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Der Ex-Holger und die 4a

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Holger ist weg. Als ich am letzten Donnerstag nach Hause kam, hatte er all seine Sachen gepackt und war zu seiner neuen Flamme Ina gezogen. Ina, wie ich allein diesen Namen hasste! Ina-Traumfrau, blond, schlank, hübsch – und zu allem Überfluss auch noch klug, wie ich mir insgeheim eingestehen musste. Bei ihr wohnte also nun meine große Liebe, mit der ich die letzten fünf Jahre zusammen gewesen war, mit der ich alt werden wollte, der ich bedingungslos vertraut hatte. Kurz: der Mann, mit dem ich freiwillig meine Lieblingsschokolade geteilt hatte – und das will wirklich etwas heißen!

Ich bin 38 Jahre alt, von Beruf Architektin, habe rote Haare, viele Sommersprossen und bin pummelig. Und zwar nicht pummelig in Form von den mickrigen zwei bis drei Kilo zu viel, mit denen schlanke Frauen so gern kokettieren. Sondern pummelig im Sinne von rund. Rundherum rund. Und das liegt an der Lieblingsschokolade, Sie wissen schon. Bis vor ein paar Tagen hatte ich einen tollen Mann an meiner Seite: Holger. Oder besser Ex-Holger, wie ich ihn seitdem nenne.

Die letzten Tage waren furchtbar: Donnerstag habe ich versucht, meinen Liebeskummer zu ertränken. Doch die Unmengen von Prosecco machten mich nur weinerlich und bescherten mir am nächsten Tag erbärmliches Kopfweh. Freitag habe ich versucht, diesen blöden Kummer herunterzuschlucken. Doch selbst zwei Tafeln meiner Lieblingsschokolade haben nicht geholfen – der Ex-Holger saß mir weiterhin unverdaut im Magen.

Ein Extremshopping-Ausflug mit meiner besten Freundin Emmi am Samstag hat auch nichts Positives bewirkt, im Gegenteil: Nichts hat mir gepasst, ich sah immer aus wie eine Litfasssäule, in deren Schatten sich eine Großfamilie zum Picknick treffen könnte. Schrecklich.

Am Sonntag habe ich dann einfach alles zusammen probiert, indem ich vor dem Teleshoppingkanal meine Lieblingsschokolade mit Prosecco herunterspülte. Ohne Erfolg, es war sinnlos. Der Ex-Holger war noch immer in meinem Kopf.

Am Montag saß ich verquollen und unglücklich in der S-Bahn auf dem Weg zur Arbeit, als mein Blick auf eine Anzeige in der Zeitung fiel, die der Mann gegenüber las, ein Workshop: »Weg mit dem Trennungsschmerz – so finden Sie zurück in ein glückliches Leben!« Veranstaltungsort war die Grundschule bei mir um die Ecke. Beginn 19 Uhr.

Prima, dachte ich mir, bevor ich wieder das einsame, heulende Elend kriege, gehe ich doch lieber dorthin. Gemeinsam jammern hilft bestimmt.

Der ganze Arbeitstag war wenig produktiv und grässlich, ich hätte auch gleich zu Hause bleiben können: Zuerst motzte ich meinen Lieblingskollegen unbegründet an, dann verbrannte ich mir beim Mittagessen an der fettigen Kantinen-Lasagne den Gaumen und abends verteilte ich noch den Inhalt einer Kaffeetasse quer über meinen Schreibtisch.


Nach Feierabend ging ich kurz nach Hause, um mein Glück in einem großen Becher Chocolate-Crisp-Ice zu suchen. Doch bis zum Grund des Bechers war nicht das kleinste Fitzelchen zu finden. Großer Mist!

Um 18:30 Uhr brach ich auf in Richtung Grundschule, schließlich wollte ich einen guten Platz beim Workshop erwischen: nicht ganz vorne, damit ich nicht aktiv mitmachen musste, und auch nicht mittendrin, sondern besser strategisch klug am Rand, damit ich bei extremer Langeweile halbwegs dezent den Saal verlassen konnte.

Kaum hatte ich die Grundschule erreicht, hatte ich die Raumnummer auch schon wieder vergessen. Doch als ich über den Flur lief, hörte ich nur aus einem Raum Stimmengemurmel – das musste er sein.

Beherzt öffnete ich die Tür – und ein Haufen Menschen in meinem Alter blickte mich verwundert und erwartungsvoll an.

»Hallo und guten Abend! Oh, Sie haben schon angefangen, sorry, ich bin zu spät!«, sagte ich mit hochroter Birne und steuerte den einzigen Stuhl an, der noch frei war. Der stand natürlich mitten im Raum! Es war ein Kinderstuhl mit einer ziemlich niedrigen Sitzfläche, die viel zu klein war für mein nicht gerade zierliches Hinterteil. So was Peinliches, da kam ich zu spät zu dieser Jammerrunde und musste mich auch noch vor der versammelten Mannschaft auf diesen winzigen Stuhl falten.

Die Workshopleiterin, eine Frau Ende vierzig, guckte mich streng über ihre Lesebrille hinweg an und sagte: »Guten Abend, Frau …? Schön, dass Sie auch schon da sind!«

Huch, warum diese Frau wohl meinen Namen wissen wollte? Ich antwortete kleinlaut: »Sandra. Nennen Sie mich Sandra.«

Die Frau warf mir einen skeptischen Blick zu und wandte sich dann wieder an die restlichen Erwachsenen im Raum, die sich ebenfalls alle auf die Miniaturstühle an den Miniaturtischen gezwängt hatten. Okay, ich war nicht die Einzige, die ziemlich lächerlich aussah auf diesem Zwergensitzmöbel.

»Kommen wir nun zurück zum Klima: Ich habe festgestellt, dass die Zusammenarbeit besser funktioniert. Insbesondere die Cliquenwirtschaft hat sich ein bisschen aufgelöst – das finde ich sehr positiv!«, sagte die Leiterin.

Oh, wow, eine Gruppe, die nun wirklich eine Gruppe war – das klang richtig gut. Schließlich wollte ich Ex-Holger so schnell wie möglich vergessen und in ein neues, erfülltes Leben als Single durchstarten. Ob ich aber nach diesem Auftritt wirklich mit offenen Armen aufgenommen werden würde?

Die strenge Frau wandte sich direkt an eine der Zuhörerinnen: »Frau Golida-Breckemeyer, wie ist das nun mit Anna-Johanna – hat sich ihre Beziehung zu Alexander mittlerweile verbessert?«

Sehr gut, das scheint dazu noch ein regelmäßiger Workshop zu sein, in dem sich Liebeskummeropfer und ihre Angehörigen von den Fort- und Rückschritten berichten. Super, dann bin ich hier genau richtig, um meine Schmach möglichst schnell zu verdauen. Und beim nächsten Mal nehme ich Emmi mit – meine beste Freundin kann schließlich so einiges über den gemeinen Ex-Holger berichten.

Während ich noch darüber nachdachte, antwortete die angesprochene Frau Golida-Breckemeyer: »Ja, die Lage hat sich entspannt. Im Großen und Ganzen können die zwei mittlerweile wieder etwas zusammen unternehmen, was ein Glück. Sie sind friedlich und haben sich schon zwei Wochen nicht mehr geschlagen!«

Geschlagen??? Himmel, wo war ich hier gelandet? Die Workshopleiterin hingegen lächelte zufrieden.

Dann wandte sie sich an den gut aussehenden Mann, der direkt neben mir saß: »Herr Eckl, auf Ihren Wunsch hin haben wir unser Mittagessen um ein laktosefreies Menü erweitert. Samira kann also wieder bei uns essen.«

Herr Eckl lehnte sich zurück, lächelte und sagte: »Danke, Frau Reckelmann, damit haben Sie meiner Kleinen sehr geholfen!«

Meine Gedanken spielten Pingpong: Warum nannte er seine Ex »Kleine«? Warum ging seine Ex bei Frau Reckelmann essen? Arbeitet die vielleicht in einem Frauenhaus? Herr Eckl sah jedenfalls sehr sympathisch aus, gar nicht wie einer, der seine bessere Hälfte schlägt. Doch man kann ja nie wissen! Aber immerhin kämpft er für ein laktosefreies Essen für seine Ex-Freundin. So viel Engagement für eine Verflossene - das fand ich super!

Frau Reckelmann wandte sich an die große Runde: »Und nun, liebe Anwesende, eröffne ich die Fragerunde – haben Sie etwas auf dem Herzen? Anregungen? Dinge, die Sie mir unbedingt mitteilen möchten? Ich bin ganz Ohr!«

Eine auffällig geschminkte Mittvierzigerin meldete sich: »Frau Reckelmann, wann werden denn endlich die neuesten Forschungsergebnisse in Sachen Kinesiologie in das Lehrkonzept aufgenommen?«

Ein bodenständig aussehender Mann aus der ersten Reihe drehte sich um: »Kinä-was? Sie immer mit Ihrem neumodischen Gedöns. Können wir nicht einfach so weitermachen wie bisher? Das hat uns doch bekanntlich auch nicht geschadet!«

Die Mittvierzigerin verzog energisch ihr Gesicht: »Dass Sie nicht wissen, was Kinesiologie ist, Herr Winter, habe ich mir schon gedacht. Ich erkläre es Ihnen gern: Die Kinesiologie ist ein Körpertherapiekonzept, das davon ausgeht, dass gesundheitliche Probleme als Schwäche bestimmter Muskelgruppen sichtbar werden. Bei Ihren Mädchen sieht man zum Beispiel besonders gut, dass es Bedarf gibt!«

Nun war ich aber mal gespannt auf die Antwort von Herrn Winter – wobei … warum hatte Herr Winter Ex-Mädchen? Führte er eine Dreiecksbeziehung? Und was hatte das mit dieser Körpertherapie zu tun?

Herr Winter reagierte wie erwartet entrüstet: »Frau Drömmer, was fällt Ihnen ein? Meine Mädchen sind total in Ordnung – was man von Ihrer Germine-Nicola nicht behaupten kann!«

»Was soll das, Herr Winter?«, fauchte die Frau zurück.

Aha, Frau Drömmer ist also lesbisch. Hätte ich gar nicht gedacht, sie sah eher aus wie eine gelangweilte Mutter, die ihre Umwelt mit den immer neuen Erkenntnissen der Pädagogik nervt. So kann man sich also täuschen – ich sollte unbedingt über meine Vorurteile und mein Schubladendenken nachdenken!

»Contenance, meine Damen und Herren«, mischte sich die strenge Frau Reckelmann ein. »Kinesiologische Therapieformen wird es bei uns nicht geben, Frau Drömmer – das können und wollen wir gar nicht leisten. Vielleicht gehen Sie mit Germine-Nicola in eine Praxis Ihrer Wahl? Und jetzt stellen Sie bitte Ihre Privatfehde wieder ein, Frau Drömmer und Herr Winter – wir haben noch mehr Punkte auf der Tagesordnung!«

Die beiden warfen sich noch ein paar tödliche Blicke zu, dann war Ruhe. Mein Hirn arbeitete auf Hochtouren: Was hatte die Kinesiologie mit Trennungsschmerz zu tun? Gab es hier eventuell eine neue Therapie für mich? Ich notierte mir in Gedanken, dass ich das zu Hause sofort googeln müsse.

»Frau … Sandra, richtig?«, wurde ich nun direkt angesprochen. »Haben Sie Fragen an mich oder an diese Runde? Wir haben Sie hier noch nie gesehen. Zu wem gehören Sie eigentlich?«

»Zu Holger«, stotterte ich. »Und eigentlich bin ich hier, weil ich ihn schnellstmöglich vergessen möchte – jetzt, wo er weg ist!«

Entsetzt drehten sich alle zu mir um: »Weg?«

»Wo ist er denn hin? Und warum?«

Was für blöde Fragen – natürlich war er weg! Genauso wie die »Kleine«, wie Germine-Nicola, die »Mädchen« oder wie eure anderen Ex alle heißen. Zumindest haben wir uns nicht geschlagen wie Anna-Johanna und Alexander!

»Ja, Holger ist weg. Ich kam am Donnerstag nach Hause und da hatte er seine Sachen gepackt!«

Eine Frau aus der hinteren Ecke mischte sich ein: »Aber wo ist er denn hin? Am Freitag war er doch noch hier!«

»Was, Holger war hier? Hier in dieser Schule? Warum das denn?«, fragte ich verwirrt.

Frau Reckelmann ergriff das Wort: »Natürlich war Holger hier, wenn er unentschuldigt gefehlt hätte, hätte ich Sie sofort angerufen!«

»Aber woher haben Sie meine Telefonnummer? Und überhaupt … woher kennen Sie Holger eigentlich? Ich verstehe gerade gar nichts mehr!«, stotterte ich.

Plötzlich fing Herr Eckl laut an zu lachen, so herzlich und ansteckend, dass sich niemand im Raum entziehen konnte – alle giggelten und lachten dann lauthals mit. Dabei guckten sie sich fragend an, als wüsste niemand so richtig, worum es nun gerade ging. Nur ich verstand die Welt nicht mehr – waren die denn alle komplett verrückt geworden? Da saß ich auf einem Zwergenstuhl inmitten von vor Liebeskummer irre gewordenen Verlassenen, die mit laktosefreier Körpertherapie die Zusammenarbeit mit ihren Ex verbesserten, um Cliquenbildung zu vermeiden und nicht im Frauenhaus zu landen – ich musste das nicht verstehen.

Nachdem Herr Eckl sich wieder einigermaßen beruhigt und die Tränen aus den Augen gewischt hatte, sagte er zu mir: »Sandra, richtig? Lassen Sie mich raten, Sie wollten zu diesem Trennungsworkshop-Dings, stimmts?«

»Ja«, erwiderte ich genervt. »Und was ist daran bitte so komisch?« Mittlerweile war mir alles egal, noch peinlicher konnte es einfach nicht werden.

Herr Eckl fing wieder an zu kichern: »Sie sind auf dem Elternabend der Klasse 4a gelandet – der Workshop findet danach statt!«

»Wahas?« Ich fing an, hysterisch zu kichern. »Das hier ist gar nicht die Jammergruppe gegen Liebeskummer?«

»Nein, ich bin die Klassenlehrerin der 4a und das sind die Eltern der Schüler und Schülerinnen«, stellte sich die auf einmal gar nicht mehr so strenge Frau Reckelmann vor. »Dann ist Holger auch nicht Ihr Sohn, sondern Ihr Ex!«

»Ja, der Ex-Holger, und ich wollte hier eigentlich mit anderen Verlassenen an meiner hoffentlich bald wieder glücklichen Zukunft arbeiten«, seufzte ich.

Herr Eckl grinste mich an. »Ich habe eine Idee. Eigentlich wollte ich im Anschluss zum Workshop gehen wie jede Woche, der Babysitter ist schließlich schon da und passt auf meine Tochter Samira auf. Doch heute möchte ich Sie lieber zum Essen einladen – nach diesem Schreck! Sind Sie dabei?«

Tja, und was soll ich sagen: Herr Eckl, also Thomas, und ich hatten einen wunderbaren Abend. Und gleich am nächsten Tag hatten wir den nächsten wunderbaren Abend – dieses Mal bei ihm zu Hause, mit seiner niedlichen Tochter. In die Schule bin ich das nächste Mal mit beiden gemeinsam zum Sommerfest gegangen. Ohne Trennungsschmerz. Und ohne Holger in Gedanken. Holger, wer war das noch gleich?

Schlachtfeld Elternabend

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