musik einsetzte, spürte Wolfgang Marbolt den Druck der Hand seiner Frau auf seinem Oberarm. Gleichzeitig sah er ein seliges Lächeln auf ihrem Gesicht. Er flüsterte zärtlich in ihr Ohr: »Ich hoffe, spätestens jetzt begreifst auch du, dass der Minister unser Freund ist.«

Während der Polizeidirektor ganz leise sprach, setzte der Landeshauptmann, nachdem die Musik verklungen war, seine Rede mit lautem Tonfall fort. »Ich möchte Doris Lenhart, die Chefin der niederösterreichischen Mordkommission, bitten, zu uns auf die Bühne zu kommen. Es ist nämlich sie, die heute Geburtstag feiert. Ich darf Sie alle um einen Applaus bitten, wie er diesem Stern am Polizei-Himmel unseres Landes gebührt.«

In diesem Moment wusste der Polizeidirektor, dass die 380 Euro, die er heute Vormittag bei dem Kremser Kunsthändler für die Hundertwasser-Lithografie bezahlt hatte, hinausgeschmissenes Geld waren. Trotz Originalsignatur.

Dürnsteiner Himmelfahrt

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