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§ 2 Überblick über das bestehende Privatrecht der EU

Inhaltsverzeichnis

A. Privatrecht im primären EU-Recht

B. Privatrecht im sekundären EU-Recht

§ 2 Überblick über das bestehende Privatrecht der EU › A. Privatrecht im primären EU-Recht

A. Privatrecht im primären EU-Recht

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Mit dem Begriff Europarecht wird in aller Regel zunächst öffentliches Recht assoziiert. Tatsächlich besteht das Europarecht zu einem sehr großen Anteil aus öffentlich-rechtlichen Normen. Der öffentlich-rechtliche Charakter ist jedoch kein Muss. Das Europarecht findet seine Identität vielmehr darin, dass es das – entweder von den Organen der EU oder auch von den Mitgliedstaaten gemeinsam geschaffene – Recht der Europäischen Union ist. Es enthält sowohl öffentlich-rechtliche als auch privatrechtliche Normen. Dabei ist das Europarecht nach herrschender Ansicht eine Rechtsordnung sui generis, also weder Völkerrecht noch nationales Recht.[1] Der Vertrag von Lissabon stellt mehr dar als einen bloßen Staatsvertrag.[2] Das gesamte EU-Recht hat Anwendungsvorrang vor dem nationalen Recht (näher dazu auch Rn. 31 ff.).[3]

Das in den so genannten Gründungsverträgen der EU und in den sonstigen unmittelbar zwischen den Mitgliedstaaten abgeschlossenen Verträgen enthaltene Recht wird als primäres EU-Recht bezeichnet.[4] Gerade hier findet sich ganz überwiegend öffentliches Recht. Aber im Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) selbst sind auch einige privatrechtliche oder wenigstens für den Privatrechtsverkehr unmittelbar relevante Normen enthalten. So enthalten die wettbewerbs- und kartellrechtlichen Vorschriften in den Art. 101 ff. AEUV privatrechtliche Elemente. Ohnehin richten sie sich nicht an die Mitgliedstaaten, sondern an die Unternehmen. Zumeist enthalten sie allerdings hoheitliche Verbote. Privatrechtlichen Charakter trägt Art. 101 Abs. 2 AEUV, der die Nichtigkeit verbotener Vereinbarungen bestimmt. Viele weitere Normen sind zwar nicht privatrechtlicher Art, betreffen aber dennoch unmittelbar den Rechtsverkehr Privater. So ist es mit den Grundfreiheiten (dazu unten Rn. 45 ff.) und Diskriminierungsverboten (dazu unten Rn. 49).

Bei anderen Normen des AEUV ist es umstritten, ob sie Wirkungen zwischen Privaten entfalten. So wird teilweise behauptet, aus Art. 169 AEUV könne der Verbraucher ein Recht auf Information gegen seinen privaten Vertragspartner ableiten.[5]

Zum primären Recht der Union gehören auch die allgemeinen Rechtsgrundsätze, die ebenfalls privatrechtlich (oder ganz allgemein) gelten können. Ein Beispiel ist das Verbot des Rechtsmissbrauchs. Die Existenz dieser Rechtsgrundsätze ist im Einzelfall allerdings oft sehr streitig (so ganz besonders für ein privatrechtliches Diskriminierungsverbot, dazu unten Rn. 79 und Rn. 269).

Schließlich gehören auch die in der EU-Grundrechtecharta (GRCh) enthaltenen europäischen Grundrechte zum europäischen Primärrecht. Sie binden laut Art. 51 Abs. 1 GRCh die Einrichtungen und Organe der Union sowie die Mitgliedstaaten bei der Durchführung des Unionsrechts. Wie weit es eine mittelbare oder unmittelbare Drittwirkung im Rechtsverhältnis zwischen Privaten gibt, ist noch sehr in der Diskussion. Jedenfalls können die EU-Grundrechte aber dann zur Anwendung kommen, wenn es um die Umsetzung, Auslegung und Anwendung von privatrechtlichen Vorschriften geht (hierzu ausführlich Rn. 83).[6]

§ 2 Überblick über das bestehende Privatrecht der EU › B. Privatrecht im sekundären EU-Recht

B. Privatrecht im sekundären EU-Recht

§ 2 Überblick über das bestehende Privatrecht der EU › B. Privatrecht im sekundären EU-Recht › I. Arten sekundären EU-Privatrechts

I. Arten sekundären EU-Privatrechts

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Als geltendes EU-Privatrecht wesentlich bedeutsamer als die soeben dargestellten Normen des primären EU-Rechts sind die sekundären Normen des EU-Rechts. In Art. 288 AEUV sind die der EU zur Verfügung stehenden „Maßnahmen“ sekundärer Rechtsschaffung aufgeführt. Es gibt Verordnungen, Richtlinien und Entscheidungen sowie Empfehlungen und Stellungnahmen. Für das Privatrecht ragt die Richtlinie als meistgenutztes Rechtssetzungsinstrument heraus.

§ 2 Überblick über das bestehende Privatrecht der EU › B. Privatrecht im sekundären EU-Recht › II. Die Richtlinie

II. Die Richtlinie

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Die Richtlinie ist dadurch geprägt, dass sie gemäß Art. 288 S. 3 AEUV keine Direktwirkung entfaltet. Das in der Richtlinie Geregelte ist also nicht unmittelbar im Rechtsverkehr anwendbares Recht. Vielmehr richtet sich die Richtlinie an die Mitgliedstaaten, welche die Vorgaben der Richtlinie innerhalb eines vorgegebenen Zeitraums in nationales Recht umsetzen müssen. Erst durch diese Umsetzung werden die in den Richtlinien vorgesehenen Regelungen zu in den Mitgliedstaaten geltendem, anwendbarem Recht (näher zum Ganzen unten Rn. 85 ff.).

Ein weiteres Charakteristikum der Richtlinie besteht darin, dass sie stets eine sektorspezifische Regelung ist. Sie betrifft immer einen bestimmten Politikbereich. Die ersten wichtigen privatrechtlichen Richtlinien betrafen alle das Arbeitsrecht. Ein wichtiges Beispiel ist die Richtlinie zur Gleichbehandlung von Mann und Frau von 1976.[7] Auch viele verbraucherschützende Richtlinien waren bereits in dieser Zeit entworfen worden. Es dauerte jedoch bis 1985, ehe die erste dieser Richtlinien, nämlich die Haustürgeschäfte-RL[8], in Kraft trat. Heute gibt es eine Vielzahl von privatrechtlichen Richtlinien. Sie betreffen insbesondere das Verbraucherschutzrecht, das Arbeitsrecht, das Wettbewerbsrecht und das Gesellschaftsrecht. Das Tempo der Richtliniengebung hat sich derzeit etwas verlangsamt. Dafür fließen viele Energien in die Systematisierung des acquis communautaire mit dem Ziel, Lücken und Unstimmigkeiten bei den Regelungen zu beseitigen.[9] Wie schwierig eine solche Systematisierung ist, zeigt sich deutlich an der Verbraucherrechte-RL. Es dauerte nicht nur viele Jahre bis die Richtlinie verabschiedet wurde und es wurden nicht – wie anfangs geplant – vier, sondern nur zwei bereits bestehende Richtlinien vollständig in sie einbezogen.[10] Eine Übersicht über die existierenden Richtlinien und Richtlinienvorschläge des allgemeinen Privatrechts findet sich im Anhang dieses Buchs.

§ 2 Überblick über das bestehende Privatrecht der EU › B. Privatrecht im sekundären EU-Recht › III. Die Verordnung

III. Die Verordnung

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Das zweite für das Privatrecht relevante Rechtssetzungsinstrument ist die in Art. 288 S. 2 AEUV beschriebene Verordnung. Die Verordnung gilt, anders als die Richtlinie, unmittelbar. Während die Verordnung im internationalen Zivilprozessrecht und im IPR viel verwendet wird, kommt ihr im eigentlichen materiellen Privatrecht generell nur eine geringe Rolle zu. Der wichtigste Grund für diese gering bleibende Bedeutung der Verordnung besteht in der fehlenden Praktikabilität. Es ist wohl kaum möglich, einzelne privatrechtliche Normen zu schaffen, die sich unmittelbar in die Rechtsordnungen aller Mitgliedstaaten integrieren lassen, ohne dass es zu deutlichen Systembrüchen kommt.[11]

Die Kompetenzgrundlage in Art. 114 AEUV (dazu Rn. 12 ff.) erlaubt es der EU an sich, auch Verordnungen zu erlassen. Aber die EU ist immer dem Verhältnismäßigkeitsprinzip verpflichtet (Art. 5 Abs. 1 S. 2 EUV) und die Richtlinie, welche den Mitgliedstaaten Umsetzungsspielraum lässt, ist zumeist das gegenüber der Verordnung gleichermaßen geeignete, aber mildere Mittel. Außerdem ist EU-Recht und besonders das verbraucherschützende EU-Privatrecht dem Grundsatz der Transparenz verpflichtet. Dem stünde es entgegen, wenn die privatrechtlichen Normen in einzelnen, nicht in das nationale Recht integrierten Verordnungen enthalten wären.

Anders ist es, wenn komplexe Regelungen für in sich geschlossene Rechtsbereiche geschaffen werden sollen. Das ist zum Beispiel dann der Fall, wenn ganz neue Gesellschaftsformen geschaffen werden sollen, wie die Europäische Aktiengesellschaft, die Societas Europaea (SE), und die Europäische Wirtschaftliche Interessenvereinigung (EWIV), die beide in Verordnungen enthalten sind.[12] Die Verordnung als Regelungsform wird zudem häufig in Rechtsbereichen verwendet, in denen es eher um Regulierung als um das privatrechtliche Verhältnis der Akteure geht (Kapitalmarktrecht, Datenschutz).

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