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ОглавлениеDie Tugenden eines römischen Aristokraten
(Plinius der Ältere, Naturkunde, 7,43,139–140)
„Quintus Metellus hat in der Lobrede, die er bei der letzten Ehrung seines Vaters Lucius Metellus hielt, der Pontifex, zweimal Konsul, Diktator, Befehlshaber der Reiterei und einer der zur Verteilung von Land erwählten Fünfzehnmänner war und der nach dem Ersten Punischen Krieg erstmals Elefanten im Triumph aufführte, schriftlich überliefert, sein Vater habe die zehn höchsten und besten Vorzüge, deren Erlangung die Weisen ihr Leben widmeten, in sich vereinigt: Sein Wunsch sei gewesen, der erste Krieger, der beste Redner, der tapferste Feldherr zu sein, sein Trachten, dass unter seiner Leitung die wichtigsten Taten vollbracht würden, er habe die höchsten Ehrenstellen, die größte Weisheit, die höchste Senatorenwürde erstrebt, ein großes Vermögen auf rechte Weise sammeln, viele Kinder hinterlassen und der Angesehenste im Staate sein wollen; alles dies sei ihm und sonst niemanden seit der Gründung Roms gelungen.“ (Übersetzung nach Roderich König)
Das Volk
Doch stellte die römische Oberschicht keine in sich abgeschlossene Kaste dar, die sich auf der Grundlage erblicher Privilegien von der Restbevölkerung abgeschottet hätte. Im Gegenteil, im republikanischen Rom kam dem Volk eine nicht unbeachtliche Teilhabe am politischen Leben zu. Das Volk beriet und entschied über die Gesetzesentwürfe und fällte die letzte Entscheidung über Krieg und Frieden. Vor allem aber wählte es in seinen Versammlungen die Magistrate und übte damit einen erheblichen Einfluss auf die langfristige Zusammensetzung der Aristokratie aus. Selbstverständlich waren die familiäre Herkunft und der Einfluss der familia in der Gesellschaft von großer Bedeutung. Doch galt auch für die Sprösslinge aus vornehmem Hause, dass sie selbst zunächst nur als einfache Bürger geboren wurden. Zum Magistrat und damit langfristig zum Senator wurden auch sie erst durch die Gunst ihrer Mitbürger bei den Wahlen. Wesentliche Kriterien für die Wähler waren dabei die sozialen Beziehungen, die die Angehörigen der Oberschicht zu den anderen Mitbürgern unterhielten und die immer wieder im Rahmen von Kommunikationsritualen, wie der morgendlichen Begrüßung (salutatio), erneuert wurden. Diese persönlichen Bindungen zwischen Bürgern aus unterschiedlichen Schichten waren den Römern bei ihrer Wahlentscheidung wesentlich wichtiger als inhaltliche Fragen. So basierte politischer Erfolg in Rom auf einer Schichten übergreifenden Vernetzung sozialer Beziehungen.
Bei der Beurteilung der Rolle des Volkes muss allerdings berücksichtigt werden, dass gerade die Wahlversammlungen streng hierarchisch nach Vermögen geordnet waren. Die wohlhabenden Römer besaßen also wesentlich größeren Einfluss auf den Ausgang der Wahlen als die Mittel- und die Unterschichten. Zudem konnten die Angehörigen der Oberschicht auf vielfältige soziale Einflussmöglichkeiten zurückgreifen, um das politische Verhalten der Versammlungsteilnehmer zu lenken. Trotzdem war das in den verschiedenen Versammlungen zusammenkommende Volk nicht nur eine passive Masse, die von der Oberschicht nach Belieben gelenkt wurde. Die Kommunikation mit der breiten Bevölkerung war für die aristokratische Führungsschicht ein wesentlicher Bestandteil ihrer eigenen Herrschaftsausübung und die Partizipation des Volkes ein grundlegendes Element der republikanischen Ordnung.
Die römische Familie
Wichtiger jedoch als die formalen Rechte in den Versammlungen waren für die einfachen Römer die weitgehenden Freiheiten, die sie in ihrer häuslichen Umgebung genossen. Die männlichen Römer, deren Vater oder Großvater nicht mehr lebten, waren nicht nur durchweg freie Bürger, sondern auch Oberhäupter eigener Haushalte, patres familias. Ihre Machtfülle im häuslichen Bereich überstieg in Rom bei Weitem diejenige von Familienvätern in anderen patriarchalisch organisierten Gesellschaften. So war der pater familias nicht allein Eigentümer des gesamten Familienbesitzes, er war als einziger überhaupt eigentumsfähig. Seine Kinder konnten auch nach dem Erreichen der Mündigkeit kein eigenes Eigentum erwerben, sondern nur über Besitz verfügen, der ihnen von ihrem pater familias auf Widerruf delegiert wurde. Auch in juristischen Konfliktfällen konnte nur der pater familias als eigenständige Rechtsperson auftreten, während seine Nachkommen zu seinen Lebzeiten nicht rechtsfähig waren. Im Inneren des Familienverbandes besaß er gegenüber den Angehörigen seiner familia eine weitgehende Strafgewalt, die in Extremfällen bis zur Verhängung eines Todesurteils reichen konnte. Die dauerhafte Anerkennung dieser starken Position der patres familias auch der Mittel- und Unterschichten war die entscheidende Basis für das Ende der inneren Konflikte im vierten Jahrhundert v. Chr. gewesen.
Die römische Aristokratie hatte nach langen Kämpfen darauf verzichtet, die Restbevölkerung in starre Abhängigkeitsverhältnisse zu pressen. Stattdessen gestand sie den Familienverbänden in der gesamten Bevölkerung eine außerordentlich weitreichende Unabhängigkeit zu, die sich in der Machtfülle der Familienoberhäupter widerspiegelte. Im Gegenzug war die römische Mittelschicht bereit, sich vorbehaltlos für das Gemeinwesen zu engagieren und es nach außen auch unter großen Opfern zu verteidigen. So kämpften die einfachen Römer im Feld weniger für abstrakte Rechte als Teilnehmer von Volksversammlungen als vielmehr für die Unabhängigkeit ihrer häuslichen Sphäre.
Hier wird die hohe Integrationskraft, die die Strukturen der römischen Republik kennzeichnete, besonders deutlich. Die Menschen sahen sich weder einem abstrakten Staat gegenüber, der mit Hilfe einer starken Bürokratie von ihnen die Erbringung vielfältiger Leistungen verlangte, noch war es ein Alleinherrscher, der primär zur Sicherung seiner eigenen Position das Engagement der Menschen forderte. Es war die ‚gemeinschaftliche Angelegenheit aller Bürger‘, die res publica, die Opfer verlangte. Die römischen Bürger, die cives romani, brachten sie, weil es in ihren Augen letztendlich um ihr ureigenes Interesse ging. Diese Bereitschaft der Bürger aller Schichten, sich konsequent für ihr Gemeinwesen einzusetzen, war die Basis für den Aufstieg Roms zur Weltmacht.
∗ Alle Daten in den Zeittafeln beziehen sich auf die Zeit vor Christi Geburt.