Читать книгу Love or Lie - Bianca Wege - Страница 11
5. Kapitel
Оглавление»Die Aufregung ist so gross, dass ich selbst schon kaum noch schlafen kann!«
– Merve, 21
Angeblich sollen die Ergebnisse exakt eine Woche nachdem die Casting-Session geendet hat, online sein. Um spätestens acht Uhr abends. So hatte ich es zumindest im Kopf und hundertmal nachgelesen. Ob dem wirklich so ist, bezweifele ich gerade aber trotzdem ein wenig, denn es ist noch keine Mail oder ein Anruf eingegangen und ich habe bereits mehrere Schweißausbrüche durchlitten.
»Die Mail wird schon kommen.« Amber streichelt mir beruhigend über die Schulter und reicht mir ein Glas Wein. Hätte man uns die letzten Tage verfolgt, könnte man denken, wir seien die reinsten Alkoholikerinnen geworden. Aber wir befinden uns hier auch in einem eindeutigen Ausnahmezustand. Hier geht es um unsere Existenz, um meine und um Merves. Und das muss einfach klappen.
»Es ist fast acht. Das kann doch nicht sein, dass immer noch nichts bekannt gegeben wurde.« Ich linse auf mein Handy, das neben mir auf dem Sofa liegt, und sehe, wie die acht auf die neun springt. 07:59 p. m. Noch eine Minute.
»Kommt die Pizza wenigstens bald?« Cassie hat uns zum Essen eingeladen, und da wir alle so aufgeregt sind, haben wir bestellt, anstatt essen zu gehen. Nun sitzen wir seit gefühlten Ewigkeiten vor dem Laptop, jede von uns aktualisiert immer wieder sämtliche Internetseiten und die Instagram-Seite des Senders, um auch ja nicht zu verpassen, wenn das Ergebnis online ist. Als es klingelt, springt Cassie wie von der Tarantel gestochen auf und sprintet zur Haustür, um die drei Kartons in Empfang zu nehmen. Kurze Zeit später erscheint sie wieder und platziert jedem von uns eine heiße Pizzaschachtel auf dem Schoß. Da Amber zu beschäftigt mit Handy und Bildschirm ist, öffne ich den Deckel ihrer Schachtel, sodass sie gleich zu essen beginnen kann. Der Duft nach heißem Teig, geschmolzenem Käse und Tomatensauce erfüllt die Luft und ich atme tief ein. Pizza verbinde ich immer mit einem Heimatgefühl. Ich stupse sie leicht an und deute auf unser Essen. Auch wenn ich selbst keinen Bissen davon hinunterbekommen würde, wäre es mir am liebsten, wenn wir alle einfach nur dasitzen würden und friedlich unsere Pizza genießen könnten – diesen Moment auf später verschieben. Solange wir nicht wissen, was in der E-Mail steht, kann die Hoffnung nicht erstickt werden. Ich greife vorsichtig nach einem Stückchen des warmen Teiges. »Wir hören jetzt auf, uns den Kopf zu zerbrechen. Wir werden das alles rechtzeitig erfahren. Das Ergebnis läuft ja nicht …«
»Sie ist da!«, kreischt Amber plötzlich, und Cassie lässt vor Schreck beinahe ein Stück ihrer Prosciutto fallen.
»WAS?« Sie eilt zum Sofa. Ich sehe gebannt zu, wie Amber die eingetrudelte Mail öffnet und den darin enthaltenen Link aufruft. Mein Mund wird ganz trocken, und ich fahre mir mit der Zungenspitze über die Lippen, um sie zu befeuchten. Selbst wenn es nur eine kleine Meldung ist, sie entscheidet alles.
»Hast du die Zugangsdaten?«, fragt Amber, und ich tippe sie mit zitternden Fingern ein. Als ich auf Enter drücke und die Seite neu lädt, bin ich kurz vor dem Durchdrehen.
»Da müsste jetzt eine Nachricht sein!« Amber deutet auf den Bildschirm. Nichts. Da ist nichts. Oder doch?
»Da! Da ist sie!« Cassies Stimme verursacht ein unangenehmes Klingeln in meinen Ohren. Ich klicke wie in Zeitlupe auf die eingegangene Meldung.
»Da steht dein Name!« Amber schlägt sich die Hände vor den Mund.
»DU BIST DABEI!« Meine Mitbewohnerin hüpft auf und ab.
»Ich bin eine Runde weiter«, berichtige ich sie, kann meine Freude noch nicht so recht zulassen, zu überfordert bin ich mit den auf mich einströmenden Gefühlen.
»Du bist schon einen riesigen Schritt vorangekommen!« Ambers Augen leuchten, als sie die Arme um mich schlingt. »Du darfst ein Video einreichen!«
»Das ist quasi, als wärst du schon dabei!«
»Bis wann muss ich das Video gedreht haben?«
»Das steht da. Bis zum siebzehnten. Du hast also ungefähr eine Woche Zeit.«
»Nur eine Woche?« Meine Stimme überschlägt sich. »Wo sollen wir denn filmen? Und was?« Ich lege mich demonstrativ auf den Wohnzimmerteppich, alle viere von mir gestreckt. Ich bin eine Runde weiter. Die Chance, wirklich dabei zu sein, ist hiermit beinahe greifbar. Ich könnte es vielleicht wirklich schaffen. Ganz vielleicht. Ein kleines Lächeln stiehlt sich auf mein Gesicht, das immer breiter wird.
»Ein Klacks!« Cassie legt sich neben mich auf den Boden. »Und morgen fangen wir an.«
Der Koffer ist so schwer, dass ich mich frage, ob ich nicht versehentlich Steine eingepackt habe. Ich ziehe ihn hinter mir her und fahre mir damit gelegentlich selbst auf die Füße, weil ich so unaufmerksam bin und wir mal wieder zu spät sind. Das Boarding beginnt in wenigen Minuten, und ich bin noch nicht einmal durch die Sicherheitskontrolle. Merve und Amber tragen mein restliches Gepäck, das aus einem Rucksack und zwei Taschen besteht.
Seit letzter Woche habe ich erfolgreich zwei Paar Winterstiefel, eine gefütterte und wasserabweisende Winterjacke und dicke Handschuhe erstanden. Außerdem Abendkleider in sämtlichen Farben und Variationen, die sollten zumindest für die ersten Wochen reichen. Falls ich denn so weit komme, flüstert meine innere Stimme, doch ich verdränge sie.
Mein Studium habe ich um ein Urlaubssemester verlängert, auch hier gibt es also keine Probleme, und ich kann einfach wieder einsteigen, sobald die Show vorbei ist. Dann kann ich meinen Abschluss machen und mich als Journalistin bewerben. Vielleicht im Modebereich, vielleicht auch für Sportevents. Irgendetwas, was mir viel Abwechslung bietet und bei dem man viel herumkommt. Journalistin zu sein ist ein Traum von mir, seit ich einmal ein Praktikum bei einem Radiosender absolviert habe und bei einem Interview mit Vin Diesel assistieren durfte. Das Gespräch war so spannend und vielseitig, dass es für mich ein Ziel geworden ist, eines Tages selbst an der Stelle der Interviewerin zu sitzen und meine Beobachtungen in Worte und Artikel zu fassen. Reißerische Zeilen zu schreiben, die jedoch auch authentisch bleiben sollen.
»Melde dich, sobald du landest«, sagt Merve, als sie mich nicht mehr weiter begleiten können.
»Mach ich.« Ich helfe den beiden, meine Taschen auf den Koffer zu wuchten und festzuzurren. Den Gepäckzuschlag bezahlt zum Glück CCT, der Sender der Show, ebenso wie das Shoppinggeld für meine neuen Klamotten. Jede Kandidatin hat ein Budget von fünftausend Dollar bekommen, das sie zu ihrer freien Verfügung ausgeben durfte.
Ich überprüfe, ob der Koffer stabil steht, umarme Amber fest und verabschiede mich von ihr.
»Wenn du neben den Sahneschnittchen auch noch ein paar heiße Mädels kennenlernst, kannst du ihnen meine Nummer geben.« Sie wackelt mit den Augenbrauen und ich lache.
»Mach ich, keine Sorge. Grüß Cassie von mir. Und sag ihr, dass sie nicht so lange im Bad brauchen soll, vielleicht gibt sie sich bei dir noch mehr Mühe.« Cassie und Amber werden in der Zeit, in der ich bei der Show bin, zusammenwohnen, sodass Cassie die Miete nicht allein bezahlen muss. Und danach … vielleicht suchen wir uns ja zu dritt etwas Schönes.
»Keine Sorge, ich werde konsequent sein.« Amber lächelt, bevor sie diskret ein paar Schritte weiter weggeht, um Merve und mir die Zeit zu geben, die wir brauchen.
»Pass auf dich auf.« Ich schließe meine kleine Schwester in die Arme. Sie fühlt sich so zierlich an, so klein und zerbrechlich. Obwohl sie ebenso groß ist wie ich, wenn nicht sogar ein Stückchen größer. Ich atme ihren warmen, vertrauten Duft nach Karamell ein, will nicht, dass der Moment endet. Denn das bedeutet, dass ich mich endgültig verabschieden muss. Dass ich meine kleine Schwester gehen lassen muss. In den nächsten Wochen kann ich nicht bei ihr sein, kann sie nicht trösten, wenn die Nebenwirkungen der Behandlung einsetzen. Kann nicht an ihrem Bett warten, bis sie eingeschlafen ist, oder sie mit Ghibli-Filmen ablenken. Stattdessen werde ich meilenweit entfernt an sie denken und hoffen, dass alles gut ist. Der Gedanke treibt mir die Tränen in die Augen.
»Du musst auch auf dich aufpassen«, flüstert sie, drückt mich noch ein wenig fester an sich. »Versprichst du mir etwas?«
Wir lösen uns voneinander. Merves Gesicht ist ein Abbild von meinem eigenen. Blasser als sonst und die gebräunte Haut wirkt fahl, dennoch strahlt sie. Als hätte jemand alle Fröhlichkeit und alle Güte der Welt in einer einzigen Person vereint. Und dieses wunderbare Wesen muss ich beschützen, darf nicht zulassen, dass ihm irgendein Leid widerfährt.
»Alles«, sage ich, versuche zu verhindern, dass das Brennen hinter meinen Lidern die Oberhand gewinnt.
»Ich habe mir ein paar der Staffeln von Love or Lie angesehen.« Sie knibbelt beinahe nervös an ihren Fingernägeln herum. »Wenn du zu leicht zu haben bist, verlieren die Typen das Interesse. Aber du darfst auch nicht zu lange warten. Gib immer ein kleines bisschen von dir, aber nie alles. Du darfst dich selbst nicht verlieren. Deswegen«, ihr Blick findet meinen, »hör auf dein Herz.« Ihre Ernsthaftigkeit lässt mich lächeln.
»Mach ich.« Ich greife nach ihrer Hand.
»Du sollst es versprechen.«
»Ich verspreche, dass ich auf mein Herz hören werde«, gelobe ich feierlich. Merve nickt zufrieden, umarmt mich noch einmal.
»Ich hab dich lieb, E.«
»Ich dich mehr«, sage ich. »Und jetzt beeile ich mich besser.« Ich schnappe mir schweren Herzens meinen Koffer. Dann winke ich meiner Schwester und Amber ein letztes Mal zu und renne los.
Müde und erschöpft von dem langen Flug, lasse ich mich auf die weichen Laken des Hotelbetts fallen. Sie duften nach frischer Wäsche und einer leichten Zitrusnote, geben mir das Gefühl, nie wieder aufstehen zu wollen. Der Flug hat zehn Stunden gedauert, und ich bin unglaublich froh, dass ich endlich angekommen bin und mich ausruhen kann.
Auch wenn es nur herumsitzen war, haben mich vor allem die Gedanken gestresst, die ich nicht abstellen konnte. Statt zu schlafen, habe ich hinaus auf die Lichter der Städte tief unter mir gesehen, die Straßen, die von so weit oben wie ein Adernetz wirken. Ein Netz aus Licht und Leben, aus dem ich herausgerissen wurde.
Das Wasser plätschert bereits in der einlaufenden Badewanne vor sich hin und ich gebe mir einen Ruck. Das Einzige, was noch besser ist als ein schönes warmes Bett, ist ein heißes Bad mit viel Schaum. Ich schlüpfe aus meinen Klamotten und tappe barfuß ins Badezimmer. Die Fliesen sind durch die Fußbodenheizung angewärmt und ein angenehmer Schauer fährt meine Wirbelsäule hinab, Vorfreude durchströmt mich. Aus der heißen Wanne steigt Dampf auf und Blubberblasen sammeln sich auf der fliederfarbenen Wasseroberfläche. Ich seufze selig, tappe mit einem Fuß vorsichtig ins heiße Wasser, um mich daran zu gewöhnen. Wenig später folgt der zweite, und dann sitze ich in meinem Lavendel-Bad. Die Wärme umgibt jeden Teil meines Körpers, hält mich geborgen und lässt mich vergessen, was mir bevorsteht.
Vergessen, dass ich auf mich allein gestellt bin.
Nur zwei Kontaktpersonen durfte man auswählen. Gelegentliche Gespräche mit ihnen sollen der psychischen Stabilität helfen.
Wir haben von der Show ein Prepaidhandy gestellt bekommen, mit Guthaben für SMS und Telefonate. Kein Internet. Nur das dürfen wir ab Beginn der Dreharbeiten benutzen, unser eigenes wird uns dann abgenommen. Es wird regelmäßig kontrolliert, ob wir den Austausch mit nur zwei Kontakten auch einhalten; wenn nicht, wird uns auch dieses Handy weggenommen. Durch das Guthaben, das wir ohne Erlaubnis nicht wieder aufladen können, wird dafür gesorgt, dass unsere Zeit am Handy begrenzt ist. Auch Psychologen sind im Team der Show und bieten Hilfe an, sollten wir sie benötigen, aber es ist klar, dass man mit den Freundinnen oder der Familie reden möchte.
Ich habe Amber und Merve als Kontaktpersonen angegeben und darf sie offiziell updaten, da sie ebenfalls eine Verschwiegenheitserklärung unterschreiben mussten. Durch das Mikrofon, das die anderen Kandidatinnen und ich den ganzen Tag über tragen werden, bin ich sowieso ein wenig skeptisch und werde meine Anrufmöglichkeiten nur spätnachts nutzen, um nicht Gefahr zu laufen, dabei belauscht zu werden. Sobald ich aufstehe, wird alles aufgezeichnet und ich habe keine Privatsphäre mehr, außer Toilettengang und Duschen.
All das stand im Vertrag, den ich unterzeichnet habe. In der ersten Woche werden wir noch einmal in alles eingeführt, Regeln werden erklärt und unsere Freizeit bestimmt. Ich habe mir das im Kleingedruckten durchgelesen. Im Prinzip darf ich die ganze Zeit über nichts tun, außer an die drei Männer zu denken. Kein Buch, kein Handy, kein Laptop, nicht einmal ein Ausflug in die nahe gelegene Stadt ist erlaubt.
Wer Kontakt zu unangemeldeten Personen hat und etwas spoilert, muss bis zu drei Millionen Dollar Strafe zahlen. Als Beschäftigung sind also einzig und allein Spaziergänge und sportliche Aktivitäten genehmigt. Kein Wunder, dass sich Leute bei diesem System einbilden, verliebt zu sein. Wenn man den ganzen Tag nichts anderes tun kann außer nachzudenken, kann das schon mal vorkommen, dass man sich aus Langweile Gefühle einbildet.
Die drei Bachelors bilden mit den von ihnen gewählten Frauen ein Team. Diese einzelnen Teams werden in Gemeinschaftsschlafzimmern in kleinen Holzhütten untergebracht sein, was garantiert für zusätzliches Drama sorgt. Ich bin mir zwar sicher, dass man sich darum kümmern wird, dass es dort gemütlich ist, aber ich stelle es mir trotzdem wie ein Matratzenlager im Landschulheim vor.
Ich lehne den Kopf an den Rand der Wanne und schließe die Augen, entschwinde der Realität. Mein Brustkorb hebt und senkt sich, Luft füllt meine Lunge, bevor ich sie durch den Mund wieder entweichen lasse. Ich kann das, ich werde das alles ertragen, egal was kommt. Wenn ich nur weiß, dass es Merve gut geht.
Sie ist mittlerweile bestimmt schon im Krankenhaus. Ihre Behandlung wird am Montag beginnen. Also in drei Tagen. Und meine Mutter wird sie hinfahren und bei ihr sein, wenn es schlimmer werden sollte. Das restliche fehlende Geld für die Behandlung haben wir vom Budget für die Show gezahlt, da ich nicht alles ausgegeben habe. Die Anzahlung ist damit über die Bühne. Jetzt geht es um den Rest.
»Ich weiß nicht, ob ich das überlebe.« Ich zupfe zum hundertsten Mal an meinen Haaren herum. Die Locken fallen einfach nicht so, wie ich es haben will. »Soll ich sie nicht doch offen tragen?« Ich werfe einen Blick auf das Display meines Handys. Amber sieht mir über Facetime dabei zu, wie ich mich vor dem Spiegel hin und her drehe, und erträgt meinen Anfall geduldig. Die Aufregung hat sich in den letzten Stunden vervierfacht und sitzt tief in meinem Magen, blockiert sämtliche anderen Gefühle und lässt mich hysterisch hin und her tigern. Ich habe mir die Haare hochgesteckt, ein paar Strähnen herausgezupft und zu Locken gedreht, sodass sie mein Gesicht umschmeicheln. Eigentlich bin ich damit zufrieden gewesen. Bis gerade eben. Jetzt kommen Sie mir auf einmal zerzaust vor.
»Lass sie so, das sieht toll aus mit dem hohen Dutt. Außerdem werden die meisten die Haare offen tragen«, sagt meine beste Freundin und lächelt. Das Bild stockt kurz, dann sehe ich sie wieder. »Du siehst wundervoll aus. Es kann gar nichts schiefgehen.« Ich hoffe, sie hat recht, und begutachte das Werk der letzten zwei Stunden in der Facetime-Selbstansicht. Meine braunen Augen strahlen und der beige-goldene Lidschatten betont die hellen Sprenkel darin.
Kurz habe ich mit dem Gedanken gespielt, mir falsche Wimpern aufzukleben, aber es dann bleiben lassen. Natürlichkeit ist mir wichtiger als die längsten Wimpern der Staffel. Ich schnappe mir meinen Highlighter und verteile ihn mit einem weichen Pinsel auf Wangen und Schlüsselbein, sodass die Haut dort schimmert.
»Übertreib es nicht, sonst glänzt du wie eine Christbaumkugel.« Amber hat sich eine Tüte Chips geholt und knuspert fröhlich darin herum. Es ist beinahe grotesk. Während sie in Jogginghose und einem weiten dunkelblauen Donald-Duck-Pullover auf dem Sofa sitzt, stecke ich in einem bodenlangen roten Kleid und fühle mich, als wäre ich zu einer Oscarverleihung eingeladen. Amber scheint denselben Gedanken zu haben.
»Du gehst zu einer Show, die ich in ein paar Monaten genau hier sitzend ansehen werde. Wie seltsam ist das bitte?« Ich nicke nur. Es ist mehr als seltsam. Ein kurzer Blick auf die Uhr sagt mir, dass ich noch eine halbe Stunde habe, bevor die Limousine vor dem Hotel stehen und mich zum Resort fahren wird. Ich schnappe mir meinen Lippenstift und eine Bürste, stopfe sie in meine Handtasche, halte dann jedoch inne. »Darf ich überhaupt eine Handtasche mitnehmen?«
Amber überlegt und schüttelt dann ihren Lockenkopf. »Ich glaube nicht. Lass sie lieber da.« Ich schnaube frustriert und pfeffere die Handtasche aufs Bett. Das Gepäck wird uns nachgebracht, sobald wir die erste Nacht überstehen und uns einquartieren dürfen. Aber ich muss doch irgendwelche Dinge mitnehmen können.
»Hast du deine Einlage schon vorbereitet?« Meine beste Freundin sitzt nun ganz dicht vor der Kamera und stopft sich einen Kartoffelchips in den Mund. Mein Magen grummelt wie zur Antwort. Hoffentlich gibt es dort etwas zu essen. Ich habe den ganzen Tag über nichts hinuntergekommen und merke das nun mehr als deutlich.
»Ja, habe ich. Hör auf, vor mir Chips in dich hineinzustopfen!« Ich öffne den Hotelschrank und ziehe die Schnapsflasche hervor, die ich mitgebracht habe.
Amber kichert. »Das wird genial!« Ich rümpfe die Nase, überprüfe ein letztes Mal meinen Lippenstift, den ich in einem Nudeton gewählt habe. Kleid und Lippenstift in Rot finde ich etwas zu viel, und ich will nicht aussehen wie ein Kanarienvogel, wenn ich dort aufkreuze. Ich setze mich aufs Bett und quetsche mich in die goldenen High Heels, die ich mir für das Kleid ausgesucht habe. Die schmalen Riemen umschmeicheln mein Fußgelenk und stützen es zusätzlich. »Hoffentlich machen sie das überhaupt mit«, sage ich, stehe auf und verlagere mein Gewicht hin und her, belaste die Füße. Links schießt mir augenblicklich ein höllischer Schmerz durch die Wade und ich stöhne. »Amber, diese Schuhe bringen mich um!«
»Du kannst nicht in Sneakers dort auftauchen.« Amber verschwindet kurz und ich höre, wie sie sich erneut Chips in den Mund schiebt.
»Aber wenn ich beim Laufen schreie, ist es auch nicht gut!«
»Wer kam auf die bescheuerte Idee, diese eine Stunde Eislaufen auf drei auszudehnen? Richtig, du. Weil du das Video währenddessen drehen wolltest«, erinnert sie mich und zieht eine Augenbraue nach oben, die besagt: selbst schuld. Leider kann ich darauf nichts erwidern, denn sie hat natürlich recht. »Setz dich einfach hin, so oft es geht.« Amber mampft ungerührt weiter. »Und verkneif dir das Schreien. Wer schön sein will, muss leiden.«
»Wer schön sein will, muss gar nichts«, maule ich und betrachte meine geplagten Beine, an denen auch einige blaue Flecken zu sehen sind, weil das Eis und ich keine Freunde geworden sind. Glücklicherweise verdeckt der lange Stoff des Kleides das Übel. Ich sehe zu meinen Sneakers, die einladend an der Garderobe stehen, und als Amber kurz vom Bildschirm verschwindet, um Chips-Nachschub zu holen, haste ich zu den weißen Schuhen und tausche sie gegen die Monster an meinen Füßen aus.
Nachdem ich mich von Amber verabschiedet und mein Hotelzimmer verlassen habe, gebe ich mein Handy bei einem der Staff-Mitglieder ab und wappne mich dafür, von nun an im Rampenlicht zu stehen. Jetzt ist es also so weit. Die Show beginnt.