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Sicher ist sicher

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An einem nüchtern gehaltenen Tisch für vier Personen sitzt ein korpulenter Mittvierziger mit dunklen, angegrauten Haaren alleine. Geduldig verspeist er sein Wiener Schnitzel mit Pommes. Während er tapfer auf dem etwas zähen Stück Fleisch kaut, schweifen seine Blicke teilnahmslos durch die gut besuchte Kantine. Gerne würde er zum Spülen ein kühles Kölsch trinken, aber die Polizei soll ja vorbildlich sein und da passt nun mal kein Alkohol. Tapfer schneidet er das nächste Stück Fleisch ab, als SMOKE ON THE WATER, jene berühmte Musiksequenz von Deep Purple, ertönt. Er legt das Besteck zur Seite und greift zu seinem Smartphone. Auf dem Bildschirm ist ein hochhackiger feuerroter Damenschuh zu sehen. »Hallo Astrid«, begrüßt er seine Kollegin.

»Hallo Horst, ich hoffe, dass ich dich gerade nicht bei einer wichtigen Arbeit störe. Hast du mal einen Moment Zeit für mich?«

»Arbeit ist das richtige Wort. Das Schwein wehrt sich gerade heftig, von mir verspeist zu werden«, macht er Astrid klar, dass er gerade beim Mittagessen ist.

»Verspeist werden, ist das richtige Stichwort, Alterchen«, umschreibt Astrid ihre mögliche Lage. »Es könnte sein, dass wir da mal wieder mitten in ein Fettnäpfchen trampeln könnten.«

»Wir? … Ich arbeite momentan an nichts, was mich in Schwierigkeiten bringen könnte.«

»Das könnte sich aber zügig ändern, mein ach so geschätzter Kollege«, schleimt Astrid.

»Was ist los? Komm auf den Punkt«, kürzt Horst den Dialog ab.

»Ich wurde heute Morgen zu einem Fall gerufen, bei dem das Opfer ein gut verdrahtetes hohes Tier in Düsseldorf ist. Das sieht zwar nach einer stink normalen Erpressung mit einem Sex-Video aus, aber es könnte auch noch viel mehr dahinterstecken. Ich möchte den Reiner einbinden und hätte dich gerne als Zeugen dabei. Bei unserer Historie könnte ein weiteres Augenpaar nicht schaden«, kommt sie Horsts Wunsch nach und erklärt ihm das, was bisher ermittelt wurde.

»Deine Befürchtung kann ich gut verstehen. Gib mir noch etwas Zeit. Versuche für zwei Uhr einen Termin bei unserem Chef zu bekommen. Ich komme dann auch zu seinem Büro. Bis nachher«, schlägt der korpulente Kriminalhauptkommissar vor, beendet das Telefonat und wendet sich wieder seinem panierten Gegner zu. »Wieso werde ich das Gefühl nicht los, dass ich mich besser raushalten sollte?«, sinniert Horst und nimmt einen kräftigen nächsten Bissen.

*

Klack, klack sind Astrids Stöckelschuhe auf dem Flurboden zu hören und nähern sich dem Büro des Polizeipräsidenten. Der Jahreszeit entsprechend in kurzem Rock und luftiger Bluse begrüßt sie Horst: »Wartest du schon länger?«

Der ca. 1,7 Meter große Kollege schüttelt den Kopf, als er das etwas offenherzige Dekolleté sieht: »Übertreibe es nicht. Irgendwann kapiert auch er es.«

Astrid klopft an die Tür.

»Kommen sie herein!«, hören beide die Stimme ihres Chefs.

Wenig später sitzen die beiden Polizisten mit Herrn Reiner um dessen Besprechungstisch.

»Was haben sie beide auf dem Herzen? Wenn es nichts Wichtiges wäre, würden sie beide ohne Zweifel nicht gemeinsam kommen«, begrüßt er die Mitarbeiter.

»Ob es das ist, wissen wir noch nicht, Herr Polizeipräsident. Hier benötigen wir ihren Rat«, versucht Astrid ihren Vorgesetzten charmant einzuwickeln.

»Herr Reiner reicht«, antwortet der Angesprochene geschmeichelt. »Worum geht es denn?«

»Heute wurde ein Jens Beyer mit einer Kugel im Kopf im Kölner Süden tot aufgefunden. Auf seinem PC haben wir eine pikantes Erpresservideo gefunden. Die Kontakte auf seinem Smartphone gehören zum Who is Who des Landes, bis zum Landesinnenminister und dessen Frau«, erläutert Astrid.

»Wie sie vielleicht wissen, habe ich ein etwas getrübtes Verhältnis zu der Ministergattin«, ergänzt Horst.

»Ich erinnere mich ungern. Sie nannten sie eine doofe Zicke«, antwortet Herr Reiner.

»Eitle Zicke, ich nannte sie eitle Zicke, nicht doofe Zicke«, korrigiert Horst.

»Dieser Unterschied ändert aber nichts an der Zuneigung dieser Dame zu ihrer Person. Falls die Frau des Innenministers befragt werden muss, möchte ich, dass sie nicht zugegen sind, Herr Feld. Haben wir uns da verstanden?«, wird der Polizeipräsident etwas ernster.

»Das wäre auch mein Vorschlag gewesen«, nimmt Horst die Anweisung gerne entgegen.

»Im Moment gehen wir davon aus, dass der Tod von Herrn Beyer rein private Ursachen hat. Wir können derzeit auch einen Suizid nicht zu hundert Prozent ausschließen. So gesehen ist eine Begegnung im ministeriellen Umfeld zwar denkbar, aber derzeit eher unwahrscheinlich«, versucht Astrid die Diskussion zu entkrampfen. »Dennoch werden wir in alle Richtungen ermitteln müssen. Das Video wurde mit dem Absender Uschi N versendet und die Frau auf dem Video hat ein Tattoo mit den Buchstaben U und S. U könnte für Uschi stehen.«

»Ich schlage vor, dass ich mich auf die Suche nach dieser Uschi fokussiere und Frau Stein auf mögliche andere Bereiche. Damit sollten atmosphärische Konflikte unwahrscheinlicher bleiben«, ergänzt Horst.

»Das ist ein sehr guter Vorschlag, Herr Feld. So machen wir das. Ich informiere zur Sicherheit den Innenminister über den Tod des Herrn Beyer. Ich wünsche ihnen und uns eine erfolgreiche und schnelle Aufklärung. Danke für ihre rechtzeitige Einbindung. Bitte halten sie mich auch weiterhin auf dem Laufenden«, beendet der Polizeipräsident das Gespräch, steht auf und begleitet seine Mitarbeiter zur Tür.

»Ich gehe mal bei der Sitte vorbei. Vielleicht kennen die ja diese Uschi oder haben eine Idee, wie ich sie finden kann«, wendet sich Horst auf dem Flur seiner Kollegin zu.

»Und ich versuche mal etwas über das berufliche Umfeld dieses Herrn Beyer herauszufinden. Vielleicht kann mir Mr. Smith dabei auch ein wenig helfen. Bis später!«, antwortet Astrid und verschwindet klack klack im sich gerade öffnenden Aufzug.

Nachdem er einen kurzen schmunzelnden Blick auf das im Klack Klack – Takt wackelnde, hübsche Hinterteil geworfen hat, schleicht Horst in seiner gewohnt gemütlichen Art weiter über den Gang, bis er schließlich sein Ziel erreicht. Die Tür steht offen. Höflich klopft er an den Türrahmen: »Hallo allseits, ich suche eine Uschi und hoffe, dass ihr mir dabei helfen könnt.«

»Hallo Horst, bist du deiner aufgeblasenen Plastik-Chantal überdrüssig und möchtest zurück zur Natur?«

»Du mich auch, Josef«, brummt Horst. »Irgendwie hat die Versetzung zur Sitte keinen guten Einfluss auf dich.«

»Was kann ich für dich tun alter Freund?«, fährt Josef grinsend, aber sachlich fort.

»Wir suchen eine Uschi N im Zusammenhang mit einem Leichenfund direkt hinter Claudias Garten. Diese Uschi scheint im Umgang mit knapper Lederkleidung geübt und hat ein herziges Tattoo mit den Initialen S und U auf der linken PO-Backe. Sieht so aus, als gehört sie zu eurer Klientel«, erklärt Horst seinem langjährigen Schreibtischnachbarn.

Es gab vor über dreißig Jahren eine Uschi Nolde, eine bildhübsche Frau. Das war eine ausgesprochen traurige Angelegenheit. Ich war damals ganz frisch bei der Polizei und die Geschichte ging damals rund. Sie war mit einem Manager verheiratet und lebte in einer hübschen kleinen Villa. Da ihr Kinderwunsch unerfüllt blieb, adoptierten sie ein kleines Kind. Wenige Monate später verunglückte der Mann tödlich. Da das Haus hoch verschuldet war und für keine ausreichende finanzielle Absicherung gesorgt war, ist Uschi Nolde aus materieller Not auf den Hausfrauenstrich gegangen. Als das herauskam, hat das Jugendamt ihr das Adoptivkind wieder entzogen. Daraufhin ist sie total abgerutscht und machte die übelsten Jobs auf der Straße. Keine Ahnung, was aus ihr geworden ist«, erklärt Josef.

»Die kann es nicht sein. Unsere Uschi ist heute jung, schick und gehört mehr zur Kategorie vornehmer Abendbegleitung mit Anschlussservice«, schüttelt Horst den Kopf. »Da bei dem Toten mehrere Damen des horizontalen Gewerbes ein und ausgingen, gehe ich davon aus, dass irgendjemand den Service organisiert. Kannst du dich mal vorsichtig umhören?«

»Wie heißt der Tote denn?«

»Jens Beyer, aber mit dem Namen gehen wir sehr vorsichtig um, da er ein hohes Tier in Düsseldorf war. Versuch, den Namen bitte rauszuhalten, Josef.«

»Ok, Horst. Ich höre mich um, ob einer deine Leder-Uschi kennt. Ich melde mich, sobald ich etwas erfahre. Kann aber eine Stunde dauern«.

»Das passt. Ich wollte eh noch bei Claudias Team vorbeigehen, um zu fragen, ob sie zwischenzeitlich etwas mehr über die Todesursache wissen. Danke im Voraus für deine Bemühungen«, dreht sich Horst um und will den Raum verlassen.

»Und du willst wirklich keine Nachfolgerin für deine Chantal«, hört er Josef frotzeln.

Josef sieht nur einen, nach oben gestreckten, Mittelfinger hinter der Tür verschwinden. Lächelnd greift er zum Telefonhörer und zögert, als Horst noch einmal zurückkommt.

»Hieß das Adoptivkind vielleicht auch Uschi«, hinterfragt Horst.

»Nach meiner Kenntnis nicht. Das Jugendamt hatte damals bei dem Entzug der Adoption einige Fragen an uns. Ich bearbeitete damals den Vorgang. Das war ein anderer Name, da bin ich mir ziemlich sicher«, antwortet Josef, während er die Hand auf die Sprechmuschel des Telefonhörers legt.

»Merci, war nur so ein Gedanke«, rechtfertigt Horst seine Rückfrage und verschwindet endgültig auf dem Flur.

*

Kurze Zeit später betritt er Claudias Büro.

»Hallo, du Zierde der Wissenschaft«, begrüßt er die Leiterin der SPUSI.

»Wenn du so rumschleimst, möchtest du sicherlich etwas von mir. Was verschafft mir die Ehre deines Besuchs?«, kommt Claudia auf den Punkt.

»Habt ihr zwischenzeitig neue Informationen zur Todesursache von Herrn Beyer? Nach Rücksprache mit unserem Chef soll ich Astrid in dem Fall unterstützen«.

»Wir haben noch keinen endgültigen Beweis, aber viele Indizien deuten darauf hin, dass der Mann sich nicht selber erschossen hat«, antwortet Claudia. »Allerdings wurde der Abschiedsbrief von ihm verfasst. Das hat unser Grafologe mit 99%iger Sicherheit betätigt. Weiterhin waren an dem Stift, den wir im Wagen gefunden haben, nur Spuren von Herrn Beyer. Auf der Rückbank des Fahrzeugs haben wir nahezu keine fremde DNA gefunden. Dafür war der Beifahrersitz sehr aufschlussreich. Da haben verschiedene Frauen mit nacktem Unterkörper ihre Spuren hinterlassen. Wir fanden aber keine Spermaspuren im Fahrzeug. In unserer Datenbank hatten wir zwei Treffer. Beide Damen, eine Judy und eine Vanessa, sind in Kölns größtem Freudenhaus gemeldet«, erläutert Claudia den aktuellen Stand, schreibt etwas auf einen kleinen Notizzettel und gibt diesen Horst. »Hier hast du die beiden Namen.«

»Das könnte passen. Unterwegs Appetit holen und zu Hause essen«, kommentiert Horst.

»Na, dann viel Spaß bei deinen weiteren Recherchen«, lästert Claudia Benz. »Ich melde mich, sobald wir mehr wissen. Für mich persönlich ist jetzt Feierabend, schließlich waren wir schon früh auf den Beinen«.

»Danke, meine Erleuchtung des Nachmittags. Wir sehen uns spätestens am Freitag bei dir im Garten«, verabschiedet sich Horst und steckt den Notizzettel ein, nachdem er sich die Namen angeschaut hat.

Im Auge des Milans

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