Читать книгу Love or Lie - Bianca Wege - Страница 10

4. Kapitel

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»Vielleicht habe ich zu viel getrunken, aber es war lustig.«

– Cassandra, 26

Tatsächlich geht es mir nach dem Absenden irgendwie besser. Denn ich kann nun nichts mehr daran ändern.

»Vielleicht werde ich ja überhaupt nicht genommen«, sage ich und bremse damit die Euphorie meiner beiden Freundinnen. Amber dreht Cassie mit dem Glätteisen leichte Locken in die blonden Haare und beäugt ihr Werk kritisch.

»Nüchtern bekomme ich das irgendwie besser hin.« Sie zuckt die Schultern und wendet sich einer weiteren Haarsträhne zu, wobei sie ein strenges »Natürlich kommst du rein!« in meine Richtung schießt. »Willst du auch noch Locken?« Ich verneine, weil sie das Glätteisen wie ein Laserschwert in die Höhe hält, was ihr Angebot eher wie eine Drohung klingen lässt. Nach dem Abschicken haben mich die beiden überredet, noch feiern zu gehen, und weil ich dringend Ablenkung gebrauchen kann, habe ich zugesagt. Wir sind mittlerweile fast fertig mit dem Schminken und meine bekleckerte Pyjamahose habe ich durch eine hautenge schwarze Jeans ersetzt. Mein rückenfreies Oberteil ist ebenfalls schwarz und den hohen Kragen säumt ein Kranz aus Spitze.

»Business at the front, party at the back«, kommentiert Cassie mein Outfit und dreht sich in ihrem Minirock einmal vor dem Spiegel. Ihr rotes Top überlässt wenig der Fantasie, aber das ist genau das, was Cassie am liebsten mag. Amber hat sich einen von meinen schwarzen Jumpsuits ausgeliehen und sieht darin so gut aus, dass ich fast ein wenig neidisch bin. Während er bei mir sonst eher wie ein Sack am Körper hängt, umschmeichelt er Ambers Kurven vorteilhaft.

»Du kannst den Jumpsuit übrigens auch gern behalten, falls du möchtest.« Ich schenke ihr ein Grinsen. »Er steht dir sowieso viel besser als mir.« Ambers Augen weiten sich überrascht, dann fällt sie mir um den Hals und ihre Haare kitzeln meine Nase.

»Wirklich?« Sie tänzelt aufgeregt auf der Stelle. »Danke, E! Das ist sehr lieb von dir!«

»Freut mich, wenn er dir so gefällt.«

»Seid ihr fertig?« Cassie sieht uns erwartungsvoll an und nimmt einen letzten großen Schluck aus ihrem Weinglas.

»Selbstverständlich.« Ich greife nach meiner Handtasche und wir verlassen den Altbau, in dem sich unsere Wohnung befindet, steigen das enge Treppenhaus hinunter und eilen auf die Straße. Kaum umgibt mich die kühle Luft, habe ich das Gefühl, den Alkohol noch mehr zu spüren als ohnehin schon, ein Schwindelgefühl bahnt sich an. Noch wird es von meinem Verstand im Zaum gehalten, aber die ersten Nebelschwaden kann ich bereits am düsteren Rande meines Bewusstseins erkennen. In unserem Wohnviertel sind die Straßen auch nachts noch recht gut befahren, und wir halten Ausschau, ehe wir das Taxi erblicken, das ein paar Hausnummern weiter mit gesetztem Blinker auf uns wartet.

»Hallo.« Ich lasse mich auf den ledernen Rücksitz fallen und lehne mich weit zurück. Obwohl ich es gern leugnen würde, bin ich wirklich betrunken und freue mich unglaublich auf den Abend. Vielleicht gibt es zwischen diesen beiden Tatsachen auch einen kausalen Zusammenhang. Aber so oder so. Ich war schon Ewigkeiten nicht mehr feiern, und heute fühlt es sich irgendwie so an, als wäre es dieser eine bedeutsame Abend, bevor sich mein Leben verändert. Ich weiß nicht, ob es sich zum Guten verändert oder zum Schlechten, ob es sich denn wirklich überhaupt verändert, aber zumindest der erste Schritt ist getan.


Laute Musik und wummernde Bässe schallen mir entgegen, als ich den Club betrete. An der hohen gewölbten Decke hängen Hunderte von kleinen quadratischen Lampen, die in verschiedenen Farben leuchten und einem das Gefühl geben, winzig klein zu sein. Der Club ist gut besucht, und nach einer kurzen Diskussion begeben wir uns zunächst auf die Tanzfläche. Es ist nicht so einfach, einen freien Platz unter den sich im Rhythmus bewegenden Körpern zu finden. Doch Amber scheut nicht davor zurück, ein wenig dreist zu sein, und stürzt sich einfach ins Getümmel, Cassie und mich hinter sich herziehend.

»Wir bleiben hier!«, schreit sie und deutet auf den Boden. Ich grinse die Frau und ihre Freundinnen entschuldigend an, die soeben weichen mussten, habe aber nicht wirklich ein schlechtes Gewissen. Man darf sich nicht unterbuttern lassen, wenn man feiern geht, das hat mir Amber früh beigebracht. Wir drehen uns zur Musik, und mit jeder Bewegung verlassen mich meine Hemmungen mehr und mehr. Es tut gut, sich einfach fallen zu lassen. Die Musik zu fühlen und einfach nichts anderes an sich heranzulassen. Die Lichter der Scheinwerfer blenden mich im Wechsel aus Grün und Pink, und der Bass ist mittlerweile in mein Blut übergegangen. Wir tanzen die nächsten drei Songs durch, bis Cassie mich anstupst. Eigentlich ist es eher ein Boxen, wenn man es genau nimmt. Vermutlich habe ich sie nicht gehört. Ich halte inne und streiche mir meine Haare aus dem Gesicht. Sie brüllt etwas, was sich anhört wie »Gehen wir an die Bar?«. Ich hebe meinen Daumen nach oben. Auch Amber befürwortet diesen Vorschlag. Während wir uns erneut einen Weg durch das Getümmel bahnen, halte ich meine Tasche fest bei mir, aus Angst, sie irgendwo zu verlieren.

»Was wollt ihr?« Amber, die sich weiter nach vorn gedrängelt hat, dreht sich zu uns um.

»Einen Gin Tonic bitte«, rufe ich ihr zu, Cassie hebt zwei Finger in die Höhe und ich ergänze: »Zwei!« Amber bestellt, und kurze Zeit später halte ich den kühlen Drink in den Händen. Als ich jedoch daran nippe, merke ich, wie der Alkohol nun eindeutig zuschlägt. Das Tanzen hat mich abgelenkt, aber das Warten an der Bar hat meinem Körper die nötige Ruhepause verschafft, um zu bemerken, dass ich es erst mal bleiben lassen sollte. Ich reiche Amber meinen Drink. »Ich muss mal kurz raus.« Meinem Gefühl nach lalle ich ganz furchtbar. Amber macht Anstalten, mir zu folgen, doch ich halte sie zurück. »Ich muss ein bisschen allein sein. Nur ganz kurz.« Ich lächele sie an, bevor ich mich eilig nach draußen begebe.

Als mir die kühle Nachtluft entgegenschlägt, muss ich zugeben, dass mir ein wenig schwummerig ist. Der Außenbereich des Clubs wird von Laternen erhellt, und Zigarettenrauch zeichnet sich in feinen Wölkchen im schalen Licht ab. Überall sind Bänke verteilt und von mehr oder weniger betrunkenen Partygästen belagert. Ich suche mir ein unbeobachtetes Plätzchen in einer Ecke, die sich weiter weg vom Eingang befindet, wobei ich das Gefühl habe, mich wie in Zeitlupe zu bewegen. Unbeholfen lasse ich mich auf die Bank plumpsen und lehne mich gegen die kühle Mauer. Die Beine weit von mir gestreckt, schließe ich die Augen und nehme einen tiefen Atemzug. Die Luft stoße ich allerdings schnell wieder aus, als sich alles zu drehen beginnt. Oha! Ich reiße die Augen auf und hoffe darauf, dass sich meine Sicht wieder normalisiert. Aber die Umgebung dreht sich immer noch. Farben verschwimmen immer schneller. Ein Strudel aus Lichtern und Schemen. Vielleicht hätte ich den letzten Shot nicht mehr trinken sollen. Vielleicht hätte ich gar nichts trinken sollen … Ein dunkler Fleck erscheint vor meinen Augen und breitet sich immer weiter aus.

»Geht es dir gut?«, fragt er. Ich blinzele. Der Fleck redet mit mir.

»Hm?«, hauche ich und kneife die Augen zusammen. Langsam klärt sich meine Sicht wieder, und als ich erkenne, dass sich Zentimeter vor mir ein Gesicht befindet, schreie ich erschrocken auf. Der junge Mann weicht ruckartig zurück.

»Kann ich dir irgendwie helfen?« Er mustert mich aufmerksam. Ich sehe zu ihm hoch und versuche, einen sinnvollen Satz über meine Lippen zu bringen.

»Tut mir leid, das ist sehr nett von dir, aber ich darf leider nicht flirten.« Okay, das war nicht sinnvoll. Egal. Ich ringe mir ein entschuldigendes Lächeln ab. Mein Gegenüber wirkt belustigt.

»Ich hatte nicht vor …« Er zieht die dichten Augenbrauen zusammen. »Weshalb solltest du nicht flirten dürfen?«

»Aaaalso.« Ich hole theatralisch mit meinem Arm aus, merke aber, dass mir bei der ausladenden Geste wieder schwindelig wird, und lasse die Hand sofort sinken. »Ich mache bei einer Show mit … also vielleicht … bald. Und ich möchte nicht vorher ausscheiden, nur weil ich fremdgeflirtet habe.«

»Soso, und welche Show ist das, wenn ich fragen darf?«

»Sie heißt Love or Lie.« Ein Kloß bildet sich in meiner Kehle, als ich den Namen der Show ausspreche. Fast so, als würde es dadurch erst real werden. Ein Druck baut sich in mir auf, Worte legen sich auf meine Zunge. »Eigentlich würde ich eher von einem Hochhaus springen, als dort mitzumachen«, platze ich heraus, gebe dem Drang nach, mich erklären zu müssen. »Nichts als Zickerei und sexistische Bemerkungen. Man kann doch nicht ernsthaft glauben, dass Leute sich bei so einem Drama verlieben.« Ich bremse mich, als ich merke, dass ich mich in Rage rede. »Ich jedenfalls nicht.« Mein Nacken beginnt leicht zu schmerzen und ich klopfe auf den freien Platz neben mir. »Willst du dich nicht setzen? Es ist sehr anstrengend, die ganze Zeit nach oben sehen zu müssen.« Meine Beschwerde bringt ihn zum Lachen und er lässt sich tatsächlich neben mir nieder. Leider überragt er mich trotzdem noch um gut einen Kopf. Etwas umständlich versucht er meine Sitzposition nachzuahmen, lehnt sich an die Wand und streckt seine Beine ebenfalls aus.

»Ich bin auch kein reiner Befürworter der Show, aber ich finde sie sehr amüsant. Angeblich ist auch nichts geskriptet.«

»Angeblich. Das glaubst du doch selbst nicht.« Ich rolle mit den Augen. »Man macht sich total zum Idioten. So viele künstliche Streitereien, dieses ständige Hahn-im-Korb-Gehabe … das tut mir schon beim Zusehen weh.« Mein Blick wandert wieder zu ihm, und ich nehme ihn das erste Mal etwas genauer in Augenschein. Er trägt ein Hemd, vermutlich war er zuvor geschäftlich unterwegs. Er hat dunkle Haare, ausgeprägte Kieferknochen und Bartstoppeln, die etwas zu lang sind, um noch als Dreitagebart durchzugehen. Seine Augen wirken so dunkel, als hätten sie ein Stückchen Nacht eingefangen. Er verschränkt die Arme vor der Brust.

»Entschuldige, wenn diese Frage unbegründet ist …« Er lacht leise. »Aber wenn du nichts von dieser Show hältst, wieso nimmst du dann daran teil?«

»Die Frage ist nicht unbegründet.« Ich zögere und berühre mit dem Zeigefinger meine Nasenspitze, ein Tick, der sich oft anbahnt, wenn ich nachdenken muss oder aufgeregt bin. Sie rührt von der Redensart meines Vaters, der immer meinte: Ist die Nase kalt, ist der Hund gesund. Und irgendwie habe ich das auf mich selbst übertragen. Solange meine Nase kalt ist, kann mir nichts Schlimmes passieren. Sie fühlt sich sogar sehr kalt an, beinahe eisig, und erst jetzt merke ich, dass ich zittere. Wie lange ich wohl schon hier sitze? Haben wir schon Winter? Fängt es gleich an zu schneien? Ich bemerke seinen erwartungsvollen Blick und erinnere mich daran, dass er mich etwas gefragt hat. Auf gar keinen Fall möchte ich ihm von meiner Kündigung und vor allem Merves Geschichte erzählen. Das ist einfach zu privat und geht ihn nichts an. »Meine Freundinnen haben mich dazu überredet, und ich habe keine andere Wahl.« Sein Gesichtsausdruck verrät, dass er gern nachgefragt hätte, er verkneift es sich aber und schweigt. Mir ist allmählich wirklich kalt, und es ist höchste Zeit, wieder nach drinnen zu gehen. Mit steifen Gliedern stehe ich auf, wobei ich so sehr schwanke, dass mich der Fremde am Ellenbogen festhalten muss. »Vorsicht!« Er richtet sich ebenfalls auf, seine Hand immer noch an meinem Arm. Nur ganz leicht, so als wolle er mir damit sagen, dass er mich notfalls auffängt. Ich bedanke mich zerknirscht. Ein Prickeln durchfährt mich, von dem ich nicht weiß, ob es von der Kälte oder seiner Berührung kommt. Ich will die Hände in die vorderen Hosentaschen meiner Jeans stecken und bemerke erst, dass diese viel zu klein sind, als ich mich bereits zu lange damit aufhalte. Etwas verlegen hake ich schließlich meinen Daumen in eine Gürtelschlaufe. Nach all den Jahren in Skinny Jeans vergesse ich das wirklich immer noch hin und wieder.

»Dann gehen wir wohl besser wieder rein.« Er hält mir seinen Arm hin, den ich zwar ungern, aber dankbar ergreife. Gemeinsam gehen wir zurück in den Club, ein unangenehmes Schweigen zwischen uns, das auch die lärmende Musik nicht besser macht.

»Ich muss nach meinen Freundinnen sehen.« Schnell weg, bevor er etwas vorschlagen kann, was ich vielleicht aus Trunkenheit annehmen würde. Er sieht zu mir herunter, ein leichtes Lächeln auf den Lippen.

»Ich sollte auch los.« Der Fremde wirkt unentschlossen, wie er sich von mir verabschieden soll, und ich ergreife die Gelegenheit, um mich noch einmal zu bedanken. Dann drehe ich mich auf dem Absatz um, sehe im Weggehen über die Schulter zu ihm zurück.

»Es war nett, dich kennenzulernen.« Für einen Augenblick verhaken sich unsere Blicke, ehe ich mich losreißen kann und wieder im Getümmel aus Lichtern und Musik verschwinde.


Am nächsten Morgen wache ich verkatert auf und kann nicht fassen, was ich getan habe. Ich habe mich für eine Reality-TV-Show angemeldet! Für eine Show, die ich verabscheue und nicht einmal als Zuschauerin ertrage! Aber ich weiß ja nicht einmal sicher, ob es wirklich klappt. Und, das wiederhole ich immer wieder, ich tue das für Merve. Stöhnend richte ich mich im Bett auf und bereue es sofort, als ein unbändiger Schmerz durch meinen Kopf jagt. Vorsichtig greife ich nach meinem Handy und merke nach einigem Herumgedrücke, dass der Akku leer ist. Mit der linken Hand taste ich nach meinem Ladekabel und stecke das Handy an, warte ungeduldig, bis es sich wieder anschalten lässt. Als das Display endlich aufleuchtet, werden mir mit einem schmerzhaften Piepen einige verpasste Anrufe und Nachrichten in Abwesenheit angezeigt. Ich wimmere und stelle viel zu spät den Ton stumm.

»Ruheee!«, kommt es murrend von Cassie, die gegenüber von mir die Nacht auf dem Boden verbracht hat.

Ich realisiere, dass die verpassten Anrufe von meiner Schwester sind, und merke sofort, wie mein Herz schneller klopft, Angst durch meinen Körper kriecht. Ich wähle ihre Nummer und warte angestrengt auf das Freizeichen.

»Was meinst du damit, ich soll kein Fernsehen mehr schauen?«, kommt es mir aufgebracht entgegen. »Du kannst doch nicht so was schreiben und dann nicht rangehen.« Zunächst bin ich einfach nur erleichtert. Es geht ihr gut. Dann runzele ich die Stirn und öffne unseren Chatverlauf. Tatsächlich. Ich habe ihr gestern um fünf Uhr geschrieben, dass sie kein Fernsehen mehr schauen soll.

»Entschuldigung.« Ich gähne herzhaft. Merves glockenhelles Lachen ertönt am anderen Ende der Leitung.

»Bist du verkatert?« Ich kann mir ein Lächeln nicht verkneifen. Wenn Merve lacht, wird die Welt jedes Mal ein bisschen besser.

»Ja, ich musste mir gestern Mut antrinken und ein paar Hemmungen verlieren.« Meine Stimme klingt rau und brüchig, aber fröhlich.

»Und was genau bedeutet das? Du klingst übel!«

»Danke, das hab ich mir fast gedacht«, brumme ich und lege den Kopf zurück auf mein Kissen, das Handy platziere ich daneben. »Jedenfalls.« Als ich zu einer Erklärung ansetze, wollen die Worte meinen Mund nicht verlassen. Mein Herz pocht schneller. Ich will Merve kein schlechtes Gewissen machen. Und keine Hoffnungen, die vielleicht nicht erfüllt werden.

»Ach, das war übertrieben von mir. Und es ist auch nicht sicher«, druckse ich herum.

»Was ist nicht sicher?« Merves Tonfall wird ungeduldig und ich ziehe die Decke etwas weiter über meinen Kopf, als würde mich das vor ihren drängenden Fragen schützen.

»Es ist nicht wirklich wichtig, das war einfach nur so.«

»E!«

Die Decke wandert weiter über meinen Kopf und mit meinem Finger streife ich leicht meine Nase, während ich so tue, als hätte ich sie nicht gehört.

»Hast du dir grade an die Nase getippt?«

»Nein.« Ertappt lasse ich die Hand sinken.

»Jetzt spuck es schon aus!« Ich kann sie mir lebhaft vorstellen, wie sie die Augenbrauen verärgert zusammenzieht, und da mich diese Vorstellung bis durch die Bettdecke verfolgt, gebe ich mir einen Ruck.

»Also schön, kennst du die Show Love or Lie?«

Merve scheint nachzudenken, und ich höre beinahe, wie sich die Zahnräder in ihrem Gehirn in Bewegung setzen.

»Sag mir nicht, dass du dich dafür angemeldet hast!«

»Schuldig im Sinne der Anklage.« Ich reibe mir die Schläfe und verkneife mir ein Stöhnen. »Ich habe meinen Job verloren und kann die Miete erst mal nicht bezahlen. Ich kann auf diese Weise den Urlaub zur Abwechslung also gut gebrauchen, selbst wenn es in tiefstem Winter ist.« Die Überzeugung in meiner Stimme trägt dazu bei, dass ich mir selbst glaube. »Und ich wollte schon immer mal bei so was mitmachen.«

»Gelogen. Du kannst solche Shows nicht leiden«, knurrt meine Schwester, dann wird sie stiller. »Du hast wirklich deinen Job verloren?«

»Ja ich wurde gekündigt. Sie mussten ein paar Stellen streichen.« Ich knautsche das Kissen zusammen und streiche den Bezug wieder glatt, bis keine Falten mehr zu sehen sind.

»Aber das ist nicht so schlimm. Ich werde etwas Neues finden.«

»Das glaube ich auch. Wieso also gleich noch mal die Show?«, hakt Merve nach.

»Weil ich … Lust auf was Neues habe? Eine Spontanaktion?«

»Willst du gerade mich oder dich selbst überzeugen?«

Mit einem lauten Murren gebe ich auf.

»Na gut. Wir brauchen das Geld. Jetzt mehr denn je.« Ich rücke mit dem Kopf etwas näher zum Display.

»Also machst du es wegen mir?« Die Empörung dahinter ist deutlich zu spüren.

»Ich weiß, dass du das nicht möchtest, aber es ist mir egal. Ich will, dass du endlich diese bescheuerte alternative Behandlung machst.«

Merves gute Stimmung scheint verraucht. »Deswegen hast du dich dort beworben? Für meine Behandlung?!« Ich nicke, auch wenn sie das nicht sehen kann und nur das Kissen raschelt.

»Ja, und wenn ich weiterkomme, werde ich es nicht ablehnen. Ich werde heute noch mal mit Mom reden, und wir werden die Anzahlung irgendwie zusammenkratzen. Sie soll das mit dem Krankenhaus und den verantwortlichen Ärzten regeln.« Merve hebt an, um etwas zu sagen, verkneift es sich jedoch.

»Ich weiß noch nicht, ob ich angenommen werde. Aber wenn, dann ist es eine gute Chance. Die einzige Chance wohlgemerkt, um das Geld zusammenzubekommen. Und das ist okay, Merve. Ich will das tun, verstehst du? Auch wenn ich genau weiß, dass du mich dafür hasst.«

»Das hast du gut auf den Punkt gebracht«, sagt sie leise.

»Ich will einfach nicht, dass wir eine Möglichkeit verpassen, die dir helfen könnte.«

»Genau das ist das Schlimmste daran.« Der Ausbruch schärft ihre Stimme. »Es ist schon für mich allein nicht leicht, damit umzugehen. Aber ihr behandelt mich alle wie Papier. Ihr macht einfach alles, ohne mich einzubinden, weil ihr mich schonen wollt. Dabei hat sich logischerweise mein Zustand nicht von einem auf den anderen Tag verändert, nur weil … weil man jetzt weiß, dass er es tun wird.« Letzteres flüstert sie, und das schlechte Gewissen packt mich mit voller Wucht.

»Es tut mir leid«, sage ich und presse die Lippen zusammen. »Aber ich will dich nicht verlieren.«

»Das weiß ich doch, Eyla. Aber du musst deswegen nichts tun, was du nicht willst.« Ein paar Sekunden verstreichen, in denen sie nachdenkt. Dann seufzt sie. »Ich würde dich gerade gern schütteln. Aber irgendwie bin ich auch gerührt, dass du für mich tatsächlich jegliche Prinzipen über Bord schmeißt.« Ein Kichern dringt zu mir. »Ich hab dich lieb.«

»Ich dich auch«, murmele ich.

»Dein Job ist es, gesund zu werden, meiner, das Geld zu kriegen. Das ist eine gerechte Arbeitsteilung, finde ich.« Merves Lachen verrutscht ein wenig, klingt verzweifelt.

»Du und ich«, flüstere ich liebevoll.

»Gegen den Rest der Welt.« Merves leise Stimme ist durch das Rauschen der Leitung kaum zu hören. Dann fasst sie sich. »Und jetzt schlaf deinen Rausch aus!«

Love or Lie

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