Читать книгу Adolescentia Aeterna - Bettina Kiraly - Страница 6
Оглавление2. Kapitel
Bei ihrem Eintreffen konnte Eva die letzten Töne von Last Christmas von Wham! hören. Sie half Jul, seine Jacke abzulegen, und verstaute sie in der Garderobe. Dann nahm sie Jul am Arm. Ihr Vater folgte ihnen.
Das nächste Lied ertönte: All I want for Christmas. Mimi hatte eindeutig alle Klischees erfüllen wollen. Ob es wohl ein Fehler gewesen war, sie mit der Planung der Feier zu beauftragen? Eva musste lernen, Verantwortung abzugeben. Anders könnte sie ihren Job im Immobilienbüro, die Regelung der Belange der Bruderschaft und die Rettung von Jul nicht unter einen Hut bringen.
»Bist du bereit?«, erkundigte Eva sich bei Jul und verstärkte den Griff um seinen Arm.
»Wenn du es bist. Das ist deine Bühne.«
Ihre Blicke verschmolzen. Das Strahlen in Juls Augen wärmte ihr Herz. Sein Gesicht hatte sich verändert. Die Falten, die die Verantwortung für seine Brüder und die Besorgnis über das Schwinden der Macht in seine Stirn gegraben hatten, waren verschwunden. Wie sehr Eva ihren Jul liebte! Ihren Dunklen Lord, den sie vor einem gefühlten Herzschlag im Passion kennengelernt hatte. »Ich wollte nur sichergehen, dass du dich nicht überanstrengst.«
»Küss mich, Schatz. Dann kann ich meinen Akku aufladen, um den Rest des Abends durchzustehen.«
»Den Wunsch erfülle ich dir gerne, Geliebter.« Eva ignorierte ihren Vater, der sich räuspernd an ihnen vorbeidrängte. Stattdessen zog sie Juls Kopf zu sich heran. Ihre Lippen berührten sich und setzten damit den Wirbel der Macht in Bewegung. Eva spürte die Kraft, die jede Faser ihres Körpers durchdrang. Ob es sich für Jul ebenso wundervoll anfühlte?
Jul löste sich von ihr und lächelte sie an. Sein wundervolles Verführerlächeln.
»Auf in den Kampf«, flüsterte Eva und trat mit Jul zu ihrem Vater, der ihnen von dem Durchgang in den Hauptraum des Passion aus entgegenblickte. »Worauf wartest du?«, fragte Eva ihren Dad.
»Es steht mir nicht zu, vor dir vor die Brüder zu treten.«
»Ganz neue Töne«, murmelte Eva. »Stützt du Jul?«
Anun nickte und gab den Weg frei.
Eva holte tief Luft. Weshalb klopfte ihr Herz bloß so heftig gegen ihren Brustkorb, dass sie Schwierigkeiten beim Atmen hatte? Das hier war doch nur eine Weihnachtsfeier mit ihrer Familie. Mit ihrer großen Familie. Der sie ein paar Änderungen schmackhaft machen wollte.
Sie trat einen Schritt in den Raum hinein.
Die Brüder verstummten und wandten sich ihr zu. »Willkommen, Gebieterin.« Auch die Mädels grüßten Eva winkend. Dann setzten alle Anwesenden ihre Gespräche fort.
Eva rollte mit den Augen und grinste Jul an, der mit Anun neben sie trat. Sie wurde übermütig. »Soll das die ganze Begrüßung gewesen sein?«
Die Macht strömte als sanfte Welle von ihr aus zu den Brüdern. Die Männer drehten sich neuerlich zu ihr um. Nun senkten sie den Blick zu Boden und legten eine Hand auf die Stelle ihrer Brust, unter der ihr Herz schlug.
»Seht den neuen Ältesten der Bruderschaft!
Sein Blut schenkt uns auf ewig jugendliche Kraft.
In deine Hände legen wir unser Leben.
Wir sind bereit, unseres für deines zu geben.
Wir folgen deinen Entscheidungen rund um die Welt.
Damit der Glanz der Brüder die Dunkelheit erhellt.
Lang lebe der Älteste!
Adolescentia Aeterna über alles!«
Die Untergebenen huldigten ihrer Königin. Eva musste aufpassen, dass ihr die Macht nicht zu Kopf stieg. Sonst endete sie wie einer der zum Abdanken gezwungenen Ältesten. »Ich danke euch. Macht weiter … mit was auch immer.«
Eva sah sich um. Ein riesiger Christbaum mit kleinen, glitzernden Diskokugeln stand in der Mitte der Tanzfläche, überall lag Engelshaar und Lametta auf den Tischen, riesige Kerzen, Girlanden, Blumengestecke schmückten alles. Mimi würde ihr eine gesalzene Rechnung präsentieren.
Ihre Freundinnen eilten auf sie zu. »Was für ein Auftritt«, lachte Ellen über das wieder einsetzende Gemurmel der Männer hinweg. Die Mädels wünschten sich frohe Weihnachten.
»Du hast es etwas übertrieben, Mimi. Dieser ganze Glitter und so. Was das kostet!« Eva bemerkte die Enttäuschung in Mimis Blick und fügte schnell hinzu: »Es gefällt mir. Danke für deine Mühe.«
Ein breites Grinsen erschien auf Mimis Gesicht. »Du solltest dir besser an deine eigene Nase fassen. Verlangst du demnächst, dass wir alle auf den Knien vor dir rutschen?«
»Das heben wir uns für die großen Feste auf.« Eva zwinkerte ihrer besten Freundin zu und griff nach Juls Arm. Anun wurde von Manus begrüßt und schien bei dem Bruder gut aufgehoben. »Setzen wir uns«, schlug Eva an Jul gewandt vor.
»Ich kann stehen«, grummelte der.
Eva lotste ihn trotzdem zu einem Sofa und nahm neben ihm Platz. Dann strich sie über seine Wange. »Diese Art von Spielchen bei der Begrüßung werden nicht mehr vorkommen.«
»Das ist eine Erleichterung.«
Die von ihm ausgehenden Wellen dieses Gefühls überraschten sie. »Du musst dir keine Sorgen machen. Ich habe die Macht unter Kontrolle. Ich bestehe nicht darauf, dass mir Ehrerbietung gezeigt wird. Das wäre albern.«
»Einen Moment dachte ich …« Jul verstummte.
»Nicht mehr als ein Scherz, Süßer. Ich bin kein Monster.« Sie beugte sich zu ihm und drückte ihm einen kurzen Kuss auf die Lippen. »Lass uns das Treiben ein paar Minuten genießen, bevor ich meine Rede halte.«
»Eine Antrittsrede, als wärst du zum neuen Bundespräsidenten gewählt worden?«
Eva zuckte mit den Schultern. »Es gibt einiges zu sagen.«
»Du wirkst …« Jul griff nach ihrer Hand und drückte sie. »Ich weiß nicht, wie ich das Gefühl beschreiben soll. Da ist so eine Unruhe, die dich umgibt, wann immer du dich unbeobachtet glaubst.«
Eva blickte auf ihre verschränkten Hände. »Ich habe in den letzten Tagen viel nachgedacht.«
Juls Gesichtsausdruck wurde ernst. »Du willst die Regeln ändern.«
Sie sah auf und nickte.
»Du hast nicht mit mir darüber gesprochen.«
Und das hatte seine Gründe. »Ich weiß, dass du nicht begeistert bist.«
»Das stimmt nicht. Ich dachte nur, dass du mit mir als deinem Partner -«
»Ich werde nicht darüber diskutieren. Änderungen sind notwendig.« Sie unterdrückte das erste Aufflammen von Verärgerung.
»Das verstehe ich. Trotzdem wäre es schön gewesen, von deinen Plänen vor allen anderen zu erfahren. Nicht, weil ich vor dir der Älteste war, sondern weil wir uns lieben.«
Die Traurigkeit in seinen Augen weckte ihre Schuldgefühle. »Du hast recht. Es tut mir leid. Ich habe befürchtet, dass du versuchst, mir die Sache auszureden.«
Er schüttelte den Kopf. »Ich vertraue dir.«
Drei Worte. So schlicht und doch so wahrhaftig. Sie bedeuteten mehr, als sie zu hoffen gewagt hatte. Er stand hinter ihr und ihren Entscheidungen. Ohne zu wissen, wie sie aussahen. In dem festen Glauben, dass sie das Richtige tat. Bedingungslose Liebe.
»Die Zeit der Zweifel ist vorbei«, meinte Jul.
Sie verlor den Boden unter ihren Füßen. Sie fiel in die Tiefe, doch seine Liebe schenkte ihr Flügel. »Ich werde dich nicht enttäuschen.« Wie sehr sie hoffte, dieses Versprechen niemals zu brechen.
»Dann lass uns loslegen … Ich meine: Leg los.«
Noch einmal küsste sie ihn. Ließ sich Zeit, seinen Geschmack, das Gefühl seiner Lippen auf ihren, das Begehren, den Rausch zu genießen. Als sie sich von ihm löste, lächelte sie. »Komm, mein König.«
Obwohl sie vorgehabt hatte, ihm die Gelegenheit zum Ausruhen zu geben, erhob sie sich mit ihm und blickte in die Runde. Sie zapfte die Macht an. Einer nach dem anderen wandte sich ihr zu.
»Ich danke euch für euer Kommen. Auch wenn viele von euch nicht an die Geburt Jesu Christi glauben. Bevor ich euch das Geschenk zeige, das ich für euch habe«, sie lächelte über die Freude in den Augen der Brüder, »möchte ich eine Ankündigung machen.«
Das Fallen einer Nadel wäre in diesem Augenblick so laut wie eine Bombenexplosion gewesen. Niemand rührte sich.
»Die Neuordnung von Adolescentia Aeterna, meine … Inthronisation, kann nicht ohne Folgen bleiben. Ich will die Bruderschaft in minimalem Ausmaß öffnen. Aber ihr einundzwanzig werdet immer zum inneren Kreis gehören.«
Leises Gemurmel setzte ein.
»Ich spreche bewusst von euch zwanzig UND Jul. Die Voraussetzung dafür, dass ich meine neue Position behalte, ist Juls Behandlung als Bruder. Irgendwelche Einwände?«
Zwanzig Köpfe wurden geschüttelt.
»Bei den Änderungen will ich eure Meinung nicht außer Acht lassen. Ich werde meine Vorschläge schriftlich zusammenfassen. Sollte die Mehrheit von euch gegen die Neuerungen sein, werde ich euch meinen Willen nicht aufzwingen.«
Eine Welle der Erleichterung schwappte ihr entgegen. Die Macht ließ sie die Gefühle der Brüder wie ein Hintergrundrauschen wahrnehmen.
Narcissus räusperte sich. »Das bedeutet de facto, dass wir die gleichen Rechte haben wie du?«
Eva nickte.
»Und wir Brüder sind gleichgestellt?«
Noch einmal nickte sie. Narcissus wirkte zufrieden.
»Und was ist mit deinen Freundinnen?«, verlangte Lukas zu wissen. »Sollen sie von der Ewigen Jugend profitieren? Ohne Mitglieder von Adolescentia Aeterna zu sein?«
Eva zuckte mit den Schultern. »Für mich sind sie das. Diese Frauen sind meine Familie.«
»Das bedeutet, dass die Freundinnen von Julian UND Aleksander Teil der Bruderschaft sind«, fuhr Lukas fort.
»Wenn man es so sehen will«, bestätigte Eva.
»Dann kann man nicht von Gleichberechtigung sprechen.«
Sie seufzte. »Was ist dein Problem? Hast du vielleicht eine Freundin, die ebenfalls aufgenommen werden soll?«
Lukas biss sich auf die Unterlippe. »Katherina hat sich als sehr … engagiert erwiesen.«
»Du bist tatsächlich verliebt? In eine Frau namens Katherina?« Eva grinste, doch das Lachen verging ihr sofort wieder. »Moment mal. Doch nicht Katherina Schönberg, meine Chefin?«
»Hast du etwa ein Problem damit?«, gab Lukas ihre Frage zurück.
Feliz Navidad verklang, aber kein neues Lied startete. Mimi, die den DJ machte, interessierte es offensichtlich nicht.
»Ich weiß nicht«, murmelte Eva. Linus war eine Beziehung mit seiner 67-jährigen Nachbarin eingegangen. Die beiden waren glücklich, obwohl sie Vorurteilen aufgrund ihres scheinbaren Altersunterschiedes ausgesetzt waren. Eva wünschte jedem einzelnen Bruder das Glück, eine Seelenverwandte zu finden. Aber musste es bei Lukas unbedingt ihre Chefin sein?
»Du hast gesagt, dass wir alle gleichberechtigt sind«, meinte Jul amüsiert. »Du musst wohl zu deinem Wort stehen.«
Eva knurrte. »Ich arbeite mit dieser Frau jeden Tag zusammen!«
»Dann ist es doch von Vorteil, dass du dich nicht mehr verstellen musst.«
»Kling nicht so zufrieden«, befahl Eva in Juls Richtung. »In Ordnung, Lukas. Sollte sie die Hilfe der Macht benötigen, bekommt deine Katherina ihren Anteil davon. Mehr Zugeständnisse gibt es nicht.«
»Ich halte das für keine gute Idee«, murmelte Anun.
»Es wird trotzdem so passieren, Dad. Katherina wird Kraft erhalten, wenn es ihr irgendwann schlecht gehen sollte. Aber sie darf über die Wahrheit über Adolescentia Aeterna nicht Bescheid wissen. Sonst noch irgendwelche Einwände? Von irgendjemandem?«
»Wenn wir alle vollwertige Mitglieder von Adolescentia Aeterna sind, dann solltest du zwischen uns nicht unterscheiden.« Fabianus hatte die Arme vor der Brust verschränkt und hielt den Blick auf den Boden gerichtet.
»Was soll das bedeuten?«
»Dass du einige von uns bevorzugst.«
Dieser unverschämte Kerl wagte nicht, sie anzusehen, deutete aber solchen Schwachsinn an? Sie spürte, dass ihre Augen sich schwärzten und die Wut ihren Verstand zu umnebeln begann. »Was behauptest du da gerade?«
Fabianus hob den Blick. »Wir wissen von dem, was du mit Manus geteilt hast.«
Darauf lief es hinaus? »Und?«
»Ich will das auch.«
»Damit steht er nicht alleine da«, verkündete Jonas.
Jul machte einen Schritt nach vorn. »Das kommt nicht infrage.«
»Es war nicht als Bonus geplant und wird hoffentlich von Manus auch nicht so gesehen.« Eva wartete nicht, dass der Bruder diese Behauptung bestätigte. »Es war eine Ausnahme.«
»Trotzdem entsteht dadurch bei uns ein Gefühl von Minderwertigkeit«, stellte Jonas klar.
Die Männer benahmen sich eifersüchtiger als Kindergartenkinder. »Ich sagte bereits, dass in der Bruderschaft keine Unterschiede mehr gemacht werden.«
»Dann darf uns Brüdern nicht die Macht verwehrt bleiben, die durch dieses Erlebnis in Manus gewachsen ist.« Fabianus hatte die Stirn gerunzelt. »Er wirkt kraftvoller. Ich meine damit die Macht in ihm. Das ist euch doch auch aufgefallen, nicht wahr?« Er blickte in die Runde.
Zustimmendes Gemurmel von den anderen Brüdern.
»Er scheint Jul als Mächtigstem näherzustehen als uns normalen Mitgliedern der Bruderschaft«, fuhr Fabianus fort.
»Manus ist schließlich schon länger im Club als ihr«, meinte Eva.
»Das allein macht nicht den Unterschied aus«, widersprach Fabianus. »Wir wollen das auch.«
»Ich werde mir eine Lösung überlegen.« Eva sah zu Juls finsterem Gesicht hoch. Darum musste sie sich später kümmern. »Und nun kommen wir zu meinem Geschenk an euch alle.«
»An uns alle?« Selbst Jul klang überrascht.
Eva nickte und ging zum Servierwagen, den sie in einer Ecke platziert hatte. »Es ist Gott sei Dank rechtzeitig geliefert worden«, sagte sie erfreut und zog den Wagen in die Mitte. Dann hob sie den Karton an, den sie darübergestülpt hatte. »Tata!«
Die Brüder starrten schweigend auf die siebenundzwanzig Silberkelche und die Silberkaraffe. »Ich habe das Adolescentia Aeterna-Logo und die Namen von uns allen eingravieren lassen. Einundzwanzig Brüder, meine vier Freundinnen, Anun und ich.«
»Gedacht sind die Utensilien für das gemeinsame Trinken der Macht?«, fragte Jul nach.
Neuerlich nickte Eva.
»Eine wundervolle Idee.«
Sie lächelte ihn dankbar an, als er neben sie trat und nach einem der Becher griff. »Wollen wir sie einweihen?«, erkundigte sie sich. Ihr Herz klopfte, als dürfe sie eine neue Jahrmarktsattraktion ausprobieren.
»Natürlich, Gebieterin«, meinte Jul. Er winkte Lukas heran, um ihm seinen Kelch weiterzureichen.
Eva bat ihren Dad, die Karaffe mit der Macht zu füllen, während sie Jul half, die Kelche an ihre neuen Besitzer auszuteilen. Danach stimmten die Brüder in ihr Motto ein.
»Adolescentia Aeterna über alles!
Als Brüder leben wir.
Durch die Bruderschaft vereint.
Eine Verpflichtung für die Ewigkeit.
Niemals sterben wir.
Unser Schicksal erfülle sich mit allen Frau’n.
Verlangen stellt unsere Bestimmung dar.
Ewiges Leben als unser Ziel wird wahr.
Im Geheimen leben wir unseren Traum.
Begierde erweckt die Macht.
Leidenschaft ist unsere Tugend.
Körperliche Erfüllung schenkt ewige Jugend.
Als Lebenszweck der Brüder gedacht.
Adolescentia Aeterna über alles!«
Sobald die Brüder geendet hatten, schüttelte Eva den Kopf. »Das alles gilt nicht mehr. Nicht mehr in dieser Form. Wir brauchen einen neuen Leitspruch. Aber es ist nicht wichtig, in welche Worte wir die neuen Regeln kleiden. Hauptsache, wir vereinbaren, ehrlich zueinander zu sein.«
»Die Macht für uns alle. Eine Familie verbunden in Ehrlichkeit.«
Eva blickte überrascht zu Jul. Die Worte waren einfach, knapp und knackig und trafen ihr Übereinkommen auf den Punkt. »Genauso habe ich mir unser Motto vorgestellt. Wenn ihr einverstanden seid, dann ist es das.«
Die Männer nickten. Ihre Mädels grinsten. »Yeah, Baby«, fasste Ellen ihren Eindruck zusammen.
Eva hob ihren Kelch. »Dann lasst uns auf unsere Familie trinken. Auf eine glückliche, lange Zukunft!«
»Auf eine glückliche, lange Zukunft!« Die Antwort ihrer Familie. Sie nahmen zusammen einen Schluck aus den Kelchen. Die Macht begann im Raum zu vibrieren, erfüllte die Luft. Die Mitte dieses Universums stellte Eva dar.
Sie setzte den Silberkelch auf dem Servierwagen ab und blickte zu den anderen Frauen. Marianne hatte die Augen geschlossen. Ihr Gesicht strahlte durchscheinend von den Auswirkungen der Macht. Aleksander hatte einen Arm um ihre Schulter gelegt.
Mimi und Sascha hielten Händchen. Ein leichtes Zittern hatte sich ihrer Körper bemächtigt. Auch ihre Gesichter leuchteten von innen heraus, doch Sascha und Mimi wirkten davon verunsichert.
Ellen schien als Einzige diese Erfahrung zu genießen. Sie sah grinsend von dem Bruder links von ihr zu dem auf ihrer rechten Seite. Ob sie wohl überlegte, an welchen der zwei sie sich heranmachen sollte?
»Egal wie unsicher die Zukunft erscheinen mag, eure Probleme sind meine Probleme.« Eva lächelte. »Nun gehören wir alle zusammen.«
Jul drückte ihren Arm. »Das tun wir.«
Aleksander trat mit Marianne zu Eva. »Wie soll die nähere Zukunft für Adolescentia Aeterna aussehen?«
Der Bruder war genau der richtige Ansprechpartner für ein Thema, das ihr am Herzen lag. »Die Macht und ihre Wirkung soll erforscht werden. Ich will, dass du die Flüssigkeit wissenschaftlich untersuchen lässt. Wenn möglich, sollen auch andere Menschen von der Macht profitieren.«
»Du willst die Kräfte der Macht zur … Rettung der Menschheit einsetzen?« Aleksander legte den Kopf schief.
»Die Menschheit hat die Macht bislang nicht zum Überleben gebraucht, und das wird sich auch nicht so schnell ändern. Aber wir sollten versuchen, Adolescentia Aeterna einen tieferen Sinn zu geben, der nichts mit Vorteilen für die Mitglieder zu tun hat.«
»Wie stellst du dir das vor?«, wollte Damian wissen.
»Vielleicht kann die Macht dazu genutzt werden, Krankheiten zu heilen. Vielleicht finden wir auch andere Einsatzmöglichkeiten.«
Damian lachte. »Bei der Sättigung der Hungrigen oder der Bekämpfung von Armut?«
»Sie tadelt uns indirekt für unseren bisherigen Daseinszweck.« Claudius runzelte die Stirn. »Wie kann sie es wagen?«
»Du hast kein Recht, Uneingeweihte von der Macht profitieren zu lassen«, tadelte Anun. »Wenn du erst Erfahrungen als Älteste -«
»Ihr alle habt Jahre wenn nicht gar Jahrhunderte von der Macht profitiert. Habt ihr in der Zeit etwas geleistet, außer eure ewige Jugend zu genießen?« Eva stemmte die Hände in die Taille. »Euch ist eine mächtige Kraft geschenkt worden, mit der ihr Gutes tun könntet. Ihr könntet Helden im Stillen sein.«
»Warum sollten wir das wollen?«
Eva las in Damians Augen, dass er diese Frage ernst meinte. »Aber …« Sie suchte nach Worten.
»Ich verstehe, worauf Eva hinauswill«, meinte Manus. »Adolescentia Aeterna trägt eine Verantwortung den Zeitgenossen gegenüber, mit denen wir leben. Die Bruderschaft sollte sich dem nicht länger entziehen.«
»Danke, Manus.« Jetzt erst erwiderte sie seinen Blick und bemerkte, dass seine Wangen von leichter Röte überzogen waren. Sie wandte sich an die anderen Brüder. »Wenn mehr als die Hälfte von euch dagegen -«
»Ist eine Abstimmung notwendig oder sind wir uns einig, dass wir Eva eine Chance geben werden?«, verlangte Jul zu wissen.
Leises Gemurmel, unsichere Blicke, doch schließlich nickten alle.
Eine goldgelbe Welle umhüllte und erwärmte Evas Herz.
Jul legte einen Arm um ihre Schulter. »Schön. Dann lasst uns den Abend genießen. Auf Adolescentia Aeterna!«
»Auf Adolescentia Aeterna!«
Auch wenn die anderen Juls Ruf erwidert hatten, drängte sich Eva der Eindruck auf, dass die Entscheidung noch nicht endgültig getroffen war. Sie wandte sich an Aleksander, während sich die anderen in Grüppchen zusammenstellten. »Willst du mir bei meinen Plänen helfen?«
»Natürlich, Gebieterin. Der Arzt in mir ist von der Idee fasziniert, die Wirkungsweise der Macht zu untersuchen, auch wenn ich im wissenschaftlichen Bereich nicht zu Hause bin.«
»Dafür finden wir sicherlich eine Lösung. Wie geht es dir?«
Aleksanders Augenbrauen trafen sich über der Nasenwurzel. »Ich bin nicht krank, wenn du das erfahren wolltest.«
»Darauf wollte ich nicht hinaus … Fehlt es dir nicht? … Der«, Eva stellte sicher, dass Marianne nicht zu ihr sah, und senkte die Stimme, »Sex?«
»Durch den Genuss deiner Macht habe ich keine Probleme mit der Enthaltsamkeit.«
»Keine … Entzugserscheinungen? Keine Nebenwirkungen?«
Aleksander schüttelte den Kopf.
»Das höre ich gerne. Dann scheine ich der Macht nicht zu schaden.«
»Ich habe Juls Blut regelmäßig untersucht. Wir werden diese Praxis fortführen, um eine Änderung deines Befundes sofort feststellen zu können.«
»Das würde mich beruhigen. Es gibt gerade genug Unsicherheiten in meinem neuen Leben.« Sie schenkte Aleksander ein schiefes Lächeln und entließ ihn zu Marianne.
»Stört es dich, wenn ich mich mit den Jungs unterhalte?«, fragte Jul.
Eva lächelte zu ihm hoch. »Nein, geh nur. Viel Spaß, Schatz.«
Jul drückte Eva einen Kuss auf die Wange und durchquerte dann den Raum.
Kurz durchschnaufen. Genießen, das sie allein war.
»Du gehst zu schnell vor«, meinte eine Stimme neben Eva. Ihr Dad.
»Worauf soll ich warten? Die Bedrohung der Ewigen Jugend war noch nie so groß wie in diesen Tagen.« Eva fühlte eine dunkle Wolke über ihre Seele wandern.
Anun legte ihr eine Hand auf die Schulter. »Ich werde mit deinen Brüdern sprechen. Sie werden dir nichts tun.«
»Das kannst du nicht wissen. Du hast ihren Hass geschürt. Du kannst jetzt nicht behaupten, dass ich nicht anders bin als sie, dass sie keinen Grund haben, mich zu beneiden. Sie werden nicht auf dich hören. Außerdem will ich endlich wissen, was in dieser scheiß Prophezeiung steht.«
»Wir werden sie finden.«
»Und wenn mir nicht gefällt, was darin behauptet wird? Wenn meine Übernahme der Macht eine Gefahr darstellt?« Sie hatte sich die düsteren Gedanken doch für morgen aufheben wollen! Aber wo sie schon damit begonnen hatte …
»Ich habe den Text gelesen«, warf Anun ein. »Vor Jahrhunderten zwar, aber ich weiß, dass deine Geburt, dein Zusammentreffen mit Jul und die Übernahme seines Platzes genau auf diese Weise vorgesehen waren.«
Eva spürte Tränen in ihre Augen steigen. »Aber jetzt? Wie sieht die Zukunft aus? Womit müssen wir rechnen?«
»Da waren nur Andeutungen in dem Text. Keine konkreten Anleitungen.«
»Ich habe Angst, dass durch diese Andeutungen Menschen verletzt werden. Menschen, die ich liebe.« Sie blickte zu Jul und ihr Herz brannte. »Und dann ist da ja noch die Sache mit Santiani.«
»Santiani?«
»Dieser Mann scheint sehr viel über Adolescentia Aeterna zu wissen. Er hat mich angesprochen, weil er vor zwei Jahren nicht in die Bruderschaft aufgenommen wurde.«
»Und er hat sich an dich gewandt?«
Sie nickte. Endlich klang ihr Vater ebenfalls beunruhigt.
»Wie ist er auf dich gekommen?«
»Keine Ahnung. Es ist nicht wichtig. Er ist weg. Ins Ausland. Zumindest im Augenblick. Die Polizei weiß Bescheid.«
Anun gab ein grummelndes Geräusch von sich. »Adolescentia Aeterna hat sich immer von Rechtsvertretern ferngehalten.«
»Tja, und jetzt gehört tatsächlich eine Polizistin zu unserer Familie.« Sie blickte in das noch immer fremde Gesicht ihres Vaters, der so viel von ihr erwartete. »Ich weiß, dass deine Hoffnungen an mich anders ausgesehen haben.«
»Ich hätte gehofft, dass du in deiner neuen Position an Selbstbewusstsein gewinnst. Ich habe nicht erwartet, dass es Unklarheiten geben würde.«
Eva lächelte grimmig, als sie die Überraschung über diese Tatsache in seiner Stimme bemerkte. Jetzt schien es an ihr zu sein, ihn zu beruhigen. »Mach dir nicht so viele Gedanken. Genieß lieber das Zusammentreffen mit deinen ehemaligen Brüdern.«
»Ein andermal.« Anun stieß die Worte mit einem Brummen aus.
»Nein. Ich will nicht mehr reden.« Sie sandte Manus einen stummen Befehl, sich um ihren Dad zu kümmern. Wie immer war auf Manus Verlass.
Eva holte sich ein Glas Champagner und zog sich in eine Ecke zurück. Von dort beobachtete sie die Menschen, die so unterschiedlich sie auch waren lachend plauderten und feierten. Adolescentia Aeterna machte aus ihnen eine Familie.
Ein Blick zog sie magisch an. Sie spürte die Liebe, die in dem Paar Augen stand. Eine Verbindung, stärker als das Band zweier Normalsterblicher. Juls Gedanken waren die ihren. Über die Menschenansammlung, über die Entfernung, über die Jahrhunderte hinweg teilten sie ihre Zufriedenheit über diesen glücklichen Moment mit ihrer Familie. Ein Strahlen breitete sich in Evas Herzen aus. Ihr Leben war trotz der Bedrohungen perfekt.
»Ich bin froh, dass meine Familie weiteren Zuwachs bekommen hat.« Eva faltete ihren Rock, legte ihn in eine Ecke des Schlafzimmers und kletterte unter die Decke. »Die Mädels, du, deine Brüder, mein Vater, meine Halbbrüder … Vor Kurzem dachte ich noch, ich wäre ein Einzelkind, und jetzt scheine ich die Verantwortung für zwei Fußballkader zu tragen.«
Jul strich mit einer zärtlichen Bewegung eine Haarsträhne aus Evas Gesicht. »Setz dich dadurch nicht unter Druck. Niemand ist der Meinung, dass du nun der Ansprechpartner für alle Belange unseres Lebens bist.«
»Die Tatsache reicht, dass ich für die Produktion der Macht zuständig bin, um mich wie eure Mutter zu fühlen.«
»Also ich denke bei deinem Anblick nicht an meine Mutter.«
Eva legte eine Hand in seinen Nacken und zog ihn näher, um ihn zu küssen. »Darüber bin ich froh. Es tut mir leid, dass ich dich an sie erinnert habe.«
»Für diese harmlose Bemerkung musst du dich nicht entschuldigen.« Er rollte sich auf sie. »Ich wollte dir gerade mitteilen, wie erotisch ich dich finde.«
»Danke.« Das Kompliment weckte die Erinnerung an seine Anspielung unter dem Christbaum. »Mein Geschenk!«
»Später, Süße. Jetzt lass mich dich erst einmal verwöhnen.«
»Das hört sich gut an«, meinte sie mit einem Grinsen.
»Dann dreh dich auf den Bauch.« Er gab sie frei.
Eva folgte seiner Aufforderung. »Ich habe meinen Slip noch an«, fiel ihr zu spät ein.
»Du musst ihn nicht ausziehen.« Jul setzte sich mit gespreizten Beinen auf ihre Oberschenkel.
Sie stöhnte, als seine begnadeten Hände begannen, ihren Rücken zu massieren. Diese Art von Verwöhnen hatte sie nicht erwartet. Aber sie würde bestimmt keinen Einspruch erheben.
»Du musst mehr auf deinen Körper achten. Er muss jetzt Höchstleistungen vollbringen.«
Sie brummte eine Zustimmung, während sich Wärme in ihrem ganzen Körper ausbreitete. Als sie das nächste Mal tief ausatmete, spürte sie eine Anspannung nachlassen, derer sie sich nicht bewusst gewesen war. Es tat gut, den Kopf auszuschalten und sich einfach treiben zu lassen.
»Ich bedaure wirklich, keinen Kamin zu besitzen«, sagte Jul. »Ich würde dich wahnsinnig gerne auf einem Fell vor dem Feuer lieben. Die Wärme würde unsere Körper streicheln. Das flackernde Licht würde dich umschmeicheln. Obwohl ich nicht unbescheiden sein darf. Deine Haut schimmert sogar im Licht der Nachttischlampe wundervoll. Wie flüssiger Honig.«
»Du bist heute sehr großzügig mit deinen Komplimenten«, murmelte sie. Müdigkeit lullte ihren Verstand ein.
»Nicht ganz uneigennützig, wie ich gestehen muss. Ich will, dass du mir alleine gehörst.«
»Das tue ich doch.«
Jul hielt kurz inne. »Ja, aber … was du im Passion gesagt hast … Willst du das mit den Jungs wirklich durchziehen?«
»Du meinst, weil sich deine Brüder von mir schlagen lassen möchten?«
Seine Hände begannen wieder mit festem Griff über Evas Rücken zu streichen. »Sie haben regelrecht darauf bestanden.«
»Das war nicht in meinen Plänen vorgesehen. Ich will das eigentlich gar nicht.«
»Eigentlich.« Er murmelte das Wort bemüht emotionslos.
»Ich will dich nicht verletzen.«
»Mir ist bewusst, dass durch deine Position Komplikationen in unserer Beziehung auftauchen werden. Ich bin gerne bereit, Kompromisse und Zugeständnisse zu machen. Schließlich hast du dich mir auch niemals in den Weg gestellt. Die Vorstellung von Einzeldates allerdings …«
Eva riss die Augen auf. »Was meinst du damit?«
»Meine Anwesenheit, wenn alle meine Brüder deinem Körper … huldigen, ist schwer zu ertragen. Aber dann kann ich wenigstens eine Verbindung zu dir bestehen lassen. Dein Mund gehört nur mir alleine. Wenn du jedoch jeden Bruder einzeln am Andreaskreuz bearbeitest -«
»Ich verstehe«, unterbrach sie und schloss wieder die Augen, als Jul die Massage fortsetzte. »Ich hatte vor, die Lösung dieses Problems auszusitzen. Ich spreche das Thema einfach nicht mehr an. Bis sich einer der Männer an mich wendet, ist mir vielleicht eine Möglichkeit eingefallen, die Sessions ausfallen zu lassen.«
»Das wäre meinen Brüdern gegenüber unfair. Versteh mich nicht falsch. Wenn diese … Abenteuer vermeidbar wären, würde ich freiwillig den Jakobsweg beschreiten. Du hast allerdings zugesagt, nach einer Lösung zu suchen. Das kannst du nicht einfach ignorieren.«
Juls Massage hatte Auswirkungen auf die Macht. Die geheimnisvolle Kraft begann durch ihren Körper zu fließen, durchdrang jede Faser mit einem strahlenden Licht. Die Vorstellung, alle neunzehn übrigen Brüder zu schlagen, verlor ihr Grauen. »Ist dir bewusst, was du da von mir verlangst?«
»Darf ich dich an das letzte Fest erinnern? Du hast mich gezwungen, mit mehreren Frauen zu schlafen … Ich allerdings bitte dich nur, dein Zugeständnis an meine Brüder genau zu überdenken.«
»In Ordnung. Das werde ich tun, obwohl ich nicht vorhabe, die Jungs wirklich zu schlagen. Wir werden einen Kompromiss finden. Das bedeutet noch einen Punkt auf meiner Liste mit Dingen, die mich im Augenblick verunsichern.«
Jul beugte sich vor und drückte ihr einen Kuss aufs Ohr. »Ich möchte dich vor allem Bösen dieser Welt beschützen. Und dass nicht nur, weil es sich um meine Aufgabe handelt, jetzt, da du der Bruderschaft vorstehst. Aber vor dem Monster in deiner Seele kann ich dich nicht bewahren.«
Sie drehte den Kopf, bis sie ihn ansehen konnte und lächelte ihn an. »Diese Monster wohnen in jedem von uns. Auch in den Menschen, die nichts von der Existenz der wahren Dunkelheit in dieser Welt ahnen.«
»Bei Adolescentia Aeterna handelt es sich nicht um die Dunkelheit.«
Sie senkte ihren Kopf und legte ihn auf der Matratze ab. »Nein. Das, was die Welt verschlingt, ist der Eigennutz. Niemand, der die Macht hat, wirklich etwas zu verändern, übernimmt Verantwortung.«
»Willst du mir vorwerfen, dass ich die letzten Jahrhunderte nicht besser genutzt habe?«
Die Wärme war einfach überall in Evas Körper. Jul kletterte von ihr und setzte sich neben sie. Dann begann er, ihre Füße zu massieren. Sie stöhnte wohlig auf.
»Vielleicht. Ich wollte nur von dem Monster ablenken, das tatsächlich in mir wütet. Die Macht fühlt sich immer noch wie ein fremder Teil von mir an. Sie bestimmt meine Handlungen. Das lässt mich an all meinen Entscheidungen zweifeln. Wo höre ich auf? Wo beginnt die Macht? Das Monster lauert in einer Ecke meines Gehirns und kann jederzeit seine Klauen in meinen Verstand schlagen.«
»Du bist bereits ausgeglichener, weniger aufbrausend. Bald wirst du mit der Macht vollkommen eins sein. Du wirst dich nicht mehr fragen müssen, ob du oder die Macht die Führung deines Schicksals haben.«
Eva genoss, wie seine Daumen über ihre Fußballen kreisten. Trotzdem konnte sie die Zweifel in sich nicht gänzlich verdrängen. »Gab es Zeiten in deinem Leben, in denen du die Ewige Jugend gerne für ein wenig Normalität aufgegeben hättest?«
Sein Griff wurde sekundenlang fester. »Ich kam mehrmals an diesen Punkt. Einmal war es besonders schlimm. Ich habe dir bereits von meinem Freund erzählt, meinem Seelenverwandten. Ich wollte in seiner Nähe bleiben. Auch als die Zeit abgelaufen war, die mir zusteht.«
»Die sieben Jahre, bevor ihr umziehen müsst?«, erkundigte sich Eva.
»Wir nahmen es damals nicht so genau. Aber es wurde bereits offensichtlich, dass ich mich nicht veränderte, während das Alter erste Zeichen auf seinem Gesicht hinterließ. Ich habe die Regeln gehasst, die verbieten, dass er ein Mitglied von Adolescentia Aeterna wurde. Ich vermisse ihn noch heute.« Jul ließ ihren Fuß los.
Eva rollte sich auf die Seite und setzte sich auf. »Das tut mir leid.« Sie schmiegte sich an seine Schulter.
»Er hatte keine Familie. Doch er wünschte sich nichts sehnlicher, als eine Frau zu finden und ein Dutzend Kinder in die Welt zu setzen. Er wäre als Bruder nicht glücklich geworden.« Jul strich über Evas Haar. Seine Stimme klang tiefer als sonst. »Wir haben alle Geheimnisse geteilt. Wie wundervoll die Jahre waren, die wir wie Brüder gelebt haben. Keine seiner Empfindungen war mir fremd. Lediglich der nichtmenschliche Teil meines Daseins stand zwischen uns.«
»Es war bestimmt nicht leicht, deine Unsterblichkeit vor ihm zu verbergen.«
»Ja, aber es war ohnehin umsonst. Er ist einsam gestorben. Sein Traum von einer Familie hat sich nicht erfüllt.«
Eva suchte seine Hände und verschränkte sie mit ihren. »Das ist nicht deine Schuld.«
»Schwer, das meinem Herzen glaubhaft zu machen.«
Sie drückte seine Hände fester. »Quäle dich nicht. Du hättest sein Schicksal nicht ändern können. In welcher Zeit hat dein Freund gelebt?«
»Im Mittelalter. Wir haben unseren Lebensunterhalt als Turnierritter verdient.«
Eva löste sich von ihm und blickte ihm in die Augen. »Das hätte ich gerne gesehen.«
»Diese Phase meines Lebens war nicht so wildromantisch, wie du vielleicht denkst. Der Alltag hielt viele Entbehrungen bereit. Überleg nur mal, auf welche Erfindungen wir verzichten mussten. Es stank, war schmutzig und zugig.«
»Sehr kurz zusammengefasst«, meinte sie mit einem Grinsen.
»Aber auf den Punkt. Die Mitglieder von Adolescentia Aeterna pflegten zwar enge Verbindungen zum Adel - hauptsächlich zur weiblichen Fraktion -, aber das reichte nicht, um das dunkle Zeitalter für uns angenehmer zu machen.«
Sie strich über seine Wange. »Du hast viel erlebt.«
»Das ist wahr. Und wenn ich mir aussuchen könnte, in welchem Jahrhundert ich leben darf, dann würde ich das 21. nehmen. Unabhängig davon, dass du hier auf mich gewartet hast.«
»Ich wäre dir überallhin gefolgt.« Die Wahrheit in diesen Worten brannte sich in ihr Herz. Es hatte eine Zeit gegeben, da hatte sie daran gezweifelt, dass es sich bei ihm um ihr Schicksal handelte. Das war nun vorbei.
»Du hättest jedes Jahrzehnt für mich heller gemacht.«
»Vorsicht. Das Schmalz tropft mir aus den Ohren«, beschwerte sie sich. »Aber ich liebe dich und deine unzähligen Leben trotzdem.«
»Und ich liebe dich und deine Dämonen.«
Das Schicksal hatte sie vielleicht zusammengeführt, aber ihre Herzen hatten sich füreinander entschieden. Sie waren verbunden durch ihre Liebe. Und Eva hatte vor, diese Verbindung noch um einiges länger aufrechtzuerhalten. Die Macht würde ihnen die Ewigkeit ermöglichen.
Sie tauschten einen langen Kuss. Dann schmiegte Eva sich an Juls Schulter, wartete, bis ihr Herzschlag seinen fand, ihn zu sich lockte, bis ihre Herzen nicht mehr voneinander unterscheidbar waren. Der Rhythmus übertönte die Stille, füllte den Raum, hüllte sie ein.
Pures Glück.
Irgendwann siegte die Neugier dennoch über den Frieden. »Wie habt ihr euch kennengelernt?«, erkundigte Eva sich bei Jul.
»Gottfried und ich? Wir standen uns 1262 bei einem Turnier gegenüber. Gottfried war damals gerade zweiundzwanzig geworden. Sein Mut und sein Stolz haben mich beeindruckt.«
»Er wird dich doch nicht an dich selbst erinnert haben. Das wäre zu kitschig.«
Jul lachte. »Gottfried war viel stärker als ich. Ich habe lange gebraucht, um die seelische und körperliche Misshandlung durch meinen Vater zu überwinden. In dem Alter, in dem mein Selbstbewusstsein durch Anun aufgebaut worden war, ging Gottfried gerade aus dem zehnten Turnier als Sieger hervor.«
»Beeindruckend. Erzähl mir mehr über den Jungen, den du irgendwann als deinen Seelenverwandten bezeichnet hast.« Sie befahl sich, keinen Neid zu empfinden. Diese Freundschaft lag weit hinter ihm und hatte nichts mit ihrer Beziehung zu tun.
Sie lagen händchenhaltend auf dem Bett, während Jul das Bild eines geradlinigen, zielgerichteten Mannes zeichnete. Jul schilderte eine enge Freundschaft, eine tiefe Verbundenheit zu einer Person, für deren Wohl Jul genauso gekämpft hätte wie Eva für ihre Mädels. Und die Dankbarkeit über Juls Vertrauen ließ die Macht in Eva pulsieren.
»Willst du mir etwa meine Medizin verweigern?«
Eva gab ein grummelndes Geräusch von sich. Als sie sich zwang, die Augen zu öffnen, blickte sie direkt in Juls amüsiert wirkendes Gesicht. Sie war tatsächlich während seiner Erzählung eingenickt. Die Uhr auf dem Nachttischschränkchen verriet ihr, dass sie höchstens eine Viertelstunde gedöst hatte. »Tut mir leid.«
»Mir war nicht bewusst, dass meine Geschichte so einschläfernd ist.«
»Deine Stimme. Sie hat mich eingelullt.« Eva streckte sich und legte ihren Kopf dann auf seinem Oberarm ab. »Habe ich dir noch nie gesagt, wie samtig, beruhigend und manchmal auch erotisch deine Stimme klingt?«
»Du bist wohl um keine Ausrede verlegen.«
»Die Wahrheit kann man immer als Ausrede benutzen.«
»Das muss ich mir merken.«
Sie konnte sich vorstellen, für welche Wahrheiten er diese Regel gerne angewendet hätte. »Tut mir leid. Das gilt nur für mich.«
»Das widerspricht der Gleichberechtigung, auf der du als Frau immer bestehst.«
»Nur wenn es mir in den Kram passt«, sagte sie lachend. »Also was war das von wegen Medizin?«
»Deine Leidenschaft ist meine Medizin. Durch das Einschlafen wolltest du dich nur davor drücken, mir einen Teil davon abzugeben.«
Evas Herz krampfte sich zusammen. »Bist du fit genug? Der Tag muss ziemlich anstrengend für dich gewesen sein.«
»Nicht anstrengender als für dich.«
»Der misslungene Blutaustausch hat dich viel Kraft gekostet. Du hast noch nicht zu deiner alten Stärke zurückgefunden.«
»Nichts als Ausreden.«
»Die hasse ich mehr als du.«
Er rollte sich auf sie, ließ sie seine Erregung spüren. »Dann lass mich nicht warten. Ich werde dafür sorgen, dass deine Müdigkeit rasch verfliegt.«
Sie lachte und drückte sich an ihn. Ein orangeroter Wirbel erhitzte ihre Beckengegend. »Du bekommst das sicher hin. Aber fühlst du dich nicht zu erschöpft?«
»Nein, zum Teufel! Und jetzt lauf und hol dein Geschenk aus dem Wohnzimmer.«
»Endlich!« Eva schubste Jul zur Seite und sprang auf. »Bin gleich wieder da.«
Juls Lachen folgte ihr nach draußen. Sie riss die Verpackung noch im Wohnzimmer auf. In dem Paket fand sie eine CD. Jazz logischerweise. Darunter ein filigranes Gebilde aus Seide. Selbst als Eva das Kleidungsstück hochhielt, hatte sie Schwierigkeiten zu beurteilen, wo vorne und hinten war. Wenn sie die schmalen Seidenstreifen richtig interpretierte, bestanden die bodyartigen Dessous aus einem String und einem BH-Teil, die mit Bändern verbunden waren und die sich um den Körper dazwischen schlangen.
Eva legte ihre Unterwäsche ab, schlüpfte in das Seidengespinst und zupfte es auf ihrem Körper zurecht. Ganz schön gewagt. Sie fühlte sich sexy wie ein Victoria’s-Secret -Model.
Bevor sie zurück ins Schlafzimmer kehrte, legte sie die CD in Juls Radio ein und drehte die Lautstärke hoch. Die sanfte Männerstimme überraschte sie, sodass sie einen Blick auf die CD-Hülle warf. Time after time von Chet Baker.
»Time after time, I tell myself that I’m so lucky to be loving you.«
Lächelnd schüttelte Eva ihre Haare zu einem wilden Look auf und betrat dann das Schlafzimmer.
Jul erwartete sie mit hinter dem Kopf verschränkten Armen. Die nach unten gerutschte Bettdecke gab den Blick auf seinen nackten Oberkörper frei. Eva bemerkte erleichtert, dass er kein Gramm Muskeln verloren hatte.
Seine Augen begannen bei ihrem Erscheinen zu leuchten. »Ich habe nicht erwartet, dass dir mein Geschenk so gut stehen würde«, verkündete er mit leiser Stimme.
Sie legte ihren nach oben ausgestreckten linken Arm an den Türstock und wiegte ihre Hüften. »Das freut mich zu hören. Ich fühle mich unwiderstehlich.«
»Das bist du auch. Komm her.«
Dieser Aufforderung folgte sie nur zu gern. »Und jetzt?«, erkundigte sie sich, als sie beim Bett angelangt war.
»Jetzt setzt du dich auf meine Schoß.« Als sie sich auf die Matratze kniete und zu ihm krabbelte, schüttelte er den Kopf. »Verkehrt herum.«
Was er wohl vorhatte? Sie kletterte auf ihn. Juls nackter Oberkörper fühlte sich warm und hart an ihrem Rücken an. Als sie ihre Hüften bewegte, spürte sie seine Erregung unter der Decke. Rasch schob sie den Stoff zur Seite. Sie rieb sich an ihm. Die Haare auf seinen Oberschenkeln kitzelten ihren Po.
Seine Arme griffen um sie herum und legten sich auf ihre Brüste. »Wie ist das?«
»Besser, aber nicht genug.« Durch sein Lachen drängte sich ihr seine Männlichkeit entgegen. Sie stöhnte laut.
Seine Hände massierten die Hügel, die aus dem Body zu fallen drohten. Er ließ zwei Finger unter die Seide wandern, um die Knospen zu zwirbeln.
Eva warf den Kopf zurück, als seine Rechte tiefer wanderte und den Stoff in ihrem Schritt zur Seite schob. »Verzichten wir heute auf das Vorspiel«, verlangte sie.
»Gerne.« Plötzlich war er in ihr. Er zog sich zurück, stieß wieder zu, bevor sie aufschreien konnte. Jul sank auf das Kissen zurück und hielt dabei ihren Oberkörper fest. Sie kam auf ihm zum Liegen.
Seine Bewegungsfreiheit war eingeschränkt. Dennoch wuchs ihre Erregung mit jedem seiner langsamen Stöße. Eva schloss die Augen, während die Macht einen Farbenwirbel durch ihren Körper schickte und Jul ihre Leidenschaft Richtung Gipfel trug.
Doch dann schien Jul müde zu werde. »Sachte, Süßer«, keuchte sie. »Wie kann ich dir helfen?«
»Stemm deine Füße in die Matratze. Dann können wir das Tempo erhöhen.«
Es fühlte sich sofort um vieles besser an. Sie gab einen leisen Schrei von sich. Ihr Rücken rieb sich an seinem Brusthaar. Ein wundervolles Gefühl von Nähe.
Juls Hände wanderten über Evas Haut, hinterließen eine heiße Spur aus Flammen, wo immer er sie berührte. Dennoch hegte sie die Befürchtung, dass sie Jul zu schwer werden würde. Sie rollte sich von ihm.
Ein missmutiges Grummeln von Jul.
»Warte«, bat sie. Sie kletterte mit dem Gesicht zu ihm über seine Mitte, nahm ihn wieder in sich auf. Ihre abgewinkelten Beine hielten einen Teil ihres Gewichtes, und sie drückte nicht länger seinen Brustkorb zusammen. So war es besser.
»Freches Weib.«
»Beschwerden?«, erkundigte sie sich. Sie wartete nicht auf seine Antwort, sondern begann sich zu bewegen. Die Kontrolle über die Situation berauschte sie.
Sie stützte ihre Hände auf seinem Brustkorb ab und warf den Kopf in den Nacken. Aus ihrem weit geöffneten Mund löste sich ein tiefes Stöhnen. Und dann stürzte sie, fiel tiefer und tiefer, bis sie von Juls Armen aufgefangen wurde.
Sein keuchender Atem dröhnte in ihren Ohren, als er mit verständnislosen Worten von seinen Lippen den Höhepunkt erreichte. In diesem Augenblick hieß das einzige Gefühl in Evas Herz bedingungslose Liebe.