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|1|Einleitung: Warum machen wir uns überhaupt die Mühe zu arbeiten?

Jede wirtschaftsethische Betrachtung tut gut daran, zu Beginn die Frage zu stellen, wozu wir überhaupt Wirtschaft betreiben. Was ist der Zweck hinter unseren täglichen Mühen? Die Antwort mag einfach erscheinen: Wir wollen genug Güter zum Leben haben. Darüber hinausgehende Antworten haben dann mit Lebensqualität und Wohlergehen zu tun. So schreibt der Wirtschaftsethiker P. Ulrich: „Der grundlegende lebensdienliche Sinn des Wirtschaftens besteht also in der Versorgung aller Menschen mit den notwendigen ‚Lebensmitteln‘.“ (Ulrich 1997/2008, 224) Man kann das so erweitern, dass es bei der Wirtschaft darum geht, primär das materielle Wohlergehen der Menschen sicherzustellen.

Mit Ulrichs Zitat ist allerdings auch schon heiß umkämpfter Boden betreten, denn Ulrich spricht von „allen“ Menschen. Ist das Wohl aller notwendig der Zweck des Wirtschaftens? Will ich durch meine wirtschaftliche Tätigkeit das Wohl aller fördern? A. Smith meinte eher „nein“. Ich wolle mein eigenes Auskommen sicherstellen, wodurch ich „indirekt“ das Wohl aller bewerkstelligen würde. Diese Verbindung von Individual- und Allgemeinwohl übernimmt bei Smith einer gängigen (wenngleich umstrittenen, vgl. Sen und Rothschild 1994, 369) Interpretation zufolge die „unsichtbare Hand“ (Smith 1989/1990 Buch 4. Kpt. 2.). L. Erhard, Verfechter unserer heutigen sozialen Marktwirtschaft, bringt eine weitere Variante ins Spiel:

Da der Zweck des Wirtschaftens – Mittel für den Verbrauch zur Verfügung zu stellen und damit der sozialen Wohlfahrt des Volkes zu dienen – unabhängig von Zeiterscheinungen und Systemvorstellungen unverrückbar gegeben ist, sollte der Streit der Meinungen eigentlich nur noch um Fragen der Zweckmäßigkeit der dabei anzuwendenden Verfahren gehen können. (Erhard 1947)

Damit haben wir nun drei Parteien identifiziert, deren Wohl durch das Wirtschaften sichergestellt werden kann: Das Individuum, „das Volk“ und alle Menschen. Das Zweitgenannte legt auch der Begriff „Volkswirtschaft“ nahe, da in der Volkswirtschaftslehre untersucht wird, wie das Wohl eines Volkes als Wirtschaftseinheit vergrößert werden kann. Somit hat das Wirtschaften also mindestens drei potenziell Begünstigte und scheint einen Mechanismus zu bezeichnen, der das (primär |2|materielle) Wohlergehen seines jeweiligen Begünstigten angesichts knapper Güter optimiert.

Alle drei Begünstigten spielen in der Wirtschaft, und damit auch in der Wirtschaftsethik, eine Rolle. So geht die in Deutschland dominierende Wirtschaftsethik, die Ökonomische Ethik von K. Homann, davon aus: „Ökonomik befasst sich mit den Möglichkeiten und Problemen der gesellschaftlichen Zusammenarbeit zum gegenseitigen Vorteil.“ (Homann und Suchanek 2000, 5) Dabei wird betont, dass diese Wissenschaft (und eben auch der Untersuchungsgegenstand, die Wirtschaft selbst) „auf das Vorteilsstreben der einzelnen Akteure“ (Homann und Suchanek 2000, 5) aufbaut.

Schon J. Locke und viele andere Autoren der Philosophiegeschichte bringen dieses Motiv zum Vorschein, das die wirtschaftliche Tätigkeit etwa mit dem Erwerb von Privateigentum verknüpft: „So viel, als ein jeder zu irgendwelchem Vorteil für sein Leben nutzen kann, bevor es verdirbt, darf er sich zu seinem Eigentum machen.“ (Locke 1974/1999, 25) Arbeit wird dabei so verstanden, dass das Individuum seine Güter durch Arbeit vom Gemeingut abgrenzt (Locke 1974/1999, 25). Nennen wir dieses Wirtschaftsmotiv und die damit verbundene Zweckzuweisung den egozentrischen Wirtschaftszweck. Dieser wird variiert, wenn als Ziel des Wirtschaftens eines Unternehmens die Maximierung der Rendite des eingesetzten Eigenkapitals gesehen wird, was einem Shareholder Value-Ansatz entspricht. Dann wird die egozentrische Perspektive auf eine Gruppe ausgedehnt: „All powers granted to a corporation or to the management of a corporation, or to any group within the corporation are at all times exercisable only for the ratable benefit of all the shareholders as their interest appears.“ (Berle 1931, 1049)[1]

Eine andere, durch weniger egozentrische Sympathien geprägte Gruppe wird de facto in den Wirtschaftswissenschaften erfasst, wenn das Wirtschaften den Wohlstand eines Volkes mehren soll. Hier werden andere Volkswirtschaften als Konkurrenten gesehen und man beabsichtigt, die eigene Volkswirtschaft gegenüber den Konkurrenten besser zu stellen, nennen wir das den nationalen Wirtschaftszweck.

Als dritte Möglichkeit kann der Zweck des Wirtschaftens in der Steigerung des Wohles aller Menschen gesehen werden. Das ist eine Bedingung für einen utilitaristischen Wirtschaftszweck, der jüngst noch |3|von T. Jones und W. Felps hervorgehoben wurde: „Indeed, the classic justification for the economic system we call market capitalism is fundamentally utilitarian.“ (Jones und Felps 2013, 212) G. Gysi bringt es auf den Punkt: „Der Zweck von Wirtschaft ist die Wohlfahrt des Menschen.“ (Gysi 2005, 83) Und auch moderne Ökonomen wie R. Vaubel äußern sich annähernd poetisch: „Ökonomen sind verhinderte Utilitaristen.“ (Vaubel 2007, 109; vgl. Kleinewefers 2008, 35f.)

Zum utilitaristischen Wirtschaftszweck gehört aber auch ein spezielles Verständnis von „optimieren“ als maximieren. Man kann Wohlergehen optimieren, indem man Nutzen maximiert, Gleichheit zwischen den Menschen herstellt, die Schlechtestgestellten bevorzugt etc. Bei manchen Ökonomen gibt es ein besonderes Verständnis von Optimierung: das sogenannte Pareto-Prinzip. Es ist die nach Vaubel dem „verhinderten Utilitaristen“ übrig gebliebene „Ersatzposition“. Ein Utilitarismus erscheint vielen Ökonomen unmöglich, weil er erfordert, meinen Nutzen mit deinem Nutzen aus einem Gut x zu vergleichen. Nutzenvergleiche zwischen Personen sind seit L. Robbins (Robbins 1932/2005) in der Volkswirtschaftslehre ein Problem. Daher befürworten manche eine andere Position, die solche Vergleiche nicht benötigt: Das Wohl wird bei einer gegebenen Ausgangsverteilung der Güter optimiert, wenn ein Zustand erzeugt wird, in dem das Wohl eines Subjekts S nicht mehr weiter verbessert werden kann, ohne das eines anderen Subjekts S’ zu verschlechtern (vgl. dazu Kpt. 2).

Zwischen den Zwecksetzungen zu entscheiden, ist einer der wichtigsten Ausgangspunkte der Wirtschaftsethik. Dazu kann man sich verschiedener Quellen der normativen Ethik bedienen. Man kann argumentieren, dass dem egozentrischen und dem nationalen Wirtschaftsbild oft eine Vertragstheorie der Moral zugrunde liegt, die ein Mensch, der moralisch sein will, nicht akzeptieren kann (vgl. Kpt. 1). Ebenso kann man gegen das egozentrische und das nationale Wirtschaftsbild vorbringen: Es nicht rational begründbar, wieso die eigene Person bzw. die eigene Gemeinschaft oder der eigene Staat Vorrang gegenüber anderen Personen, Gemeinschaften oder Staaten haben sollte, nur weil es sich gerade um die eigene Person oder Gruppe handelt (vgl. Gesang 2000a, 62–90; Hare 1992, Kpt. 6). Das ist genauso, als würde man den Begriff „Fernsehstar“ nicht auf alle in relevanter Hinsicht ähnlichen, also durch das Fernsehen bekannten, eitlen und egomanen, sicher aber reichen und stylisch gekleideten Personen anwenden. Unterlässt man dies, handelt man willkürlich und begeht einen Bruch des logisch zwingenden Prinzips, Gleiches |4|gleich zu behandeln. Ein solcher Bruch verlangt nach Begründung.

In diesem Buch soll der utilitaristische Wirtschaftszweck verteidigt werden und es soll analysiert werden, welche Forderungen mit ihm verbunden sind.

Wirtschaftsethik und Menschenrechte

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