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IV. Der Mensch ist dem Menschen ein Wolf – Die Vertragstheorie
ОглавлениеIn diesem Abschnitt beginne ich mit der Kritik der vertragstheoretischen Ausrichtung der ökonomischen Ethik. Es ist wahr, dass sich die Menschen heute nicht mehr ohne weiteres einig werden, worin das Gute und Richtige besteht. Aufgrund dieses Pluralismus das Eigeninteresse als „kleinsten gemeinsamen Nenner“ zu identifizieren und zu suggerieren, damit wäre der Pluralismus überwindbar, ist aber ein Trugschluss. Viele Menschen sind sich darüber einig, dass die Vertragstheorie mit ihrer Minimalmoral (s.u.) kein befriedigendes Moralmodell ist (Zu einer aktuellen Version der Theorie: Hoerster 2003. Zur Kritik: Ott 2001). Das Faktum, dass gerade die Vertragstheorie nicht von jedermann befürwortet wird[14], obwohl sie sich am vermeintlich kleinsten gemeinsamen Nenner orientiert, übergehen die Vertreter der ökonomischen Ethik allenfalls mit Verweis auf Aufklärungsdefizite. Aufgeklärte Gründe für die breite Ablehnung und den obigen Vor|17|wurf, dass die Vertragstheorie nur eine Minimalmoral sei, sind etwa folgende:
a) Wäre die Vertragstheorie richtig, wären erzwungene Konsense moralisch, die einfach von den faktischen Machtpositionen der Vertragspartner abhängen. Es ist für Sklaven und Herren – gegeben ihre Machtpositionen – eventuell von Vorteil, sich auf eine Beschränkung der Arbeitszeit auf 16 Stunden am Tag zu einigen. Aber moralisch ist dieser Konsens noch lange nicht, da er von den Sklaven nur anerkannt wird, weil diese Beschränkung das Beste ist, was sie mit ihrer geringen Verhandlungsmacht herausholen können. Das lässt die Vertragstheorie aber nicht gelten, denn alle haben zugestimmt und Pareto folgend ihren Vorteil vergrößert. So kann man Sklaverei mit unakzeptablen Gründen als moralisch rechtfertigen (vgl. die Diskussion bei Hoerster 2003, 181–184).
b) In einer solchen Minimalmoral hätten wir keinerlei Verpflichtung zukünftigen Generationen oder Tieren gegenüber. Diese wären schlicht aufgrund ihrer Machtlosigkeit rechtlos, denn sie zu beachten, vergrößert nicht den Eigennutzen der heutigen Menschen. Machtlose Wesen können diesen nicht schaden. Homann gesteht das offen ein: „Noch nicht geborene Generationen sind für vertragstheoretische Begründungsfiguren nicht erreichbar.“ (Homann 2003, 271) Ein solcher Kurzschluss der „natürlichen Gegner“ Macht und Moral ist ein Skandal.
Es kommt der Einwand auf, dass die allgemeinen Schwächen der Vertragstheorie nicht auf ihre Anwendung im Sektor Wirtschaft durchschlagen. Es führt jedoch ein direkter Verbindungspfad von der minimalmoralischen Ausrichtung der Vertragstheorie zur Vernachlässigung von Ökologieproblemen durch die ökonomische Ethik. Auch die im nächsten Abschnitt aufgeworfenen Fragen nach moralischem Sein und moralischem Schein in diesem Theoriegebäude, lassen sich als direkte Auswirkungen der vertragstheoretischen Orientierung verstehen. Die ökonomische Ethik ist aufs engste mit der Vertragstheorie verbunden, auch wenn sie sich selten zu dieser Bindung bekennt. Daher findet sich der ganze „Sündenkatalog“ der Vertragstheorie „im Kleingedruckten“ der ökonomischen Ethik wieder.
c) Die Vertragstheorie ist einem gut begründeten Moralverständnis zufolge gar keine Moraltheorie, da Moral inhaltlich so definiert ist, dass der Standpunkt eines jeden Betroffenen unparteilich beachtet werden muss (v. Kutschera 1982, 302). Sklaven, zukünftige Lebewesen, Tiere u.a. gehören unstrittiger Weise zu den von den Handlungen im |18|Wirtschaftssystem Betroffenen, werden aber von der Vertragstheorie ignoriert, weil sie machtlos sind.
Suchanek versucht Punkt b) zu entkräften und zukünftige Generationen in das Modell der Vertragstheorie einzubauen. Dabei soll Nachhaltigkeit als vertragstheoretisch geboten erwiesen werden, wenn sie dem wechselseitigen Vorteil dient, während sie in jedem anderen Fall nicht geboten ist. Die Leitfrage lautet: „Inwiefern lassen sich heutige Maßnahmen zur Erhaltung der Lebensgrundlagen künftiger Generationen als Investition begründen, deren Erträge (auch) der gegenwärtigen Generation zugutekommen?“ (Suchanek 2004, 8) Suchanek nimmt an, dass eine Generation G2 Versorgungsbezüge von der Generation G3 erhalten will, dass G3 diese Bezüge von G4 wünscht usw. In diesem Falle ist es rational für G2, diesen Generationenvertrag aufrecht zu erhalten (also G1 auszuzahlen), insbesondere wenn man ihn als wiederholtes Spiel analysiert.
Wie aber beim Klimawandel mit seinen langfristigen Zeitdimensionen, bei der Artenvielfalt oder bei der Weltarmut überhaupt die Rede von „Versorgungsbezügen zwischen den Generationen“ mit Sinn gefüllt werden kann, wird von Suchanek nicht gezeigt. Versorgungsbezüge sind im Normalfall Rentenbezüge. Für meine Rente sind Bürger meines Staates verantwortlich. Es wäre also zu zeigen, wie genau deutsche Renten in den nächsten ca. 50 Jahren vom Klimawandel und von der Artenvielfalt abhängen, und dass man sie am kostengünstigsten sichern kann, wenn man diese Gefahren bekämpft.
Da das wenig erfolgversprechend ist, ist dieser Weg, Nachhaltigkeit zu sichern, eine Illusion. Hoffnung auf Nachhaltigkeit resultiert eher daraus, dass von einer Idee begeisterte Menschen in der Not doch Verschlechterungen für sich selbst in Kauf nehmen, wenn sie damit die Zukunft retten können. Eine solche Hoffnung hat in der ökonomischen Ethik keinen Raum. Diese Hoffnung kann aber realistisch sein. Auch Phänomene wie der Tierschutz, der Schutz schwer behinderter Menschen, der Schutz machtloser Staaten usw. existieren und wachsen ständig, was Vertragstheoretiker (Harman und Thomson 1996, 25f.) schwer erklären können (vgl. Abschnitt VIII.).
Ob nur die Maximierung des Eigennutzens „vernünftig“ ist, wie im Eingangs aufgestellten Schluss behauptet, muss hinterfragt werden. Was bedeutet der Begriff „vernünftig“ in der ersten Prämisse dieses Schlusses? In rein instrumenteller Bedeutung sagen „x ist vernünftig“ und „x ist ein geeignetes Mittel um gegebene Zwecke zu erfüllen“ das |19|Gleiche aus. Den Inhalt dieser Zwecke kann instrumentelle Vernunft aber nicht mehr vorgeben. Bezogen auf unsere Zwecke bei instrumenteller oder bei nicht nur instrumenteller Vernunft zu meinen, diese legten uns ausschließlich auf Eigennutzen fest, ist also schlicht eine unbelegte Annahme. Dann würden der vernünftige Zweck und die Moral in Opposition zueinander treten, wenn man Moral so versteht wie unter c) oben definiert. Das moralisch erlaubte Handeln dürfte dann nicht mehr in diesem Sinne vernünftig sein.