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III. Der Rahmen und seine Krankheiten

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Soweit das Grundmodell der ökonomischen Ethik. Nun kümmern sich deren Vertreter aber auch um die tiefergehende Rechtfertigung und um einige Probleme des Grundmodells. Auch an die Rahmenordnung selbst, die sich vorrangig aus Gesetzen und weit verbreiteten Moralvorstellungen in der Gesellschaft zusammensetzt (Homann und Blome-Drees 1992, 23), sind moralische Anforderungen zu stellen, gerade damit sie jedermann nützlich sein kann. Wann ist der Rahmen moralisch? Homann bettet seine Konzeption in eine Hobbessche Vertragstheorie ein.[8] Diese besagt, wenn man sie auf die Moral überträgt, dass moralische Regeln (oder „Verträge“) nur zustande kommen, wenn sie dem Eigeninteresse jedes Menschen dienen. Beim Urahn dieses Theorietyps, bei T. Hobbes (Hobbes 1970/2002, Kpt. 13–14), gebe ich mein „Recht“ jemanden zu töten oder zu berauben nur dann auf, wenn ich mir davon selbst einen Nutzen versprechen kann (auch ich werde von den anderen nicht getötet und beraubt). Moral wird völlig auf Eigennutzen zurückgeführt. Mithilfe eines Cartoons lässt sich das wunderbar veranschaulichen. In diesem geben sich zwei Herren im Anzug die Hand und jeder hält hinter seinem Rücken eine steinzeitliche Keule versteckt: Der Vertrag ist nur eine besondere Form der Gewalt. Homann wählt diese Ethik aufgrund des gesellschaftlichen Wertpluralismus. Das heißt, die Menschen sind sich über Werte heutzutage nicht mehr einig. Daher kann man Homann folgend nur auf einem von allen geteilten, nicht strittigen und nicht moralischen Fundament aufbauen, dem Eigeninteresse (Homann und Blome-Drees 1992, 22, 167ff.; Homann 2005, 205).[9] Homann geht davon aus, dass der Rahmen in einem bestimmten Sinne moralisch sein muss, um |14|eine optimale Verwirklichung des je eigenen Vorteils zu garantieren: „Der Mensch erlegt sich autonom per kollektiver Selbstbindung die moralischen Regeln auf – um größerer Vorteile willen und aus keinem anderen Grund.“ (Homann 2003, 174) Nur wenn die Rahmenordnung zum wechselseitigen Vorteil aller (d.h. „moralisch“ im Sinne der ökonomischen Ethik) ist, werden der individuelle Vorteil und der soziale Friede als Bedingung für bessere Geschäfte gewahrt (Homann und Blome-Drees 1992, 85; Homann 2003, 176).[10] Um die Moralität des Rahmens und des gesamten Wirtschaftssystems zu sichern, wenden Homann und Blome-Drees ein scharfes Konsenskriterium an: Jedes Mitglied der Gesellschaft und genau genommen jeder Vertragspartner des Welt-Gesellschaftsvertrags (Homann 2003, 176) müssen der durch den Rahmen vorgegebenen Wirtschaftsordnung im Prinzip zustimmen können (Homann und Blome-Drees 1992, 54ff.). Sonst ist das Wirtschaftssystem eben keines zum wechselseitigen Vorteil aller (Homann 2003, 171). Jeder nicht berücksichtigte Akteur droht das gesamte System der Kooperation zu beenden, indem er bei geeigneten Dilemmastrukturen alle anderen zwingen kann, die Kooperation aufzugeben und Gegenausbeutung zu betreiben (Homann und Suchanek 2000, 425).

Zustimmung aller zu einer Ordnung, die dem Einzelnen auch Opfer auferlegt, wenn er arbeitslos wird, kann nur die Ausweitung der Marktwirtschaft zur sozialen Marktwirtschaft garantieren (Buchanan 1975/1984, 91). Durch Sozialleistungen wird die Zustimmung zum System „erkauft“, denn in der sozialen Marktwirtschaft wird es den Schlechtestgestellten – frei nach Adam Smith (Smith 1989/2009, 58) – immer noch bessergehen als den Schlechtestgestellten in anderen Wirtschaftssystemen (Homann und Blome-Drees 1992, 58f.). Daher gibt es ein Recht auf Sozialleistungen. Nur so wird das System als eines ausweisbar, das den wechselseitigen Vorteil vermehrt, d.h. nur so wird das Grundsystem ein moralisch gerechtfertigtes. Anders formuliert, darf die Wirtschaft nicht zu (unkompensierten) Lasten Dritter gehen (wie etwa im Falle der Korruption) (Suchanek 2007, 43), denn dann würden diese „Dritten“ den Konsens zu Recht aufkündigen. Allerdings darf auch nicht gefordert werden, das Eigeninteresse irgendeines Akteurs zu opfern, um die Interessen Dritter zu wahren. Auch dann ist der Kon|15|sens mit diesem Akteur bzw. die Vertragsgrundlage des wechselseitigen Vorteils hinfällig.[11]

Weiterhin wird anerkannt, dass Rahmenordnungen nie perfekt sind (Homann und Blome-Drees 1992, 114f.). Allgemeine Regeln können individuellen Fällen nie ganz gerecht werden, Gesetze laufen den zu regulierenden Fehlentwicklungen zeitlich immer hinterher. Viele Rahmenordnungen sind zudem, selbst gemessen an den Maßstäben der Vertragstheorie, nicht immer moralisch. In manchen Teilen der Welt existiert z.B. nur ein auf „Vetternwirtschaft“ basierender gesetzlicher Ordnungsrahmen zum alleinigen Vorteil von Eliten. In solchen globalisierten Kontexten bleibt nur das positive Image des Unternehmens[12] als Instanz bestehen, die das Unternehmen zügeln kann. Während die Unternehmen unter einem hypothetisch unterstellten, perfekten Rahmen nur die Pflicht haben, Gewinne zu maximieren, ist dies in der Realität nicht mehr ihre alleinige Aufgabe. Es wird eine eigene Unternehmensethik notwendig, die im Idealzustand gar nicht gebraucht würde.

Die ethischen Aufgaben von Unternehmen sind unterschiedlich. Zuerst müssen ethische Ansprüche aus der Gesellschaft auf ihre ethische Berechtigung geprüft werden, wozu sehr wenig gesagt wird (Homann und Blome-Drees 1992, 128). Unternehmen können auf der Ebene der Spielzüge, d.h. auf einer Wettbewerbsebene, durch individuelle Selbstbindung oder innovative Produkte, Verbesserungen bewirken (d.i. die Wettbewerbsstrategie) (Homann und Blome-Drees 1992, 136f.). Eine Forderung aber, welche zu dauerhaften Nachteilen führt, brächte das Vertragskalkül zum Einsturz und ist daher innerhalb der ökonomischen Ethik unmöglich: „Es kann keine ethische Begründung für Normen geben, die ständige wirtschaftliche Benachteiligungen nach sich ziehen.“ (Homann und Blome-Drees 1992, 146)

Moral ist einem Unternehmen nur zumutbar, wenn sie langfristig seine Gewinne vergrößert, sie ist eine langfristige Investition (Homann und Blome-Drees 1992, 145).

|16|Lässt sich eine Win-win-Situation durch Veränderung der Spielzüge auf der Wettbewerbsebene langfristig nicht herstellen, bleibt dem Unternehmen nur die ordnungspolitische Strategie (Homann und Blome-Drees 1992, 138; Suchanek 2007, 144ff.). Das heißt, es sollte dann versuchen, Einfluss auf die Politik zu nehmen (Verbände, öffentlicher Druck, Lobbyarbeit etc.), um die moralischen Lücken des Rahmens wettbewerbsneutral für alle Akteure zu schließen. Der Antrieb, für eine solche Moralisierung des Rahmens einzutreten, stammt aus zwei Überlegungen: Einerseits kann ein unmoralischer Rahmen zum Zerbrechen des sozialen Friedens und damit dazu führen, dass der Eigennutzen für jeden Akteur schwerer realisierbar wird. Andererseits kann ein Engagement für eine moralische Gesetzgebung die langfristige Gewinnsteigerung vereinfachen, beispielsweise indem man die Gesetze mit den Moralurteilen der Mehrheit[13] in Übereinstimmung bringt und so Akzeptanz für Gesetzestreue gewinnt (Beispiel: Tierschutz).

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