Читать книгу Love or Lie - Bianca Wege - Страница 8

2. Kapitel

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»Ich glaube, ich war noch nie in meinem Leben so verloren wie zu diesem Zeitpunkt.«

– Eyla, 25

Wir verabschieden uns, und ich sehe Amber dabei zu, wie sie zurück ins Büro stöckelt. Anschließend mache ich mich schweren Herzens auf den Heimweg. Ich knöpfe meine Jacke auf, doch auch das lindert den Druck auf meiner Kehle nicht. Ich bin verwirrt. Einfach verwirrt, wie alles so schnell bergab gehen konnte. Dabei habe ich gerade eben noch die Hoffnung gehabt, dass meine Mutter und ich das Geld mit ein wenig Unterstützung vielleicht zusammenbekommen könnten. Im Aufzug lehne ich mich an die kühle Glaswand und kann das erste Mal richtig durchatmen. Und mit den tiefen Luftzügen, die ich nehme, setzt der Schock immer mehr ein, den ich durch Ambers aufmunternde Worte aufgeschoben habe. Ich beginne am ganzen Körper zu zittern. Als ich im Foyer ankomme und aussteige, sind immer noch Menschenmassen überall, sodass man den Ausgang kaum sehen kann. Da meine Knie so weich sind, dass ich Angst habe, sie könnten jederzeit unter mir wegknicken, bewege ich mich im Schneckentempo darauf zu. Entschuldigungen murmelnd zwänge ich mich an den Leuten vorbei, meine Sicht verschwommen von den aufkommenden Tränen. Wieso habe ich mir nur keinen anderen Job gesucht? Es war doch abzusehen, dass das passieren kann. Und während meines Journalismus-Studiums hätte ich mich zur Genüge umsehen können. Wieso habe ich nur …

»Wollen Sie sich nicht hinten anstellen?« Eine energische weibliche Stimme reißt mich aus meinen Gedanken und ich sehe verwundert auf. Vor mir steht eine große Brünette mit schmaler Brille und Klemmbrett. Sie trägt ein Headset und ihre Haare sind zu einem so engen Pferdeschwanz gebunden, dass es fast wirkt, als würde sie damit ihr Gesicht liften wollen. Überrascht öffne ich den Mund, um etwas zu sagen, doch sie bringt mich mit einer Geste zum Schweigen und zischt etwas in ihr Mikrofon. Ich schließe den Mund wieder. Sie mustert mich von oben bis unten. Nicht so, wie man jemanden mustert, wenn man einen generellen Eindruck erhalten möchte. Hier habe ich eher das Gefühl, als würde sie entscheiden, ob ich gute oder schlechte Ware bin. Ihre Lippen kräuseln sich, dann seufzt sie resigniert. »Wie ist denn Ihr Name?« Ich schlucke.

»Eyla Morgan«, presse ich hervor und deute dann zum Ausgang. »Ich … ich arbeite hier …«

Sie brüllt erneut etwas in ihr Mikrofon und ich zucke unwillkürlich zusammen. Mit großen Augen sehe ich zu, wie sie auf ihrem iPad herumscrollt, das sie hinter dem Klemmbrett hervorholt. »Hm. Sie stehen nicht auf der Liste«, meint sie schließlich genervt. »Ohne VIP-Zugang müssen Sie sich wohl einreihen.« Ich will gerade ausholen, um noch einmal zu erklären, dass ich mich nirgendwo anstellen, sondern das Gebäude verlassen möchte, da hat sie sich bereits umgedreht und ist so plötzlich verschwunden, wie sie aufgetaucht ist. Perplex stehe ich immer noch an Ort und Stelle. Was passiert hier gerade?

»Na komm, du kannst vor.« Ich werde sanft an der Schulter gepackt und stehe nun tatsächlich in einer Reihe, die ich zuvor durch den Tumult nicht als solche erkannt habe. Bevor ich handeln kann, bin ich eingequetscht in der Menge.

»Ich wollte eigentlich nach draußen …« Ich drehe mich um und blicke in eisblaue Augen und ein hübsches, herzförmiges Gesicht, das von blonden Locken umrahmt wird. Die Schönheit lächelt mich an.

»Wir sind doch alle etwas durch den Wind heute«, erklärt sie mir und verschränkt die Arme vor ihrer Brust. »Das dauert aber auch wirklich ewig, ich dachte, dass dieses Mal vielleicht nicht so viele teilnehmen.« Sie schiebt die Unterlippe schmollend nach oben.

»Woran nehmen denn alle teil?«, wage ich zu fragen.

»Das ist das Casting für Love or Lie.« Die Blondine sieht mich verwundert an. »Ach, du wolltest gar nicht mitmachen?«

Ich schüttele den Kopf und sortiere meine Gedanken. Ein Casting. Sehr wahrscheinlich ist das Ganze auf die Klatschzeitschrift Fireflies zurückzuführen, die ebenfalls zu Leightons gehört. Wenn ich mich recht erinnere, war davon vor einer Woche sogar die Rede gewesen, und man hatte uns geraten, den Hintereingang beziehungsweise den Notausgang zu nutzen. Aber natürlich habe ich das vollkommen vergessen.

»Nein, ich arbeite hier«, antworte ich mechanisch. Du hast hier gearbeitet, flüstert die fiese Stimme in meinem Kopf, und ich schwanke zwischen dem Gefühl, gleich lachen zu müssen oder in Tränen auszubrechen. Die Schönheit sieht sich um und zuckt dann die Achseln.

»Das tut mir leid, ich dachte, ich sichere dir hier einen guten Platz. Aber ich befürchte, dass du da kaum noch durchkommst.« Ich muss ihr leider recht geben. Hinter mir hat sich die Masse an Frauen derart verdichtet, dass man nicht einmal mehr den grauen Fliesenboden sieht. Mein Herz beginnt schneller zu klopfen. Wieso habe ich nicht mehr daran gedacht, den Hinterausgang zu benutzen? Ich hätte doch daraufkommen müssen, immerhin habe ich die Meute heute Morgen gesehen. Irgendjemand beginnt zu kreischen und es hört sich an, als wäre ein Streit in vollem Gange. Ich runzele verärgert die Stirn. Heute bin ich nicht in der Verfassung, mir einen Weg hinauszuschubsen.

»Aber dann mach doch einfach mit«, schlägt die Blondine vor und unterbricht meine düsteren Gedanken.

Ich würde mich eher lebendig begraben, als da mitzumachen. Eine Reality-TV-Show? Nie im Leben! Doch da spricht die Fremde weiter. »Und zweihundertfünfzigtausend Dollar oder die große Liebe haben noch niemandem geschadet.«

Ich wende ihr abrupt meine Aufmerksamkeit zu. »Zweihundertfünfzigtausend?« Meine Stimme überschlägt sich regelrecht.

»Ja, wenn du am Ende das Geld statt der Liebe wählst.« Sie grinst schelmisch. Mein Atem stockt, und in meinem Gehirn prangt das Wort Geld wie auf einer Kinoleinwand. Ist das bescheuert? Ich hadere damit, mich nach draußen zu kämpfen oder zu bleiben. Es ist ein Casting. Bei dem es um sehr viel Geld geht. Geld, das ich momentan brauche. Also gut. Wieso nicht? Was habe ich schon zu verlieren?

»Ja, das schadet wirklich keinem.« Ich straffe entschlossen die Schultern. Was für eine unerwartete Wendung an diesem Tag. Erst werde ich gekündigt, und keine Stunde später bin ich schon so tief gesunken, dass ich bei einem Casting teilnehme. Wenn auch eher aus Versehen. Trotz meiner Abneigung bin ich aber auch etwas aufgeregt. Vielleicht wäre das ja wirklich eine Idee? Ein Anker, der zum richtigen Zeitpunkt ausgeworfen wurde, damit ich mich daran festhalten kann. Nervosität macht sich in mir breit, die langsam in meinem Kopf ankommt. Was macht man denn bei einem Casting? Muss ich mich vorstellen? Gibt es irgendwelche Regeln?

Der Blick der Blondine gleitet mein Gesicht hinab, bleibt an meinen Brüsten hängen, und ich will mich schon beschweren, als ich realisiere, dass es der Kaffeefleck ist, den sie anstarrt. Sie überlegt kurz, dann schält sie sich aus ihrer Lederjacke und reicht sie mir. »Na los, zieh die an. Die ist besser als die Winterjacke und verdeckt den Fleck. Ich war mir sowieso nicht sicher, ob ich sie tragen soll oder nicht.« Ich zögere. Die Schlange hat sich weiterbewegt und wir stehen nun kurz vor dem bewachten Eingang zu einem separaten Raum.

»Danke.« Irgendetwas an der Art, wie sie es gesagt hat, bringt mich dazu, die Jacke tatsächlich anzuziehen. Die Fremde hebt die roten Lippen zu einem warmen Lächeln und schiebt uns weiter nach vorn, als die letzte Person vor mir den Raum betritt und verschwindet.

»Ich bin übrigens Svea«, stellt sie sich vor. »Und du Eyla, oder? Ich habe es vorhin mitbekommen.«

»Richtig.« Ich sehe den Security Guard an, der nun vor mir steht und mich mit einer ausdruckslosen Miene zum Warten auffordert.

»Da drin ist noch zu viel los. Einen Augenblick Geduld bitte«, erklärt er. Svea beugt sich zu mir vor.

»Sie werden jetzt Bilder von dir machen, damit sie eine vorläufige Sedcard zusammenstellen können. Aber ich nehme mal an, dass du das weißt.« Ich schüttele den Kopf. Woher soll ich das auch wissen, für gewöhnlich gehe ich nicht auf Castings. Der Security Guard reicht mir einen Zettel mit einer Nummer und einem Passwort, den ich in meine Hosentasche schiebe. Als er mich hindurchwinkt, gibt mir Svea einen Klaps auf den Hintern, der mich wohl ermutigen soll.

Der Raum, der sonst nur für Konferenzen genutzt wird, ist zu einem Fotostudio umfunktioniert worden. Drei Leinwände sind in den Ecken aufgebaut und werden mit je zwei Softboxen ausgeleuchtet. Davor posieren junge Frauen, und das geräuschvolle Klicken von Kameras sowie die gehetzten Anweisungen der Fotografen erfüllen den Raum. Überall Gesichter, die an mir vorbeisurren wie ein Schwarm geschäftiger Bienen. Eine Dunkelhaarige zeigt mehrere Posen, die ihre schlanke Figur in Szene setzen, und wirft der Kamera am Ende sogar eine Kusshand zu. Ach du Schreck. Meine Kehle ist staubtrocken. Angesichts der vielen unglaublich hübschen Frauen erscheint mir mein Vorhaben plötzlich doch nicht mehr so genial. Was habe ich mir dabei gedacht? Wahrscheinlich sehe ich aus wie ein Dodo, der in Barbies Dreamhouse gelandet ist. Wenn das hier der Cast einer Reality-TV-Show wird, dann hätte die Brünette von eben bestimmt die Rolle der Dramaqueen inne, Svea ist vielleicht die Nette, Hilfsbereite, und dann bin da ich. Mit einer geliehenen Lederjacke, einem Kaffeefleck darunter, geröteten Augen und eindeutig nicht passend geschminkt für diesen Anlass. Außerdem muss ich so bedröppelt dreinblicken, dass es auffällig ist. Jedenfalls ziehe ich immer wieder seltsame Blicke auf mich. Mir wird siedend heiß. Vielleicht bin ich die hohle Nuss. Die, die am Ende weiterkommt, weil sie den nötigen Spaßfaktor in die Sendung bringt, indem sie verstrahlt durch die Weltgeschichte rennt. O mein Gott. Das ist schon wieder typisch ich. Zuerst gar nicht nachdenken und dann merken, dass es eine Schnapsidee war. Ich weiß nicht, was mir peinlicher ist. Dass ich mich dazu herabgelassen habe, hier mitzumachen, oder der Aufzug, in dem ich hier mitmache. Ich merke, wie mir der kalte Schweiß ausbricht, und ich bin kurz davor, tatsächlich einen Rückzieher zu machen. Eyla aka Dagobert Duck hat nur das Geld gesehen und bereut diese Kurzsichtigkeit zutiefst.

Die Brünette tritt zur Seite und der Fotograf gibt mir mit einem Handzeichen zu verstehen, dass ich nun an der Reihe bin. Mein erster Impuls ist es, auf dem Absatz kehrtzumachen. Aber jemand nimmt mir die Entscheidung ab und schubst mich nörgelnd in Richtung des Sets. Als ich mich also unsicher vor die Leinwand stelle, reicht der Fotograf mir wortlos eine Bürste. Zunächst verstehe ich nicht ganz, dann sehe ich seinen genervten Blick und fahre mir damit eilig durch die Haare, bis er zufrieden scheint. Eine Assistentin springt auf mich zu und zupft hektisch ein paar Flusen von der Jacke. Der Fotograf dankt ihr und stellt sich hinter die Kamera, den Finger auf dem Auslöser.

»Etwas mehr nach rechts«, weist er mich an. Angst frisst sich durch meinen Körper, mischt sich mit der Aufregung zu einem lähmenden Gift. Das war eine blöde Idee. Eine ganz, ganz blöde Idee. Ich bin nicht schüchtern, aber das hier übersteigt gerade alles, was ich je erlebt habe.

»Und jetzt schenk mir dein strahlendstes Lächeln!«, verlangt er. Ein paar Minuten durchhalten, dann bin ich hier raus, motiviere ich mich und verziehe meinen Mund zu etwas, von dem ich glaube, dass es ein Lächeln ist. Ihm entfährt ein Laut, der auch ein »Iiiih« hätte sein können. »Geht das nicht etwas natürlicher?« Ich will ihm an den Kopf werfen, dass es mir egal ist, wie das Foto aussieht. Denn für mich ist heute kein Tag zum Lächeln. Doch dann sehe ich Svea an der gegenüberliegenden Seite, die mir aufmunternd zuzwinkert und die Daumen nach oben streckt. Sie hat mir ihre Jacke nicht geliehen, damit ich das Bild mit meiner gezwungenen Miene versaue. Also versuche ich es erneut.

»Denk an etwas Schönes«, schlägt der Fotograf vor. »An das Abenteuer, das dir bevorsteht, die verschneite Natur, die attraktiven Männer.«

Ich schlucke. Seine Worte tragen nicht gerade dazu bei, dass ich mich besser fühle. Im Gegenteil. Am liebsten würde ich losheulen. Aber ich will hier kein Theater machen, sondern schnellstmöglich raus. Also reiße ich mich zusammen und denke an Merve und mich, wie wir als Kinder Plätzchen gebacken haben, wie die Küche voller Mehl war und vom Teig nur noch ein paar wenige Kekse überlebt haben, weil wir der Meinung waren, die meisten seien nicht schön genug und müssten deswegen gegessen werden. Das Klicken der Kamera ertönt, und es gelingt mir, meinen Gesichtsausdruck noch ein wenig aufrechtzuerhalten, mich an dem Moment festzukrallen, der mich vom Fallen abhält. Ein weißer Blitz nach dem anderen blendet mich.

»Sehr gut, das war’s schon.« Der Fotograf bedeutet mir, für die nächste Kandidatin Platz zu machen. Ich stolpere vom Set auf Svea zu, die bereits auf mich wartet.

»Danke noch mal.« Ich ziehe die Lederjacke aus und reiche sie ihr. Sie nimmt sie und legt sie locker um ihre schmalen Schultern, was sie in ihrem schwarzen Kleid aussehen lässt wie ein Laufstegmodel. Wir verlassen schweigend den Raum und reihen uns in die abgesperrte Schlange ein, die zu einem Ausgang führt. Am Ende stehen zwei Securitys neben einer großen Flügeltür und händigen den Teilnehmerinnen Zettel aus. Als ich hinausschaue, sehe ich, dass der Nieselregen wieder eingesetzt hat.

»Jetzt musst du nur noch den Flyer mitnehmen und online das Formular ausfüllen.« Svea greift nach den Zetteln, die ihr die Männer in schwarzer Uniform übergeben, und hält mir zwei der Flyer hin. Überrascht nehme ich sie entgegen.

»Zwei, weil man immer einen verlieren könnte«, erklärt sie, sieht auf ihre silberne Armbanduhr und umarmt mich dann kurzerhand. »Ich muss jetzt los. Ich hoffe, wir sehen uns!«, flötet sie. Ich will noch etwas erwidern, zum Beispiel, dass ich das eher nicht glaube, aber lasse es dann bleiben. Erst mal muss ich mich orientieren, denn auch wenn das Adrenalin mich die letzten Minuten im Griff hatte, lässt es mich nun schwächer zurück, und ich weiß, dass ich schleunigst hier rausmuss, wenn ich nicht vor aller Augen umkippen möchte.

Love or Lie

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