Читать книгу Die Römische Republik von den Gracchen bis Sulla - Bernhard Linke - Страница 10
I. Weltmacht durch soziale Vernetzung: Die Grundstrukturen der römischen Republik
Оглавление367–287∗ | Ende der innenpolitischen Konflikte und Etablierung der Gesellschaftsordnung der klassischen Republik |
340–338 | Sieg der Römer über die Latiner |
326–272 | Errichtung der römischen Vorherrschaft in Mittel- und Süditalien |
264–241 | 1. Punischer Krieg |
218–201 | 2. Punischer Krieg – Rom kontrolliert das westliche Mittelmeer |
215–205 | 1. Makedonischer Krieg |
200–197 | 2. Makedonischer Krieg |
191–188 | Sieg über den Seleukidenherrscher Antiochos III. – Rom wird Vormacht im östlichen Mittelmeer |
Die römische Republik war eine Erfolgsgeschichte. In gut 150 Jahren war Rom zwischen 338 v. Chr. und 188 v. Chr. von einer Mittelmacht in Italien zu einer Weltmacht aufgestiegen, die den Mittelmeerraum unumstritten beherrschte. Geradezu unaufhaltsam war ein Gegner nach dem anderen ausgeschaltet worden, so dass die Römer zunächst bis 272 v. Chr. das mittlere und südliche Italien dominierten. 200 v. Chr. hatten sie nach dem langwierigen Kampf gegen die große Rivalin Karthago, einer mächtigen Stadt im heutigen Tunesien, die Vorherrschaft im westlichen Mittelmeer errungen. Danach benötigten sie weniger als 15 Jahre, um Makedonien und das Seleukidenreich, zwei Großmächte im östlichen Mittelmeer, zu besiegen und damit auch diesen Teil der Welt ihrem Machtanspruch zu unterwerfen. Die Zeitgenossen, die seit langer Zeit an die stabile Konstellation zwischen den Großmächten im östlichen Mittelmeer gewöhnt waren, werden sich verwundert die Augen gerieben haben, wie schnell die so solide wirkenden Kräfteverhältnisse in sich zusammenbrachen. Hier ging es nicht mehr um einzelne Veränderungen in den Machtverhältnissen, sondern es fanden fundamentale Umwälzungen statt, die die politischen Strukturen in den betroffenen Gebieten bis in die Spätantike prägen sollten.
Kontinuität
Diese rasanten Umbrüche im äußeren Bereich stehen in einem erstaunlichen Kontrast zu der Kontinuität der gesellschaftlichen Organisationsformen und dem Aufbau der staatlichen Strukturen der römischen Republik. Trotz seines überwältigenden Aufstieges zur Herrin der Mittelmeerwelt änderte das römische Gemeinwesen seine inneren Strukturen nur unwesentlich. Als die römischen Senatoren in ihren Sitzungen schon längst Entscheidungen fällten, die das Schicksal ganzer Großregionen wie Spanien, Nordafrika oder Kleinasien bestimmten, versammelten sie sich noch nach den Regeln aus einer Zeit, als es noch um einen Kriegsbeschluss gegen die kleine Nachbarstadt Tusculum ging. Die Beamten, die die Sitzungen einberiefen und leiteten, und die Volksversammlungen, die die Beschlüsse des Senats sanktionierten und über die Gesetze abstimmten, all diese Institutionen des staatlichen Lebens hatten sich in diesen dramatischen Zeiten kaum gewandelt. Rom war im Kern der Stadtstaat geblieben, der es war, als sein Aufstieg begann.
Um die Kraft dieser Kontinuität zu fassen, ist es hilfreich, sich ein modernes Pendant zu vergegenwärtigen. Man stelle sich vor, dass die kleine sächsische Stadt Freiberg in nur zwei Jahrhunderten zur Vormacht in Europa aufsteigt. Erst erringt es eine dominante Stellung in Sachsen, um nur kurze Zeit später ganz Deutschland zu beherrschen. Am Ende sind schließlich alle Einwohner Europas von Oslo bis Palermo, von Madrid bis Moskau Untertanen des Freiberg’schen Imperiums und werden von Freiberg aus verwaltet. In Freiberg selbst werden aber die grundlegenden Entscheidungen wie früher im Stadtrat getroffen und im Ratskeller am Stammtisch der lokalen Honoratioren vorbereitet. Der einzige Unterschied ist nur, dass es nicht mehr um das Hallenbad in Freiberg-Süd, sondern um die Besteuerung von ganz Frankreich oder die Verwaltungsstrukturen in Russland geht.
Fragt man nach den Grundbedingungen, die diese erstaunliche Entwicklung ermöglichten, so stößt man auf eine komplexe Mischung aus politischen und gesellschaftlichen Faktoren, die die ungeheure Leistungsfähigkeit des römischen Gemeinwesens bedingten. Das Geheimnis für den außenpolitischen Erfolg lag zweifellos in einer gesellschaftlichen Ordnung, deren soziale und politische Mechanismen im öffentlichen Raum einen kommunikativen Zusammenklang zwischen den sozialen Schichten ergaben, der eine ungewöhnliche Konsensorientierung ermöglichte. Diese gesellschaftlichen Strukturen sind jedoch nicht ‚vom Himmel gefallen‘, sondern es bedurfte jahrhundertelanger innerer Streitigkeiten, die erst im vierten Jahrhundert v. Chr. überwunden wurden, bis die Römer eine Ordnung entwickelten, die die Basis für eine einzigartige Integration aller Bevölkerungsschichten in das Gemeinwesen schuf.
Starke Exekutive
Auf den ersten Blick scheint die institutionelle Ordnung Roms derjenigen anderer antiker Stadtstaaten ganz zu entsprechen. Die Römer kannten eine Volksversammlung und einen Adelsrat, und sie wählten Beamten, die die Leitung des Staates zeitlich begrenzt übernahmen. Schaut man aber genauer hin, so fällt auf, dass die Kompetenzen der Beamten in Rom deutlich stärker ausgeprägt waren, als dies gewöhnlich in vergleichbaren Gemeinwesen der Fall war. An der Spitze des Staates standen zwei Oberbeamte, die Konsuln, die jährlich vom Volk gewählt wurden und in ihrer Amtsausübung mit einer umfassenden Amtsgewalt, die die Römer imperium nannten, ausgestattet waren. Die Konsuln leiteten wichtige Volksversammlungen und hatten wesentlichen Einfluss auf deren Ablauf. Sie besaßen aber auch das Recht, den Senat einzuberufen, die Versammlung der gewesenen Magistrate der Republik, deren Entscheidungen für die Ausrichtung der römischen Politik fundamentale Bedeutung besaßen. Im politischen Alltag waren die Konsuln darüber hinaus berechtigt, ihren Anweisungen mit Hilfe einer Erzwingungsgewalt, der coercitio, äußersten Nachdruck zu verleihen. Diese schon weit reichenden Kompetenzen im politischen Zentrum steigerten sich noch einmal, wenn die Konsuln in Kriegszeiten die Stadt verließen. In diesem Fall fiel ihnen beim Überschreiten der heiligen Stadtgrenze die militärische Kommandogewalt zu, gegen die es nur bedingt Einspruchsmöglichkeiten gab. Im Feld wurden sie fast zu absoluten Herrschern über die ihnen anvertrauten Bürger. Diese starke Stellung der römischen Obermagistrate wurde zudem noch durch religiöse Elemente sakral überhöht. Nur den Imperiumsträgern kam es zu, die Götter über ihren Willen im Rahmen der Einholung von Vorzeichen, den auspicia, zu befragen. Die für die Gesellschaft so wichtige Kommunikation mit der sakralen Sphäre lag also in wesentlichen Teilen in ihren Händen.
Als Zeichen dieser herausragenden Stellung schritten den Konsuln zwölf Amtsdiener mit Rutenbündeln voraus, die Liktoren, die die Amtsgewalt der Imperiumsträger nachdrücklich symbolisierten. Im Kriegsfall steckten die Liktoren sogar Beile in die Rutenbündel, um anzuzeigen, dass der betreffende Amtsinhaber nun berechtigt war, römische Bürger zum Tode zu verurteilen.
Begrenzungen der Amtsgewalt
Diese Machtkonzentration bei den Obermagistraten konnte nur geduldet werden, weil die jeweiligen Amtsinhaber bei der Ausübung ihrer Macht in ein kompliziertes Netz sozialer Verpflichtungen und institutioneller Gegengewichte eingebunden waren. Jedes Amt wurde zumindest mit zwei Amtsinhabern besetzt, die sich in der Machtausübung gegenseitig kontrollieren und bei Verstößen gegen die Regeln einschreiten sollten. Schon dieses Kollegialitätsprinzip führte bei der Amtsausübung zu einem erheblichen Bedarf an Kommunikation und Abstimmung. Die Amtszeit der Obermagistrate war zudem streng auf ein Jahr begrenzt, so dass sie nicht eine Perpetuierung ihrer Machtausübung erwarten konnten. Diese äußerst kurzfristige Machtperspektive im Amt bewirkte, dass die Inhaber der hohen Magistraturen weniger an einer intensiven Ausnutzung ihrer weit reichenden Kompetenzen während der Amtsperiode interessiert waren als vielmehr daran, ihre Position innerhalb der Führungsschicht auch über die Zeit ihrer Magistratur hinaus zu festigen.
Diese langfristige Machtperspektive, die weit über die eigentliche Zeit der Amtsausübung hinausreichte, förderte bei den Amtsinhabern integrative Strategien gegenüber den anderen Angehörigen der Oberschicht. Durch die Berücksichtigung von Ratschlägen und den Erweis von Gefälligkeiten, aus denen sozial bindende Dankesverpflichtungen erwuchsen, verstärkte man das eigene Netzwerk sozialer Beziehungen und erwarb sich damit ein soziales Kapital, das man in der Zeit nach dem Konsulat für die Stabilisierung, wenn nicht gar Vergrößerung des eigenen politischen Einflusses nutzen konnte.
Der Senat
Diese der Amtszeit nachgelagerte Machtperspektive ließ ein Gremium zum Fokus römischer Politik werden, das streng genommen keinerlei staatsrechtliche Verankerung besaß: den römischen Senat. Im Senat versammelten sich die gewesenen Beamten und berieten die aktuellen Amtsinhaber bei den anstehenden Problemstellungen der Politik. Das Votum der ehemaligen Amtsträger hatte eigentlich keinen bindenden Charakter, doch der gebündelte Einfluss der dort versammelten Aristokraten verlieh ihnen ein politisches Gewicht, das nur bei äußerster Konfliktbereitschaft zu übergehen war. Zumeist akzeptierten die Magistrate den ‚Ratschlag‘ der Senatoren, da auch für sie der Grundsatz galt: Sie waren in der Regel nur ein Jahr Konsul, aber sie wollten ihr restliches Leben zu den führenden Senatoren gehören. Für den Fall, dass einzelne Obermagistrate doch einmal der Versuchung nachgeben sollten, ihre umfassenden Kompetenzen gegen den mehrheitlichen Willen in der Oberschicht auszuspielen, standen den Senatoren verschiedene religiöse, aber auch politische Obstruktionsmittel, wie zum Beispiel das Vetorecht der Volkstribunen, zur Verfügung, um den ‚Querulanten‘ an der unkontrollierten Ausübung seiner Amtsgewalt zu hindern und ihn zu einer Wiederannährung an den Konsens der Oberschicht zu bewegen. Die ungewöhnliche Bandbreite an Möglichkeiten und Mechanismen, politisches Handeln zu unterbinden, sollte eben nicht zur Blockade des öffentlichen Lebens führen, sondern die Beteiligten zur Kommunikation in der Oberschicht zwingen, aus der dann eine konsensfähige Initiative in den politischen Institutionen erwachsen sollte. Die kunstvolle Verwobenheit von starker Exekutive und Kommunikationszwang bildete die Basis für die Stabilität der römischen Aristokratie.