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b) Art. 114 AEUV als Kompetenzgrundlage für privatrechtliche Richtlinien
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Art. 114 AEUV ist die bei weitem am meisten genutzte Kompetenzgrundlage für privatrechtliche Regelungen der EU. Das bedeutet, wenn man die soeben angestellten Überlegungen zugrunde legt, dass diese Regelungen für sich in Anspruch nehmen, nicht nur rechtsangleichend, sondern auch marktfördernd zu wirken. Für manche Richtlinie ist das ganz eindeutig. So hat die Zahlungsverzugs-RL das Ziel, die Zahlungsmoral in der gesamten Union zu verbessern, damit der Handel erleichtert wird.[12]
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Etwas mehr Probleme stellen sich im Verbrauchervertragsrecht, welches einen großen Teil der privatrechtlichen Richtlinien ausmacht. Vielfach scheint Verbraucherschutz den Handel eher zu erschweren und den Wettbewerb zu beschränken. Leider sind auch die Begründungen in den Erwägungsgründen der älteren Richtlinien gelegentlich so konfus, dass es nicht verwundern kann, wenn immer wieder schon die Kompetenz der EU für bestimmte Regelungen angezweifelt wird.[13] Noch in dem ersten Vorschlag für die neue Verbraucherkredit-RL aus dem Jahr 2002 hieß es gänzlich unklar: „Die Maßnahme hat die Errichtung und das Funktionieren des Binnenmarkts zum Gegenstand. Sie trägt zur Erreichung des Zieles bei, die Verbraucher zu schützen, indem sie im Rahmen der Errichtung des Binnenmarkts eine Harmonisierung bewirkt. Aus diesem Grund wurde Art. 95 EG (heute Art. 114 AEUV) als Rechtsgrundlage herangezogen.“[14] Seitdem hat die Kommission jedoch viel dazugelernt. Letztlich ist die Kompetenz der EU gerade für das Verbrauchervertragsrecht nämlich sehr deutlich. Die Begründung dafür, dass Verbraucherschutz der Verbesserung des Binnenmarkts dient, wird folgendermaßen konstruiert: Indem in allen Mitgliedstaaten ein einheitliches Verbraucherrecht mit einem hohen Schutzniveau entsteht, steigt das Vertrauen des Verbrauchers. Er konsumiert verstärkt und schreckt insbesondere nicht mehr vor grenzüberschreitenden Rechtsgeschäften, wie z.B. Einkäufen oder der Kreditaufnahme im Ausland, zurück.[15] Dieser Gedankengang findet sich in allen verbraucherpolitischen Strategie-Papieren[16] und wird ausdrücklich in der Verbraucherkredit-RL aufgegriffen[17]. Auch in der Verbraucherrechte-RL wird ausgeführt, dass die durch unterschiedliche Verbrauchervorschriften entstehende Rechtsunsicherheit das Vertrauen der Verbraucher in den Binnenmarkt einschränkt.[18]
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Im Beispiel 1 will die Kommission das kaufrechtliche Gewährleistungsrecht vollharmonisieren und dazu die Rechtsform der Verordnung wählen. Ob Art. 114 AEUV als Kompetenzgrundlage für eine solche Maßnahme ausreichen würde, ist in den letzten Jahren viel diskutiert worden. Denn die Kommission hatte tatsächlich ein europäisches Kaufrecht (kurz GEK für „gemeinsames europäisches Kaufrecht“ oder CESL für „common European sales law“) geplant, das auf Art. 114 AEUV gestützt werden sollte.[19] Beim GEK regte sich gegen die Verwendung des Art. 114 AEUV starker Widerstand. Das hatte seinen Grund aber vor allem darin, dass das GEK als ein „28. Regime“ neben die verschiedenen in den Mitgliedstaaten geltenden Kaufrechte treten sollte. Ein solches zusätzliches Parallelrecht, so wurde meist vertreten, sei gar keine Angleichungsmaßnahme.[20] Die Pläne für das GEK sind inzwischen auf politischer Ebene gescheitert (dazu näher unten Rn. 637). Es wird aber weitere Ansätze geben und die Kompetenzfrage bleibt spannend. Im Beispiel will die Kommission das Kaufrecht in der EU angleichen, so dass die beim GEK geäußerten Bedenken entfallen. In Bezug auf die inzwischen erlassene Warenkauf-RL, die in ihrem Erwägungsgrund 2 neben Art. 114 auch Art. 26 Abs. 1 und 2 sowie Art. 169 Abs. 1 und 2 AEUV als Kompetenzgrundlagen benennt, ist über die Frage der Kompetenz überhaupt nicht gestritten worden, obwohl sie vollharmonisierend angelegt ist.
Die Besonderheit in dem Fallbeispiel besteht darin, dass nicht mithilfe einer Richtlinie ein Mindeststandard bestimmt wird, den alle Mitgliedstaaten in ihre Rechtsordnung integrieren sollen, sondern dass eine Vollharmonisierung durch eine Verordnung geplant ist. Die sich dabei ergebenden Bedenken werden im Folgenden näher erörtert.