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|35|II. Die Grundpfeiler des Utilitarismus

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Um den Utilitarismus genauer zu darzustellen (eine Begründung habe ich in Gesang 2011 Kpt. 3 versucht), kann man vier „Grundpfeiler“ der Theorie unterscheiden:

1. Universelle Glücksmaximierung: Es ist ein an sich wertvolles Gut, dass Lebewesen Lust, Freude oder Befriedigung empfinden. Dieses an sich oder intrinsisch wertvolle Gut, nennen wir es vorerst undifferenziert Glück, möchte der Utilitarist maximieren, d.h. er möchte, dass die Gesamtsumme des Glücks in der Welt so groß wie möglich wird. Damit setzt der Utilitarist dem Egoisten ein universelles Prinzip entgegen, anhand dessen er Handlungen als moralisch richtig oder falsch beurteilt. Dieser Gedanke ist intuitiv einleuchtend und sehr einfach. Man will, dass es den Lebewesen gut geht, und zwar so gut wie möglich. Mehr Glück ist besser als weniger Glück. Es würde irrational und falsch anmuten, wenn man sich darauf beschränken wollte, dort einen kleineren Betrag an Glück zu produzieren, wo man auch einen größeren produzieren könnte.

Nach J. Bentham ist Nutzen (utility) das, was das Glück (happiness) einer Interessenpartei befördert (Bentham, 1789/1970, I.2). Happiness, das Ziel allen Handelns, lässt sich in den Maßeinheiten von pleasure und pain messen und über deren Gesamtbilanz definieren (Bentham, 1789/1970, IV.5). Pleasure und pain sind Gefühle, die in unterschiedlichen Intensitäten auftreten. Gefühle kann man als bestimmte mentale Zustände beschreiben. Bentham macht das Nutzenprinzip zum Maßstab der Begriffe „richtig“, „sollen“ usw. Versteht man diese Begriffe losgelöst davon, so Bentham, dann werden sie sinnlos (Bentham, 1789/1970, I.10). Die Größe des erzielten Glückszustands ist also das Maß für die moralische Qualität unserer Taten. Bentham gebraucht die Begriffe pleasure und pain, die in der Umgangssprache primär im Zusammenhang mit körperlichen Lüsten und Schmerzen verwendet werden. Aber die erwähnten mentalen Zustände beziehen sich natürlich auch auf Freude am Wohlergehen anderer oder auf ästhetische oder intellektuelle Freuden (Bentham, 1789/1970 V. Mehr zu den verschiedenen Glückkonzepten: Gesang, 2010a).

2. Wertmonismus: Der Utilitarismus basiert auf der Vorstellung, dass es ein und nur ein an sich wertvolles Gut gibt und dass man daher alle moralisch relevanten Güter in die eine „Währung“ Glück umrechnen kann. Glück wird als die Quelle verstanden, der alle anderen moralischen Werte entspringen. Gerechtigkeit hat nur dann einen |36|Wert, wenn sie etwas zur Glücksvermehrung beiträgt. Hingegen findet sich in unserem Alltag oft eine wertpluralistische Grundeinstellung, der zufolge es verschiedene gleichberechtigte Werte, nämlich z.B. Glück, Gerechtigkeit, Freiheit oder Würde gibt. Der monistische Ansatz ist schwer zu verstehen, wenngleich auf der Hand liegt, dass er die Ethik enorm vereinfacht, ja ein Stück weit operationalisierbar macht.

Ich möchte eine Begründung dieses intuitiv schwierigen Punktes wenigstens andiskutieren: Was spricht für den Monismus? Betrachten wir das Beispiel der Gerechtigkeit. Ist diese wertvoll, wenn sich durch ihre Realisierung niemandes Wünsche erfüllen, wenn sie niemandes Glück vergrößert? Wäre es nicht völlig gleichgültig, ob eine solche „glücksleere“ Gerechtigkeit existieren würde, da sich niemand durch sie besser fühlt? Wäre der, der diese Gerechtigkeit oder parallel eine „glücksleere“ Würde durchsetzen will, nicht jemand, der die Menschen zugunsten eines abstrakten Ideals aus den Augen verliert?

Stellen wir uns das Beispiel „Sadomasochiens“ vor. Das ist eine Welt, die aus Sadisten und Masochisten besteht. Die einen quälen gerne Menschen, selbst wenn diese Masochisten sind, die anderen werden gerne gequält. Beide Gruppen sind maximal befriedigt in ihrer Welt die Glückssumme ist groß. Wir haben es mit einem Glücksfall einer Koevolution zu tun. Nun tritt unser irdischer, deontologisch angehauchter Alltagsethiker auf und moniert, dass diese Welt zutiefst ungerecht und menschenunwürdig sei. Die Sadisten beuteten die Masochisten aus (unabhängig davon, ob eine Zustimmung der Masochisten vorliege oder nicht, man könne sich ja auch nicht freiwillig versklaven) und die Menschenwürde letztlich beider Gruppen sei nicht gewahrt. Dann ändert der irdische Moralapostel diese Welt, die danach gerechter und menschenwürdiger ist. Denn Gerechtigkeit (und Würde) gibt es nur eine, die von der Perspektive der Menschen und ihrem Glück unabhängig ist, zumindest frei nach I. Kant, der vertritt: „Wenn die Gerechtigkeit untergeht, so hat es keinen Wert mehr, daß Menschen auf Erden leben (…) die Gerechtigkeit hört auf, eine zu sein, wenn sie sich für irgend einen Preis weggibt.“ (Kant, MdS A 197) Zudem versucht der Moralapostel, die Bewohner Sadomasochiens für die Werte sensibel zu machen, die sie seiner Meinung nach „übersehen“ haben. Aber vergebens: Die unglücklichen Sadisten und Masochisten träumen an ihren Lagerfeuern von der schönen Vergangenheit. Ist die Intervention zu rechtfertigen? Zeigt das Beispiel nicht, dass Gerechtigkeit und Menschenwürde nur abgeleitete Werte zweiter Ordnung sind, die nur normativen Gehalt haben, wenn sie sich in Interessenbefriedigung |37|widerspiegeln? Das Beispiel könnte dazu zwingen, einige Intuitionen auf den Prüfstand zu stellen, selbst wenn man meint, „Sadomasochien“ sei eine traurige Welt, in der man sich keinen Platz im Neubaugebiet suchen würde.

3. Konsequenzialismus: Alle moralischen Fragen sind mit Blick auf ihre Konsequenzen in Hinsicht auf die Maximierung des an sich wertvollen Gutes Glück zu bewerten und zu entscheiden. Gibt es nur ein an sich wertvolles, also intrinsisches Gut, dann müssen alle weiteren Güter extrinsisch sein, also von ihren Konsequenzen für die Vermehrung des einzig intrinsischen Gutes abgeleitet werden.

4. Aggregierbarkeit: Ein weiterer Pfeiler des Utilitarismus besteht darin, dass Nutzen messbar, interpersonal vergleichbar und anhäufbar sein soll. Man geht davon aus, dass der Nutzen jeder Einzelperson messbar und mit dem Nutzen jeder anderen Person verrechenbar ist, so dass durch das Aufaddieren des Individualnutzens aller Personen eine Summe des Gesamtnutzens erstellt werden kann. Die Güte eines Zustands kann demnach durch die Größe dieser Gesamtsumme (oder entsprechend selteneren Spielarten in Bezug auf den Durchschnittsnutzen pro Kopf) bestimmt werden. Man spricht in diesem Zusammenhang von einem Nutzenkalkül, in dem solche Berechnungen vollzogen werden sollen. Sieht sich ein Handelnder einer Handlungsalternative gegenüber, sollte er berechnen, wie viel Glück durch die verschiedenen Handlungen wohin fließen wird. Im Anschluss sollte er jene Alternative wählen, die den größten Betrag an Glück für alle Betroffenen produziert. Dieses Kalkül wird in der Regel kardinal[28] verstanden, aber es könnte auch untersucht werden, wie die Chancen für einen ordinalen Utilitarismus stehen. Immerhin scheint es nur ordinaler Angaben zu bedürfen, um zu entscheiden, ob Partei a oder b mehr nutzen aus dem Gut G zieht. Das Prinzip vom abnehmenden Grenznutzen auf die Nord-Süd Problematik anzuwenden, wäre so möglich. Es reicht zu wissen, dass der Nutzen von zusätzlichen Gütern für sehr arme Menschen den von Gütern für reiche Menschen deutlich übersteigt. Um wie viel er das tut, ist erst einmal nicht relevant. Jedes Nutzenkalkül wird jedoch von einer Vagheit der Nutzeneinschätzungen überlagert, worauf wir gegen Ende dieses Kapitels ausführlich zu sprechen kommen werden.

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