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I. Allgemeines
ОглавлениеDer Begriff der Effektivität kann im Zusammenhang mit dem Völkerrecht in zwei unterschiedlichen Bedeutungsvarianten verwendet werden: Zum einen kann damit die Frage nach der praktischen Wirksamkeit völkerrechtlicher Normen gemeint sein. Sie steht in engem Zusammenhang mit der Frage nach der Geltung (dem → Rechtscharakter, Geltungsgrund und Legitimität) des Völkerrechts überhaupt und wird insoweit vor allem von denjenigen thematisiert, die dem Völkerrecht mit Blick auf seine Durchsetzungsschwäche den Rechtscharakter absprechen. Darüber hinaus ist die so verstandene Frage nach der Effektivität des Völkerrechts vornehmlich eine rechtssoziologische, d. h. es geht um die Ermittlung derjenigen Faktoren, die vorliegen müssen, damit eine Norm in der Rechtswirklichkeit befolgt wird.
Der Begriff der Effektivität des Völkerrechts kann jedoch auch in einem zweiten, normativen Sinne verwendet werden. Dabei geht es um den Befund, dass das Völkerrecht in stärkerem Maße als das nationale Recht an faktische Gegebenheiten anknüpft und diese rechtlich sanktioniert (ex factis ius oritur). Damit freilich sieht sich das Völkerrecht dem Vorwurf ausgesetzt, es kapituliere vor der Faktizität der Ereignisse und höbe sich damit zugleich selbst auf. Dem wird man im Ergebnis nicht zustimmen können: Wie im Folgenden zu zeigen sein wird, kommt der Anknüpfung an die Effektivität gewisser Sachverhalte im Völkerrecht vor allem eine Publizitätsfunktion zu, die wiederum aus dem dezentralen Charakter des Völkerrechts – dem Fehlen einer zentralen Rechtsetzungs- und -durchsetzungsinstanz, wie sie in innerstaatlichen Fällen der Staat mit seinem Gewaltmonopol darstellt – erklärlich ist. Zugleich ist das Abstellen auf die Effektivität im Völkerrecht Ausdruck seines traditionell wertneutralen Charakters. Daraus folgt zugleich, dass in dem Maße, wie das Völkerrecht in jüngerer Zeit zunehmend mit bestimmten Werten aufgeladen wird, das Effektivitätsprinzip zurückgedrängt wird (hierzu näher unter IV.).