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II. Abgrenzung
ОглавлениеBevor dem so verstandenen Effektivitätsprinzip im Völkerrecht nachgegangen werden kann, gilt es einige Fälle auszusondern, die zwar regelmäßig in dem vorliegenden Zusammenhang genannt werden, die jedoch mit dem völkerrechtsspezifischen Effektivitätsprinzip nicht in Verbindung zu bringen sind. Dabei handelt es sich zum einen um das Rechtsinstitut der Ersitzung (→ Gebietserwerb), zum anderen um die sog. clausula rebus sic stantibus. Das Völkergewohnheitsrecht kennt mit dem Rechtsinstitut der Ersitzung einen Erwerbstitel, der zweifellos in besonderem Maße auf die effektive Situation abstellt, indem an die ungestörte, ununterbrochene und unbestrittene Herrschaftsausübung über geraume Zeit mit entsprechenden Herrschaftswillen (animus domini) die Rechtsfolge des Gebietserwerbs geknüpft wird. Dass die Ersitzung vorliegend nicht als ein Fall des völkerrechtsspezifischen Effektivitätsprinzips angesehen wird, hängt damit zusammen, dass das Rechtsinstitut der Ersitzung trotz gewisser Unterschiede grds. auch im nationalen Recht bekannt ist (z. B. § 937 BGB). Die Ersitzung ist damit nicht auf die strukturellen Besonderheiten des Völkerrechts zurückzuführen, sondern stellt vielmehr eines der Institute dar, mittels derer rechtsordnungsübergreifend ein dauerhaftes Auseinanderfallen von Sein und Sollen vermieden wird.
Entsprechendes gilt für die aus dem Völkervertragsrecht bekannte clausula rebus sic stantibus (Art. 62 WVRK; Sart. II, Nr. 320), die im innerstaatlichen Recht mit dem Rechtsinstitut des Wegfalls der Geschäftsgrundlage korrespondiert. Beide Institute verfolgen das Ziel, ein für die Vertragspartner aufgrund nachträglich eingetretener faktischer Veränderungen nicht länger zumutbares Festhalten am Vertrag zu beenden. Auf diese Weise wird – wiederum rechtsordnungsübergreifend – ein dauerhaftes Auseinanderfallen von Sein und Sollen vermieden.