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Helikopter-Mutter

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Ich gebe es zu: Ich bin ein Helikopter. Kein Transporthubschrauber und auch kein Black Hawk, sondern ein Rettungsheli. Ich kann die Turnbeutel, Federtaschen und Pausenbrote nicht mehr zählen, die ich meinen Kindern über die Jahre in die Schule geflogen habe.

Nie vergesse ich das Quietschen der Schuhsohlen auf dem Linoleum, als ich mit klopfendem Herzen durch die stillen Schulflure hastete, um meinem Spross die Turnschuhe mit den hellen Sohlen hinterherzutragen. Vorsichtig öffnete ich die Tür, zwei Minuten nach Unterrichtsbeginn, und nuschelte eine Entschuldigung, während ich den Beutel mit geübtem Schwung, schwupp, hinter die Tür in den Klassenraum warf. So eine Aktion dauerte kaum mehr als sieben Sekunden, trotzdem meldete sich mein schlechtes Gewissen. Ich hörte die Rotorblätter ohrenbetäubend laut über mir knattern und schwor dass es das allerletzte Mal gewesen war. Tief in meinem Innern wusste ich natürlich: Beim nächsten vergessenen Käsebrot wäre ich ganz sicher wieder unterwegs.

Mit den Elternabenden verhielt es sich ähnlich. Ich hatte noch keinen einzigen Termin verpasst und freute mich ehrlich gesagt auch dieses Mal darauf. Im Gegensatz zu meinem Mann.

Seine Begeisterung für Elternabende hielt sich sehr in Grenzen. Ihn beschäftigte eher die Frage, weshalb sich die Termine zwangsläufig am Spielplan der Champions League orientieren mussten.


Ich hatte keine Ahnung, aber auch kein Problem damit, allein zu gehen. Denn, wie gesagt, liebe ich Elternabende. Ganz besonders die Ersten: den ersten Elternabend in der Krabbelgruppe, im Kindergarten, im Sportverein, in der Grundschule und schließlich den ersten Elternabend der Mittelstufe.

An diesen Abenden erfährt man, mit wem man es in den nächsten Jahren zu tun hat. Nirgendwo treffen unterschiedliche Interessen und emotionale Verstrickungen derart ungebremst aufeinander. Es genügte eine hochgezogene Augenbraue und ein Halbsatz wie: »Die Kinder sind eben extrem unruhig …«, um das Pulverfass zu sprengen.

Erwartungsvoll saß ich folglich auf dem viel zu kleinen Stuhl meines Sohnes im Klassenraum. Frau Rose, die Klassenlehrerin, hatte mit den Kindern in der letzten Woche knuffige Platzkärtchen gebastelt, damit wir Eltern auf den Plätzen unserer »Großen« sitzen konnten.

Wie nett! Aber Vorsicht! Als erfahrene Elternabendteilnehmerin wusste ich, dass diese harmlose Aktion bereits erhebliches Konfliktpotenzial barg. Die Plätze in der letzten Reihe oder seitlich zur Tafel riefen oft heftige Bedenken hervor.

»Hat Lennart sich den Platz wirklich selbst ausgesucht …?«, tönte es auch schon ungläubig.

»Also, wenn ich mir vorstelle, dass sich Anna-Lena sechs Stunden lang den Hals verrenken muss, bloß um die Tafel zu sehen … Kein Wunder, dass sie nachmittags immer Kopfschmerzen hat.«

Neben mir faltete sich Jan-Oles Vater auf dem Stuhl zusammen. »’n abend«, nuschelte er. »Totaler Blödsinn, dieser Frontalunterricht.«

Jan-Ole kannte ich schon seit dem Kindergarten, ebenso wie seinen Vater. Er war Sozialpädagoge und Feminist (also der Vater, nicht Jan-Ole) und vermutlich deswegen auch anstelle seiner Frau zum Elternabend gekommen. Außer ihm waren nur zwei weitere Väter anwesend. Umständlich zog Jan-Oles Vater die zerknitterte Einladung aus der Hosentasche und legte einen Bleistiftstummel daneben.

Inzwischen war es kurz nach acht. Die Luft im Klassenraum war bereits stickig und ich dachte gerade darüber nach, trotz der Mücken ein Fenster zu öffnen, als Frau Rose durch ein leises, zischendes »Schschschsch…« die Aufmerksamkeit der Eltern auf sich zog. Wider Erwarten gelang ihr das auf Anhieb. Niemand sagte mehr einen Mucks und das genervte »Sind wir hier etwa im Kindergarten?« drang aus der ersten Reihe bis in die hinterste Ecke zu mir durch.

Frau Rose war selbst erstaunt über den durchschlagenden Erfolg der Zischelei und lächelte trotz des bissigen Kommentars. Sie stellte sich kurz vor und warf dann mit einem Overhead-Projektor die Top-Themen an die Wand. Noch bevor sie das Bild scharf gestellt hatte, öffnete sich die Tür und eine Frau huschte herein.

Das Handy am Ohr flüsterte sie: »Ich ruf dich wieder an …« und murmelte dann zerknirscht: »Entschuldigung! Äh, gibt es hier Platzkarten …? Wo muss ich denn hin?«

Frau Rose fragte nach ihrem Namen und die Frau, nun als Mutter von Timo identifiziert, huschte an ihren Platz.

Die Lehrerin wollte gerade fortfahren, da ging die Tür ein zweites Mal auf und ein Vater im Anzug, offensichtlich direkt aus dem Büro angereist, spazierte ganz selbstverständlich mit einem knappen »’n abend!« herein. Ohne Entschuldigung setzte er sich auf den erstbesten Platz neben der Tür und blickte erwartungsvoll in die Runde.

»Die Kinder haben Platzkärtchen gebastelt«, erklärte Emmas Mutter anstelle von Frau Rose. »Wir sitzen heute alle auf den Plätzen unserer Kinder.«

»Ich erwarte einen Anruf«, blaffte der wichtige Mann und sah Emmas Mutter an, als wollte er sie mit einem Happs verspeisen. Die bekam am Hals rote Flecken, erwiderte aber trotzig seinen Blick.

Diese kleine Unterbrechung nutzten ein paar Eltern, um direkt an ihre vorherigen Gespräche anzuknüpfen, während andere noch schnell ein paar SMS unter den Tischen verschickten.

Frau Rose zischelte wieder energisch und setzte dann zu einem Kurzvortrag an, der sich gewaschen hatte. Unmissverständlich machte sie uns Erziehungsberechtigten klar, dass die Ferien nun endgültig vorbei seien und ein neuer Schulabschnitt bevorstehe.

»Wir sind jetzt in der Mittelstufe und da wird von Ihren Kindern deutlich mehr Eigeninitiative und Engagement erwartet, als das in der Grundschule der Fall war.« Frau Rose blickte streng in die Runde. »Reine Anwesenheit reicht hier nicht mehr aus!«

Es war still im Klassenraum. Das Unbehagen war mit den Händen greifbar. Einige machten sich nervös Notizen und auch der Laptop in der ersten Reihe leuchtete auf.

Unerschrocken fuhr Frau Rose fort: »Erwiesenermaßen ist es nicht der unmenschliche Leistungsdruck, der die Kinder überfordert, sondern es sind die riesigen Freiräume, die man ihnen gewährt. Natürlich hängen sie lieber vor dem PC ab … Aber es ist völlig unakzeptabel, wenn wir nach den Ferien eine volle Woche brauchen, um sie wieder zur Mitarbeit zu bewegen.« Die Lehrerin zog ein bedauerndes Gesicht. »Wir können es drehen, wie wir wollen. Die Schule erwartet eine gewisse Leistung - auch von Ihnen!«, fügte sie drohend hinzu.

Kopfschütteln und Proteste quer durch alle Reihen.

»In meinen Ohren klingt das, als sollten die Folgen einer miserablen Bildungspolitik mal wieder auf Eltern und Schüler abgewälzt werden«, meldete sich Jan-Oles Vater angriffslustig zu Wort und erntete Kopfnicken und zustimmendes Gemurmel. »Spätestens seit PISA wissen wir aber, dass es so nicht funktioniert. Studien zeigen klipp und klar, dass sich kein Kind vor zehn Uhr vormittags konzentrieren kann.«


Alle Eltern waren jetzt kaum noch zu bremsen. Es fielen Worte wie »unterbesetzt«, »überforderte Lehrerschaft« und »hammerharte Notenvergabe«. Während die Black Hawks unter uns bereits juristische Schritte in Erwägung zogen, verlangte Timos Mutter, dass man sich doch bitte schön ein Beispiel an den skandinavischen Ländern nehmen sollte. Finnland zum Beispiel.

»Finnland …!«, höhnte der wichtige Mann an der Tür. »Dass dort zwanzig Prozent der Schulabgänger keinen Ausbildungsplatz finden und genauso viele Jugendliche Alkoholiker sind, wissen Sie vermutlich nicht, oder?«

Den winzigen Augenblick des kollektiven Luftholens nutzte eine Mutter, um nach einem dritten veganen Gericht in der Schulkantine zu fragen, aber irgendwie ging diese Frage im allgemeinen Tohuwabohu unbeantwortet unter.

Frau Rose ließ es noch einmal zischen und sprach unbeirrt den nächsten Punkt auf der Tagesordnung an: die Klassenfahrt nach Plön am See. Sie hatte Prospekte mitgebracht, die sie zur Ansicht reichte.

»Wir haben freien Zugang zum See«, erklärte sie und blickte dabei so stolz in die Runde, als hätte sie höchstpersönlich eine Schneise durch das Schilf geschlagen.

Da meldete sich Anna-Lenas Mutter zu Wort: »Also, wenn ich mir vorstelle, dass 23 Schüler freien Zugang zum Wasser haben … Tut mir leid, da bekomme ich eine Gänsehaut. Wenn freier Zugang zum See, dann bitte nur mit Schwimmwesten.«

Man konnte beinahe hören, wie das Kopfkino aller Eltern anlief.

»Die Kinder sind nie allein am Wasser«, versprach Frau Rose. »Es ist immer eine Aufsicht dabei …«

»Ihre Tochter wird mit zehn Jahren doch sicher das Seepferdchen haben!«, bellte der Anzugträger.

Anna-Lenas Mutter nickte. »Aber was ist, wenn wirklich etwas passiert? Wie schnell wird Frau Rose dann im Wasser sein?«

Jetzt schien auch Frau Rose über einen Satz Schwimmwesten nachzudenken.

»Im Klassenfahrt-Programm steht außerdem Blaubeerpflücken im Wald«, sagte ich ebenfalls besorgt.

Frau Roses linkes Auge zuckte. Sie ahnte nichts Gutes.

»Hat dabei vielleicht irgendjemand schon mal an den Fuchsbandwurm gedacht?«

Frau Rose schritt unverzüglich zur Abstimmung. Wir stimmten mit deutlicher Mehrheit für die Schwimmwesten und gegen das Blaubeerpflücken im Wald!

Was für ein Erfolg! Als Helikopter-Mutter kann man nie vorsichtig genug sein.

Schlachtfeld Elternabend

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