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6. Kapitel

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»Hilfe. Ich glaube, das trifft es ganz gut.«

– Eyla, 25

Die Hitze im Auto ist unerträglich und ich öffne das Fenster einen schmalen Spaltbreit, um die kalte Abendluft hineinzulassen. Eventuell hyperventiliere ich ein bisschen. Ein winziges kleines bisschen. Okay, nein, ich drehe durch! Ich bin so aufgeregt, dass sich alles in mir matschig anfühlt. Ganz ruhig, denke ich und umklammere den Griff über der Autotür, dessen Name mir nie einfallen will und den ich als Kind immer für eine Bremse gehalten habe. Gleich werde ich den drei Männern begegnen und muss überzeugen! Ich werde überzeugen. »Süß, aber verdammt sexy«, hat Merve mein Kleid beschrieben, und ich hoffe, sie hat recht. Außerdem habe ich Angst, dass meine geplante Aktion in die Hose geht. Aber egal, ich werde das mit Würde ertragen. Hoffentlich sind die Bachelors nicht verklemmt.

»Im besten Fall wollen sie mich sofort heiraten«, murmele ich. Ich lasse den Griff los und lege meine Hände in meinen Schoß, sehe durchs Fenster in die Nacht. Es wird immer ländlicher, je weiter wir fahren. Draußen schneit es dicke Flocken und mir wird ironischerweise noch heißer. Bestimmt glühen meine Wangen wie bei einem pausbackigen Weihnachtselfen, und natürlich habe ich keinen Puder mitnehmen können. Ich spiele mit den Kabeln des Mikrofons herum, das an meiner Taille befestigt ist und von dort aus über meinen Rücken bis hin zur Schulter verläuft. Bei dem Schnee werde ich sowieso gleich erfrieren. Festgefroren, bevor das Elend begonnen hat. Noch kann ich das alles abbrechen. Noch kann ich einfach aussteigen und zurück nach Hause fliegen. All das hinter mir lassen, was so gänzlich gegen meine Prinzipien verstößt.

»Wir sind gleich da«, unterbricht der Fahrer der Limousine meine Gedanken und ich schlucke. Wir biegen um eine Kurve, nähern uns langsam rollend dem Ziel, einem langen Gebäude, das von Scheinwerfern angestrahlt wird.

»Vielen Dank.« Ich schenke ihm über den Rückspiegel ein Lächeln und er erwidert es freundlich. Ich weiß nicht, ob ich die Augen zusammenkneifen oder lieber weit aufreißen soll. Auf der einen Seite sehne ich dieses Treffen herbei, um es endlich hinter mich bringen zu können, auf der anderen möchte ich es am liebsten vor mir herschieben, bis ich mich bereit dazu fühle. Aber fühlt man sich jemals bereit hierzu? Bereit, sich drei wildfremden Männern vorzustellen und um ihre Aufmerksamkeit zu buhlen? Als ich sie erblicke, kann ich mir ein gehauchtes »O Gott« nicht verkneifen. Es fühlt sich alles so surreal an. Zwei Männer in Anzügen stehen vor einem steinernen Torbogen, der von einer Glasscheibe überdacht wird, auf der sich bereits der Schnee sammelt. Neben ihnen mehrere Heizpilze, die ein warmes Licht verströmen. Ihre Blicke sind erwartungsvoll auf die Limousine gerichtet, die immer näher heranfährt. Ich atme ein und wieder aus, mehrmals, aber ich habe dennoch das Gefühl zu ersticken. Ich bin überfordert. In der einen Hand halte ich vier Schnapsgläser, in der anderen den Obstler, den meine Großeltern väterlicherseits früher auf ihrem Gut noch selbst gebrannt haben, bevor es verkauft wurde. Und genau genommen müsste ich auch noch darauf achten, dass mein Kleid meine Sneakers verdeckt. Zu viele Dinge auf einmal, die ich beachten muss und an die ich vorher nicht gedacht habe. Als die Limousine hält, bin ich so verwirrt, dass ich mit Handeln und Zögern durcheinanderkomme und mir schließlich den Kopf an der Scheibe anschlage, bevor ich endlich den Griff finde. Ich stoße die Tür mit Schwung auf und höre ein schmerzerfülltes Stöhnen, als sie unerwartet auf Widerstand trifft. Erschrocken klettere ich aus der halb offenen Tür und stehe einem jungen Mann im Anzug gegenüber, der sich die Nase hält.

»O mein Gott, es tut mir leid!«, entfährt es mir und die Röte schießt mir in die Wangen. »Geht es dir gut? Das wollte ich nicht!« Wie paralysiert stehe ich vor ihm, die Finger um die Schnapsflasche gekrallt, als wäre sie ein Portschlüssel, der mich weit, weit wegbringt. Der Mann trägt einen grauen Anzug, der seine gebräunte Haut betont, und ein Grübchen umspielt seine Mundwinkel.

»Keine Sorge, es ist nicht schlimm.« Er hält sich immer noch die Nase und grinst gequält. »Vielleicht sollte ich das nachher kurz ansehen lassen.«

Ich kann mich nicht rühren, so erschrocken bin ich, stottere nur ein weiteres »Tut mir leid«. Schneeflocken rieseln auf mich herab, die schmelzen, kaum dass sie meine Haut berühren. Ich habe womöglich einem Bachelor die Nase gebrochen! Nachdem nur zwei am Tor standen, wäre die logische Schlussfolgerung gewesen, dass der dritte vielleicht auch noch irgendwo zu finden ist. Zum Beispiel, um den Damen die Tür aufzuhalten.

»Alles okay?«, ruft einer der anderen, und der Mann vor mir lässt die Hände sinken und blinzelt.

»Ich bin Siva«, stellt er sich mir vor. »Schön, dich kennenzulernen.«

Ich löse mich aus meiner Starre. »Ich bin Eyla, und es tut mir leid, dass ich dir die Tür ins Gesicht geknallt habe.« Mein Herz klopft mir bis zum Hals.

»Alles okay.« Er zeigt eine Reihe gerader weißer Zähne und deutet in Richtung der anderen beiden. Ich schließe mich ihm an, als er die wenigen Meter zurück zum Torbogen läuft, ziehe die Schultern so weit wie möglich nach hinten, um selbstbewusster zu wirken. Selbstbewusst, ein bisschen mysteriös, das ist die Rolle, die wir für mich ausgearbeitet haben und die ich nach diesem holprigen Start spielen werde. Schultern zurück, Bauch rein, Maske auf. Nur noch ein paar Schritte.

»Hallo.« Ich sehe zum ersten Mal auf, ein strahlendes Lächeln auf den Lippen. »Ich bin …« Das Eyla bleibt mir jedoch im Hals stecken, als ich in zwei dunkle Augen starre, die wie schwarzer Turmalin funkeln. Meine Gesichtszüge entgleisen. Es ist, als würde man mich dazu zwingen, diesen Moment in Zeitlupe zu erleben, alles um mich herum steht still. Das darf doch nicht wahr sein. Das ist der Typ! Der Typ aus dem Club ist einer der Bachelors. Mir klappt die Kinnlade herunter. Und ich habe ihm verklickert, dass ich die Show hasse. Schlimmster Tag meines Lebens? Abgehakt. Da kann ich auch gleich mein Kleid noch hochziehen und schreien: Seht mal, ich habe Sneakers an! Wie viel Pech kann ein einziger Mensch haben? Ich bin versucht, auf dem Absatz kehrtzumachen und wegzurennen. Vielleicht erwische ich die Limousine noch. So weit ist sie bestimmt nicht gekommen. Als ich einen Schritt zurücktrete, sehe ich aus dem Augenwinkel die Kamerafrau, die jede Sekunde des Geschehnisses Frame für Frame einfängt. Denk an dein Gesicht, schießt es mir durch den Kopf, und die Angst davor, mich noch lächerlicher zu machen, gewinnt die Oberhand. Ich denke an Merve und nehme meine einstudierte Rolle wieder ein. Ein zaghaftes Lächeln erscheint auf meinem Gesicht, auch wenn in meinem Inneren ein Vulkan brodelt. »Ich heiße Eyla.« Ein Augenaufschlag folgt meinen Worten.

»Hi, ich bin Daniel, du kannst mich aber Dan nennen«, stellt der Typ aus dem Club sich vor. Dan heißt er also. Er mustert mich freundlich, und ich versuche fieberhaft herauszufinden, ob mein Gesicht in ihm irgendwelche Erinnerungen wachrüttelt, ob er weiß, wer ich bin. Doch nichts in seiner Mimik verrät, dass er mich kennt.

»Collin.« Der dritte tritt vor und ich wende mich ihm zu. Er trägt eine Fliege, und an seinem Hals blitzt ein Tattoo hervor, das im Kontrast zu seiner hellen Haut steht. Eine Rose, wie ich erkenne. Seine blonden Haare sind zurückgegelt und seine Augen haben die Farbe von Vergissmeinnicht. Ich bemerke den Blick, der eine Sekunde zu lang an meinem Ausschnitt verweilt, räuspere mich. Das Ganze ist mir höchst unangenehm.

»Es freut mich sehr, euch kennenzulernen. Ich würde euch umarmen, aber noch habe ich die Hände voll.« Ich halte die Gläser und die Flasche nach oben. Sie stimmen in mein Lachen ein und ich habe das Gefühl, dass das der erste Schritt in die richtige Richtung ist.

»Wie ihr seht, habe ich euch etwas mitgebracht, weil ich dachte, wir können alle einen Schluck gebrauchen.« Einen großen Schluck. Am besten die ganze Flasche. Ich reiche jedem der drei ein Shotglas. Sie wirken verwundert, aber äußern keine Bedenken. Ich freue mich über meinen kleinen Erfolg und öffne gekonnt die Flasche.

»Das ist selbst gebrannter Schnaps meiner Grandma – keine Sorge, der ist legal.« Vorsichtig gieße ich die klare Flüssigkeit in die Gläser und achte darauf, nichts zu verschütten. »Vielleicht hilft es auch gegen Nasenschmerzen.« Ich linse reumütig zu Siva, der daraufhin auflacht. Es fühlt sich etwas gezwungen an, aber nicht komisch. Das ist doch ein gutes Zeichen, oder?

»So.« Alle, inklusive mir selbst, halten nun ein volles Shotglas in der Hand. Dass mein eigenes beinahe überläuft, ist beabsichtigt. Ich halte das Glas mit zitternden Fingern nach oben, einzelne Tropfen des Alkohols fließen über den Rand des Glases und hinunter auf meine Finger. »Auf ein schneebedecktes Abenteuer!«, rufe ich euphorisch. Die Männer heben ebenfalls die Gläser und sie treffen sich in der Mitte zu einem hellen Klirren. Abwechselnd sehe ich ihnen dabei in die Augen, vermeide es aber, den Blickkontakt mit Daniel zu sehr auszuweiten.

»Auf ein schneebedecktes Abenteuer«, wiederholt Siva mit seiner dunklen Stimme und wir trinken den Schnaps in einem Zug. Ich schüttle mich kurz, als der Alkohol meine Kehle hinabrinnt. »Ui, ich hatte vergessen, wie stark er ist.« Gelächter folgt.

»Sind das deine eigenen Gläser?«, fragt Collin und sucht nach einem Platz für die leeren Trinkbehältnisse.

»Ich habe sie aus dem Hotel gemopst«, gebe ich zu. »Keine Ahnung, ob sie die wiederhaben wollen.« Natürlich habe ich das mit dem Hotel abgeklärt, aber das brauchen sie ja nicht zu wissen. Siva stellt sein Shotglas prompt auf einen kleinen Vorsprung im Gestein der Mauer.

»Es war schön, dich zu treffen«, betont er und zieht mich in eine Umarmung.

Ich erwidere sie dankbar. »Gleichfalls. Noch mal Entschuldigung wegen der Nase.«

»Halb so wild.« Ich gehe zu Collin, verabschiede mich von ihm. Er drückt mich fester als Siva, und ich bin beinahe froh, als ich mich wieder von ihm lösen kann.

»Wir sehen uns«, sagt Daniel, als er mich ebenfalls in eine leichte Umarmung zieht. Ich hoffe nicht, denke ich, lächele aber fröhlich. Wenn er mich erkannt hat, dann weiß er es gut zu verbergen, und ich kann nur hoffen, dass ich selbst nicht zu bedröppelt ausgesehen habe. Ich höre, wie die nächste Limousine anfährt, und laufe durch das Tor hindurch den gepflasterten Weg entlang, der zu der Villa führt. Die Aufregung legt sich mit jedem Schritt ein wenig mehr, und ich spüre die Kälte nun umso deutlicher, die meine Haut vereist. Mein Atem bläst kleine Wölkchen in die Luft, und die Last, die nach diesem Treffen eigentlich abfallen sollte, wiegt nun noch schwerer auf meinen Schultern. Es lief nicht so, wie ich es geplant hatte, wie ich es Tausende Male in meinem Kopf durchgegangen bin. Stattdessen habe ich es womöglich mit meiner Türaktion und dem peinlichen Moment mit Dan komplett vergeigt. Selbst wenn ich am Ende das Ruder noch ein wenig herumreißen konnte.


Ich erreiche die Villa, eine große Blockhütte, die komplett aus Holz erbaut ist und trotz ihrer modernen Züge einen urigen Eindruck macht. Vom Eingang aus kann ich einen Wintergarten entdecken, der mit Windlichtern dekoriert ist. In diesem Gebäude werde ich den ersten Abend verbringen, die Cocktailparty, wie mir Cassie beigebracht hat. Dort geht auch das Gerangel los. Denn man muss es schaffen, mit allen ins Gespräch zu kommen, um in Erinnerung zu bleiben und eine Bindung aufzubauen, auf die die Bachelors setzen können. Und wenn man Glück hat und besonders heraussticht, bekommt man schon vor der Auswahlzeremonie eine Einladung in die nächsten Runde. Diese Einladung wird in Form eines Briefes vergeben und wird Loveletter genannt, weil dort auch immer ein paar persönliche Worte des Bachelors stehen, der ihn vergibt.

Ich steige die Stufen zur Eingangstür hinauf, die mir von einem Mann im Smoking netterweise aufgehalten wird. »Soll ich Ihnen etwas abnehmen?«, fragt er und deutet auf die Flasche, die ich immer noch fest umklammert halte. Ich zögere, nicke aber und übergebe ihm mein Mitbringsel. Wahrscheinlich darf man die Gegenstände nicht behalten.

»Das ist sehr nett«, murmele ich, mehr bekomme ich nicht heraus. Ich gelange auf einen Flur, der zu einer großen Flügeltür führt. Die Nässe draußen hat meine Schuhsohlen befeuchtet und meine Sneaker quietschen leise, als ich durch den gefliesten Gang laufe. Das dunkle Holz der Flügeltür ist mit Glas versetzt, sodass ich bereits Schemen der sich dahinter befindenden Personen erkennen kann. Aufgeregte Stimmen dringen an mein Ohr. Ich drücke die Klinke und trete in einen hell erleuchteten Raum. Lampen mit Glassteinen hängen an der Decke und wirken wie antike Kronleuchter. Das warme gelbliche Licht der Glühbirne bricht sich in den kleinen Spiegeln und sorgt für kleine Lichtsprenkel an den Wänden. Kameras verfolgen mein Eintreten und neugierige Blicke treffen mich. Eine Asiatin mit umwerfend langen Haaren steht neben einer Rothaarigen mit Porzellanhaut und mustert mich von oben bis unten. Ist das Skepsis in ihren Blicken? Oder bilde ich mir das nur ein?

»Hallo.« Ich winke in die Runde, fühle mich aber angesichts der anderen Frauen so eingeschüchtert, dass ich es fürs Erste dabei belasse. Überall sind Sofas aufgestellt, dicke Wolldecken über den Lehnen, von denen ich sofort eine beigefarbene näher ins Auge fasse. Sie sieht besonders flauschig aus. Ich werde von allen Seiten begrüßt, Namen tönen mir entgegen, von denen ich allerdings nur ein paar wirklich verstehe. Ein leichter Druck legt sich auf meine Brust. Kleider rascheln über den Boden, Stimmen prasseln auf mich ein, die mir auf einmal zu laut sind, mir bewusst machen, dass es ernst ist. Zu viel auf einmal. Ich muss mich dringend irgendwo hinsetzen, um zu verdauen, was gerade alles passiert ist. Um meinem Gesicht zu erlauben, sich zu entspannen, und diese Maske, das allmählich schmerzende Lächeln ablegen zu können. Ich will mich gerade auf den Weg zum Toilettenraum begeben, als ein Schrei hinter mir ertönt. »Eyla!« Ich werde beinahe umgerissen, und als mich blonde Locken im Gesicht kitzeln, weiß ich, wer mich da gerade zerquetscht.

»Svea!« Ich erkenne die blonde Schönheit vom Casting.

»Du bist hier!«, ruft sie überglücklich. »Ich wusste, dass du es schaffst!«

»Ich freue mich auch, dich zu sehen«, sage ich und meine es auch so. Irrationale Erleichterung macht sich in mir breit. Ich kenne Svea kaum, aber ihre positive Art hat mir schon beim Casting ein gutes Gefühl gegeben, und dieses gute Gefühl durchströmt mich auch jetzt wieder, drängt die Angst und die Zweifel in den Hintergrund.

»Du bist blass«, kommentiert sie und mustert mich. »Lass uns an die Bar gehen.« Ich halte inne. Es gibt noch andere Frauen, denen ich mich noch nicht vorgestellt habe, doch Svea zieht mich sanft mit sich. »Keine Sorge, wir freunden uns auch noch mit anderen an, aber ich will unbedingt wissen, wie du die Männer findest.«

Ich folge ihr in einen separaten Raum, der mich durch die bunten Lichter an meinen Lieblingsclub in New York erinnert. Eine hohe Bar ist in eine Wand mit Betonoptik integriert, darüber zahllose Regalbretter mit den verschiedensten Alkoholsorten. Svea öffnet konzentriert ihre vollen Lippen und ihre Zungenspitze stößt an die oberen Schneidezähne, während sie je ein Glas Wein für uns vom Tablett auf dem Bartresen nimmt. Sie reicht es mir, und untermalt mit den Klängen eines Klaviers aus den Lautsprechern über uns treffen sich unsere Gläser mit einem leisen Klirren. »Erzähl! Wie geht es dir?«

»Mir geht es gut«, sage ich, ergänze innerlich ein Nicht. »Und dir?«

Sie winkt ab. »Ach, bestens!« Sie nippt an ihrem Glas, wobei ihr roter Lippenstift einen Abdruck auf dem Rand hinterlässt. »Du hast die drei ja gesehen. Und ich freue mich so sehr, dass Siva wieder dabei ist, er war bei der Bachelorette in der letzten Staffel mein Favorit!«

Ich nicke, als wüsste ich, wovon sie redet, und krame in meinem Gedächtnis nach den Informationen, die mir Cassie mit auf den Weg gegeben hat. Zwei der Bachelors werden aus den vorherigen Staffeln der Love or Lie Bachelorette gewählt, meistens die Publikumslieblinge. Ein weiterer wird aus den Bewerbern ausgesucht.

»Ist Collin auch aus der letzten Staffel?« Ich meine eigentlich Daniel, aber finde es klüger, seinen Namen zu meiden und es über das Ausschlussverfahren herauszufinden. Ich habe mit Cassie zwar die Kandidaten der letzten Staffeln durchgesehen, aber ich kann mich nicht mehr wirklich an jemanden erinnern, außer an einen Australier namens Caleb. Aber der scheint es offensichtlich nicht geschafft zu haben.

»Genau, er war aber schon in der vorletzten dabei. Eigentlich total seltsam, dass sie ihn ausgesucht haben.« Svea kräuselt die spitze Nase. »Aber ich wette, die Hälfte der Mädchen steht auf ihn.« Das kann ich mir auch gut vorstellen.

»Du schwärmst demnach für Collin?« Die Blondine grinst. Ich hebe die Mundwinkel und nippe statt einer Antwort an meinem Wein. Svea beugt sich näher zu mir und senkt ihre Stimme, als wolle sie verhindern, dass die Kameras, die an sämtlichen Wänden und Decken installiert sind, zu viel von unserem Gespräch aufzeichnen. »Was hat dich dazu bewogen, doch teilzunehmen?« Ich zucke die Achseln.

»Meine Freundinnen haben mich dazu überredet, und ich glaube, es war keine schlechte Idee.«

Svea nickt eifrig. »Toll, dass du es gemacht hast.«

Ein Raunen ertönt aus dem Hauptraum und eine weitere Kandidatin wird begrüßt. »Ich frage mich, wie viele noch kommen.« Svea fährt sich durch die Haare, um sie wieder in perfekte Unordnung zu bringen. »Ich war die Allererste.«

»Die Erste? Das ist bestimmt nicht einfach«, gehe ich darauf ein, und ihre Augen nehmen wieder einen träumerischen Glanz an. »Ich hoffe, ich kann Siva nachher abpassen, bei ihm hatte ich irgendwie das beste Gefühl. Und danach vielleicht Dan.« Mit ihren gepflegten Nägeln fährt sie beiläufig über den Rand des Weinglases.

»Wie machst du es?«, frage ich. »Unterbrichst du sie bei den Gesprächen mit den anderen einfach?«

Svea nickt. »Ja, nach einer Minute kann man schon dazwischenfunken.«

Ich hole überrascht Luft. »Nur eine Minute? Da kann man sich gerade mal hinsetzen.«

Sie sieht mich beinahe mitleidig an. »Ach herrje, du kennst die Show ja wirklich nicht gut.« Ich schüttele den Kopf und grinse ertappt. Solche Details habe ich in meiner Recherchephase übersehen, auch wenn ich mir wirklich Mühe gegeben habe, so viele Folgen wie möglich anzusehen. Ich bemerke eine blonde Frau, deren schwarze Kleidung und das Emblem auf dem Rücken des Shirts sie als Staff-Mitglied auszeichnet. Das Emblem der Show besteht aus einem Ring, der zwei L miteinander verbindet. Amber hat mich ausgelacht, als ich angemerkt habe, dass das aussieht wie die Abkürzung zu Laughing Out Loud. Ich bin immer noch der Meinung, dass ich damit nicht ganz unrecht habe.

»Kommt doch bitte schnell mit zum Interview.« Die Blonde deutet nach rechts in einen Nebenflur, und wir folgen ihr, die Weingläser immer noch in der Hand. Eine Kandidatin steht dort bereits vor der Kamera, die auf einem Stativ installiert ist. Vermutlich zeichnen sie auf, wie die Gedanken zu den Männern sind. Ich fasse mir ein Herz und begebe mich mit Svea zu dem kleinen aufgebauten Kameraset.

»Geh ruhig zuerst.« Svea nickt mir zu, und sobald mich der Kameramann zu sich winkt, stelle ich mich vor die Linse. Der gewählte Hintergrund ist eine einfache Holzwand, ausgeleuchtet durch eine Softbox, und ein Hocker steht bereit, auf dem ich mich umständlich niederlasse. Das Licht blendet ein bisschen, doch meine Augen gewöhnen sich rasch daran.

»Bitte etwas mehr nach links.«

Ich komme der Aufforderung nach und sehe den rothaarigen Mann fragend an, der sich mit einem Blick zu der Blondine vergewissert, dass alles in Ordnung ist, ehe er den Daumen nach oben reckt. Die kleinen Sommersprossen, die seine schmale Nase zieren, lassen ihn jugendlicher wirken, als er ist. Die Blondine postiert sich vor mir. Ich kann den Namen Grace Hall auf ihrem Schild lesen und erinnere mich daran, dass sie uns bei der Einführungsrunde vorgestellt wurde. Sie ist Teil der Redaktion und hauptverantwortlich für die Interviews und die Drehanweisungen.

»Welcher der Bachelors hat dich am meisten beeindruckt?«, stellt sie mir ihre erste Frage. Mein Herz klopft laut, und ich lasse mir Zeit, um zu überlegen, wie ich am besten antworte. Diese Situation ist neu für mich, ich weiß nicht, wie viel oder wie wenig ich preisgeben soll, und muss es erst ein wenig austesten.

»Collin … ehm.« Ich rudere zurück, als ich mich daran erinnere, dass ich die Frage wiederholen muss, und setze erneut an, während ich in die Kamera sehe. »Am meisten beeindruckt hat mich Collin. Sie sind alle drei sehr attraktiv, aber irgendwie war er mir am sympathischsten.« Was für eine Lüge. Meine Nervosität sendet Adrenalin durch meine Adern, dennoch versuche ich mir in meinem Gesicht nichts davon anmerken zu lassen. Es ist ungewohnt, alles so neu, aber ich will mein Bestes geben.

»Und was ist mit Dan?« Ihre Stimme ist glasklar, geübt darin, Fragen so zu stellen, dass sie die Antwort nach ihren Wünschen formen kann. Ich tippe mir mit dem Zeigefinger auf meine kalte Nase. Über Dan will ich am liebsten gar nicht reden. Nicht so wirken, als hätte ich Interesse an ihm. Oder ist gerade das zu auffällig?

»Dan wirkt sehr mysteriös. Aber nett«, sage ich daher schlicht. Von Dan muss ich mich fernhalten. Dringend. Wenn er mich erkennt, könnte er alles auffliegen lassen. Er könnte dafür sorgen, dass ich keinen Brief bekomme. Ich warte, doch zum Glück scheint Grace sich mit meiner Antwort zufriedenzugeben.

»Was hast du für ein Gefühl bei den anderen Frauen? Wie schätzt du die Konkurrenz ein?«

»Ich halte die Konkurrenz für sehr groß.« Ich lache auf und ziehe dann die Luft durch die Zähne. »Ich meine, hast du diese Frauen gesehen?« Ich kräusele die Lippen. »Dann weißt du ja, was ich meine.« Grace lacht ebenfalls. Hoffentlich macht mich das sympathischer.

»Wie lautet dein Statement zu deinem kleinen Zwischenfall mit Siva?«, fragt sie dann, und ich halte den Atem an. Ich wusste, dass diese Frage kommen würde. Ich bin darauf vorbereitet. Ich denke nach, vielleicht zu viel, um meine Unsicherheit zu überspielen. In einer beschämten Geste schlage ich mir die Hände vor die Augen.

»Ich habe Siva bei der Begrüßung aus Versehen die Tür des Wagens an den Kopf geknallt.« Ich lasse zu, dass mein bestürzter Gesichtsausdruck zwischen meinen Fingern hindurch zum Vorschein kommt, und nehme dann die Hände nach unten. »Ich weiß nicht, wie das passieren konnte. Es tut mir einfach unfassbar leid, ich hoffe, es gibt keine Beule. Manchmal kann ich wirklich ungeschickt sein.« Der Kameramann wippt ein wenig hin und her, mit der Spitze seines schwarzen Stiefels tippt er immer wieder auf den Boden, als wolle er mir damit sagen, dass ich noch mehr preisgeben soll. »Ich werde auf jeden Fall versuchen, das wiedergutzumachen.« Die Stiefelspitze verharrt.

»Danke, das war es auch schon«, sagt Grace. Erleichtert rutsche ich von dem kleinen Hocker herunter. Ich warte noch, bis Svea ihr Interview hinter sich hat, das sie meistert, als hätte sie nie etwas anderes getan. Sie schafft es, dabei so ehrlich zu wirken. Etwas überdreht, fröhlich, laut … ganz so, wie ich sie auch kennengelernt habe.

»Lass uns zu den anderen gehen«, schlage ich vor, als sie sich wieder zu mir gesellt und im Hauptraum erneut jemand begrüßt wird. Wir gehen mit unseren Gläsern zurück ins Foyer. Ich hebe mein Kleid nach vorn, sodass meine Sneakers bis auf die weiße Schuhspitze nicht zu sehen sind. Kleine Häppchen liegen auf Tabletts verteilt auf den mit weißen Tüchern bespannten Tischen, doch ich wage nicht, mir eines zu nehmen, falls die Kameras mich beim Essen filmen. Menschen sehen nie gut aus, wenn sie essen, das ist ein ungeschriebenes Gesetz. Wir steuern auf zwei Brünette zu, die ihr Gespräch unterbrechen und aufsehen. Die größere der beiden rutscht ein Stück zur Seite, sodass wir uns zwischen sie setzen können. Große Puppenaugen zieren ihr blasses Gesicht und sie trägt ein silbernes Kleid mit einem Ausschnitt, der alles andere als jugendfrei ist. Ich kann mich nicht an ihren Namen erinnern, aber die zierliche mit dem Pony erkenne ich als April. Sie ist mir sofort sympathisch, als wir die Unterhaltung beginnen und ich ihren Südstaatenakzent wahrnehme. Sie redet genau wie meine Grandma, als sie noch gelebt hat. Wir reden über die Kandidaten, wo wir herkommen und was wir tun. Der Raum füllt sich immer mehr mit jungen Frauen, Gelächter und angeregte Gespräche legen sich wie ein Hintergrundrauschen über meine Ohren. Und nach und nach verschwimme ich mit der skurrilen Atmosphäre aus Frauen in Ballkleidern, die die naive Vorfreude genießen wie kleine Kinder am Weihnachtsabend. Dabei sehen sie die dunkle Gewitterwolke nicht, die über ihnen schwebt.

Love or Lie

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