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1. Anorexia Nervosa und Bulimia Nervosa

Anorexia Nervosa (Anorexie, Magersucht) und Bulimia Nervosa (Bulimie) zählen zu den häufigsten Essstörungen. Um die Diagnose Anorexie gestellt zu bekommen, müssen folgende Kriterien erfüllt sein:

• Weigerung, ein Minimum des für Alter und Körpergröße normalen Körpergewichtes zu halten

• BMI bei oder unter 17,5

• Selbst herbeigeführte Gewichtsabnahme durch eine eingeschränkte, extrem kontrollierte Nahrungsaufnahme

• Übertriebene körperliche Aktivität oder selbst induziertes Erbrechen/Missbrauch von Abführmitteln

• Große Angst vor einer Gewichtszunahme oder vor dem Dicksein trotz bestehenden Untergewichts

• Vorliegen einer Körperschemastörung

• Selbstwert ist gekoppelt an Figur und Gewicht bei gleichzeitig verzerrter Körperwahrnehmung

• Eventuelles Ausbleiben der Regelblutung

• Krankheitsverleugnung1

Patient*innen mit einer Anorexie haben ein starkes Kontrollbedürfnis und sind bestrebt, alles „richtig“ zu machen. Zwar sind der massive Gewichtsverlust, das Hungern und die Körperschemastörung wesentliche Punkte dieser Krankheit, aber sie geht weitaus tiefer als das Gefühl, sich zu dick fühlen.

Um die Diagnose Bulimie gestellt zu bekommen, müssen folgende Kriterien erfüllt sein:

• Wiederholtes Auftreten von Essanfällen

◦ Mind. 1x/Woche über 3 Monate

◦ Abnormale Nahrungsmenge in kurzer Zeit

◦ Kontrollverlust

• Kompensatorische Verhaltensweisen

◦ Erbrechen

◦ Hungerkuren

◦ Abführmittel

◦ Übermäßige sportliche Betätigung

• Störung des eigenen Körperbildes

• Probleme der Gefühlsregulation

• Angst vor Gewichtszunahme; Gewicht schwankt zwischen Untergewicht und Übergewicht2

Patient*innen mit einer Bulimie verspüren starken Heißhunger und leiden unter unkontrollierten Essanfällen, während denen sie große Nahrungsmengen in einem kurzen Zeitraum zu sich nehmen. Um das schlechte Gewissen und den Kontrollverlust „wiedergutzumachen“, kompensieren sie diese mit gegensteuernden Maßnahmen wie Erbrechen, Hungern, Abführmitteln oder exzessivem Sport. Nicht jede/r Bulimiker/in erbricht sich nach Essanfällen.

Im Gegensatz zur Anorexie ist die Bulimie äußerlich oft nicht zu erkennen, da die Patient*innen meist im Normalgewicht sind, was sie aber nicht weniger gefährlich macht. Die meiste Zeit essen Bulimiker*innen ebenfalls sehr kontrolliert, bis sie der Heißhunger überkommt und sie die Kontrolle verlieren. Betroffene sind oft sehr impulsiv. Sowohl Patient*innen mit einer Bulimie als auch Anorexie sind sehr perfektionistisch, leistungsorientiert und leiden unter einem geringen Selbstwertgefühl und Selbstbewusstsein sowie einer gestörten Selbstwahrnehmung. Der Körper bietet die perfekte Projektionsfläche für ihre Unsicherheit und Unzufriedenheit. Die Selbstzweifel bringen die Patient*innen dazu, durch krankhaftes Hungern, übermäßigen Sport oder Erbrechen, eine Körperform zu erreichen, mit der sie vermeintlich glücklich werden. Selbstwertstörungen sind ein wesentlicher Problembereich, besonders bei Essstörungen. Ein geringes Selbstwertgefühl bzw. das Gefühl, durch eigene Anstrengung keine Erfolge erzielen zu können, ist häufig auch mit Problemen bei der Gefühlsregulation gekoppelt. Häufig haben die Betroffenen große Probleme ihre Gefühle wahrzunehmen oder aber von ihnen nicht überflutet zu werden.

Ein wichtiger Begünstiger für Essstörungen sind die der Gesellschaft vorherrschenden Schönheitsideale und der „soziale Vergleich“. Dieser geschieht immer und überall und ist ein automatischer Prozess, ohne den wir uns nicht einordnen könnten. Wir vergleichen uns, um uns einer bestimmten Richtung einzuordnen: Assimilation („Ich bin ganz ähnlich“) oder Kontrast („So bin ich nicht!“). Durch den permanenten sozialen Vergleich mit anderen Menschen, halten Patient*innen sich selbst klein, haben das Gefühl, nicht gut genug zu sein und es nicht verdient zu haben, beachtet oder geliebt zu werden. Sie suchen sich unrealistische Vergleichsbilder und sind gegenüber ihren eigenen Stärken und Fähigkeiten blind. Essgestörte Menschen definieren sich viel über Leistung und ihren Körper. Vergleiche sind hier vor allem „Person A hat dünnere Beine als ich, ich muss noch weiter abnehmen“,

„Person B hat bessere Noten als ich, ich muss mich noch mehr anstrengen“ oder „Person C ist viel hübscher als ich. Ich muss abnehmen, um hübscher zu sein“. Menschen mit einer Essstörung neigen dazu, sich selbst abzuwerten und schlechter einzustufen. Ziel bei der Therapie ist es daher, ihre Selbstwahrnehmung zu verbessern und ihren Selbstwert unabhängig von Gewicht, Waage und Kalorien zu definieren. Die Patient*innen müssen lernen, sich ihren Stärken und Schwächen bewusstzuwerden, diese zu akzeptieren und anzunehmen.

Es passiert recht häufig, dass Patient*innen zwischen verschiedenen Essstörungen schwanken. Beispielsweise rutschen viele Betroffene von einer Anorexie in die Bulimie, da der Körper sich früher oder später das zurückholt, was er braucht. Sie nehmen wieder zu und erfüllen durch das Normalgewicht somit nicht mehr die Kriterien der Anorexie. Gesünder sind die Betroffenen dadurch nicht, es kommt lediglich zu einer Symptomverschiebung. Nach einer Anorexie haben viele Patient*innen Probleme mit „extremem Hunger“, was sich für sie anfühlt, als würde der Hunger nie wieder aufhören. Doch das wird er. Man muss bedenken, dass der Körper sehr lange auf einem Not-Programm lief und um das Überleben kämpfte. Er muss das alles erst wieder aufholen und sich regenerieren. Hier ist es wichtig, dass Betroffene diesem Hunger auch nachgeben, damit der Körper lernt, dass er wieder ausreichend Nahrung bekommt. Wenn er dieses Vertrauen wiedergewonnen und sich erholt hat, wird der Hunger aufhören. Der Körper wird auch nicht mehr alles abspeichern, was er bekommt. Und wichtig ist, dass nicht kompensiert (durch Erbrechen, Sport) oder wieder am Essen eingespart wird. Das würde eine Verlagerung in die Bulimie nur wahrscheinlicher machen.

Neben dem Leidensdruck einer Essstörung (wie körperliche Beeinträchtigungen, kognitive Nachteile, soziale Isolation) existieren auch einige Nutzen der Essstörung. Das kann beispielsweise eine Selbstwertsteigerung durch die wahrgenommene Stärke und Kontrolle sein sowie eine durch die Essstörung gefundene Lebensaufgabe. In den folgenden Kapiteln gehe ich intensiver darauf ein, was mich in der Essstörung gefangen hielt und es teilweise immer noch tut. Wichtige Aspekte sind bei mir vor allem die Emotionsregulation und ein starkes Kontrollbedürfnis.

Binge-Eating-Störung

Neben der Anorexie und Bulimie gibt es aber auch noch die Binge-Eating-Störung. Bei dieser Essstörung leiden die Betroffenen wie bei der Bulimie unter immer wiederkehrenden Essanfällen, aber mit dem Unterschied, dass sie diese Essanfälle nicht kompensieren. Aus diesem Grund ist der Großteil der Betroffenen übergewichtig oder adipös.


Als ich aufhörte, mich zu bekämpfen

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